Amelie Kühne: Vierwöchige Grönland-Expedition
Drei Jahre lang hatte sich der Expeditionskader des Deutschen Alpenvereins (DAV) auf seine Abschluss-Expedition nach Grönland vorbereitet. Am 11. Juli 2023 ging es für die sechs jungen Kletterinnen dann zusammen mit ihrer Trainerin und einer Ärztin los. Mit dabei: die Untereisesheimerin Amelie Kühne von der DAV Sektion Heilbronn. In der letzten SPORTHEILBRONN-Ausgabe hatte die 21-Jährige noch von der Vorfreude auf die Expedition berichtet. Inzwischen liegt diese schon wieder einige Wochen zurück. Im Gespräch mit unserer Redaktion begibt sie sich gedanklich nochmal nach Grönland und berichtet vom Abenteuer ihres Lebens.
Autor: Lara Auchter
Gute Laune auf dem Gipfel. Fotos: privat
Welcome back, Amelie. Wie waren für dich die ersten Wochen zurück in der Zivilisation?
Amelie Kühne: Es war sehr crazy direkt danach, die ganzen Eindrücke wieder, die Autos, der Lärm, so viele Menschen. Da musste man sich erstmal wieder dran gewöhnen. Nachts konnte ich nicht schlafen, weil es für mich extremst laut war. Es war schon eine ziemliche Umstellung – von vier Wochen totaler Ruhe zurück zum normalen Leben in der Großstadt.
Ihr hattet euch drei Jahre lang auf die Expedition vorbereitet. Wie lief es dann vor Ort? War alles so, wie ihr euch das vorgestellt und geplant habt?
Amelie Kühne: Es war tatsächlich ganz anders. Erstmal hatte ich mir die Landschaft anders vorgestellt. Ich dachte, wir sind komplett von Eis umgeben und brauchen überall Steigeisen, aber die Landschaft war wie in Norwegen, sehr wild, viele Wiesen und keine Gletscher direkt bei uns. Auch hatten wir eigentlich ein anderes Ziel geplant. Da konnten wir jedoch mit dem Boot nicht hinfahren, weil zu viel Eis auf dem Meer war. Deshalb mussten wir dann unsere Routen umplanen und uns innerhalb von vier Tagen ein neues Ziel suchen.
Bevor es mit der Expedition losging, hattest du uns berichtet, dass ihr Schießtraining habt, um euch gegen Eisbären und sonstige wilde Tiere zu schützen. Habt ihr tierische Bekanntschaften gemacht?
Amelie Kühne: Es war tatsächlich ein ziemlich großes Thema. Als wir angekommen sind, hieß es zuerst, dass wir keinen Eisbären begegnen werden. Am nächsten Tag kam dann aber plötzlich die Info, dass wir die Gewehre überprüfen sollen und unbedingt Nachtwache halten müssen, weil in unserem Zielgebiet Eisbären gesichtet worden waren. Wir mussten darauf vorbereitet sein, einen Eisbären abschrecken zu können, damit er wieder verschwindet. Der Unterschied zwischen Eisbären und Braunbären ist jedoch, dass Eisbären sehr neugierig sind und immer wieder zurückkommen und dabei aggressiv werden können. Deshalb war klar, wenn wir einen Eisbären sehen, müssen wir die Expedition abbrechen. Gottseidank kam uns aber keiner in die Quere (lacht). Wir hatten aber einen Fuchs bei uns, der ziemlich penetrant war. Er sah total süß aus und hatte buntes Fell. Er kam wirklich jede Nacht her und hat alles angeknabbert, sogar die Zelte.
Amelie Kühne (Mitte) mit ihrer Teamkollegin Caro Neukam (links) und Trainerin Dörte Pietro.
Wie war das für euch, als ihr spontan umplanen musstet?
Amelie Kühne: Es war ja trotzdem noch Grönland, deshalb war es nicht ganz so dramatisch. Aber wir hatten uns zu dem ursprünglichen Ort ganz viele Gedanken gemacht, gut recherchiert und ihn ja deshalb ausgewählt, weil dort noch kaum jemand war und wir somit ganz viele Erstbegehungen hätten machen können. Am neuen Ort waren zuvor schon viele andere Expeditionen, und deshalb hatten wir echt Schwierigkeiten, eine Route zu finden, die noch keiner zuvor geklettert war. Das war am Anfang ein bisschen schade. Wir haben es dann aber geschafft und es war trotzdem mega toll.
War die Erstbegehung oder die Erklimmung eines bestimmten Berges ein festes Ziel von euch? Oder ging es eher darum, so viel wie möglich zu erkunden und zu klettern?
Amelie Kühne: Unser Hauptziel war wirklich eine Erstbegehung zu machen und eine gute Zeit zu haben. Das haben wir definitiv erreicht. Wir haben zwar viele bereits erkundete Touren wiederholt, was wir so natürlich nicht geplant hatten, aber es war trotzdem voll cool und eine mega Erfahrung. Wir konnten dadurch ganz viel lernen und die Erfahrungen mitnehmen.
Ihr hattet ein gemeinsames Basislager. Seid ihr von dort aus jeden Tag gestartet? Wie lief so ein Tag ab?
Amelie Kühne: Einen festen Tagesablauf hatten wir eigentlich nicht. Wenn wir eine Tour gestartet haben, sind wir früh aufgestanden. Dann ging es ein bis zwei Stunden vom Basecamp aus zu Fuß bis zum Felsen, wo wir dann geklettert sind, bis wir oben waren. Danach haben wir uns wieder abgeseilt und sind zurück ins Basecamp gegangen. Bei größeren Touren ging es dann bis spät abends. Wir haben unsere Hängezelte an der Felswand aufgebaut, haben uns reingelegt und geschlafen. Es wurde in Grönland ja auch nicht dunkel, deshalb konnte man viel in der Nacht klettern – was total crazy war, vor allem bei den 24-Stunden-Touren, von denen ich zwei machen durfte. Man ist einfach nur geklettert ohne zu merken, wie spät es schon ist. Und ich wurde dadurch, dass es nicht dunkel wurde, auch nicht müde. Da steht man dann um Mitternacht auf dem Gipfel und es ist voll hell. Das ist schon eine verrückte, aber auch sehr schöne Erfahrung.
Das klingt auch echt verrückt. Euer Körper hat den 24-Stunden-Trip danach aber bestimmt bemerkt…
Amelie Kühne: Ja, der Körper wurde natürlich müde aufgrund der schwindenden Kraft und Konzentration. Wir waren oft morgens um vier oder sechs Uhr zurück im Basecamp, haben kurz geduscht und dann so lange geschlafen, bis man nicht mehr liegen konnte (lacht). So richtig platt und ausgelaugt war man erst am nächsten Tag. Da sind wir dann auch nur fürs Essen aufgestanden und haben sonst nur geschlafen.
Du erwähnst schon das Duschen… Wie muss man sich die Versorgung und den Ablauf in so einem Basecamp vorstellen?
Amelie Kühne: Wir haben ja immer selber gekocht und haben das ganze Essen für die vier Wochen zuvor genauestens abgewogen, berechnet und eingekauft. Wir haben uns Essenspläne gemacht, konnten aber ehrlicherweise gar nicht alles essen, was auf unserer Liste stand. Als Toilette haben wir uns am Anfang ein riesiges Loch gegraben und konnten dort immer aufs Klo gehen. Das sah am Ende zwar ziemlich eklig aus, aber das konnte man zum Abschluss einfach zuschütten. Das Klopapier haben wir verbrannt. Zum Waschen haben wir uns einen Staudamm gebaut. Wir hatten neben unserem Lager einen kleinen Bach, und dort konnten wir uns immer reinlegen. Es war eiskalt, also „reinlegen“ eher in Anführungszeichen (lacht). Wir hatten aber auch Wassersäcke, die einen schwarzen Duschkopf dran hatten und sich dann in der Sonne aufgewärmt haben. So hatte man zumindest ein bisschen wärmeres Wasser. Mir hat das so richtig getaugt, ist eigentlich mein liebster Lebensstil (lacht).
Nicht nur Teamkolleginnen, sondern inzwischen auch Freundinnen: Der DAV Expeditionskader mit Amelie Kühne (3. von links)
Was war denn dein persönliches Highlight? Gab es etwas, wo du sagst, das war besonders schön?
Amelie Kühne: Eigentlich die zweite 24-Stunden-Tour. Wir waren zu zweit unterwegs und haben eine Route wiederholt, hatten aber überhaupt keine Informationen dazu. Wir sind einfach losgeklettert und haben gehofft, auf die richtige Route zu stoßen. Es war auch alle 60 Meter etwas zum Abseilen in der Wand befestigt, daran haben wir uns orientiert. Die Tour war aber cool und wir hatten so viel Spaß, haben gelacht, gesungen, Musik gehört und uns gegenseitig motiviert. Wir wussten überhaupt nicht, wo wir an der Wand waren und wo wir rauskommen würden. Irgendwann, nachdem wir uns ein bisschen verklettert hatten, sind wir auf dem Gipfel angekommen und haben dann oben erst mal getanzt, auch weil wir so glücklich waren, es geschafft zu haben. Es war der höchste Berg einer Bergkette und von unserem Team war noch niemand anderes da oben. Dort war es total schön. Beim Abseilen hatten wir aber zu kurze Seile dabei und mussten dann selbst mit dem Hammer unsere Haken in die Eiswand schlagen. Das war auch extrem spannend und eine tolle Erfahrung. Aber auch unsere Erstbegehung war ein gleichwertiges Highlight, einfach weil wir uns alle darauf gefreut haben und zu acht fast fünf Tage mit der Tour beschäftigt waren, die am Ende eine richtig coole Linie wurde. Das hat auch teilweise Überwindung gekostet, weil wir auf einer unbekannten Wand waren und zum Teil mit der Bohrmaschine unsere Haken befestigen mussten.
Ihr hattet natürlich kein Internet oder Strom, und wir schätzen, wenn der Akku, besonders von der Bohrmaschine, leer war, hattet ihr auch keine Möglichkeiten diesen aufzuladen …
Amelie Kühne: Für die Bohrmaschine hatten wir sehr viele Akkus dabei, aber wir hatten tatsächlich am Anfang vom Fjord eine Autobatterie stehen. Wir mussten dafür extra die zehn Kilometer aus dem Landesinneren rauslaufen, aber dort konnten wir die Akkus laden. Sonst hatten wir Satellitentelefone dabei, durch die wir bei einem Notfall jemanden hätten kontaktieren können.
Ihr seid nur bei der Erstbegehung zu acht unterwegs gewesen. Sonst wart ihr Kleingruppen?
Amelie Kühne: Es waren zwei Dreier- und ein Zweierteam. Dabei wurde auch nicht groß durchgemischt, denn wenn man von einer Tour zurückkam, brauchte man auch ein paar Ruhetage, während die anderen Teams dann unterwegs waren. Es hat alles eigentlich perfekt gepasst. Wir waren sechs Kadermitglieder sowie unsere Trainerin und eine Ärztin, die auch die ganze Zeit mit uns geklettert sind.
Wenn man auf dem Gipfel steht und um sich herum wunderschöne Berge, Gletscher und eine atemberaubende Eislandschaft sieht, beschäftigt man sich in solchen Momenten mit dem Klimawandel?
Amelie Kühne: Ja, natürlich. Das war bei uns sogar ein riesiges Thema. Wir haben uns das letzte Jahr darauf konzentriert, wie wir klimaneutral anreisen können. Wir hatten uns auch deshalb Grönland statt eines weiter entfernten Ziels in Asien ausgesucht. Auch war es uns wichtig, dass wir vor Ort keine Abfälle hinterlassen und auch sonst die Natur nicht verschmutzen. Wenn man dort ist und die tolle Natur sieht und sich ins Bewusstsein ruft, wie Gletscher und Eis schmelzen, ist es einfach nur schade, dass wir Menschen die Welt so kaputtmachen.
Du hast dich auch verletzt. Ist das während der Expedition passiert?
Amelie Kühne: Nein, kurz davor. Das war total verrückt, ich war die Woche davor noch Rissklettern und habe meine Hand dabei komplett verdreht. Ich habe mir aber keine Gedanken dazu gemacht und dachte, das wird besser. Wir sind am Dienstag zur Expedition aufgebrochen und das war am Freitag davor. Während des Wochenendes ist meine Hand total angeschwollen, ich konnte keinen Finger mehr bewegen und wusste überhaupt nicht, was ich machen soll. Am Montag habe ich dann ein MRT machen lassen, und kurz darauf ist es wie durch Zauberhand schlagartig besser geworden. Ich habe eine Schiene bekommen und konnte am Dienstag zum Abflug auch schon wieder meine Finger bewegen. Aber ich hatte wirklich kurz Angst, dass ich nicht zur Expedition mitgehen kann.
Ihr wart acht Mädels, die vier Wochen lang jede Minute aufeinander saßen. Habt ihr euch untereinander immer super verstanden oder gab es mal die ein oder andere Reiberei?
Amelie Kühne: Wir hatten echt ein extremes Glück mit unserem Team und haben uns super verstanden. Die Stimmung war richtig gut und wir haben uns gegenseitig gepusht. Klar gibt es ein paar Kleinigkeiten, bei denen man zum Diskutieren kommt, aber das gehört dazu und war auch ziemlich schnell wieder vorbei. Es hat uns nicht viel ausgemacht, so lange auf engstem Raum gemeinsam zu verbringen.
Wenn es wieder zurück geht, verspürt man dann Wehmut, weil es schon vorbei ist, oder kann man es kaum erwarten, wieder zu Hause zu sein.
Amelie Kühne: Ich wollte eigentlich nie mehr zurück (lacht). Ich war richtig traurig, weil die Expedition so toll war und das voll mein Ding ist. Nur du und die Natur, nichts anderes mehr. Auf dem Rückflug habe ich mich auch entschieden, nach Innsbruck statt nach Hause zu gehen. Zuhause wäre ich eh alleine gewesen, und so hatte ich zur Eingewöhnung wenigstens noch Berge um mich herum, damit es nicht so traurig war. Es war eine längere Entwöhnung bei mir (lacht).
Seit 2020 war die Expedition das einzige Thema, das große Ziel, auf das ihr hingearbeitet habt. Wie gehst du damit um, jetzt, wo es vorbei ist? Was sind deine weiteren Pläne?
Amelie Kühne: Ich hatte schon ein bisschen Angst vor dem Moment, weil jetzt wirklich alles vorbei ist. Aber seitdem die Expedition vorüber ist, denke ich schon wieder an die nächste (lacht). Ich wurde auch schon von vielen Freunden und Bekannten gefragt, die man in den drei Jahren kennengelernt hat, ob ich zur nächsten Expedition mitkommen möchte. Mir wird es also nicht langweilig. Die Bergführerausbildung ist, neben meinem Studium natürlich, das Nächste, was ich angehen möchte.