Turner Milan Hosseini: Von der Schulter-OP zum DM-Titel

Milan Hosseini ist eines der hoffnungsvollsten Talente des Deutschen Turner-Bundes. Im Februar 2021 musste sich der 20-Jährige von der TG Böckingen jedoch einer Operation an der Schulter unterziehen. Nach langen Monaten, die im Zeichen der Reha standen, konnte sich der Fleiner dann im Dezember 2021 mit seiner Bundesligamannschaft des TuS Hannover-Vinnhorst zum ersten Mal den Titel des Deutschen Mannschaftsmeisters im Turnen sichern. Wie weit sein Weg vom OP-Saal über die Physiotherapie zurück an die Geräte war, erzählt der Schüler des Sportinternats Berlin beim SPORTHEILBRONN-Interview im Leistungszentrum der TG Böckingen in der Mörikehalle.

Fotos: Philipp Föll

Autor: Lena Staiger

10. Februar 2022

Milan, du wurdest jetzt schon in sehr jungen Jahren an der Schulter operiert. Was ist passiert?
Milan Hosseini: Ich hatte seit September 2020 dauerhaft Probleme und Schmerzen in meiner Schulter. Leider wurde es immer schlimmer, bis ich irgendwann nicht mehr am Reck und den Ringen turnen konnte. Als ich dann ins MRT musste, kam heraus, dass meine Supraspinatussehne durch die Belastung und den Verschleiß in der Mitte bis zum Ansatz gerissen war. Die Supraspinatussehne ist die wichtigste Sehne in der Rotatorenmanschette der Schulter und umfasst den Oberarmkopf. Sie ist vor allem für die Armhebung zuständig. Eine Bewegung, die wir im Turnen sehr oft ausführen. Der Arzt meinte aber, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Sehne durch die Verletzung genau in der Mitte ganz reißt, relativ gering ist und man es erst mit einer alternativen Behandlungsmethode probieren könnte.

Welche Alternative zur OP hattest du dann?
Milan Hosseini: Die sogenannte Eigenbluttherapie. Hierfür wurde mir Blut abgenommen und die roten, für die Regeneration zuständigen Blutkörperchen direkt an die Sehne gespritzt. Dabei bestand die Hoffnung, dass die Sehne dadurch vernarbt und wieder stabil wird.

Das klingt nicht gerade angenehm…
Milan Hosseini: Das war es auch nicht. Der Arzt hat per Ultraschall kontrolliert, dass die Spritze wirklich genau an den Riss gesetzt wird, und das war natürlich ziemlich schmerzhaft. Auch an den Tagen danach hat es weh getan, da jedes Mal eine kleine Entzündungsreaktion im Gelenk entstand. Leider hat die Therapie nach drei Versuchen noch nicht angeschlagen und die Entscheidung für die Operation fiel dann relativ schnell.

Hattest du in der Zwischenzeit im Training auch Angst, dass die Sehne komplett reißt? Es ist es ja wichtig, mit freiem Kopf trainieren zu können.
Milan Hosseini: Nein, eigentlich nicht. Der Arzt hatte mir ja versichert, dass die Wahrscheinlichkeit relativ gering ist. Ich musste aber weiter trainieren, da die einzige Möglichkeit, sich 2021 für den Kader zu qualifizieren, ein Wettkampf im November war. Wäre die Gefahr eines kompletten Risses größer gewesen, hätte ich mich natürlich sofort operieren lassen. Im Training habe ich dann die schmerzhaften Dinge so gut wie möglich weggelassen und bin erst kurz vor dem Wettkampf wieder in die volle Belastung gegangen. Nachdem ich dann aber auch im Alltag und sogar nachts zunehmend Probleme bekommen habe, habe ich mich von einem Schulterspezialisten aus der Schweiz operieren lassen. Dieser ist sehr erfahren mit dem Umgang mit dieser Art von Verletzungen bei Sportlern und hat schon viele Turner operiert.

Wie ging es dir dann nach der OP? Wie verlief die Reha?
Milan Hosseini: Insgesamt sollte ich nur eine Nacht im Krankenhaus bleiben, das war gut. Für die ersten sechs Wochen musste ich Tag und Nacht eine Schiene tragen und durfte den Arm nur in der Physiotherapie passiv bewegen lassen. Ab der siebten Woche konnte ich dann in den Strömungskanal und gegen sanften Wasserwiderstand anfangen, den Arm wieder selbstständig zu bewegen. Danach habe ich auch „an Land“ wieder langsam mit verschiedenen Übungen begonnen. Insgesamt gab es in der Reha immer wieder Verzögerungen und Rückschläge ab dem Schritt, als ich wieder in der Turnhalle trainieren durfte. Eine Woche fühlte sich super an, und ich habe gedacht jetzt geht es endlich wieder richtig los. In der nächsten Woche ging dann plötzlich fast gar nichts mehr.

Das klingt auch ziemlich belastend für die Psyche…
Milan Hosseini: Ja, besonders schwierig war das Wissen, dass ich bis zum Jahresende keine Wettkämpfe turnen würde. Ich durfte nicht zu ungeduldig sein, sondern musste konstant arbeiten, um mich gut vorzubereiten. Ich habe es bis zum Ende 2021 auch nicht geschafft, wieder an allen Geräten auf dem alten Niveau zu turnen. An den Ringen ging in der Vorbereitung einfach zu wenig, um im Wettkampf schon schmerzfrei turnen zu können. Am Reck und am Barren hingegen ging es schon wieder gut, da hatte ich auch lange noch Probleme. An dem ein oder anderen Gerät bin ich inzwischen sogar besser als vor der OP.

Wägst du als junger Athlet auch zum Teil „Nutzen“ und „Risiko“ des Sports ab? Du hast ja gerade jetzt gemerkt, wie langwierig solch eine Verletzung sein kann und dass man sogar im Alltag eingeschränkt ist. Es gibt ja immerhin noch ein Leben nach dem Leistungssport…
Milan Hosseini: In meiner sportlichen Karriere möchte ich auf jeden Fall das Maximum erreichen und das Allerbeste aus mir herausholen. Aber natürlich nicht um jeden Preis. Wenn ich merke, dass ich Langzeitschäden davontrage oder mein Körper im Alltag durch den Sport eingeschränkt ist, würde ich lieber auf den Leistungssport verzichten, statt mit langfristigen Folgen leben zu müssen. Das ist aber zum Glück aktuell nicht der Fall. Im Training achten wir auch sehr auf eine korrekte Technik, die möglichst schonend für den Körper ist. Wenn man zum Beispiel jedes Mal mit einem leicht verdrehten Bein landet, ist das auf Dauer sehr belastend. Darum sind meine Trainer in dieser Hinsicht auch zu Recht ziemlich penibel.

Das Jahr 2021 hast du ja dennoch sehr erfolgreich mit einem Deutschen Meistertitel mit der Mannschaft abgeschlossen. Warst du mit deiner Leistung im Finale zufrieden?
Milan Hosseini: Absolut. Es hat sehr lange gedauert, dort hinzukommen und es steckt wirklich viel harte Arbeit dahinter. Für das Team war das DM-Finale zu Beginn recht durchwachsen, da sich ein Turner gleich am Anfang am Boden verletzt hat. Dadurch musste ich neben Boden, Sprung, Reck und Pferd auch noch spontan am Barren einspringen, an dem ich eigentlich nur als Ersatzmann eingeplant war. Aber nach einem kurzen Einturnen konnte ich eine solide Übung zeigen. Besonders freue ich mich, dass mein Team TuS Vinnhorst zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte den Mannschaftstitel holen konnte, nachdem ich den Prozess von der zweiten Liga zum Titelgewinn miterleben durfte. Ich denke, das haben wir uns auch wirklich verdient, nachdem wir jeden Gruppenwettkampf gewonnen haben. Das war für uns alle etwas ganz Besonderes.

Im Moment besuchst du in Berlin noch das Sportinternat, machst aber im Sommer dein Abitur. Wie geht es danach für dich weiter?
Milan Hosseini: Das hängt nicht zuletzt von meiner sportlichen Entwicklung ab. Das Ziel ist aktuell, so schnell wie möglich wieder sechskampffähig zu werden. Nur so habe ich die Chance, mich erneut für den Kader zu qualifizieren. Aber ich denke, dass ich das auf jeden Fall schaffen kann, wenn ich mich gut vorbereite. Wenn ich im Kader und voll einsatzfähig bin, tendiere ich aktuell zur Sportfördergruppe der Bundeswehr oder der Polizei. Außerdem würde ich gerne nebenher studieren. Mich interessiert zum Beispiel der Studiengang Physiotherapie, das steht allerdings noch nicht fest. Vielleicht konzentriere ich mich nach der Schule auch erstmal einige Zeit voll auf den Sport. Das hängt natürlich auch vom Kaderstatus ab.

Wo soll es langfristig gesehen für dich hingehen?
Milan Hosseini: Ich denke ich teile in dieser Hinsicht den gleichen Traum wie alle Leistungssportler: Die möglichst erfolgreiche Teilnahme an den Olympischen Spielen ist natürlich das oberste Ziel.