MOCOS Stille Helden des Sports: Mariia, Artur und die beiden Yevas (SV Heilbronn am Leinbach Volleyball)

Eigentlich ist die Rubrik „Stille Helden des Sports“ ja dafür da, ehrenamtliche Helfer aus Sportvereinen zu würdigen, die sonst nie im Vordergrund stehen. Doch diesmal machen wir gerne mal wieder eine Ausnahme. Aus gutem Grund, denn seit Monaten befinden sich über 1.000 „Stille Helden“ des wahren Lebens in der Region, die weitgehend ungesehen unter dem Radar der Öffentlichkeit bleiben und denen wir hier eine Stimme geben möchten: Junge Ukrainerinnen und Ukrainer, die aufgrund des Krieges ihre Heimat verlassen mussten. Stellvertretend für ihre Landsleute haben wir uns mit Mariia Dubrynytska (15 Jahre), Yeva Yamerchuk (15) und den Zwillingen Artur und Yeva Klimov (16) getroffen, die in Heilbronn die Susanne-Finkbeiner-Schule besuchen und seit Anfang Juli beim SV Heilbronn am Leinbach Volleyball spielen. Das Gespräch mit den vier Jugendlichen hat uns gezeigt: Sie sind momentan die wahren „Stillen Helden“ der Region.

Die „Stillen Helden von links: Artur Klimov, Yeva Klimov, Yeva Yamerchuk, Mariia Dubrynytska.

Foto: SPORTHEILBRONN

Autor: Ralf Scherlinzky

1. August 2022

Mariia, Artur und die beiden Yevas spielen mit ihren Mitschülern auf dem Schulhof der Susanne-Finkbeiner-Schule Volleyball, als wir sie zum Interview besuchen. „Sie gehen in eine rein ukrainische Klasse, in der jede Schülerin und jeder Schüler in den letzten Monaten zum Teil Situationen erlebt hat, die wir uns nicht mal vorstellen wollen“, berichtet uns Andrea Herrmann-Wielsch, eine ihrer Lehrerinnen.

Als die vier uns ins Schulgebäude folgen, rufen ihnen die Klassenkameradinnen und -kameraden lachend auf Ukrainisch ein paar Kommentare hinterher und es ist nicht schwer zu erraten, dass sie sich über die neuen „Medienstars“ lustig machen. Unbeschwerte Jugendliche eben, wie wir sie kennen…

Dies ändert sich schlagartig, als Yeva Yamerchuk vom Beginn des Krieges in der Ukraine erzählt: „Eigentlich hatte der Krieg schon am 16. Februar begonnen, nicht erst am 24. An diesem Tag hieß es, dass die russischen Soldaten kommen. Wir haben das nicht ernst genommen. Das musste ein schlechter Witz sein. Wir haben uns auch nicht weiter Gedanken darüber gemacht, bis es dann am 24. tatsächlich losging und wir um fünf Uhr morgens von Raketeneinschlägen ganz in der Nähe wach geworden sind. Wir waren erst ein paar Monate zuvor von einer Kleinstadt am Meer nach Odessa gezogen und sind dann recht schnell wieder dorthin zurückgekehrt, um uns in Sicherheit zu bringen. Als es dann auch dort losging, bin ich zusammen mit meiner Mutter nach Polen geflüchtet. Mein Vater blieb zuhause, denn er wollte dabei helfen, unser Land zu verteidigen.“

In Odessa war Yeva zusammen mit den Zwillingen Artur und Yeva Klimov zur Schule gegangen. Jetzt wohnen alle drei in Bad Rappenau und sind auch in Deutschland wieder Klassenkameraden. „Ich war die ganze Zeit mit Artur in Kontakt und wir sind dann von Polen aus über die Zwischenstation Frankreich hierher gekommen, weil wir wussten, dass wir hier gut versorgt sind“, berichtet sie.

Der Weg von Artur und seiner Schwester führte im März gezielt nach Bad Rappenau. „Unsere Tante wohnt mit ihrer Familie dort. Sie hat alles in die Wege geleitet, damit wir zu ihr kommen konnten“, erzählt er. Yeva Klimov ergänzt: „Wir waren ein paar Tage unterwegs. Zuerst sind wir mit dem Zug von Odessa nach Lwiw gefahren, dann ging es mit dem Bus nach Polen weiter. Von dort haben uns Volunteers nach Potsdam gebracht, ehe es nach Berlin weiterging. Um 23 Uhr nachts haben wir dann einen Zug von Berlin nach Stuttgart genommen, ehe wir schließlich hier angekommen sind.“

An der Schule lernten die drei dann Mariia Dubrynytska kennen, die aus Kolomyia stammt. Obwohl ihre Heimatstadt in der Westukraine etwas weiter vom Kriegsgeschehen entfernt ist, sind die Ereignisse in ihrem Land auch an der 15-Jährigen nicht spurlos vorbeigegangen. „Als ich morgens zur Schule gehen wollte, sagte mir meine Mutter, dass der Krieg begonnen hat. Ich sagte, nein, das kann nicht sein, und machte mich auf den Schulweg. Dann sah ich plötzlich Flugzeuge über mir und ich dachte, o mein Gott, der Krieg ist tatsächlich gestartet. Das war echt beängstigend und wir sind dann auch recht schnell nach Polen geflüchtet.“

Auf die Frage, ob sie in ihrer Heimat bis zu ihrer Flucht direkte Berührungspunkte mit den Kriegshandlungen hatten, schütteln die vier die Köpfe. „Wir haben gottseidank nichts davon gesehen, aber haben dennoch einiges mitbekommen. In unserer Nachbarschaft in Odessa schlug eine Rakete in ein Mehrfamilienhaus ein. Es wurde zwar nur eine Wohnung darin wirklich beschädigt, aber dort wohnte eine junge Frau mit ihrem drei Monate alten Baby. Sie sind dabei gestorben“, berichtet Artur und stockt mitten im Satz.

Auch im familiären Umfeld sorgt der Krieg für Situationen, die vorher undenkbar gewesen wären. „Meine Oma wohnt in Russland“, sagt Yeva Yamerchuk nachdenklich. „Sie versteht nicht, was in unserem Land vorgeht, und weiß nur, was die russischen Medien berichten. Für sie scheinen wir so etwas wie Verbrecher zu sein. Sie hat den Kontakt abgebrochen, was mir unheimlich weh tut.“

Mariia Dubrynytska lässt sich von ihren Großeltern und Cousins über die Entwicklungen in der Ukraine auf dem Laufenden halten. Diese leben in der Nähe von Kiew und telefonieren jeden Abend mit Mariia, die weiß: „Sie haben alle große Angst.“

Seit Anfang Juli besuchen die vier das Volleyball-Training beim SV Heilbronn am Leinbach und Yeva Yamerchuk, die wie Artur und Mariia in der Schule in der Ukraine regelmäßig Volleyball spielte, strahlt: „Es hat so gut getan, nach so langer Zeit wieder Volleyball zu spielen. Volleyball ist einfach total cool!“

Yeva Klimov dagegen lernte erst beim SV das Volleyballspielen richtig kennen und ist sich sicher: „Das macht total Spaß und ich werde auch zuhause weiter Volleyball spielen.“

Inzwischen verstehen die vier schon recht gut Deutsch, auch wenn sie sich noch nicht zu sprechen trauen. Doch Lehrerin Andrea Herrmann-Wielsch weiß: „Sie lernen die deutsche Sprache sehr schnell und es dauert nicht mehr lange, bis sie sich auch zu sprechen trauen.“

Auch wenn sich die vier in Deutschland wohlfühlen – sobald der Krieg vorüber ist, möchten sie wieder nach Hause zurückkehren. „Die Ukraine ist unser Land. Dort gehören wir hin“, sagt Mariia.