Sebastian Heymann: „Das erste Länderspiel ist kein Spiel wie jedes andere“

Vor genau einem Jahr hatte Sebastian Heymann schon einmal die Titelseite des sportheilbronn-Magazins geziert. „…und dann muss der nächste Schritt erfolgen, hin zu einem gestandenen Bundesligaspieler, der zwei, drei Jahre konstant spielt und dann vielleicht mal den Schritt in die Nationalmannschaft schafft. Aber bis dorthin ist es noch ein weiter Weg“, hatte der Horkheimer im März 2018 zu Protokoll gegeben. Zwölf Monate später ist der inzwischen 21-jährige Rückraumschütze nicht nur Stammspieler bei seinem Bundesliga-Verein FRISCH AUF! Göppingen, sondern hat in seiner Vita auch das Prädikat „Nationalspieler“ stehen. Schon im Dezember 2018 war er von Bundestrainer Christian Prokop in den erweiterten Kader für die Handball-Weltmeisterschaft berufen worden. Zwar hatte es erwartungsgemäß nicht zur WM-Nominierung gereicht, doch ein Vierteljahr später war es dann so weit: Am 9. März bestritt Sebastian Heymann in Düsseldorf gegen die Schweiz sein erstes Länderspiel und erzielte bei seinem 15-minütigen Einsatz gleich drei Tore. Unser Redakteur Ralf Scherlinzky hat sich mit dem Shooting Star des deutschen Handballs unterhalten.

Fotos: Marco Wolf (5), Bildermacher Sport Jens Körner (3)

Autor: Ralf Scherlinzky

23. April 2019

Als wir vor einem Jahr zuletzt gesprochen hatten, hatte dich dein damaliger Trainer Rolf Brack beim Heimspiel gegen Melsungen noch 60 Minuten auf der Bank schmoren lassen. Ein Jahr später bist du Nationalspieler. Wo liegen die Gründe für diesen rasanten Aufstieg?
Sebastian Heymann: Ich denke, das Entscheidende sind die vielen Spielminuten, die ich in dieser Saison in der Bundesliga bekomme. Mein Trainer Hartmut Mayerhoffer gibt mir das Vertrauen, egal ob ich auch mal in einem Spiel zwei oder drei Fehler mache. Er lässt mich auch drin, wenn ich mal nicht so gut spiele. Das gehört für die Entwicklung eines jungen Spielers auch dazu. Dass es dann natürlich gleich so gut klappt und ich in dieser Saison noch zum Nationalspieler werde, hätte ich nicht gedacht.

Das klingt, als hättest du vom Trainerwechsel von Rolf Brack zu Hartmut Mayerhoffer profitiert…
Sebastian Heymann: Na ja, ich kann natürlich nicht sagen, wie die aktuelle Saison mit Rolf gelaufen wäre. Aber über Hartmut kann ich mich wahrlich nicht beschweren. Er schmeißt mich immer rein, egal ob wir vorne oder hinten liegen, und ich komme meist auf meine 30 Einsatzminuten. Er traut mir da einiges zu. Dass ich auch in der Abwehr schon so viele Einsätze bekomme, kommt mir natürlich absolut zu Gute.

Gerade für die Abwehrarbeit bedarf es ja einer einer gewissen Athletik. Hast du in diesem Bereich auch entsprechend zugelegt?
Sebastian Heymann: Ja, da hat sich bei mir viel getan. In der Bundesliga hat man fast ausschließlich mit Gegnern zu tun, die über 1,90 Meter groß und über 100 Kilogramm schwer sind. Da muss man schon dagegen halten können. Und je fitter man körperlich ist, desto besser ist man auch vor Verletzungen geschützt. Ich bin da in meinen jungen Jahren noch lange nicht an meinem Limit, sondern kann noch einiges aufarbeiten, damit ich in den nächsten Jahren weitgehend verletzungsfrei bleiben kann.

Die Nominierung für den 28er-Kader im letzten Dezember kam dann trotz allem überraschend schnell. Wie kam es dazu?
Sebastian Heymann: Der Bundestrainer hat gesehen, dass ich in meinem jungen Alter nicht nur die Gelegenheit bekomme, relativ viel Verantwortung zu übernehmen, sondern dies auch tatsächlich mache. Ich werde nicht nur von meinen Mitspielern mitgezogen, sondern versuche auch selbst, meine Mitspieler mitzuziehen. Und dies hat wohl, zusammen mit ein paar recht guten Spielen in der Hinrunde, zur Nominierung geführt.

Dass du dann doch noch aus dem WM-Kader gestrichen wurdest, war dann aber doch enttäuschend…
Sebastian Heymann: Klar, auf der einen Seite schon. Wenn man die WM-Spiele im Fernsehen anschaut und denkt, dass man da jetzt dabei sein könnte, ist das schon hart. Aber auf der anderen Seite hat sich zum Glück auf meiner Position keiner verletzt. Ich bin noch jung, versuche mich jeden Tag weiter zu entwickeln, bei jedem Training einen Schritt besser zu werden – und dann hoffe ich, dass ich mich irgendwann fest im A-Kader etablieren kann. Bis dahin muss ich mir aber auch noch ein bisschen mehr Cleverness aneignen. Aber das kommt mit der Erfahrung.

Allzu weit bist du nach deinem ersten Länderspiel von diesem „Irgendwann“ ja nicht mehr entfernt. Wie hast du eigentlich von deiner Nominierung für das Länderspiel gegen die Schweiz erfahren?
Sebastian Heymann: Bevor die offizielle Einladung kam, hat Bundestrainer Christian Prokop mich angerufen. In der Woche vor diesem Spiel hat die U21-Auswahl zusammen mit der A-Nationalmannschaft einen Lehrgang absolviert. Er sagte mir, dass ich erst bei der U21 dabei sein und dann die letzten beiden Tage zu ihm rüberkommen soll. Und dann könne ich mit Spaß und ganz ohne Druck mein erstes Länderspiel absolvieren. Das war natürlich eine Ehre für mich, dass ich dabei sein durfte!

Wie waren dann die Tage vor dem Länderspiel für dich? Hat während des Lehrgangs die Vorfreude oder die Nervosität überwogen?
Sebastian Heymann: Schwer zu sagen, welches von beiden überwogen hat. Beide waren in diesen Tagen Wegbegleiter, aber die Vorfreude ist natürlich deutlich größer – wobei ich auch noch nie so nervös vor einem Spiel war. Als dann direkt vor Spielbeginn die Nationalhymne gelaufen ist, habe ich die Nervosität zumindest ein bisschen vergessen.

Wie hast du in der Nacht vor deinem ersten Länderspiel geschlafen?
Sebastian Heymann: Meine Nacht war erstaunlich gut. Ich habe super und auch lange geschlafen. Das hatte ich so nicht erwartet, aber ich war dann natürlich auch froh, am Spieltag fit und ausgeschlafen zu sein.

Ab wann hast du so richtig realisiert, dass es jetzt so weit ist? Beim Einlaufen in die Halle, als du zum ersten Mal eingewechselt wurdest oder erst nach dem Spiel?
Sebastian Heymann: Man realisiert das schon, sobald man sich zum Warmmachen auf die Platte begibt. Vom Anpfiff bis zur Einwechslung fiebert man natürlich die ganze Zeit mit und möchte unbedingt aufs Feld, um sich vor so vielen Zuschauern zu zeigen und auch einfach der Mannschaft zu helfen. Natürlich war der Puls vor der Einwechslung dann auch entsprechend hoch. Aber sobald man auf der Platte steht, vergisst man alles…

Konntest du die Zeit auf dem Feld genießen oder war es dann doch ein Spiel wie jedes andere?
Sebastian Heymann: Das erste Länderspiel ist auf gar keinen Fall ein Spiel wie jedes andere. Das sind solche Momente, für die man sein ganzes Leben an sich arbeitet – und dann genießt man natürlich diese Zeit in vollen Zügen.

Hat dir Christian Prokop weitere Einsätze für die nächste Zeit in Aussicht gestellt oder war das jetzt erstmal ein Reinschnuppern, damit du siehst, was kommen kann, wenn du weiter Vollgas gibst?
Sebastian Heymann: In Aussicht gestellt nicht direkt. Mein Ziel ist es selbstverständlich öfter dabei zu sein, aber da muss ich noch viel an mir arbeiten. Aber wenn man das mal so erlebt hat, möchte man natürlich mehr davon, und ich werde weiterhin sehr hart an mir arbeiten, um dieses Ziel hoffentlich auch zu erreichen.

Wenn du als junger Spieler innerhalb eines Jahrs einen solchen Schritt machst, weckt das doch bestimmt auch Begehrlichkeiten bei anderen Vereinen. Sitzen bei euren Spielen die Scouts der „großen Vereine“ auf der Tribüne und beobachten dich?
Sebastian Heymann: Bestimmt, aber das interessiert mich momentan nicht wirklich. Ich habe nicht umsonst meinen Vertrag bis 2022 verlängert. Mein Fokus liegt voll und ganz auf FRISCH AUF! Göppingen. Ich fühle mich im Team und im ganzen Umfeld wohl und möchte mich in Göppingen weiterentwickeln. Und ich hoffe, dass ich in naher Zukunft auch noch mehr Verantwortung übernehmen kann. Was dann die weitere Zukunft bringt, kann ich nicht sagen.

Bundestrainer Christian Prokop über Sebastian Heymann:

„Sebastian Heymann ist ein Spieler, der über eine große Athletik verfügt, einer Mannschaft mit einfachen Toren aus dem Rückraum helfen kann und dazu auch ein gutes Spielverständnis mitbringt. Aber er ist auch noch ein junger Mann, von dem wir nicht zu viel erwarten dürfen. Er hat in Düsseldorf gegen die Schweiz sein Debüt in der Nationalmannschaft gegeben, mutig gespielt und sein Können aufblitzen lassen. Als eines unserer Top-Talente gehört Sebastian Heymann zum Elitekader und wird besonders gefördert. Das ist eine gemeinsame Aufgabe aller beteiligten Trainer. Wir freuen uns auf den weiteren Weg mit ihm.“

Foto: Sascha Klahn, DHB