Sebastian Heymann: „Come back stronger ist leichter gesagt als getan!“

Sechs Tore in seinem Bundesligadebut für FRISCH AUF! Göppingen, der Gewinn des EHF-Pokals, die Beförderung von der U19- in die U21-Nationalmannschaft, ein traumhafter Saisonstart mit vielen Einsatzzeiten und ein Trainer Magnus Andersson, der ein bekennender Fan des Ausnahmetalentes war – die Karriere von Handballer Sebastian Heymann ging raketenartig durch die Decke. Doch dann kam der 22. September 2017. Der Horkheimer in Diensten des Traditionsvereins knickte im Training um, zog sich einen Mittelfußbruch zu, wurde operiert und musste vier Monate pausieren. Inzwischen ist der 20-Jährige wieder auf dem Weg zurück zu alter Stärke, muss sich jedoch unter dem neuen Trainer Rolf Brack erst wieder für längere Einsätze empfehlen – denn auf seiner Position im linken Rückraum hat er mit Daniel Fontaine und Zarko Sesum zwei starke Importspieler vor sich.
Wir haben den Unterländer Sportler der Jahre 2015 und 2017 beim Heimspiel gegen den MT Melsungen in Göppingen besucht, haben uns mit ihm über seine Verletzung, seine Einsatzzeiten, die Nationalmannschaft sowie berufliche Pläne unterhalten und haben die Problematik in Sachen Einsatzzeiten gleich live miterlebt – denn Basti Heymann musste diese Begegnung durchgehend von der Ersatzbank verfolgen. Doch schon im nächsten Spiel, einem 29:28-Auswärtssieg in Erlangen, wurde der sympathische Horkheimer mit sechs Treffern zum Matchwinner.

Fotos: Marcel Tschamke

Autor: Ralf Scherlinzky

17. April 2018

Mal abgesehen von der sportlichen Seite und der Verletzungsphase – hast du dich inzwischen gut in Göppingen eingelebt?
Sebastian Heymann: Ja, ich habe mich extrem gut eingelebt. Ich wohne ein paar hundert Meter oberhalb der Halle, nahe dran an der Innenstadt, und spiele in einer Mannschaft mit tollem Teamgeist. Gerade jetzt beim Comeback unter dem neuen Trainer haben Leute wie Daniel Fontaine und Zarko Sesum viel mit mir geredet, um mir zurück ins Team zu helfen. Wenn solche international erfahrenen Routiniers einen jungen Spieler quasi an die Hand nehmen, bringt das sehr viel. Schwierig war es dagegen in den ersten Wochen nach meiner Verletzung. Ich wohne im dritten Stock und es gibt keinen Aufzug. Mit Krücken war das kaum machbar, weshalb ich dann sechs Wochen lang zuhause in Horkheim bei meinen Eltern gewohnt habe und bei Hardy Denninger zur Reha gegangen bin.

Was macht so eine Verletzung mit einem jungen Spieler, der gerade durchstartet? Die Verletzung selbst ist ja das Eine, aber ein solcher Rückschlag geht sicherlich auch mental nicht spurlos an einem vorbei.
Sebastian Heymann: Wenn so etwas passiert, nimmt man die Tragweite gar nicht gleich wahr. Ich dachte erst, vielleicht haben die Bänder etwas abbekommen. Doch dann kommt die Diagnose und es heißt mindestens drei Monate Pause. Das hat mich mental ziemlich mitgenommen, das hätte ich vorher nicht für möglich gehalten. Ich war ja noch nie groß verletzt gewesen. Man ist erstmal am Boden und muss schauen, wie man mit einer solchen Situation umgeht. Aber meine Teamkollegen, die Ärzte, meine Eltern und Großeltern, sie alle sind mir in dieser Zeit extrem zur Seite gestanden und haben mich unterstützt, um aus dem Tal wieder rauszukommen. Geholfen haben mir auch die vielen Gespräche mit meinem Kumpel Tobias Gehrke vom TSB Horkheim, der ja aus Göppingen kommt und auch schon zweimal den Mittelfuß gebrochen hat.

Macht einen eine solche Phase auch stärker – als Spieler sowie auch als Mensch?
Sebastian Heymann: So eine Verletzung ist erstmal eine gefühlte Niederlage. Du kannst plötzlich nicht mehr den Sport ausüben, den du gerne machst und der dein Beruf ist. Da spielt auch die Unsicherheit mit, ob alles ausheilt und ob man es überhaupt wieder zurück ins Team schafft, vor allem wenn plötzlich noch ein neuer Trainer da ist und während deiner Abwesenheit seine Idealformation findet. Am Anfang zieht dich das total runter, und du merkst erst dann, wenn es wieder bergauf geht, dass du enorm daran gewachsen bist. Es ist tatsächlich so, dass es nicht nur die Erfolge sind, die einen weiterbringen, sondern gerade auch diese negativen Momente.

Und jetzt bist du also stärker als jemals zuvor ins Team zurückgekehrt…
Sebastian Heymann: „Come back stronger“ ist leichter gesagt als getan. Als ich nach drei Monaten wieder ins Training eingestiegen bin und die Intensität gesteigert habe, war zwar der Fuß verheilt, aber es hat in anderen Regionen gezwickt. Die ganze Stabilität des Beins war in Mitleidenschaft gezogen, so dass sich plötzlich mein Knie und vor allem das Sprunggelenk gemeldet haben. Inzwischen bin ich körperlich wieder fit, aber vom Handballerischen bin ich noch nicht dort, wo ich schon war und wo ich noch hin möchte. Deshalb muss ich mir meine Einsatzzeiten momentan noch hart im Training erarbeiten.

Der Name Sebastian Heymann wird meist in einem Atemzug mit dem Begriff „Ausnahmetalent“ genannt. Ist dieser Stempel eher ein Fluch oder ein Segen?
Sebastian Heymann: Es ist zwar schön, wenn man mich so sieht, aber kaufen kann ich mir nichts dafür. Noch bin ich jung, aber irgendwann kommt der Zeitpunkt, wo man nicht mehr als Talent gelten möchte. Ich möchte jetzt schnellstmöglich leistungsmäßig wieder dorthin, wo ich vor der Verletzung war. Und dann muss der nächste Schritt erfolgen, hin zu einem gestandenen Bundesligaspieler, der zwei, drei Jahre konstant spielt und dann vielleicht mal den Schritt in die Nationalmannschaft schafft. Aber bis dorthin ist es noch ein weiter Weg.

Was waren für dich persönlich die bisherigen Highlights deiner noch recht kurzen Karriere?
Sebastian Heymann: Das erste Highlight war mein erstes Spiel für Göppingen in Minden. Ich war stolz, dass ich überhaupt die Chance bekomme, mich auf einem solchen Level zu präsentieren. Dass mir dann in diesen 15 Minuten gleich sechs Tore gelungen sind, hat mich natürlich sehr gefreut. Dann kam das erste Heimspiel, ein Derby gegen Balingen-Weilstetten, bei dem ich auch ein Tor machen durfte. Die Atmosphäre in der EWS Arena vor so vielen Leuten, das war und ist auch heute noch gigantisch. Das Highlight schlechthin war dann aber der EHF-Pokal-Sieg vor eigenem Publikum. Wir waren sowohl gegen Magdeburg als auch gegen Berlin Außenseiter, haben dann aber zwei wahnsinns Spiele geliefert und den Cup gewonnen. Andere spielen lange Jahre und gewinnen keinen solchen Pokal, und mir ist das gleich in der ersten Saison gelungen – so etwas ist nicht selbstverständlich und ich bin extrem stolz darauf!

Wie muss man sich den Wochenablauf eines Spielers in der Handball-Bundesliga vorstellen?
Sebastian Heymann: In einer normalen Woche, wo nicht gerade drei Spiele in fünf Tagen anstehen, geht es am Montagmorgen mit einer Krafteinheit in Stuttgart los. Abends folgt eine Handballeinheit in der Halle. Am Dienstag ist vormittags entweder eine Ausdauer- oder eine Technikeinheit und abends eine Handballeinheit sowie die Videoanalyse des letzten Spiels. Am Mittwoch findet dann schon das Abschlusstraining für das Spiel am Donnerstag statt, dazu gibt es nochmal eine Videoanalyse. Donnerstags ist das Spiel, und freitags gibt es noch eine weitere Einheit. Je nach Spielplan ist dann das Wochenende oft frei, wobei ich aber oft auch noch eine individuelle Trainingseinheit mache.

Das klingt als hättest du nicht wirklich Zeit, um dir parallel eine berufliche Grundlage zu legen…
Sebastian Heymann: Stimmt, momentan bin ich sozusagen Vollprofi. Aber ich möchte in nicht allzu ferner Zukunft ein Studium beginnen und tausche mich dazu regelmäßig mit meinen Teamkameraden aus. Tim Kneule studiert zum Beispiel an der Uni und bekommt es nur mit sehr gutem Zeitmanagement und viel Selbstdisziplin hin, zumindest an einem Teil der Vorlesungen teilzunehmen. Jens Schöngarth dagegen macht ein Fernstudium und bekommt seine Unterlagen nach Hause geschickt. Auch das erfordert viel Disziplin, wenn man die freien Zeiten zuhause zum Lernen nutzen muss. Aber das wäre eher etwas für mich. Eigentlich würde ich gerne Sportmanagement studieren, aber mit einem allgemeinen BWL-Studium wäre ich später vermutlich flexibler.

Hast du weiterhin Kontakt zum TSB Horkheim?
Sebastian Heymann: Klar! Wenn ich bei meinen Eltern bin und die Hunters ein Heimspiel haben, bin ich in der Halle. Das sind ja meine Kumpels, mit denen zusammen ich aufgewachsen bin. Da kommt es auch heute noch öfter vor, dass sie sich über Nacht bei mir bzw. meinen Eltern einquartieren, wenn sie nach dem Spiel noch ein bisschen gefeiert haben.

Was steht 2018 mit der Nationalmannschaft an?
Sebastian Heymann: Die 98er und 99er Jahrgänge rücken ja jetzt im Sommer in die U21 auf. Vorher fahren wir im Juli mit der eingespielten Truppe, die 2016 Dritter der U18-EM war, zur U20-Europameisterschaft nach Slowenien. Dort haben wir ganz klar das Ziel, mit dem Titel nach Hause zu kommen. Das ist nicht unrealistisch, aber natürlich dürfen wir keinen Gegner unterschätzen.