Rückkehr von Amateur– + Breitensport: Der Weg der Vereine durch die Pandemie

Nach einer siebenmonatigen Leidenszeit haben die Amateur- und Breitensportvereine endlich wieder eine Perspektive. Mit dem Rückgang der Inzidenzen durften sie seit Juni schrittweise wieder auf die Sportplätze und in die Hallen zurückkehren. Mit welchen Herausforderungen hatten sie während des langen Lockdowns zu kämpfen, wie konnten sie wieder zurückkommen – und überhaupt, wie haben sie es geschafft zu überleben? Wir haben uns bei den drei Großvereinen TSG Heilbronn, TG Böckingen und SV Heilbronn am Leinbach, beim Heilbronner EC, dem Verein KunST 07 sowie dem Athletenclub Böckingen erkundigt und zusätzlich auch mit Altin Zhegrova, Abteilungsleiter Sport im Schul-, Kultur- und Sportamt, über das Comeback des Amateur- und Breitensports gesprochen. Text: Ralf Scherlinzky

Autor: Ralf Scherlinzky

11. August 2021

Ringertier Flitz vom AC Böckingen 

Die Corona-Schnellteststation des SV
Heilbronn am Leinbach.
Foto: Tobias Geike 

 

Kindertraining beim
Hockeyclub der TSG Heilbronn.
Foto: Achim Gehrig

„Alle 67 Heilbronner Sportvereine haben die Pandemie bislang überstanden“, gibt Altin Zhegrova Entwarnung. „Aber die Kraftreserven bei den Verantwortlichen sind langsam aufgebraucht. Die ständig veränderten Richtlinien, Regelungen und Verordnungen, die Hygienekonzepte sowie die ganze Unsicherheit – das macht auf Dauer jeden mürbe.“

Der Abteilungsleiter Sport im Schul-, Kultur- und Sportamt der Stadt Heilbronn ist derjenige, der die Vereine seit März 2020 durch die Pandemie begleitet und quasi rund um die Uhr für die Verantwortlichen erreichbar ist. „Was richtig weh tut, sind die Austritte von Mitgliedern. Über alle Heilbronner Vereine hinweg sind rund 3.000 Mitglieder ausgetreten, das ist schon eine ordentliche Zahl“, sagt Zhegrova.

Obwohl diese Zahl enorm klingt, beschwert sich keiner der Vereine, mit denen wir gesprochen haben, über die Austritte. „Der Verlust an Mitgliedern war eigentlich nicht viel größer als in normalen Jahren. Eine Fluktuation von fünf bis zehn Prozent gibt es meist“, weiß Markus Denz, Geschäftsführer der TG Böckingen. Das eigentliche Problem liege jedoch bei den fehlenden Neumitgliedern, wie auch Marcel Hetzer, Geschäftsführer der TSG Heilbronn, bestätigt: „Wir hatten im ganzen Jahr 2020 nahezu keinen neuen Eintritt und die Tendenz hat sich bis weit in 2021 fortgesetzt. Erst jetzt gibt es langsam wieder Neueintritte.“

Von „nicht mehr als zehn Austritten“ sprechen auch die Vorsitzende von KunST 07, Marion Amann, sowie Michael Rumrich, Geschäftsführer des Heilbronner Eishockeyclubs. Lars Epple, erster Vorsitzender des SV Heilbronn am Leinbach, macht sich dagegen weniger Gedanken um ausbleibende Neumitglieder als darum, dass bestehende Mitglieder nicht auf die Sportplätze zurückkehren: „Wenn man nicht zum Sport gehen kann, sucht man sich andere Interessen. Und diejenigen, die sonst zwei-, dreimal pro Woche zum Training gekommen sind, haben plötzlich festgestellt, dass sie ohne den Sport viel mehr freie Zeit haben. Im Fußball und Tennis hat sich die Befürchtung nicht bestätigt, aber ich denke, dass die vermeintlichen Randsportarten noch darunter zu leiden haben werden.“

Um ihre Mitglieder an die Vereine zu binden, hat ein Großteil der Vereine auf die Karte Onlinetraining gesetzt. Während bei TSG und SV das Kursangebot von Präsenz auf online umgestellt wurde, war beim Athletenclub Böckingen eine ordentliche Portion Kreativität nötig. „Vor allem für unsere ganz kleinen Kinder aus dem Ringer-Kindergarten mussten wir uns ins Zeug legen“, weiß Jugendtrainerin Nadine Matthes. Wir haben den ‚Ringertiger Flitz‘ kreiert und um ihn herum Bewegungsgeschichten erfunden, so dass die Kinder anhand der Zeichnungen vor den Bildschirmen verschiedene Übungen machen konnten. Für uns war das ein riesiger Aufwand, aber den Kids hat es Spaß gemacht.“

Da man online nur schwierig Choreografien für Tänze einstudieren kann, hat der Verein KunST 07 sein Onlinetraining kurzerhand auf Fitness umgestellt – mit großem Erfolg, wie Marion Amann weiß: „Unsere Leute waren mit Begeisterung dabei, da sie dennoch – wenn auch nur virtuell – gemeinsam trainieren konnten, statt allein Übungen aus YouTube zu machen. Wir werden das Onlinetraining teilweise auch weiterhin beibehalten. So können unsere Studenten, die auswärts sind, dennoch mit uns trainieren.“

Auch beim Heilbronner EC stellte man anfangs ein reges Interesse der Eishockey-Nachwuchscracks am Onlinetraining fest. „Als wir damit gestartet sind, war es spannend für die Kids, weil es eben eine neue Erfahrung war. Doch mit dem zunehmenden schulischen Onlineunterricht ist dann eine gewisse Monotonie eingekehrt und man hat einfach festgestellt, dass es nicht vergleichbar mit dem richtigen Training ist“, weiß HEC-Nachwuchstrainer Jan Hey.

Gerade der Heilbronner EC war einer der wenigen Heilbronner Vereine, die tatsächlich um das finanzielle Überleben kämpfen mussten. „Der HEC ist Betreiber der Heilbronner Eishalle, und da die Profis der Heilbronner Falken eine komplette DEL2-Saison gespielt haben, hatten wir auch die ganz normalen Kosten für den Betrieb der Halle zu tragen. Dem standen null Euro Einnahmen gegenüber, da es weder Publikumslauf noch Eisdisco gab“, berichtet Michael Rumrich. Deshalb habe man im Dezember eine Spendenaktion für den Verein gestartet. „Das wurde ein bombastischer Erfolg. Die Hilfsbereitschaft war so groß, dass wir über 50.000 Euro zusammen bekommen haben. Damit und mit den diversen staatlichen Hilfen haben wir es geschafft zu überleben“, so der ehemalige Eishockey-Nationalspieler weiter.

Den Zahlungen der staatlichen Hilfsprogramme trauen jedoch weder Rumrich, noch Marcel Hetzer so richtig über den Weg. „Zu dem Zeitpunkt, als das Geld ausgezahlt wurde, hatte es noch keine wirklichen Regeln für Vereine gegeben. Wir wissen bis heute noch nicht, ob uns das Geld, das wir bekommen haben, auch wirklich zusteht“, zuckt der TSG-Geschäftsführer mit den Schultern und Michael Rumrich hofft: „Wenn wir etwas davon zurückzahlen müssen, dürfte es zumindest nicht so viel sein, dass wir womöglich doch noch zusperren müssen.“

Obwohl der Sport im Lockdown war, fanden bei der TSG sowie bei der TG Böckingen dennoch einige Kurse statt. „Ärztlich verordneter Rehasport war von den Regelungen ausgenommen und durfte stattfinden. Für uns war das die einzige Einnahmequelle“, berichtet Markus Denz. Dennoch habe man auf der Schanz auch den Rehasport zeitweise unterbrochen. „Als in der SLK-Klinik keine Betten mehr frei waren, war uns das Risiko zu groß, dass mit einem unserer Kursteilnehmer etwas passiert und er nicht im Krankenhaus behandelt werden kann“, so der TG-Geschäftsführer weiter. Und auch die TSG Heilbronn legte beim Rehasport eine freiwillige Pause ein. Marcel Hetzer: „Als die Inzidenzen über 200 gestiegen waren, wurde uns das zu heiß.“

Inzwischen sind alle sechs Vereine wieder in ihre Sportstätten zurückgekehrt, stießen dabei aber teils auf unerwartete Hürden. „Die Euphorie, dass wir endlich wieder gemeinsam trainieren dürfen, ist einer gewissen Ernüchterung gewichen“, weiß Marion Amann. „Unsere Tanzgruppen leben von ihren Auftritten. Weindorf, Weihnachtsfeiern und andere Veranstaltungen, bei denen wir hätten auftreten sollen, wurden für dieses Jahr aber abgesagt. Wir haben aktuell schlichtweg kein Ziel vor Augen, auf das wir hinarbeiten können“, so die Vorsitzende von KunST 07, die auf Auftrittsmöglichkeiten im Herbst und Winter hofft.

Lars Epple hat beim SV Heilbronn am Leinbach dagegen ein ganz anderes Problem ausgemacht. „Wir haben ein paar Trainerinnen und Trainer im Verein, die nicht nur Impfungen, sondern auch Tests verweigern“, sagt er kopfschüttelnd. „Da sie von ihrer Haltung nicht abrücken, können wir manche Kurse derzeit nicht mehr anbieten. Das ist ärgerlich und für mich nicht nachvollziehbar.“

Dabei hat der SV Heilbronn am Leinbach alle Anstrengungen unternommen, um seinen Mitgliedern eine schnelle und reibungslose Rückkehr zu ermöglichen. Da es in Heilbronn-Frankenbach keine Station für Corona-Schnelltests gegeben hatte, richtete der SV kurzerhand selbst eine ein – direkt neben den Fußballpätzen. „Unsere Sportlerinnen und Sportler können sich direkt vor Ort testen lassen. Dazu bieten wir den Schnelltest-Service auch für die Gäste unseres Restaurants sowie für die benachbarte Grundschule an. Das ist eine WinWin-Situation, denn damit können wir als Verein einige zusätzliche Einnahmen generieren“, so Lars Epple.

Einen kreativen Wiedereinstieg für die Kinder im Ringer-Kindergarten hat sich der AC Böckingen einfallen lassen. Nadine Matthes: „Als Ende Mai die Anzahl an Personen, die zusammen trainieren durften, noch stark eingeschränkt war, haben wir für unsere Kids eine Schnitzeljagd veranstaltet, bei der am Ende jedes Kind ein Geschenk bekam. Der Vorteil war, dass jeder für sich losziehen und Spaß haben konnte. Das kam so gut an, dass wir im Wertwiesenpark von wildfremden Eltern gefragt wurden, wo sie die App dazu herunterladen können. Das war toll.“

Auch das Projekt „Sport im Park“ der Stadt Heilbronn erntete in den letzten Wochen einen enormen Zulauf. „Die Leute haben teilweise schon im April angerufen, wann es denn endlich losgehe“, schmunzelt Altin Zhegrova. Die kostenlosen Mitmach-Angebote werden von den Heilbronner Vereinen durchgeführt, vom Einsteiger bis zum Trainierten kann jeder unter professioneller Anleitung Sportspaß an der frischen Luft erleben. Informationen zu den einzelnen „Sport im Park“-Terminen gibt es unter https://www.heilbronn.de/kultur-freizeit/sportstadt/sport-im-park.html (oder einfach den QR-Code scannen).

Inzwischen bereiten sich die meisten Vereine und Abteilungen auf die neue Wettkampfsaison vor. Viele Verbände haben bereits die Spieltermine für ihren Ligabetrieb bekanntgegeben. Alles steht bereit, damit der organisierte Sport wieder richtig Fahrt aufnehmen kann. Doch kann er das wirklich? Altin Zhegrova spricht von einem Blick in die Glaskugel: „Im Moment sieht es noch gut aus, aber niemand kann abschätzen, was die Delta-Variante im Herbst anrichten wird. Die sicherste Methode, um erneute Einschränkungen zu vermeiden, ist das Impfen und wir können nur jeden inständig darum bitten, sich so schnell es geht impfen zu lassen.“

Auch die Verantwortlichen der Vereine wollen eine weitere harte Bremse vermeiden – nicht nur um des Sports und der Gesellschaft Willen, sondern auch, weil sie aufgrund der Pandemie einfach nur am Ende ihrer Kräfte sind. „Obwohl ich ständig in Kurzarbeit war, waren die sieben Monate Lockdown für mich mental brutal anstrengend. Ständig hat man auf diese eine Verordnung gehofft, die dem Verein wieder Perspektiven gibt. Dann ist tatsächlich mal Licht am Horizont zu sehen und zack, steigen die Inzidenzen wieder. Diese Schwankung zwischen Hoffnung und Enttäuschung zermürbt einen auf Dauer. Ich bin einfach nur noch mental platt“, gesteht Markus Denz.

Nadine Matthes berichtet vom ersten Hallentraining mit ihrem Ringer-Kindergarten, bei dem trotz aller Freude ihre Psyche den imaginären Zeigefinger erhoben hat: „Da toben nach Monaten zum ersten Mal 25 Kinder freudig um dich herum und du machst nichts anderes als zu denken, o Gott, ist das wirklich das Richtige, was wir hier machen?“

Zum Abschluss nochmal etwas Erfreuliches: Kurz vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe hat der Gemeinderat das „Restartpaket“ der Stadt Heilbronn für Sport, Kultur und Wirtschaft mit einem Umfang von einer Million Euro auf den Weg gebracht, mit dem u.a. im Sport innovative Konzepte zur Mitgliedergewinnung unterstützt werden.