„My home is my castle“ – Zum Heimvorteil im Fußball

Autor: Prof. Dr. Dirk Schwarzer

24. April 2019

In der vorigen Ausgabe dieses Magazins haben wir den Einfluss von „passiven“ Zuschauern unter die Lupe genommen (zum Beispiel sich ruhig verhaltende Eltern am Spielfeldrand). Dabei haben wir festgestellt, dass sich das bloße Beobachten der Spielerinnen und Spieler auf dem Feld entweder leistungsfördernd oder leistungsmindernd auf die sportlichen Leistungen auswirken kann. Jetzt wollen wir folgenden Fragen nachgehen:
– Welchen Einfluss hat das „aktive“ Unterstützen von Zuschauern und Fans auf die Leistung der Heimmannschaft?
– Welche Gründe gibt es für den Heimvorteil?

Zunächst bleibt festzuhalten, dass es den Heimvorteil – statistisch gesehen – tatsächlich gibt. Er wurde in mehreren Sportarten und bis in die unteren Spielklassen nachgewiesen, unter anderem von der FIFA für die Sportart Fußball: Laut FIFA-Studie mit mehr als 6.500 internationalen Fußballspielen konnten in der Hälfte der Fälle die Gastgeber den Platz als Sieger verlassen, wohingegen Auswärtssiege und Unentschieden jeweils nur rund ein Viertel ausmachten.

Wie stark der Heimeffekt ist, hängt auch von der Spielstärke der Teams ab: So relativiert sich die Wahrscheinlichkeit für einen Sieg, wenn man als Heimmannschaft gegen einen Abstiegskandidaten beziehungsweise gegen den Tabellenführer anzutreten hat. Darüber hinaus ist es für den Fußball erwiesen, dass der Heimvorteil im Verlaufe der letzten Jahrzehnte weltweit zurückgeht.

Eine Datenanalyse von SPIEGEL-Online (2015) ergab folgende Werte: Mitte der 1970er-Jahre holten Mannschaften in der Fußball-Bundesliga im Schnitt fast 75 Prozent ihrer Punkte im eigenen Stadion. Vielleicht erinnern Sie sich noch an die erfolgreichen Zeiten des 1. FC Kaiserslautern und den „Mythos Betzenberg“, der extremen Heimstärke mit über 80 Prozent Heimpunkte in der Saison 1976/77. In der Saison 2014/2015 lag der Wert für die Mannschaften der Bundesliga nur noch bei 60 Prozent. Hauptgrund für den nachlassenden Effekt ist wohl der höhere Professionalisierungsgrad der Teams; die Anreise zu einem Auswärtsspiel wird angenehmer, es liegen medial mehr Informationen vor, Unwägbarkeiten und unkontrollierbare Ereignisse nehmen im Vergleich zu früheren Zeiten insgesamt ab.

Wer oder was bewirkt den Heimvorteil? Diese Frage lässt sich nur schwer beantworten. Diskutiert werden folgende Faktoren:
– Anreise des Auswärtsteams (Entfernung, Fahrtdauer) führt zu Nachteilen; gewohntes Terrain für die gastgebende Mannschaft eher vorteilhaft.
– Bauliche Eigenschaften des Stadions; Vorteile, wenn kurze Distanz der Fans zum Spielfeld; Vorteile in Stadien ohne Leichtathletikbahn.
– Beeinflussung des Schiedsrichters durch heimische Fangesänge und Rufe; unterbewusste Beeinflussung durch Geräuschkulisse, dadurch erhöhter Druck auf den Unparteiischen, bei strittigen Situationen tendenziell eher für die Heimmannschaft zu pfeifen (vgl. dazu die Studien von Daniel Memmert von der DSHS Köln).
– Mittels Speichelproben wurden erhöhte Testosteronwerte bei Spielern der Heimmannschaft nachgewiesen, ausgelöst durch lautstarke Anfeuerungsrufe des Publikums; dadurch ein verstärktes Dominanzverhalten (zum Beispiel eine hohe Quote gewonnener Zweikämpfe) der heimischen Spieler, evolutionsbiologisch begründet mit der Verteidigung des eigenen „Territoriums“.

Der wesentliche Grund für den Heimvorteil dürfte jedoch rein psychologischer Natur sein. Die Autoren Wolfgang Schlicht und Bernd Strauß (2003) bemerken, dass es den Heimvorteil einfach deshalb geben könnte, weil die Spielerinnen und Spieler an ihn glauben. Somit hätten wir es mit dem Phänomen einer „sich selbst erfüllenden Prophezeiung“ zu tun.

Allerdings haben einige Teams auch in der Rolle des Gastgebers zuhause bittere Erfahrungen gemacht: Der FC Bayern München unterliegt in der Champions League 2012 dem FC Chelsea im „Finale dahoam“; die brasilianische Nationalmannschaft verliert gegen den späteren Fußball-Weltmeister Deutschland mit 1:7 – seit diesem 8. Juli 2014 ist der „Schock von Mineirão“ im brasilianischen Nationalgedächtnis verewigt.

Letztlich ist es entscheidend, ob die Athleten im eigenen Stadion die Unterstützung der Zuschauer und Fans subjektiv als positiv empfinden und sich nicht durch überhöhte Erwartungen „aus dem Takt“ bringen lassen. Dann nämlich kann ein vermeintlicher Heimvorteil schnell in einen Heimnachteil umschlagen.