Fest „in Heilbronner Hand“: Der Olympiastützpunkt Stuttgart

Je näher es in Richtung Olympische Spiele geht und je mehr die Athletinnen und Athleten der olympischen Sportarten in den Fokus rücken, desto öfter ist die Rede von den deutschen Olympiastützpunkten (OSP). Auch wir haben schon seit längerer Zeit immer wieder neugierige Blicke in Richtung Stuttgart geworfen, tauchten dort doch zunehmend Namen auf, die wir eigentlich aus dem regionalen Heilbronner Sport kennen. Unser Redakteur Ralf Scherlinzky hat sich nun Anfang Oktober etwas genauer am OSP Stuttgart umgesehen – inklusive einer Führung durch Stützpunktleiter Tim Lamsfuß, in Heilbronn besser als ehemaliger Geschäftsführer der TG Böckingen bekannt, und Trainer Rainer Arnold, dem ehemaligen Coach der Bundesligaturner vom KTT Heilbronn. Im Rahmen der Tour durch die Sporthallen traf er dann mit Kugelstoßerin Katharina Schiele (TSG Heilbronn) und Turnerin Amelie Pfeil (TG Böckingen) gleich noch zwei Heilbronner Sportlerinnen, die in Stuttgart trainieren. Dass zusätzlich Leute wie Paralympicssieger Niko Kappel, der deutsche Weitsprungmeister Fabian Heinle sowie die Olympia-Turnerinnen Elisabeth Seitz und Kim Bui seinen Weg kreuzten, war dagegen fast schon zu erwarten gewesen…

Fotos: Marcel Tschamke

Autor: Ralf Scherlinzky

7. November 2020

Von der TG Böckingen über den Landessportverband Baden-Württemberg zum Führungsposten im Olympiastützpunkt Stuttgart – die Karriere von Tim Lamsfuß ging seit seinem Abschied aus Heilbronn im Jahr 2018 steil nach oben. „Ich bin ganz zufrieden, wie es seither lief“, grinst der 41-Jährige, der im April 2019 die Leitung des OSP Stuttgart übernommen hat, an dem er vor 25 Jahren selbst als Spitzen-Judoka aktiv war.

Sein Job dort ist es, die überfachliche Betreuung der Bundeskaderathleten zu koordinieren. „Darunter fallen die Bereiche Physiotherapie, Psychologie, Diagnostik, Athletiktraining, Ernährungs- und Laufbahnberatung sowie der komplette Internatbetrieb, die wir als Service-Dienstleister betreuen“, erklärt der Backnanger. „In das Sportliche mischen wir uns dagegen nicht ein, denn dafür gibt es die Experten im Trainerstab.“

Einer dieser Experten ist Rainer Arnold, der seit nunmehr zwölf Jahren täglich von Neckarwestheim in die Stuttgarter Mercedesstraße pendelt. Bis vor zwei Jahren war der 40-Jährige im dortigen Kunstturnforum für den Olympia- und Perspektiv-Kader der männlichen Turner zuständig, jetzt betreut er alle Kaderathleten im Männer- und Frauenbereich.

„Ich gebe seither weniger Hilfestellungen an den Geräten, sondern eher fernab der Geräte. Neben einigen administrativen Aufgaben bin ich unter anderem für die wissenschaftliche Koordination zuständig, kontrolliere Trainingsplanung und Trainingsmethodik und habe die Fachaufsicht über unsere Trainer. So lege ich beispielsweise in Kooperation mit den Trainingswissenschaftlern des OSP die Trainingsbedingungen für die Turnerinnen und Turner fest, koordiniere deren medizinische Betreuung und werte die Diagnostik dahin gehend aus, wie diese wiederum ins Trainingsprogramm eingebunden werden kann“, erklärt der ehemalige Trainer des KTT Heilbronn.

Nicht nur für Olympiakader-Athleten

Dass das große Sportzentrum hinter der Mercedes-Benz-Arena Olympiastützpunkt heißt, hat es seiner Anfangszeit zu verdanken, als es als koordinative Stelle des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) diente. „Inzwischen haben die meisten Landessportverbände die OSPs als Träger übernommen und wir bieten unsere Leistungen nicht mehr nur den Sportlerinnen und Sportlern aus dem Olympiakader an, sondern vielmehr auch den Perspektiv- und Nachwuchskaderathleten der olympischen und paralympischen Sportarten“, klärt Tim Lamsfuß auf.

Die Schwerpunkte des OSP Stuttgart liegen u.a. bei Leichtathletik, Turnen, Beach- und Hallenvollyeball, BMX und Judo. „Diese Sportarten haben wir direkt hier vor Ort, aber auch wenn es um einen Skateboarder aus dem Bundeskader geht, wird er theoretisch von uns betreut“, so Lamsfuß weiter. Das Kunstturnforum, an dem Rainer Arnold tätig ist, agiert weitgehend unabhängig vom OSP und bietet zusätzlich auch Trainingsmöglichkeiten für Landeskaderathleten.

Ob Olympiastützpunkt oder Kunstturnforum – alle haben sie dasselbe Ziel und ziehen deshalb an einem Strang: Sie möchten Weltklasse-Athleten ausbilden, die bei weltweit anerkannten Turnieren wie den Olympischen Spielen Erfolge feiern.

Campuslösung mit Internat, Trainingsort und Schule

Einer der Bausteine für das Erreichen dieses Ziels ist das Sportinternat, das sich direkt neben dem Verwaltungsgebäude befindet. Für minderjährige Sportlerinnen und Sportler ab zwölf Jahren stehen 25 Plätze in Einzel- und Doppelzimmern zur Verfügung. Tim Lamsfuß erklärt: „Wir haben hier eine Art Campuslösung, um für Nachwuchssportler aus anderen Regionen Bedingungen zu schaffen, die sie zuhause nicht haben bzw. die dort mit längeren Fahrtwegen verbunden wären. Wohnort und Trainingshalle liegen hier unmittelbar beieinander. Dazu haben wir Partnerschulen, zu denen es einen Pendelverkehr gibt.

Seit 2019 nimmt die Leingartenerin Amelie Pfeil, die der Turnschule der TG Böckingen entstammt, dieses Angebot wahr. „Ich wohne hier im Zweierzimmer und frühstücke morgens im Internat. Um 7.15 Uhr startet unser Frühtraining, das meist ungefähr zwei Stunden lang geht. Danach habe ich vier Stunden Schule und nachmittags ist nochmal von 14 bis 18 Uhr Training“, berichtet sie über ihren Tagesablauf in Stuttgart. Zur Schule geht die Achtklässlerin in Untertürkheim. Die kurze Strecke legt sie meist mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurück.

Laufbahnberatung für die duale Ausbildung

Die Streckung der achten Klasse auf zwei Jahre bei Amelie Pfeil ist unter anderem das Ergebnis von Gesprächen mit den Laufbahnberatern des Olympiastützpunktes. „Wir arbeiten frühzeitig einen optimalen Fahrplan für die jungen Sportlerinnen und Sportler aus, damit wir für sie Schule und Training in einen optimalen Einklang bringen können“, weiß Tim Lamsfuß. „Auch die Duale Ausbildung ist heute wichtiger denn je. Manche Spitzensportverbände geben ihren Athleten schon ab dem Alter von 14 Jahren vor, dass sie erste Gespräche mit der Laufbahnberatung machen müssen. Dort geht es dann um die Tendenz und später um die Entscheidung, ob Studium oder Ausbildung, ehe wir dann bei unseren Partnerhochschulen und Partnerbetrieben bzw. bei Bundes- und Landespolizei oder Bundeswehr nach Studien- und Ausbildungsplätzen schauen, die wiederum die zeitlichen Anforderungen des Spitzensports berücksichtigen.“

Neben dem Athletenmanagement bilden Gesundheits- und Trainingsmanagement die Eckpfeiler der OSP-Leistungen, die aus öffentlichen Geldern finanziert werden. Sportmediziner, Physiotherapeuten, Sportpsychologen, Ernährungsberater, Trainingswissenschaftler, Athletiktrainer und Laufbahnberater – sie alle können von den Kaderathleten kostenlos in Anspruch genommen werden, genauso wie die Trainingsstätten und der riesige Kraftraum neben der noch größeren Leichtathletik-Halle.

Der Olympiastützpunkt während der Pandemie

„Wir hatten während des Lockdowns nur eine halbe Woche komplett geschlossen, dann haben wir im Rahmen der Spitzensport-Verordnung eine Sondergenehmigung bekommen, damit der Betrieb weitergehen konnte“, berichtet Tim Lamsfuß. „Wir standen ja vier Monate vor Olympia, da konnte man die Leute nicht einfach komplett aus dem Training rausnehmen. Das Internat degegen war drei Wochen lang zu.“

In Kleinstgruppen und mit ganz strikten Maßnahmen ging der Sportbetrieb nach Ostern wieder langsam los. Schon bei einem kleinem Kratzen im Hals führte der Weg direkt zum Arzt. „Wir haben 500 Athleten, die unsere Dienste in Anspruch nehmen können, und mussten unglaublich aufpassen, dass keiner von ihnen das Virus ins Haus schleppt. Mit nur einem Fall hätte uns hier alles um die Ohren fliegen können. Die Sportler sind ja nicht nur in der Halle, sondern besuchen z.B. auch Ärzte und Physios, die wiederum x Leute am Tag bei sich haben“, so Tim Lamsfuß.

Im Herbst hofft der OSP-Leiter nun auf einen zuverlässigen Corona-Schnelltest: „Sobald die Schnelltests bei einer Zuverlässigkeit von 98 Prozent sind, können wir Testsets ordern und in Trainingshallen, Kraftraum, Internat, Physio- und Arztpraxen bereitstellen. Dann können wir selbst den Abstrich machen und haben nach 13 Minuten die Gewissheit, dass er hoffentlich virusfrei ist.“

Wir drücken dem OSP Stuttgart die Daumen, dass er auch unbeschadet durch die „zweite Welle“ kommt und freuen uns schon auf unseren nächsten Besuch, bei dem wir dann zusammen mit Rainer Arnold einen genaueren Blick auf seinen Arbeitsplatz Kunstturnforum werfen werden.