Falken-Profi Richard Gelke: „Die Gehirnerschütterung ist eine einsame Verletzung!“

„Schiedsrichter, ist das hier das WM-Finale?“ – diese Frage des benommenen Fußball-Nationalspielers Christoph Kramer im Endspiel der Weltmeisterschaft 2014 ist inzwischen in die Geschichtsbücher
eingegangen. Gleichzeitig rückte diese Szene in Deutschland aber auch eine Verletzung in den Fokus, die zuvor meist heruntergespielt oder gar belächelt worden war: die Gehirnerschütterung. Während Christoph Kramer im Finale trotz allem glimpflich davon gekommen war, hat die Gehirnerschütterung schon für viele Sportler das frühzeitige Karriereende bedeutet. Einer, der auch mehrfach ans Aufhören gedacht hatte, ist Richard Gelke. Der Eishockey-Profi blieb im Januar 2018 beim Auswärtsspiel seiner Heilbronner Falken in Ravensburg nach einem Zusammenprall auf dem Eis liegen. Damit begann für den 26-Jährigen eine sieben Monate andauernde Leidenszeit, an der er die sportheilbronn-Leser hier im Interview mit unserem Redakteur Ralf Scherlinzky teilhaben lässt. Wir haben uns aber nicht mit den Erfahrungen von „Richi“ Gelke begnügt, sondern haben uns gleichzeitig auch beim Neckarsulmer Gehirnerschütterungs-Experten Dr. Boris Brand über Ursachen, Diagnose, Behandlung und Vorbeugung kundig gemacht, um ein umfassendes Bild der Verletzung zu zeichnen.

Fotos: Marcel Tschamke

Autor: Ralf Scherlinzky

25. Januar 2019

Deine Verletzung liegt jetzt ein Jahr zurück und du spielst seit dem letzten Sommer wieder Eishockey. Spürst du noch Nachwirkungen deiner Gehirnerschütterung?
Richard Gelke: Eigentlich bin ich wieder komplett hergestellt, bin aber froh, wenn ich nach dem Training meine Ruhe habe und eine Pause machen kann. Da bin ich sensibler geworden. Manche Dinge, wie Wetterumschwünge, merke ich seither mehr als vorher.

Spielt auf dem Eis nun eine gewisse Vorsicht mit? Du bist ja eher der Typ, der den Körperkontakt zum Gegner sucht…
Richard Gelke: Im Spiel muss man das Ganze ausblenden. Aber wenn ich jemanden checke, achte ich jetzt schon mehr darauf, dass der Check nicht gegen den Kopf geht. Da sind aber auch andere Spieler sensibilisiert. Jeder kennt jemanden, der schon mal eine Gehirnerschütterung hatte, deshalb wird da inzwischen schon drauf geachtet.

Kannst du dich noch an den Check erinnern, der dir die Verletzung zugefügt hat?
Richard Gelke: Ich weiß noch, dass es einen Schlag ließ und in meinem Kopf alles gescheppert hat, bevor mir dann kurz schwarz vor den Augen wurde. Als ich später mal das Video angeschaut habe, war ich erstaunt, dass das nur ein ganz normaler Zusammenprall war. Das Problem war wohl, dass ich zwei Wochen zuvor schon mal einen Check gegen den Kopf bekommen hatte. Dazu kam, dass mich der Schlag schräg an der Schläfe getroffen hat. Diese Kombination hat zur Schwere der Gehirnerschütterung geführt.

Hast du gleich realisiert, was passiert ist?
Richard Gelke: Nein, das nimmt man nicht gleich wahr. Ich bin danach wieder aufs Eis gegangen, habe dann aber beim zweiten Wechsel gemerkt, dass etwas nicht stimmt, denn ich konnte nicht mehr abschätzen, wie weit der Gegner von mir weg war. Und meine ganze rechte Seite hatte sich nicht mehr so angefühlt wie sonst.

Und damit begann eine lange Leidenszeit…
Richard Gelke: Leidenszeit trifft es genau. Der Witz war ja, dass der erste Neurologe, bei dem ich war, kurz nachdem es passiert war gesagt hat, dass ich gleich wieder spielen kann. Dabei konnte ich wochenlang gar nichts machen. Mir war schwindlig, ich hatte Kopfschmerzen und war extrem licht- und lärmempfindlich. Aufs Handy schauen, fernsehen, lesen – das ging alles gar nicht. Ich konnte mich auf nichts konzentrieren, bin nur nutzlos zuhause rumgelegen und war nicht mal richtig in der Lage mich mit meiner Freundin zu unterhalten oder mal im Haushalt zu helfen. Das Einzige, was ging, waren kurze Spaziergänge, zu denen ich wegen des hellen Tageslichts eine Sonnenbrille tragen musste. Ich hatte auch versucht, zu den Falken-Spielen ins Stadion zu gehen. Die ganzen Fragen, wie es mir geht, der Lärm, die vielen Menschen – das ging gar nicht. Soziale Kontakte musste ich auf ein Minimum reduzieren. So eine Gehirnerschütterung ist schon eine sehr einsame Verletzung!

Als durchtrainierter Sportler fällt es einem sicher auch schwer, nicht trainieren zu können.
Richard Gelke: Absolut. Man probiert es immer wieder und will es nicht wahrhaben. Man fühlt sich halbwegs gut, doch dann kommen die Symptome wieder und man muss einen Schritt zurückgehen, obwohl man denkt, man sei bereits einen Schritt weiter. Wenn du dir den Arm brichst, dann kannst du wenigstens aufs Fahrrad sitzen – aber auch das ging lange nicht. Als ich dann nach einiger Zeit endlich wieder zum Training auf dem Eis zurück war, kam der nächste Rückschlag, denn meine Augen konnten den schnellen Spielsituationen und Richtungswechseln überhaupt nicht folgen. Das macht einen fertig. Irgendwann war dann klar, dass ich den Sommer noch zum Erholen brauche. Im Juli konnte ich dann ohne Kopfschmerzen Inlinehockey trainieren, und bis zum Saisonstart im September habe ich es dann tatsächlich zurück geschafft.

Hast du mal ans Aufhören gedacht?
Richard Gelke: Ja, wenn man nicht mal mehr normale Dinge machen kann, denkt man zwangsweise daran. Ich bin aber froh, dass ich mich zurückkämpfen konnte. Ich genieße es wieder zu spielen und bin mir jetzt umso mehr bewusst, dass das Privileg Eishockey zu spielen schneller vorbei sein kann als man denkt.

Welchen Tipp kannst du Nachwuchssportlern mit auf den Weg geben?
Richard Gelke: Sie müssen Zeichen wie Kopfschmerzen und Schwindel ernst nehmen und dürfen nicht einen auf „starker Mann“ machen, wenn es ihnen nicht gut geht. Hier sind vor allem auch Trainer und Eltern gefordert, um rechtzeitig einzuschreiten.