Alexander Karachun – Nationalspieler zu Besuch am THG

Das gab es noch nie: Bei der Eishockey-Weltmeisterschaft 2022 in Finnland spielten mit Daniel Fischbuch und Alexander Karachun erstmals gleich zwei Spieler für Deutschland, die einst beim Heilbronner EC das Eishockeyspielen gelernt hatten. Während Fischbuch zum zweiten Mal dabei war und bester deutscher Torschütze wurde, wurde Alex Karachun von Bundestrainer Toni Söderholm erstmals ins Nationalteam berufen. Wir haben den 27-jährigen Stürmer der Schwenninger Wild Wings zum offenen Interview an seine alte Schule, das Theodor-Heuss-Gymnasium in Heilbronn, eingeladen. Mit dabei waren rund 60 Schülerinnen und Schüler des THG sowie Nachwuchsspieler des Heilbronner EC, die im Rahmen des Events ihre Fragen an den Nationalspieler stellen konnten. Vielen Dank an Rektor Frank Martin Beck für die Möglichkeit, dass wir die Veranstaltung am THG durchführen konnten.

Foto: Seventyfour.sport (4)

Autor: Ralf Scherlinzky

10. August 2022
Für Lachen sorgt Frank Martin Beck im Rahmen seiner Begrüßung mit Auszügen aus der Personalakte seines ehemaligen Schülers. „Ich habe hier einen Eintrag ins Klassenbuch vom 11. März 2010: Alexander hat seine Hausaufgaben in Englisch zum wiederholten Mal nicht angefertigt. Und dann sehe ich hier noch eine Zwei in Sport, die mir zeigt, dass man keine Eins haben muss, um Nationalspieler zu werden“, sagt der Rektor des Theodor-Heuss-Gymnasiums. Alexander Karachun kontert unter dem Gelächter des Publikums, dass er damals anderer Ansicht als sein Sportlehrer gewesen sei.
Voller Einsatz für die Nationalmannschaft
Foto: DEB/City-Press

Nach der neunten Klasse hatte der damals 15-jährige „Sascha“ das THG verlassen, um an ein Eishockey-Internat im österreichischen St. Pölten zu wechseln. „Natürlich ist es mir schwergefallen, mein vertrautes Umfeld zurück zu lassen. Aber es war der richtige Schritt, um mein Ziel Profieishockey zu erreichen“, so Alexander Karachun.

Nach dem Abitur kam er mit 18 Jahren zurück nach Heilbronn, wo er bei den Falken seinen ersten Profivertrag unterzeichnete. Nach nur einem Jahr folgte der Wechsel innerhalb der DEL2 nach Freiburg. „Ich hatte immer wieder aus dem Umfeld gehört, dass ich nicht das Zeug dazu hätte, so gut wie mein Vater zu werden, der bis zu seinem frühen Tod bei den Falken spielte. Diesen Zweiflern wollte ich zeigen, dass ich sogar noch besser als mein Vater sein kann, aber dafür musste ich aus Heilbronn weg.“

Nach einem Jahr in Freiburg führte sein Weg 2016 für drei Jahre in die Deutsche Eishockey-Liga (DEL) zu den Grizzlys Wolfsburg, bei denen er jedoch nur wenige Eiszeiten bekam, oft in die DEL2 ausgeliehen wurde und die seinen abgelaufenen Vertrag nicht mehr verlängerten. 2019 folgte der Wechsel runter in die DEL2 nach Kassel – ein Weg, der für die meisten Spieler nicht mehr zurück ins Oberhaus führt. Doch für Alex war dies exakt die richtige Entscheidung, wie er berichtet: „Ich habe auf den Rat von Nationaltorwart Felix Brückmann gehört, der mir sagte, dass der Wechsel in die DEL2 kein Schritt zurück, sondern nur ein Umweg nach oben sei. Er hatte recht, denn ich habe in Kassel eine so gute Saison gespielt, dass ich schon zum Beginn der zweiten Saisonhälfte für die nächste Spielzeit einen DEL-Vertrag bei der Düsseldorfer EG unterzeichnen konnte. Dort hatte ich ein sehr gutes Jahr und bin dann 2021 zu den Schwenninger Wild Wings gewechselt, die mich schon länger in ihr Team holen wollten.“

Welche Rolle haben bei solchen Wechseln eigentlich die Spielerberater, wollen wir wissen. Alex Karachun erklärt: „Mein Spielerberater ist quasi der Mittelsmann zwischen mir und dem Verein. Er sondiert die Angebote, verhandelt für mich Gehalt, Wohnung und Auto und achtet auf das Kleingedruckte in den Verträgen. Während er versucht, das Bestmögliche für mich herauszuholen, kann ich mich auf das Eishockeyspielen konzentrieren.“

Mit dem Wechsel von Düsseldorf nach Schwenningen konnte er sich gleich in dreifacher Hinsicht verbessern. „Nach der Corona-Saison ohne Zuschauer, in der wir Spieler große finanzielle Abstriche machen mussten, konnte ich dort einfach mehr Geld verdienen als bei meinem alten Verein. Zudem habe ich die Chance gesehen, mich mit mehr Verantwortung auf dem Eis weiter zu entwickeln. Und dann hatte meine Freundin, die ich in Düsseldorf kennengelernt habe, bereits einen neuen Job in Freiburg begonnen und ich bin von Schwenningen aus einfach näher an Freiburg dran als von Düsseldorf.“

Im Herbst 2021 hatte es für den 100kg schweren Stürmer allerdings erstmal nicht danach ausgesehen, als hätte er die richtige Entscheidung getroffen. „Mein neuer Trainer mochte mich irgendwie nicht“, erinnert er sich. „Das ging so weit, dass ich beim Auswärtsspiel in Köln auf der Tribüne Platz nehmen musste und gar nicht spielen durfte. Nachdem wir von den ersten 17 Spielen 15 verloren hatten, wurde er dann jedoch entlassen und der Sportdirektor Christof Kreutzer, der mich nach Schwenningen geholt hatte, übernahm als Cheftrainer. Ab da wendete sich dann für mich alles zum Guten.“

Mit 18 Toren schloss Alex, der zuvor teils noch als überzähliger Spieler gegolten hatte, die Saison nicht nur als bester Torschütze seines Teams ab, sondern war auch der zweitbeste deutsche Spieler in der Torschützenliste der kompletten Liga. „Aufgrund dieser Tatsache hatte ich insgeheim darauf gehofft, dass vielleicht mal ein Anruf von Bundestrainer Toni Söderholm kommen könnte, wenn es in Richtung WM-Vorbereitung geht“, gesteht er seinem Publikum am THG. „Mein Vereinstrainer hat mir dann gesteckt, dass sich Toni schon bei ihm nach mir erkundigt und Interesse an mir gezeigt hat. Da aber nichts weiter passierte, habe ich das Thema wieder vergessen – bis der Bundestrainer dann drei Wochen später tatsächlich anrief und sagte, dass er mich gerne in den ersten beiden Wochen der WM-Vorbereitung dabei hätte.“

Die Freude war groß. Der Plan sah vor, zwei Wochen bei der Nationalmannschaft Erfahrung zu sammeln, bis dann die Topspieler, die zu diesem Zeitpunkt noch in den DEL-Playoffs aktiv waren, zum Team kommen würden und er dann nach Hause fahren muss. „Danach wollte ich in den Urlaub gehen, den ich dann aber – für mich selbst überraschend – nochmal um ein paar Wochen verschieben musste“, erzählt er lachend.

Die Atmosphäre im Nationalteam beschreibt Alex als besonders: „Die Jungs ziehen alle an einem Strang. Alle sind nur dafür da, unser Land optimal nach außen zu vertreten. Im Training geben sie Vollgas, jeder ist für den anderen da, man unterstützt sich auf und neben dem Eis gegenseitig. Dazu steht man unter besonderer Beobachtung von vier, fünf Coaches, die jede Bewegung analysieren. Und dann schaut natürlich ganz Eishockey-Deutschland auf uns und unterstützt das Nationalteam, egal ob sie jetzt Fans von Schwenningen, Mannheim oder Berlin sind. Ich habe unheimlich viele Nachrichten auf sämtlichen Kanälen bekommen.“

Feueralarm in Helsinki: Alex Karachun (links), Daniel Fischbuch (rechts) und Moritz Müller (sitzend) warten auf Entwarnung
Foto: privat

Vorläufiger Höhepunkt für Alexander Karachun war dann das letzte Vorbereitungsspiel gegen Österreich vor seinem Schwenninger Heimpublikum. „Das war unglaublich. Ich habe vor 6.000 Fans ein Tor gemacht und alle haben meinen Namen gerufen. Das Stadion ist regelrecht explodiert und ich fühlte mich wie im Film Gladiator. Ich hatte eine dicke Gänsehaut.“

Die Fans skandierten aufgrund der bevorstehenden Nominierung des WM-Kaders lautstark „Toni, nimm den Alex mit“ – und Bundestrainer Toni Söderholm machte, was sie von ihm forderten: Zwei Tage später nominierte er den Schwenninger Local Hero und Alex Karachun durfte mit nach Finnland fahren.

Zwar reiste er mit der Nationalmannschaft nach Helsinki, doch noch stand nicht fest, dass er dort auch zum Einsatz kommen würde. „Ich war in der ersten Woche noch nicht offiziell gemeldet worden und musste die ersten drei Spiele von der Tribüne aus anschauen. Da noch Spieler aus den amerikanischen Ligen im Anflug waren, wollte man sich bei der Meldung des endgültig spielberechtigen Kaders alle Optionen offen halten. Ich musste geduldig bleiben, und es hätte durchaus noch passieren können, dass ich unverrichteter Dinge wieder heimfahren muss.“

Alexander Karachun im Gespräch mit SPORT-HEILBRONN-Redakteur Ralf Scherlinzky

Im vierten Gruppenspiel gegen Dänemark sollte er dann aber endlich zu seinem WM-Debüt kommen. Doch auch hier lief erstmal nicht alles rund. Alex erinnert sich kopfschüttelnd: „40 Minuten vor dem Spiel wollten wir gerade zum Warmup aufs Eis gehen, als es in der Halle einen Feueralarm gab. Also sind wir zurück in die Kabine gegangen, um zu warten, bis der vermeintliche Fehlalarm sich auflöst. Dann kam einer vom Weltverband in die Kabine und schickte uns raus ins Freie, da die Halle evakuiert werden musste – es hatte tatsächlich wegen eines Kurzschlusses gebrannt. Ich habe nur kurz die Schlittschuhe ausgezogen und bin dann in voller Montur rausgegangen.

Wir haben über eine Stunde draußen verbracht, ohne dass wir wussten, wie es weitergeht. Erst als meine Freundin mir per Whatsapp geschrieben hat, dass in der TV-Übertragung die Rede von einem Spielbeginn um 18 Uhr war, wussten wir Bescheid, dass das Spiel stattfinden kann. Das war schon eine bizarre Situation. Entsprechend holprig war dann auch das Spiel. Aber wir haben 1:0 gewonnen und ich durfte auch in der nächsten Partie gegen Italien aufs Eis.“

Dieses Italien-Spiel sollte dann auch so etwas wie sein internationaler Durchbruch werden. Deutschland gewann deutlich mit 9:4, der Wahl-Schwenninger steuerte gleich zwei Treffer zum Erfolg bei und war ab sofort Stammspieler. „Das hat die WM-Erfahrung natürlich umso schöner für mich gemacht. Nicht jeder Spieler schafft es, bei seiner ersten WM mehr als ein Spiel zu machen“, ist Alex Karachun dem Bundestrainer für das Vertrauen dankbar.

Auch der zweite Heilbronner im Nationalteam, Daniel Fischbuch, traf im Spiel gegen Italien doppelt. Beide kennen sich schon seit ihrer frühen Kindheit, als sie noch im Nachwuchs des HEC gespielt hatten. In Helsinki teilten sich die beiden ein Zimmer und Alex sagt: „So ein WM-Erlebnis ist natürlich umso schöner, wenn man es mit einem langjährigen Freund teilen kann. Unsere Eltern waren früher befreundet und wir hatten uns auch außerhalb des Eishockeys oft gesehen. Da Fischi schon länger bei der Nationalmannschaft dabei ist und ich als Neuer in die Gruppe kam, hat es mir in Helsinki jetzt schon geholfen, dass er mich quasi wie ein ‚großer Bruder‘ eingeführt hat. Fischi war dieses Jahr unser bester WM-Torschütze und wir haben uns füreinander über die Erfolge gefreut.“

Als „Spätberufener“ ist Alexander Karachun das beste Beispiel dafür, dass sich Beharrlichkeit auszahlt. Deshalb auch sein Tipp an die Nachwuchsspieler des HEC im Publikum: „Nehmt kleine Erfolge mit und lernt aus Misserfolgen. Verfallt nicht in Panik, wenn etwas nicht klappt, sondern behaltet euer Ziel im Auge und versucht, es über Umwege zu erreichen. Und vor allem: Bleibt euch selbst treu!“

Fragen des Publikums an Alex Karachun:

Gibt es Rituale, die du vor dem Spiel hast?
Alexander Karachun: Eishockeyspieler sind alle sehr abergläubisch. Deshalb habe ich vor jedem Spiel die gleichen Abläufe. Vor jedem Spiel gibt es mittags das gleiche Essen, ich lege mich immer zur gleichen Zeit nochmal hin, komme zwei Stunden vor dem Spiel, höre dieselbe Playlist und ziehe immer zuerst den rechten Schlittschuh an. Auch beim Warmup mache ich jedesmal exakt das gleiche.

Haben dich deine Eltern früher mit dem Eishockey unterstützt?
Alexander Karachun: Mein Vater war ja schon gestorben, als ich neun war. Aber meine Mutter wusste, dass ich Profi werden wollte. Ich hatte mit ihr ausgemacht, dass ich mir ein paar Jahre Zeit nehmen und mich voll aufs Eishockey konzentrieren kann. Dazu habe ich ihr versprochen, dass ich, wenn ich mit Mitte 20 merke, dass ich nicht weiterkomme, mit einem Studium oder einer Ausbildung beginne. Inzwischen habe ich trotz des Erfolgs ein Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Fernuni Hagen angefangen.

HEC-Spieler Linus interessierte sich für Alex Karachuns Rituale vor dem Spiel
Kannst du dir vorstellen, zu den Heilbronner Falken zurückzukehren?
Alexander Karachun: Das hatte mich in Helsinki auch jemand gefragt, als der Falken Co-Trainer Christoph Schubert neben mir stand. Er meinte darauf trocken, dass er mich auf gar keinen Fall bei den Falken sehen will, da ich in der DEL2 nichts verloren habe. Am Ende meiner Karriere nochmal für Heilbronn zu spielen, wäre aber schon cool.

Frage einer Eishockey-Mutter: Weißt du schon, was du nach der Karriere beruflich machen wirst?
Alexander Karachun: Nein, momentan mache ich mir darüber noch keine großen Gedanken. Ich lege mit meinem Fernstudium eine Grundlage, aber was ich danach genau tun werde, ob ich vielleicht sogar Trainer werde, weiß ich noch nicht. In jedem Fall verdient man als Eishockeyspieler nicht so viel, dass man nach der Karriere ausgesorgt hat. Das Gute ist, dass man viele Leute trifft und sich ein Netzwerk aufbauen kann. Davon kann ich dann später profitieren.

Frage von THG-Rektor Frank Martin Beck: Im Eishockey gibt es oft Schlägereien, ich erlebe Sie hier aber als ausgesprochen reflektierenden und besonnenen Menschen. Prügeln Sie sich auch?
Alexander Karachun: (lacht) Eishockey ist ein sehr physischer Sport und in der Hitze des Moments kann das schon passieren. Ich habe mich in meiner Karriere zweimal richtig geprügelt. Einmal in Freiburg, nachdem einer meiner Mitspieler übelst gefoult worden war und ich quasi Vergeltung geübt habe. Und einmal vor ein paar Monaten im letzten Saisonspiel gegen Nürnberg, als ich über den Haufen gefahren wurde, nachdem der Puck schon weg war. Da bin ich aufgestanden und auf meinen Gegner draufgesprungen. Blöd war, dass ihm sein Mitspieler zu Hilfe kam und ich gegen zwei Leute boxen musste. Ich bin da mit ein paar Platzwunden, blauen Flecken und einem steifen Nacken rausgegangen. Aber meine beiden Gegner wurden vom Schiedsrichter aus dem Spiel ausgeschlossen, wir haben einen 0:3-Rückstand aufgeholt und ich habe später das 4:3 für uns geschossen. Insofern hatte ich mit der Aktion ein Zeichen gesetzt und das Momentum zu unseren Gunsten gedreht. Und die Fans haben es natürlich geliebt und haben mich ordentlich gefeiert.Grundsätzlich nehme ich mir aber vor, mich nicht zu prügeln.
Bekommt ihr als Eishockeyprofis bzw. Nationalspieler eigentlich Medienschulungen für Interviews?
Alexander Karachun: Nein, das gibt es bei uns nicht. Das ist letztendlich eine Sache der Erfahrung, man kommt Schritt für Schritt rein. Wenn ich mir heute meine ersten Interviews anschaue, waren diese doch noch sehr holprig. Aber natürlich bekommt man Tipps von anderen Spielern oder auch vom Verein, was man am besten wie sagen kann. Letztendlich gibt es dann ja auch noch Themen, zu denen man vom Verein aus gar nichts sagen darf…
Sympathisch, offen und erfrischend ehrlich: Alexander Karachun unterhielt das Publikum mit zahlreichen Geschichten aus seinem Leben, gab nach der Fragerunde noch geduldig Autogramme und stellte sich für Selfies zur Verfügung