Rüdiger Rehm und Benjamin Matschke: Impulsiv, erfolgreich, beliebt bei den Fans

Rüdiger Rehm und Benjamin Matschke haben einiges gemeinsam. Beide erblickten einst in Heilbronn das Licht der Welt. Zwar blieb sowohl dem Fußballspieler „Rüdi“ Rehm als auch dem Handballer „Ben“ Matschke die ganz große Karriere als aktiver Sportler verwehrt, doch stellte sich die Entscheidung, den Trainerschein zu machen, als exakt richtig heraus: Die beiden sind Musterbeispiele für eine junge Trainer-Generation, die für ihre Spieler Kumpel wie Antreiber, Motivatoren wie Seelentröster sind. Rehm (41) und Matschke (37) stehen beide bei den Underdog-Teams ihrer Ligen in der Verantwortung und schaffen es wie kaum ein anderer, bei ihren Schützlingen den richtigen Nerv zu treffen. Beide haben sowohl bei den Fans als auch den Verantwortlichen ihrer Vereine einen großen Vertrauensbonus. 

Autor: Enny Bayer

31. Januar 2020

Wo bei anderen Vereinen während Niederlagenserien der Kopf des Trainers gefordert wird, werden die beiden Unterländer gefeiert. Rüdiger Rehm gewann als Spieler 1996 mit dem VfR Heilbronn den DFB-Pokal der A-Jugend. Vor drei Jahren übernahm er als Trainer den damaligen Fußball-Drittligisten SV Wehen-Wiesbaden auf einem Abstiegsrang, führte ihn nach drei Monaten auf Rang sieben und schaffte im Sommer 2019 den Aufstieg in die zweite Fußball-Bundesliga. Ben Matschke hatte während seiner aktiven Karriere gerade sein erstes Bundesliga-Jahr hinter sich gebracht, als er nach dem zweiten Kreuzbandriss die Handballschuhe an den Nagel hängen musste. In seiner zweiten Saison als Trainer führte er die Eulen Ludwigshafen in die Handball-Bundesliga und schaffte sowohl 2018 als auch 2019 am jeweils letzten Spieltag der Saison den Klassenerhalt. Eine Gemeinsamkeit fehlt den beiden „Kult-Trainern“ jedoch noch: Sie haben sich nie persönlich kennengelernt. Texte: Enny Bayer

Rüdiger Rehm gibt beim Fußball-Zweitligisten SV Wehen-Wiesbaden den Ton an. Foto SVWW

Rüdiger Rehm – SV Wehen-Wiesbaden

Rüdiger Rehm wurde 1978 in Heilbronn geboren und lebt mit der Familie im Kreis Heilbronn. Er hat in seiner Jugend in Lauffen und beim TV Flein Fußball gespielt und wechselte später zum Heilbronner Traditionsverein VfR Heilbronn. 1997 verließ er den VfR, um für den SV Waldhof Mannheim aufzulaufen. Über mehrere Stationen kam Rüdiger Rehm 2008 letztendlich zum Baden-Württembergischen Oberligisten SG Sonnenhof Großaspach, bei dem er nebenher auch als Co-Trainer tätig war. 2012 übernahm er die Mannschaft als Cheftrainer. Damit begann seine Laufbahn als Trainer, die ihn über Arminia Bielefeld 2017 zum SV Wehen-Wiesbaden führte.

Rüdiger, der SV Wehen Wiesbaden hatte nach dem Aufstieg keinen guten Start in die zweite Liga erwischt. Sieben Spiele wart ihr sieglos und konntet nicht richtig Fuß fassen. Bei euch im Fußball ist es ja schon fast normal, dass nach einer solchen Misere der Trainer in Frage gestellt wird. Wie war das bei dir in Wiesbaden? Warst du auch am „Wackeln“ oder sitzt du tatsächlich so fest im Sattel wie es scheint?

Rüdiger Rehm: In den vergangenen drei Jahren haben wir schon sehr viel miteinander erlebt und vor allem auch erreicht, was einen natürlich als Team zusammschweißt. Als ich in Wiesbaden als Trainer angefangen habe war die Mannschaft auf dem 19. Tabellenplatz der 3. Liga. Die Saison darauf haben wir als Tabellenvierter beendet und im vergangenen Jahr haben wir es über die Relegationsspiele in die zweite Fußball-Bundesliga geschafft. Mit nur einem Punkt Letzter zu sein, war schon eine prekäre Situation und es kam auch viel Unruhe auf. Allerdings haben wir uns, was im Fußball eher selten ist, zusammengesetzt und gemeinsam nach einer Lösung gesucht. Wir wollten keine einzelne Person als Sündenbock hinstellen und haben das weitere Vorgehen zusammen besprochen. Inzwischen haben wir es dadurch auch wieder geschafft, Anschluss an die anderen Teams zu finden.

Wie schaut es in solchen schwierigen Phasen mit dem Druck von außerhalb aus, gerade auch von den Fans? Eine so heftige Niederlage wie beim 0:5 daheim gegen Regensburg ist ein einschneidendes Ergebnis…

Rüdiger Rehm: Uns muss immer bewusst sein, dass so ein Spiel erneut passieren kann. Wir sind der „Underdog“ der Liga, die Mannschaft mit dem kleinsten Etat, der kleinsten Zuschauerkulisse und dem kleinsten Kader – das ist allen bewusst, nicht zuletzt auch den Fans. Trotzdem sind wir nicht chancenlos. Die Mannschaft ist noch lange nicht am Ende ihrer Entwicklung angekommen und wenn wir weiter an uns arbeiten und uns verbessern, sehe ich dem weiteren Verlauf optimistisch entgegen.

Wie trittst du in solchen Phasen vor deine Mannschaft, um sie aufzubauen?

Rüdiger Rehm: Als Trainer musst du ein gutes Gefühl dafür bekommen, wie du dein Team anpacken kannst, was sich von Spieler zu Spieler unterscheidet. Das macht unter anderem auch einen guten Coach aus, zu wissen wie man zu welchem Zeitpunkt die Situation angehen muss, damit man gestärkt wieder aus der Kabine herausgehen kann.

Die Schiedsrichter ziehen bei dir als Trainer gerne mal die gelbe Karte. Was versuchst du deiner Mannschaft mit deinem Verhalten neben der Seitenlinie zu signalisieren?

Rüdiger Rehm: Ich habe schon immer für diesen Sport gelebt und war bereits auf dem Spielfeld sehr emotional dabei. Verändern werde ich mich nicht, auch wenn mir ein Schiri die gelbe Karte zeigt. In den letzten zehn Jahren meiner Trainerlaufbahn bin ich drei Mal aufgestiegen, deshalb denke ich, dass das der richtige Weg ist, wie ich ihn gehe. Ich finde es ist wichtig sich so zu präsentieren wie man ist. Wenn bei mir eben eine gelbe Karte dazugehört, dann soll es so sein.

Angenommen, ihr verpasst dieses Jahr doch noch den Anschluss an die anderen Vereine und steigt ab, wie geht es dann weiter. Würdest du bei Angeboten von höherklassigen Vereinen schwach werden?

Rüdiger Rehm: Zum einen habe ich einen Vertrag bis 2021 – deshalb stellt sich die Frage nach einem Wechsel nicht. Außerdem denke ich auch gar nicht an den Abstieg. Wir sind uns sicher, dass wir die Mannschaft so weit bringen können, dass wir am Ende mindestens zwei Vereine hinter uns haben werden und über die Relegation den Klassenerhalt schaffen.

In dieser Saison wollen in der 2. Liga alle den VfB Stuttgart schlagen. Du hast es mit Wiesbaden geschafft. Wie war es für dich auswärts gegen Stuttgart zu gewinnen?

Rüdiger Rehm: Ich war schon als Kind ein absoluter VfB-Anhänger und stand als Jugendlicher im A- und B-Block. Das war jetzt das erste Mal, dass ich in Stuttgart gespielt habe. Und dann direkt vor 50.000 Zuschauern zu siegen, ist natürlich ein Traum. Es waren auch viele Heilbronner da. Es war einfach ein geiles Erlebnis!

Deine Familie wohnt in Heilbronn und du bist in Wiesbaden. Wie vereinst du Beruf und Familie?

Rüdiger Rehm: Die Situation ist auf jeden Fall besser als damals, als ich noch in Bielefeld Trainer war. Meine Frau und ich waren bereits während meiner aktiven Profizeit zusammen, das heißt wir kennen es gar nicht anders. Der Vorteil durch die Entfernung ist aber auch, dass man die gemeinsame Zeit viel intensiver nutzt. Normalerweise bin ich so drei bis vier Nächte in der Woche zuhause bei meiner Frau und meinen Kindern.

Ben, du bist zwei Jahre, nachdem du deine Handballkarriere verletzungsbedingt beenden musstest, beim Handball-Drittligisten TV Hochdorf als Trainer eingestiegen. Welche Erinnerungen an den Beginn deiner Trainerkarriere haben sich bei dir besonders stark eingeprägt?

Ben Matschke: Auf jeden Fall waren die Partien gegen den TSB Horkheim immer etwas Besonderes für mich. Es waren Begegnungen auf Augenhöhe und die Endergebnisse fielen immer komplett unterschiedlich aus. Außerdem waren die Auswärtsspiele für mich eher eine Art Heimreise.

Du selbst hast deine aktive Spielzeit 2011 in Ludwigshafen beendet und bist 2013 als Trainer zurückgekehrt. War das bereits zu deiner Zeit als Sportler im Gespräch, irgendwann einmal die Mannschaft von der Bank aus zu leiten?

Ben Matschke: Überhaupt nicht. Mein Vorgänger Thomas König wechselte damals von Ludwigshafen nach Stuttgart und dadurch habe ich die Chance bekommen. Ich hätte nie gedacht, dass das so laufen würde, bin aber natürlich dankbar dafür.

Jetzt bist du bereits das vierte Jahr bei den Eulen und hast sie in deinem ersten Jahr in die Bundesliga geführt. Danach folgte der zweimalige Klassenerhalt am letzten Spieltag der Saison. Sind diese Erfolge eine Art „Freifahrtschein“ für dich oder erhöht das eher noch den Druck?

Ben Matschke: Weder noch. Die Jungs müssen sich kontinuierlich weiterentwickeln, um in der Liga mithalten zu können. Ich denke, die Geschäftsführung und die Funktionäre sehen meine tägliche Arbeit mit der Mannschaft. Wenn man bedenkt, dass wir ständig gegen Mannschaften spielen, die einen fünfmal so hohen Etat wie wir zu Verfügung haben, wird deutlich, wie schwer es ist, dort mitzuhalten. Zumal wir auch den jüngsten Spielerkader haben.

Ist der Klassenerhalt das Ziel oder werft ihr auch mal einen Blick auf die höheren Ränge der Tabelle?

Ben Matschke: Ich denke das Entscheidende wird erst mal die Entwicklung einer authentischen Mannschaft sein, bei der jeder Gegner mit großem Respekt zu uns in die Halle kommt. Unsere Art Handball zu spielen verlangt anderen Teams jetzt schon vieles ab und bringt auch den einen oder anderen Favoriten zum Verzweifeln. Wir haben nur dann die Chance in der Bundesliga zu bleiben, wenn aus diesen jungen Spielern Leistungs- und Hoffnungsträger werden.

Du sprichst häufig die Weiterentwicklung der Spieler als Ziel an. Wie versuchst du dein Team voran zu bringen?

Ben Matschke: Ich versuche den Spielern wichtige Mechanismen mit an die Hand zu geben. Das fängt bei kleinen Dingen an, wie z.B. der Kommunikation während der Wischpause. Ich gehe nie in die Woche, ohne bestimmte Aufgaben und Zielsetzungen für die Jungs geplant zu haben. Wir führen ebenfalls Statistiken über die Trainingseinheiten und Spiele, um den Spielern mittels Zahlen unsere Absichten zu erklären. Damit können sie dann gezielt an sich arbeiten.

Welche Aufgabe ist für dich als Trainer während eines Spiels besonders wichtig?

Ben Matschke: Neben der taktischen Leitung ist es für mich wichtig mein Team von der Bank aus zu unterstützen und ein entsprechender Gegenpol zu sein. Es gibt Spiele, da kommt das Feuer von der Mannschaft und es ist mein Part, der Ruhepol zu sein. Beim nächsten Spiel kann es schon wieder anders rum sein und ich muss mein Team von der Bank aus wachrütteln. Ich versuche mich so zu steuern, dass ich mich dem Gemüt der Mannschaft anpasse.

War von Vereinsseite aus viel Überzeugungsarbeit notwendig, damit du deinen auslaufenden Vertrag bei den Eulen verlängerst?

Ben Matschke: Die Verlängerung war nicht von Anfang an klar. Der Zeitpunkt für die Verlängerung Anfang Dezember war schon relativ spät. Ich wollte erst die Entwicklung seitens der Mannschaft, sowie meine eigene sehen. In den Wochen davor ging es positiv nach oben und das Team hat mir das Gefühl gegeben, hier an der richtigen Stelle zu sein. Wir versuchen viel durch Einhaltung unserer Pläne zu erreichen. Unsere Konkurrenzfähigkeit war bisher noch nie so groß wie aktuell, was mich unter anderem davon überzeugt hat zu bleiben und zu versuchen, die Jungs noch weiter zu bringen.

Gab es auch Angebote von anderen Vereinen?

Ben Matschke: Ja, die gab es in der Tat. Aber solange ich hier die Chance habe, als Trainer wichtige Erfahrungen zu sammeln, sind andere Vereine erst einmal Nebensache für mich. Außerdem gibt es mir ein gutes Gefühl zu sehen, wie ich meinen Teil dazu beitragen kann, dass sich unsere jungen Spieler weiterentwickeln. Entscheidend ist nicht wie man kommt, sondern wie man geht! Und gehen möchte ich hier noch lange nicht…

"Manchmal muss ich mein Team von der Bank aus wachrütteln". Bei unserem Besuch beim Heimspiel der Eulen gegen Hannover-Burgdorf legte Motivator Ben Matschke am Spielfeldrand einige Kilometer zurück. Foto Marcel Tschamke

Ben Matschke – Eulen Ludwigshafen

Benjamin Matschke wurde 1982 in Heilbronn geboren und wohnte mit seinen fünf jüngeren Geschwistern und seinen Eltern in Neckargartach. Sein Abitur legte er am Justinus-Kerner-Gymnasium in Weinsberg ab. Anschließend studierte er in Stuttgart. Ben Matschkes Wurzeln im Handball liegen in Weinsberg. Sein Trainer nahm ihn anschließend mit zum Zweitligisten Kornwestheim, bevor er 2007 dann als Spieler nach Ludwigshafen-Friesenheim kam. 2011 musste Ben Matschke seine aktive Karriere aufgrund eines Kreuzbandrisses beenden. Er lebt mit seiner Familie in Schwetzingen und unterrichtet dort noch zweimal pro Woche an einer Schule Sport und BWL.