Falken-Coach Michel Zeiter: „Der 15.11. ist immer ein spezieller Tag“

Nach zwei erfolgreichen Jahren hat Alexander Mellitzer die Heilbronner Falken zum Ende der Saison 2019/20 verlassen. Mit Michel Zeiter wurde ein Nachfolger verpflichtet, den in Deutschland nur wenige Experten auf dem Schirm hatten. In seiner Heimat Schweiz ist der 46-Jährige dagegen eine Legende. Als aktiver Spieler trug er 123 Mal das Schweizer Nationaltrikot, nahm an sechs Weltmeisterschaften teil und wurde mit dem ZSC Lions zweimal Schweizer Meister. 2010 nahm er in der zweiten Liga (NLB) beim EHC Visp seinen ersten Trainerjob an, dem er zwei weitere Engagements bei den Rapperswil-Jona Lakers (NLA) und in Winterthur (NLB) folgen ließ. 2019 stand er als Co-Trainer an der Bank der Schweizer Nationalmannschaft und im September nahm er nun seine Arbeit bei den Falken auf. Wir haben ihn zum „Antritts-Interview“ besucht.

Fotos: Achim Gehrig

Autor: Ralf Scherlinzky

6. November 2020

Willkommen in Heilbronn, Michel. Wie waren die ersten Wochen in deiner neuen beruflichen Heimat?
Michel Zeiter: Ich bin begeistert. Hier passt alles. Wir haben bei den Falken ein tolles Umfeld und auch die Stadt, und hier vor allem der Bereich am Neckar beim Stadion, gefallen mir sehr gut. Ich freue mich jeden Tag hier arbeiten zu dürfen.

Wie kam der Kontakt zu den Falken zustande? Hast du dich auf die freie Stelle beworben?
Michel Zeiter: Nein, die Falken haben bei mir angefragt. Ich hatte das deutsche Eishockey lange beobachtet und es hatte mich schon eine Weile gereizt, mal im Ausland zu arbeiten. Durch die Corona-Einschränkungen konnte man sich zwar nicht gleich persönlich kennenlernen, wir haben aber Videokonferenzen geführt und im Gespräch mit den Gesellschaftern gespürt, dass es menschlich passt und auch unsere Philosophien übereinstimmen. Es hat „gematcht“.

Kanntest du im Vorfeld schon einige deiner Spieler persönlich?
Michel Zeiter: Persönlich noch nicht, vom Namen her aber schon. Nachdem die Zusammenarbeit mit den Falken besiegelt war, habe ich die Coronazeit dazu genutzt, jeden Einzelnen aus dem Team über Videocalls kennenzulernen. Das sind ganz tolle Jungs, die ein Ziel haben. Ich habe mich extra im Gespräch mit meinem Vorgänger nicht nach dem menschlichen Aspekt, dem Charakter der Spieler erkundigt, da ich auf einem weißen Blatt beginnen wollte.

Wenn man als neuer Coach in die Kabine reinkommt und dort sitzt eine eingeschworene Truppe und schaut einen gespannt an – wie führt man sich da am besten ein?
Michel Zeiter: Es ist immer der erste Eindruck, der bleibt. Deshalb habe ich unser erstes Meeting sehr gut vorbereitet. Ich wollte mich so präsentieren, wie ich bin, wie ich als Mensch und Trainer funktioniere und wie meine Philosophie aussieht. Das war ein super Entry Meeting. Ich bin ein Trainer, der sehr auf das Menschliche schaut und dem das gegenseitige Vertrauen wichtig ist. Wir leben jetzt schon seit einigen Wochen als Team in der vielzitierten „Bubble“ und konnten uns in dieser Zeit intensiv kennenlernen.

Du kannst selbst auf eine bewegte Karriere als Spieler zurückblicken, hast über 800 Mal in der Nationalliga A und 123 Mal im Trikot der Schweizer Nationalmannschaft gespielt und giltst in deiner Heimat als Eishockey-Legende. Was waren deine persönlichen Karriere-Highlights in dieser langen Zeit?
Michel Zeiter: Da gab es einige. Ein Highlight war sicherlich der vierte Platz mit der Nationalmannschaft bei der Heim-Weltmeisterschaft 1998. Nicht zu toppen ist aber das Double mit den ZSC Lions, als wir 2000 und 2001 in zwei Jahren hintereinander die Meisterschaft geholt haben. Ich war mit 18 Jahren dorthin gewechselt und wir waren sechs Jahre lang immer knapp an den Playoffs dran, sind aber nie richtig vom Fleck gekommen. Wir waren vier, fünf Spieler, die sie behalten und um die herum sie immer wieder ein neues Team aufzubauen versucht hatten. In der Zeit konnten wir uns Schritt für Schritt weiterentwickeln, und plötzlich waren wir im besten Eishockeyalter und haben den Verein zur Meisterschaft geführt. Ein weiterer Höhepunkt war für mich mein erstes Jahr als Spielertrainer beim EHC Visp in der zweiten Liga, als der Verein nach 51 Jahren zum ersten Mal wieder die Meisterschaft gewinnen konnte.

Es gab aber auch einen sehr tragischen Moment in deiner Karriere, als du 2001 von der Schlittschuhkufe eines Gegners am Hals getroffen wurdest. „Zeiter nach Operation im künstlichen Koma“ titelten damals diverse Zeitungen. Was war da passiert?
Michel Zeiter: Das war in der Tat eine sehr schlimme Sache, bei der ich um mein Leben kämpfen musste. Wäre der Unfall nicht in Zürich, sondern woanders passiert, wäre ich heute vermutlich nicht mehr da. Als es passiert ist, habe ich gleich gemerkt, dass es eng werden könnte und bin deshalb noch zur Spielerbank gefahren. Ich habe einen dreifachen Kehlkopfbruch erlitten und insgesamt fünf Liter Blut verloren. Besonders kritisch war wohl die Zeit, bis ich auf dem OP-Tisch lag. Mein ganz großes Glück im Unglück war, dass die Halsschlagader bei dem Unfall irgendwie zur Seite gedrückt worden war und dadurch heil geblieben ist. Wäre sie von der scharfen Kufe richtig erwischt worden, wär es definitiv aus gewesen. Nachdem ich dann aus dem künstlichen Koma aufgewacht und über den Berg war, musste ich die eigentlich ganz normalen Mechanismen wieder von Grund auf lernen – essen, trinken, atmen, sprechen. Das war schon eine brutale Zeit, aber das gehört genauso zu mir wie die erfolgreichen Stunden. 19 Jahre ist das jetzt her, und der 15. November ist für mich immer noch ein spezieller Tag.

Du hast danach aber dennoch wieder Eishockey gespielt…
Michel Zeiter: Ja, ich bin nach einem halben Jahr wieder zurückgekommen. Natürlich denkt man nach einem solchen Vorfall übers Aufhören nach. Aber wenn du siehst, wieviele Eishockeyspiele auf der Welt gespielt werden und wie selten so ein Unfall vorkommt, dann ist es höchst unwahrscheinlich, dass es einen nochmal trifft. Also habe ich mich zurückgekämpft und konnte gleich im ersten Playoff-Spiel ein Tor schießen. Das war auch ein fantastischer Moment.

Und dann hast du 2012 endgültig die Schlittschuhe an den Nagel gehängt und wurdest Trainer. War das schon lange dein Plan gewesen, nach der aktiven Karriere die Seiten zu wecheln?
Michel Zeiter: Ja, ich habe früh gemerkt, dass das meine Berufung sein könnte. Eishockey war schon immer meine Passion und ich war als Führungsspieler bereits in meiner aktiven Karriere der verlängerte Arm der Trainer. Nach Spielen habe ich im Kopf verschiedene Spielsituationen nochmal durchgespielt und überlegt, was ich dort hätte anders oder besser machen können. Das waren lauter Dinge, die nur den Schluss zugelassen haben, dass ich die Trainerlaufbahn einschlage.

Nach dem Jahr als Spielertrainer in Visp hast du ja dann ein Auslandsjahr eingelegt. Wo hat es dich dabei überall hin verschlagen?
Michel Zeiter: Ich habe in verschiedenen Ländern hospitiert und habe an den Coaches Conferences der NHL teilgenommen. Hospitiert habe ich unter anderem bei den Los Angeles Kings, den Vancouver Canucks, Jokerit Helsinki und Djurgarden Stockholm. Außerdem war ich im intensiven Austausch mit vielen Trainern in der Schweiz, so dass ich nach und nach meine eigene Spielphilosophie und meine Methoden entwickeln konnte.

Bei deiner letzten Station, bevor du zu den Falken gewechselt bist, wurdest du am 8. Dezember 2019 nach dreieinhalb Jahren entlassen. Was war da passiert?
Michel Zeiter: In Winterthur hatte ich von Anfang an schwierige Voraussetzungen. Der Verein hatte nur wenig Geld und es war meine Aufgabe Talente zu entwickeln, um mit ihnen den Club weiter aufzubauen. Ich habe dort gleichzeitig auch noch als Sportchef fungiert und musste versuchen, mit wenig Geld möglichst gute Spieler zu verpflichten – was natürlich fast unmöglich war. Wir konnten im Lauf der Zeit zwar kleine Erfolge feiern und auch zwei, drei Spieler in die U20-Nationalmannschaft bringen, aber am Ende haben halt die Resultate gefehlt. Und irgendwann denkt man dann als Vorstand eben, dass ein anderer das besser kann. Das ist das Business und es ist auch okay so. Aus meiner Sicht haben wir dennoch gut gearbeitet. Aber wo eine Tür zugeht, geht auch eine andere wieder auf. Hätte ich weiter in Winterthur bleiben können, wäre ich jetzt nicht hier.

Und jetzt bist du hier in einer unwirklichen Situation bei den Heilbronner Falken in der Verantwortung und weißt nicht, wann und ob es überhaupt losgeht…
Michel Zeiter: Stimmt, das ist schon einzigartig, was wir gerade erleben. Elf Wochen Saisonvorbereitung, das gab es noch nie. Wir haben alles auf den Saisonstart am 6. November ausgerichtet, damit wir da auf den Punkt genau bereit sind. Auf diesen Termin sind wir fokussiert und gehen davon aus, dass wir am 6.11. um 19.30 Uhr in Freiburg unser erstes DEL2-Spiel bestreiten werden.