Yvonne Schneider – von der Dorfkegelbahn zur Weltmeisterschaft

Yvonne Schneider ist seit Jahrzehnten eine feste Größe im deutschen sowie im internationalen Kegelsport. Mit ihrem Team vom KV Liedolsheim feierte die Untergruppenbacherin Mitte April den ersten deutschen Meistertitel der Vereinsgeschichte. Im Interview spricht die 44-Jährige, die ursprünglich aus Sachsen-Anhalt stammt, über ihre Anfänge im Kegelsport, internationale Erfolge, mentale Stärke – und weshalb das Kegeln sie nie loslassen wird.

Autor: Lara Auchter

5. Mai 2025

Yvonne, du hast mit acht Jahren mit dem Kegeln angefangen. Wie kam das?

Yvonne Schneider: Ich bin in Muldenstein aufgewachsen, einem kleinen Dorf in Sachsen-Anhalt. 1986 wurde dort eine neue Kegelbahn gebaut – und in unserer Schule wurde Werbung dafür gemacht. Meine damalige Nachbarin hat mich gefragt, ob wir das mal ausprobieren wollen. Ich war sofort infiziert – und seitdem hat mich das Kegeln nicht mehr losgelassen.

Warst du gleich talentiert?

Yvonne Schneider: Ich denke, ja. Es hat nicht nur Spaß gemacht – wir hatten auch gleich erste Erfolge. Als A-Jugendliche wurden wir bei den Deutschen Meisterschaften Vierte – als kleine Dorfmannschaft! Das war großartig. Und natürlich bin ich drangeblieben. Über die Jahre hat sich mein Können immer weiter entwickelt.

Karrierehighlight für Yvonne Schneider bei der WM 2022 in Estland: Sie gewann die Bronzemedaille. Fotos: privat

Wie bist du dann in Baden-Württemberg gelandet?

Yvonne Schneider: Ja, das war ein unglaublicher Moment! Wir hatten den Titel schon drei Spieltage vor Saisonschluss in der Tasche. Das Sahnehäubchen war dann am letzten Spieltag unser Sieg in Bamberg gegen die Mannschaft, die zuvor 19 Jahre lang ununterbrochen Meister war. Das haben wir natürlich gebührend gefeiert – mit fast 40 Fans, die im Bus nach Bamberg gekommen waren. Dieser Titel bedeutet uns extrem viel, weil wir ihn uns wirklich mit Leidenschaft und Teamgeist erarbeitet haben – ohne bezahlte Spielerinnen, einfach aus purer Überzeugung und Spaß am Spiel.

Und oben angegriffen habt ihr definitiv. Mit Liedolsheim wurdet ihr nun 2025 erstmals Deutscher Meister…

Yvonne Schneider: Nach meinem Studium in Halle/Saale bin ich 2002 meinem damaligen Partner nach Baden-Württemberg gefolgt. Zuerst habe ich in Stuttgart gespielt – elf Jahre lang. Wir waren zwar auch in der Bundesliga, kämpften aber meistens gegen den Abstieg. 2013 kam dann der Wechsel zum KV Liedolsheim bei Karlsruhe. Der damalige Trainer hat mich überzeugt, dorthin zu wechseln, um mit oben anzugreifen. Rückblickend war das eine meiner besten sportlichen Entscheidungen.

Du warst auch bei vier Weltmeisterschaften dabei – was war dein persönliches Highlight?

Yvonne Schneider: Ich würde da definitiv die Einzel-WM 2022 in Estland herausheben. Ich war immer eine gute Spielerin, aber im Nationaltrikot konnte ich mein Potenzial nie ganz abrufen und habe oft keine zentrale Rolle im Team gespielt. Also habe ich zwei Jahre mental gearbeitet – mit Coaching, Visualisierung, mentalem Training. Und dann kam 2022 dieser Moment im Viertelfinale: Ich musste mit dem letzten Wurf eine Neun treffen. Mein Trainer sagte: „Denk an deinen Sohn – und spiel einfach.“ Ich spürte schon beim Abspiel: Der Wurf ist gut. Es wurde eine Neun. Ich war Dritte. Bronze. Einer der emotionalsten Momente meines Lebens und einer der mir zeigte, dass ich alles überwinden kann.

Was hat dich mental so stark gemacht?

Yvonne Schneider: Ich habe gelernt, auf mich zu vertrauen. Früher war ich verkrampft, wollte alles perfekt machen. Heute bin ich fokussiert. Das mentale Training hat mir gezeigt, wie viel Kraft in einem selbst steckt, wenn man an sich glaubt.

Wie ging es für dich nach dieser WM weiter?

Yvonne Schneider: Nach der WM 2022 habe ich meine Nationalmannschaftskarriere beendet. Mit 42 habe ich gemerkt, wie viel Energie es kostet, auf diesem Level zu bleiben – mental und körperlich. Ich bin sehr stolz auf meine vier WM-Teilnahmen. Jetzt konzentriere ich mich auf den Verein – und auf mein neues Ziel: Ich mache die C-Trainerausbildung. Ich möchte mein Wissen und meine Erfahrungen, gerade im mentalen Bereich, weitergeben – vielleicht irgendwann auch im Nationalteam.

In der Kegel-Bundesliga bist du noch aktiv. Wie sieht der Alltag des frischgebackenen deutschen Meisterteams aus?

Yvonne Schneider: Wir trainieren mehrmals pro Woche auf der Bahn, dazu kommt individuelles Kraft- und Stabilisationstraining. Ich selbst fahre einmal pro Woche die 95 Kilometer nach Liedolsheim zum Training – einfach, weil es sich lohnt. Das Team dort ist für mich wie eine Familie.

Was macht den Kegelsport für dich aus?

Yvonne Schneider: Es ist mehr als nur ein Sport. Es ist Gemeinschaft, Freundschaft, Leidenschaft. Viele meiner engsten Freunde habe ich durchs Kegeln kennengelernt. Und es ist technisch anspruchsvoll – jede Bewegung muss sitzen und man braucht zehntausende Würfe, um auch nur eine kleine technische Anpassung erfolgreich umsetzen zu können.

Die breite Öffentlichkeit betreibt als Freizeitsport eher das amerikanische Pendant zum Kegeln: das Bowling. Wie unterscheiden sich die beiden Sportarten genau?

Yvonne Schneider: Es sind tatsächlich zwei komplett verschiedene Welten. Beim Bowling gibt es zehn Pins in einer Dreiecksformation, beim Kegeln sind es neun Kegel in einer Raute. Die Technik ist komplett anders: Bowlingkugeln sind größer, haben drei Löcher für die Finger und werden mit Drall geworfen. Unsere Kegelkugeln sind kleiner, haben keine Löcher, und wir werfen sie gerade. Auch die Spielregeln unterscheiden sich stark – im Kegeln zählt jeder einzelne Wurf und man spielt solange, bis die Kegel weg sind. Beim Bowling zählt man nach jedem Wurf die getroffenen Pins. Viele glauben, es sei ähnlich – aber wer beides probiert hat, weiß: Es ist ein ganz anderes Spielgefühl und ich selbst bin keine gute Bowlerin (lacht).

Mit dem Kegeln verdienst du kein Geld. Wie bekommst du das alles unter neben deinem Job?

Yvonne Schneider: Der Sport ist mein Hobby – den Lebensunterhalt kann man damit nicht verdienen, zumal uns der Verein kein Geld bezahlen kann. Ich bin Führungskraft bei der Lidl Deutschland IT in Bad Wimpfen. Und letztendlich helfen mir meine Erfahrungen aus dem Sport auch im Job enorm – Teamführung, Zielorientierung, Disziplin. Ich habe sogar intern schon einen Vortrag gehalten über Parallelen zwischen Leistungssport und Berufsleben, denn es gibt so viele Gemeinsamkeiten. Deshalb passen das Kegeln und der Job gut zusammen.

Du hast schon betont, dass ihr vom Verein nicht bezahlt werdet. Wie finanziert das Team dennoch die teilweise langen Reisen nicht nur durch Deutschland, sondern auch quer durch Europa?

Yvonne Schneider: Durch viel Eigenleistung, kleine Sponsoren, Spendenaktionen und manchmal auch durch eigenes Geld von uns Spielerinnen. Reisen, Unterkünfte, Equipment – all das kostet. Und leider gibt es kaum Förderung vom Verband. Manche Vereine kaufen sich internationale Spieler. Wir haben dafür kein Geld und setzen in Liedolsheim stattdessen auf gute Jugendarbeit und Teamgeist. Der Erfolg in diesem Jahr gibt uns recht – Leidenschaft schlägt Geld.

Was steht für euch nach dem großen Triumph sportlich als nächstes an?

Yvonne Schneider: Als Deutscher Meister sind wir für den Weltpokal im Oktober in Bozen qualifiziert. Dort gut abzuschneiden oder sogar eine Medaille zu holen ist ein Riesenziel! In den vergangenen Jahren waren wir bei etlichen Europapokal-Turnieren fast immer im Finale, jetzt wollen wir auch beim Weltpokal zeigen, was in uns steckt.