Thorsten Morhaus: Freier Fall aus 4.000 m Höhe mit 500 km/h

Thorsten Morhaus ist einer der schnellsten Menschen der Welt – und das ganz ohne Motor oder besondere Sprintfähigkeiten.

Der 48-jährige Neckarsulmer ist Geschäftsführer des Abwasserzweckverbands Unteres Sulmtal und gehört zur Weltspitze im Speed Skydiving, einer Disziplin des Fallschirmspringens, bei der es darum geht, im freien Fall möglichst hohe Geschwindigkeiten zu erreichen.

Im Interview mit SPORTHEILBRONN erzählt der zweifache Familienvater, wie man auf die Idee kommt, sich kopfüber aus dem Flugzeug zu stürzen, weshalb eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 500 km/h nicht schnell genug ist und was ein Golfball mit alldem zu tun hat.

 

Autor: Lara Auchter

5. Mai 2025

Thorsten Morhaus kurz vor der Landung mit offenem Fallschirm. Von der Flugphase gibt es aufgrund der hohen Geschwindigkeit kaum Bilder. Foto: privat

Thorsten, wie kommt man bitte auf die Idee, sich aus 4.000 Metern Höhe kopfüber aus dem Flugzeug zu stürzen – und dabei schneller als ein ICE oder ein Formel 1-Rennwagen zu werden?

Thorsten Morhaus: Die Frage höre ich öfter (lacht). Ich bin seit über 20 Jahren Fallschirmspringer und habe alles Mögliche ausprobiert – Formationen, Tandems, Ausbildung. Irgendwann kam mit Marco Hepp ein Kollege bei uns am Platz vorbei und erzählte, dass er Speed Skydiving macht. Ich dachte: Klingt cool – schnell ist gut. Dann hab ich’s ausprobiert. Mein erster Sprung – abends, müde und noch nicht mal in der richtigen Kleidung – und meine Geschwindigkeit lag bei knapp 400 km/h. Marco kam danach zu mir und sagte, dass er dafür Jahre gebraucht habe. Da war klar: Das ist mein Ding.

Was genau passiert bei einem Speed-Sprung?

Thorsten Morhaus: Man springt auf etwa 4.000 Metern Höhe aus dem Flugzeug, geht sofort in eine nahezu senkrechte Flugposition – und dann heißt es: Körperspannung halten und nicht wackeln. Je ruhiger und symmetrischer ich in der Luft liege, desto schneller werde ich. Wir messen einen Drei-Sekunden-Durchschnitt. Im Training bin ich schon über 500 km/h geflogen. Mein bestes Resultat im Wettkampf liegt bei 493,23 km/h.

Bei euch dreht sich alles um diese extremen Geschwindigkeiten. Wie kann man sich das als Außenstehender vorstellen?

Thorsten Morhaus: Ich bring da gerne den Golfball-Vergleich. Es gibt Leute, die machen Long Drive Speed Golf – die schlagen den Ball mit allem, was sie haben, über den Golfplatz. Der Weltrekord liegt da bei etwa 375 km/h. Und wir springen mit dem Körper schneller – ganz ohne Schläger, ohne Motor, nur mit Körperspannung. Das sorgt immer für ungläubiges Staunen, wenn ich das erzähle (lacht).

Thorsten Morhaus beim Ausstieg aus dem Flugzeug. Foto: elmar.pics

Wie misst man so eine Geschwindigkeit in der Luft überhaupt?

Thorsten Morhaus: Wir haben spezielle GPS-Messgeräte im Helm. Die zeichnen den kompletten Sprung auf – die Judges werten später aus, ob alles regelkonform war. Manipulation ist ausgeschlossen: Die Geräte kommen erst kurz vorm Einsteigen ans Equipment und werden direkt nach der Landung wieder eingesammelt.

Was fasziniert dich an der Geschwindigkeit so sehr?

Thorsten Morhaus: Geschwindigkeit hat einfach etwas Urmenschliches. Schon als Kind fand ich das spannend – ob Rennwagen, Züge, Flugzeuge oder früher das Autoquartett, bei dem das schnellste Auto das beste war (lacht). Im Speed Skydiving hast du diese pure Geschwindigkeit am eigenen Körper. Du bist komplett auf dich selbst konzentriert, deinen Körper, deinen Atem, deine Haltung. Alles muss in diesen wenigen Sekunden passen. Das ist intensiver als jeder Adrenalinkick.

Wie groß ist die Speed Skydiving-Szene in Deutschland?

Thorsten Morhaus: Es ist eine kleine, aber gut organisierte Szene. Speed Skydiving ist eine von neun Disziplinen im Fallschirmsport. Bei Weltmeisterschaften sind oft rund 100 Starter aus aller Welt dabei – Deutschland stellt regelmäßig das volle Team aus zwölf Athleten. 2022 waren wir Weltmeister im Einzel und Vizeweltmeister im Team. 2023 gab es Bronze fürs Team sowie Bronze bei den Junioren. Dieses Jahr stehen die EM und der World Cup an – wir sind heiß darauf!

Du bist selbst Ausbilder, sogar Speed Examiner. Wie schwer ist es, Nachwuchs für eine solche Nischendisziplin zu begeistern?

Thorsten Morhaus: Gar nicht so schwer, wie man denkt. Wer einmal einen Speed-Sprung gemacht hat, ist meistens angefixt. Das Problem ist eher die Finanzierung: Flüge, Ausrüstung, Trainingslager – das geht ins Geld. Wir versuchen deshalb, junge Springer über den Verband und die Landessportbünde zu fördern. Und: Wir brauchen Nachwuchs, um langfristig auf Weltniveau zu bleiben.

Wie gefährlich ist das eigentlich?

Thorsten Morhaus: Klar, es ist ein extremer Sport. Aber wir arbeiten auch äußerst professionell. Unsere Ausrüstung ist top und wir haben optische Höhenwarner im Helm, die uns im richtigen Moment signalisieren: Jetzt bremsen. Wir reduzieren von über 500 auf etwa 200 km/h – das fühlt sich an wie eine kontrollierte Ganzkörper-Ohrfeige. Und die Schirmöffnung muss exakt passen.

Du hast selbst schon die 500 km/h Marke übertroffen, in der absoluten Weltspitze erreicht man diese Geschwindigkeiten aber regelmäßig. Was ist denn der aktuelle Weltrekord?

Thorsten Morhaus: Der liegt bei 529 km/h – aufgestellt von meinem Teamkollegen Marco Hepp. Der Wahnsinn dabei war, er musste den Sprung dreimal wiederholen, weil die Messtechnik nicht sauber war. Er ist dreimal hintereinander Weltrekord geflogen und beim dritten Mal hat es dann endlich gezählt. Mental ist das brutal – aber genau das reizt mich auch.

Wie trainiert man Speed Skydiving?

Thorsten Morhaus: Im Training geht es nicht nur um Sprünge. Ich arbeite auch mit Hochschulen wie der RWTH Aachen oder dem IAT Leipzig zusammen. Da geht es vor allem um Aerodynamik, Körperform und neue Anzugtechnologien. Im Winter übe ich Körperkontrolle im Wasser oder mit Balance-Tools. Und ja – mentale Stärke ist das A und O.

Du betonst oft, Speed Skydiving sei auch eine Kopfsache. Was meinst du damit?

Thorsten Morhaus: Der Sprung dauert nur 20 Sekunden – aber da muss alles sitzen. Das ist körperlich intensiv, klar, aber die eigentliche Herausforderung ist mental. Konzentration, Körperspannung, perfekte Position. Ein kleiner Fehler und man verliert sofort 10, 20 km/h. Wir arbeiten deshalb auch mit einem Mentaltrainer zusammen – ohne geht’s nicht mehr.

Finanzierst du dir das alles selbst?

Thorsten Morhaus: Teilweise, denn letztendlich sind wir eine absolute Randsportart. Wettbewerbe werden über den Verband und Sponsoren unterstützt, aber viel zahle ich auch privat. Gerade die vielen Trainingsflüge bei der Southsidebase in Schlierstadt und beim FSC Calw gehen ins Geld. Umso wichtiger sind Unterstützer – oder auch Firmen, die z.B. ein Tandem-Event bei uns buchen. So können wir ein bisschen etwas zurückgeben.

Thorsten Morhaus am Flugplatz. Foto: Dominik Plotz

Ihr seid keine olympische Sportart – nervt das manchmal?

Thorsten Morhaus: Man gewöhnt sich daran, aber klar, es wäre schön, wenn unser Sport mehr Öffentlichkeit hätte. Wir sind beim Deutschen Aero Club organisiert, arbeiten gerade daran, auch über den Deutschen Fallschirmsportverband Mitglied beim DOSB zu werden. Das wäre wichtig für Fördergelder und Nachwuchsarbeit. Aber es ist eben eine Randsportart – wir springen im Hintergrund, liefern Top-Leistungen, und die breite Masse bekommt es kaum mit. Trotzdem geben wir alles – weil wir für diese Leidenschaft brennen.

Wie lange willst du das noch machen?

Thorsten Morhaus: Solange ich beim Bremsen noch grinsen muss, wie ich immer sage. Mein großes Vorbild ist der Belgier Luc Maisien, der mit über 60 noch einen Weltrekord geflogen hat. Ich bin zwar jetzt schon der Älteste im deutschen Team – aber auch immer noch einer der Schnellsten.