Stefanie Megerle – Auf dem Weg zu den World Games 2025
Mit 29 Jahren zählt Stefanie Megerle nicht nur zu den erfolgreichsten Kickboxerinnen Europas, sondern auch zu den erfahrensten. 2024 krönte sich die Öhringerin zur Pointfighting-Europameisterin – ein Meilenstein, der ihr nun die Teilnahme an den World Games 2025 in Chengdu ermöglicht.
Wir haben die Polizistin und Athletin zum Gespräch getroffen und mit ihr über olympische Träume, mentale Hürden, die Herausforderungen ihres Berufsalltags bei der Kripo Heilbronn und ihren Weg von der Grundschülerin zur Weltklassekämpferin gesprochen.

Autor: Lara Auchter

Steffi Megerle gehört zu den erfolgreichsten europäischen Pointfighterinnen. Fotos: Karl Thüring
Steffi, du fährst im August zu den World Games nach China. Wie kam es zu dieser Qualifikation?
Stefanie Megerle: Die World Games sind für uns Kickboxer das Nonplusultra, weil wir bislang nicht olympisch sind. Leider wurde der Antrag, 2028 olympisch zu werden, abgelehnt – aber für die World Games wurden wir schon früher berücksichtigt. Die Qualifikation lief über die Europameisterschaft. Um nach Chengdu reisen zu dürfen, musste man unter die ersten vier kommen, und da ich Europameisterin wurde, hatte ich damit die Quali sicher. Insgesamt treten dort acht Athletinnen an – vier aus Europa und vier aus anderen Kontinenten.
Wie laufen die Vorbereitungen?
Stefanie Megerle: Relativ locker. Ich bin seit Februar in der Wettkampfvorbereitung und hatte jeden Monat ein bis zwei Turniere. Ich habe gelernt, dass weniger Training für mich mehr bringt. Früher habe ich bis zu elf Einheiten pro Woche gemacht, und das war zu viel. Ich war verkrampft, hatte kaum Regeneration, war dauerverletzt. Jetzt trainiere ich drei- bis viermal pro Woche spezifisch Pointfighting, und das wurde zu meinem Erfolgsrezept. Letztes Jahr bin ich damit Europameisterin geworden und dieses Jahr bin ich fast ungeschlagen. Mein Körper und Kopf funktionieren so einfach besser.
Du kämpfst im Pointfighting. Was ist das genau?
Stefanie Megerle: Viele denken bei Kickboxen an brutale K.o.-Schlachten. Pointfighting ist das Gegenteil: schnell, taktisch, technisch. Es ähnelt eher dem Fechten oder Karate. Es geht um saubere Treffer und Punkte. Der Kopf und die Reaktion sind entscheidend und K.o. gibt es selten. Ich liebe diesen Stil – er passt zu mir.
Du bist oft in zwei Gewichtsklassen aktiv – wie funktioniert das?
Stefanie Megerle: Für das Nationalteam muss ich mich auf eine Klasse – bei mir bis 70 kg – festlegen. Bei offenen Turnieren starte ich aber in zwei Klassen: bis 70 kg und plus 70 kg. Viele Gegnerinnen machen das genauso. Klar ist das körperlich anstrengend, aber es bringt mir mehr Kämpfe und damit mehr Erfahrungswerte. Und es gibt mir zwei Chancen auf einen Titel (lacht).
Wie läuft so ein Turnier ab? Ist das alles Show wie bei TV-Kämpfen oder eher sportlich strukturiert und nüchtern?
Stefanie Megerle: Kommt drauf an. Auf den großen Turnieren wie Welt- und Europameisterschaften läuft alles sehr strukturiert ab, mit mehreren Matten und Ringen nebeneinander. Manchmal gibt es auch eine Nightshow mit Einlaufmusik und Scheinwerfern – da wird die Halle dann richtig laut. Da bei den World Games pro Gewichtsklasse nur acht Teilnehmerinnen am Start sind, wird dort jeder Kampf einzeln stattfinden und zelebriert. Das wird schon ein ganz besonderes Erlebnis werden.
Du trainierst in einer Kampfsportschule in Niedernhall. Wie bist du zum Kickboxen gekommen?
Stefanie Megerle: Ganz klassisch: Meine Grundschullehrerin meinte, ich sei zu energiegeladen. Meine Mutter wollte nicht, dass ich Fußball spiele, obwohl ich das gerne gemacht hätte. Also suchte ich mir aus Trotz etwas „Gefährliches“ raus, um meine Mutter doch vom Fußball überzeugen zu können (lacht). Das hat aber nicht funktioniert, denn sie fand Kickboxen tatsächlich eine gute Idee und hat sogar direkt einen Zeitungsartikel mit Infos zu einem Probetraining parat gehabt. Und ich muss zugeben, mich hat es auch sofort gefesselt und ich bin dabeigeblieben – seit inzwischen 22 Jahren.
Du arbeitest hauptberuflich in Heilbronn bei der Kriminalpolizei. Wie lässt sich das mit dem Sport vereinbaren?
Stefanie Megerle: Ich leite bei der Kriminalpolizei in Heilbronn stellvertretend eine Ermittlungsgruppe zur Bekämpfung von Kinderpornografie. Das ist harte Kost, aber ich kann gut zwischen Beruf und Privatleben trennen und wir bekommen auch psychologische Unterstützung, wenn wir sie benötigen. Ich arbeite im Tagdienst mit Gleitzeit – meistens von 6 bis 15:30 Uhr. Dadurch bleibt der Abend fürs Training frei. Seit diesem Jahr bekomme ich für große Turniere sogar Sonderurlaub. Das hilft enorm, denn bisher ging dafür fast mein kompletter Jahresurlaub drauf.
Wie sieht dein Alltag zwischen Training, Beruf und internationalen Wettkämpfen aus?
Stefanie Megerle: Ich stehe früh auf, gehe zur Arbeit und von dort dann an drei Tagen pro Woche ins Training. Am Wochenende bin ich oft auf Turnieren oder mache nochmal eine Trainingseinheit. Klar, das Leben ist durchgetaktet, aber es funktioniert – auch dank meines Teams bei der Polizei und meinem Gym, die mich alle sehr unterstützen. Ohne diese Rückendeckung würde es nicht gehen.
Dein Weg zur Europameisterin war alles andere als leicht…
Stefanie Megerle: Oh ja. Ich war jahrelang im Nationalteam, aber bei großen Turnieren oft früh raus. Ich wurde mehrfach Vize-Weltmeisterin und habe dort Jahr für Jahr die Finalkämpfe verloren. Bei Europameisterschaften war ich sogar lange weit weg vom Finale und bin meist gleich in der ersten Runde rausgeflogen. Ich habe ehrlich gesagt oft ans Aufhören gedacht und bin verzweifelt, weil es bei den Saisonhöhepunkten einfach nicht klappen wollte. Mit mentalem Training habe ich es aber geschafft, das zu drehen. Ich habe 2024 erstmals das EM-Finale erreicht und konnte direkt den Titel holen.
Das mentale Training war also der Gamechanger?
Stefanie Megerle: Absolut. Ich hatte viele Jahre trotz guter Vorbereitung früh verloren – weil ich mich mental blockiert hatte. Zu hohe Erwartungen und zu viel Druck, meist von mir selbst. Erst durch gezieltes Mentaltraining, sowie Atemtechniken und einen entspannteren Umgang mit Niederlagen habe ich gelernt, befreit zu kämpfen. Jetzt läuft es und mein Kopf ist endlich auf meiner Seite.
Arbeitest du mit Mentalcoaches?
Stefanie Megerle: Ja, einer unserer Bundestrainer hat sich in diesem Bereich weitergebildet und bietet regelmäßig Zoom-Sessions an, bei denen wir mentale Schwerpunkte bearbeiten. Ich habe auch viele Bücher gelesen – z. B. „Tennis – Das innere Spiel“. Da steckt viel über Leistungsdruck und mentale Stärke drin, was man auch auf andere Sportarten übertragen kann.
Du arbeitest auch seit kurzem mit dem Neuroathletik-Trainer Patrick Keicher aus Erlenbach zusammen. Was genau macht ihr da?
Stefanie Megerle: Neuroathletik ist teilweise richtig schräg (lacht). Wir trainieren mit Augenklappen, Uno-Karten, sensorischen Reizen, peripherem Sehen – klingt komisch, funktioniert aber. Ich hatte schon längere Zeit Probleme mit der Leiste. Patrick hat mit gezielten Übungen die Schmerzen nahezu verschwinden lassen. Auch mein Gleichgewicht und meine Reaktion haben sich verbessert. Es ist verrückt, wie viel Einfluss das Gehirn hat.
Endlich ein internationaler Titel: Steffi Megerle nach ihrem EM-Titel 2024.
Du machst deinen Sport rein als „Amateur“ – verdienst also kein Geld damit. Wie finanziert man jahrelang eine solche Karriere?
Stefanie Megerle: Es ist schwierig. Pro Turnier rechne ich mit 500 bis 600 Euro, die für Reise, Hotel, Startgebühren etc. anfallen. Bei zwei bis drei Turnieren im Monat bist du schnell bei über 1.000 Euro. Ich habe Unterstützung durch meinen Ausrüster Top Ten und über das Gym. Aber große Sponsoren fehlen, da das Kickboxen allgemein leider ein negatives Image hat. Da fehlt es noch an Aufklärung über unseren Sport – und natürlich an Reichweite.
Was wünschst du dir für die Zukunft des Kickboxens?
Stefanie Megerle: Mehr Anerkennung und mehr Sichtbarkeit. Kickboxen ist nicht aggressiv. Es ist ein faszinierender Sport, in dem es um Technik, Reaktion und Disziplin geht. Ich hoffe, dass wir irgendwann olympisch werden. Bis dahin geben wir alles, um den Sport auf die große Bühne zu bringen – wie jetzt bei den World Games.
Was erhoffst du dir von den World Games in Chengdu?
Stefanie Megerle: Ich werde erstmal alles aufsaugen. Die Atmosphäre, das Niveau, das Miteinander. Ich war noch nie in Asien und vor allem nicht bei einem so großen Multisport-Event. Das wird sicher eindrucksvoll. Und klar – eine Medaille wäre schön, auch am liebsten in Gold. Aber diesmal gehe ich befreit in meinen Wettkampf rein, ganz ohne Druck. Das ist mein größter Trumpf.
Zum Abschluss: Was bedeutet dir der Sport – nach all den Jahren?
Stefanie Megerle: Er ist ein Teil von mir. Ich hatte Phasen, in denen ich verletzungsbedingt nicht trainieren konnte, und da wusste ich plötzlich nicht mehr, wer ich bin. Kickboxen hat mich geprägt – meinen Ehrgeiz, meine Disziplin, mein Selbstverständnis. Ich weiß, ich kann jederzeit aufhören, aber im Moment macht es einfach noch zu viel Spaß.