RSV Concordia Erlenbach – Kunstradfahren der Extraklasse
Seit nunmehr 100 Jahren hat sich der RSV Concordia Erlenbach sowohl national als auch international einen großen Namen in der Kunstradsport-Szene gemacht. Der Radsportverein ist aus der Gemeinde Erlenbach im Landkreis Heilbronn nicht mehr wegzudenken und Jahr für Jahr werden weitere Titel und Medaillen eingefahren. So konnten die Sportlerinnen und Sportler in unterschiedlichsten Disziplinen über die Jahre nicht nur Deutsche Meistertitel mit nach Hause bringen, sondern ebenfalls Europa- und Weltmeistertitel. Doch was genau macht den Sport aus und was macht der RSV Erlenbach mit seinen 300 Mitgliedern anders als andere Vereine? Dies und mehr haben uns die beiden Vorstandsmitglieder Elena Halter und Wolfgang Kerner bei unserem Besuch in der Sulmtalhalle berichtet.
Autor: Lara Auchter
Nachwuchstraining in der Sulmtalhalle. Fotos: Thomas Kircher
Kunstradfahren ist eine Hallensportart, bei der Athleten auf speziell konstruierten Fahrrädern eine Reihe von kunstvollen und anspruchsvollen Tricks und Figuren präsentieren. Dies erfordert eine hohe technische Fertigkeit, Gleichgewicht, Kraft und Koordination. Die Ursprünge des Kunstradfahrens reichen bis ins späte 19. Jahrhundert zurück, als Zirkuskünstler und Akrobaten auf Hochrädern verschiedene Kunststücke und Tricks vorführten und damit den Grundstein für das legten, was später als Kunstradfahren bekannt wurde.
Mit zunehmender Popularität des Kunstradfahrens wurden in den 1920er Jahren standardisierte Regeln entwickelt, die die Durchführung regelmäßiger Wettbewerbe ermöglichten. Während des 20. Jahrhunderts entwickelte sich das Kunstradfahren weiter und gewann an Komplexität und Vielfalt. Internationale Meisterschaften und Wettbewerbe wurden ins Leben gerufen. Deutschland, als eine der führenden Nationen im Kunstradfahren, produzierte viele herausragende Athleten und dominierte oft die internationalen Wettbewerbe, einige davon hatten ihre Heimat beim RSV Erlenbach.
„Wir haben eine traditionsreiche Geschichte und sind einer der erfolgreichsten Kunstradvereine in Deutschland. Seit den 1970er Jahren gewannen unsere Athleten regelmäßig Titel und Medaillen bei Welt-, Europa- und Deutschen Meisterschaften. Darauf sind wir sehr stolz“, erzählt Verwaltungsvorstand Wolfgang Halter. Besonders in der Nachwuchsarbeit war der RSV immer Vorreiter und setzt auch heute noch den Fokus darauf, wie Trainerin Elena Halter betont: „Die Jugendarbeit und Nachwuchsförderung war immer ein wichtiger Baustein des Erfolges. Wir haben im Verein viele Kinder und Enkelkinder von ehemaligen erfolgreichen Kunstradfahrern und bieten neben Breitensporttraining auch bis zu viermal pro Woche Sondertraining für Wettkampfathleten an.“
Eines hat dabei Priorität: „Uns ist es wichtig, den Kindern zuerst den Spaß am Sport beizubringen, bevor es in den Leistungsbereich übergeht. Bei uns brauchen die Kinder auch keine Ausrüstung oder müssen viel Geld in die Hand nehmen, denn die Ausrüstung wird vom Verein bezahlt. Wichtig sind der Spaß und die Motivation, aufs Kunstrad zu steigen und mit einem Lächeln ins Training zu kommen.“
Amalia und Ulrike präsentieren das 2er-Kunstradfahren auf einem Rad.
Die angesprochene Ausrüstung besteht beim Kunstradfahren aus dem Rad, das bis zu 3.000 Euro kosten kann, sowie aus Reifen und Rahmen, die aufgrund des hohen Verschleißes regelmäßig ausgetauscht werden müssen. Die Einnahmen, um die Ausrüstung finanzieren zu können, kommen hauptsächlich über den RSV-Stand beim Erlenbacher Weinfest, sowie weiteren kleineren Veranstaltungen, die der RSV übers Jahr hinweg durchführt.
Zur Zeit sind beim RSV Erlenbach rund 20 Nachwuchssportlerinnen und -sportler zwischen fünf und 18 Jahren in der Breitensportgruppe aktiv, die von drei ehrenamtlichen Trainern betreut wird. Davon sind sechs aktuell in verschiedenen Landeskadern aktiv. Die älteste aktive Sportlerin im Erwachsenenbereich ist 28. Auf die Frage hin, in welchem Alter man am besten mit dem Kunstradfahren beginnt, entgegnet Trainerin Elena Halter: „Am besten im Grundschulalter, zwischen sechs und acht Jahren, wenn die Kinder schon sicher Fahrradfahren können und eine gewisse Konzentrationsfähigkeit mitbringen“. Aber auch ältere Kinder sind jederzeit willkommen und können trotzdem noch gut in den Kunstradsport einsteigen.
Im Kunstradfahren gibt es verschiedene Disziplinen:
Beim Einer-Kunstradfahren führt ein einzelner Athlet eine Reihe von Tricks und Figuren auf dem Kunstrad vor. Diese Disziplin erfordert hohe technische Präzision, Gleichgewicht, Kraft und Kreativität. Die Athleten haben eine festgelegte Zeit von fünf Minuten, in der sie ihre Kür präsentieren. Die Leistung wird nach Schwierigkeitsgrad und Ausführung bewertet.
Im Zweier-Kunstradfahren treten zwei Athleten gemeinsam an und präsentieren synchronisierte Tricks und Figuren auf entweder einem oder zwei Kunsträdern. Diese Disziplin erfordert Teamwork, Synchronität, technische Fertigkeit und gegenseitiges Vertrauen. Bei der Bewertung steht neben der Schwierigkeit und Ausführung der Elemente auch die Synchronität beider Fahrer im Fokus.
Bei den Mannschaftsdisziplinen, müssen mehrere Athleten gemeinsam eine Choreografie auf ihren Kunsträdern vorführen. Es gibt im Kunstradsport Vierer- und Sechser-Teams. Dabei steht höchste Präzision, Koordination und Teamarbeit im Vordergrund. Die Darbietungen sind oft sehr komplex und beinhalten eine Vielzahl von Formationen und Wechsel. Bei der Bewertung kommt es besonders auf die synchrone Fahrweise der Athleten an.
Ob ein Kind besser als Einzelsportler oder als Teil eines Teams geeignet ist, wird schon in jungen Jahren entschieden. Dabei kommt es auf verschiedene Faktoren, wie beispielsweise das zukünftige Wachstum des Kindes, an. „Alle Kinder starten auf dem Einzelrad und lernen dort erstmal die Grundlagen. Figuren wie der Handstand auf dem Lenker brauchen ein paar Jahre, bis man sie sicher beherrscht. Erst wenn die Kinder zehn oder elf Jahre alt sind, schauen wir, wer bei Größe und sportlichem Niveau zusammenpasst, und bilden so entweder ein Zweierteam oder sogar eine Mannschaft“, führt Vorstand Wolfgang Kerner aus.
Der RSV hat als reiner Kunstradverein einen Vorteil gegenüber anderen Vereinen, was auch die aktuellen Aushängeschilder perfekt widerspiegeln. „Die Geschwister Simon und Sophia Halter sind zurzeit definitiv unsere Ausnahmetalente. Beide haben bei uns das Kunstradfahren gelernt und haben hier die Möglichkeit gehabt, sportlich immer weiter zu wachsen und nun zu den Besten zu gehören. Sophia ist in der Schülerklasse dieses Jahr deutsche Vizemeisterin geworden. Und Simon hat in diesem Jahr den deutschen Meistertitel geholt und wurde jetzt mit 16 Jahren Vize-Europameister im Einzel“, so Elena Halter.
Internationale Wettbewerbe – das kann der RSV. Neben zahlreichen erfolgreichen Sportlern, früher wie heute, ist die heimische Sulmtalhalle auch regelmäßig Austragungsort internationaler Wettkämpfe, wie z.B. dem UCI Artistic Cycling World Cup Finale 2022, das zahlreiche Weltklasse-Athleten aus verschiedensten Ecken der Welt in Erlenbach willkommen hieß.
Der RSV Erlenbach bleibt – auch 100 Jahre nach der Gründung – ein Leuchtturm im Kunstradfahren und setzt Maßstäbe in der Ausbildung und Unterstützung von Kunstradsportlern. Die kontinuierlichen Erfolge des Vereins und seiner Athleten spiegeln das hohe Niveau und die Qualität der Trainingsarbeit wider und repräsentieren die Sportart Kunstrad nicht nur in der Region auf beste Art und Weise.
Vize-Europameister Simon Halter beim Training.