Nick Bangert: Der Heilbronner Local Hero für einen Tag
Autor: Lara Auchter
Selbst der „Endgegner“ Jägerhausbuckel schaffte es nicht, das breite Grinsen aus Nick Bangerts Gesicht zu vertreiben. Foto: Thomas Kircher
Die besten Geschichten schreibt das Leben. Selbst der kreativste Autor wäre ob der Dramaturgie dieses 22. August 2024 erblasst, an dem die Lidl Deutschland Tour mit ihren 120 Radprofis nach Heilbronn kam. Auf der ersten Etappe von Schweinfurt nach Heilbronn hatte sich ein junger Fahrer im schwarz-gelben Trikot des Teams „Lotto Kern-Haus PSD-Bank“ gemeinsam mit zwei Kontrahenten vom Feld abgesetzt. Als im Zielbereich an der Theresienwiese die ersten Bilder des Ausreißertrios auf den großen Leinwänden zu sehen waren, sprach sich wie ein Lauffeuer herum, dass da „ein Heilbronner“ dabei ist. Als dieser dann 29 km vor dem Ziel an einer Steigung einen weiteren Angriff startete und fortan bis nach Heilbronn hinein allein das Feld anführte, waren alle entlang der Strecke elektrisiert. Auch wenn er 16 km vor dem Ziel, kurz nach der Kreuzung Ost-/Karlstraße, von den anderen eingeholt wurde – „der Heilbronner“ Nick Bangert war drei Tage vor seinem 20. Geburtstag der Local Hero und konnte in vollen Zügen die ungewohnte Aufmerksamkeit genießen. Dreieinhalb Wochen nach seinem „Husarenritt“ schaute der Horkheimer dann bei der SPORTHEILBRONN-Redaktion vorbei, um von seinem großen Tag zu berichten.
Nick, im Herbst 2022 hatten wir in Ausgabe 26 erstmals über dich als damals 18-Jährigen berichtet, als du gerade Deutscher U19-Meister am Berg geworden warst. Seither hat sich viel bei dir getan. Gib uns doch mal einen Einblick in deine letzten beiden Jahre…
Nick Bangert: Seit 2022 habe ich definitiv einen Schritt nach vorne gemacht. Neben der Radbundesliga, in der ich die Nachwuchsfahrerwertung gewonnen habe, bin ich auch einige Ländertouren gefahren. Dazu wurde ich unter anderem bei den Deutschen Meisterschaften 2023 im Mannschaftszeitfahren Dritter und in diesem Jahr sogar Deutscher Vizemeister. Es waren zwei richtig gute Jahre für mich, besonders jetzt mit dem Highlight Deutschland Tour 2024.
Kommen wir doch direkt zur Lidl Deutschland Tour: Du hast auf der ersten Etappe als Ausreißer überraschend das Fahrerfeld als Erster nach Heilbronn geführt. Wie war das für dich?
Nick Bangert: Das war unglaublich. Ich kannte natürlich die Strecke in- und auswendig, was mir dabei sehr zu Gute gekommen ist. Es war wirklich das absolute Highlight und ich hätte nicht gedacht, dass es tatsächlich klappen würde und ich diesen Moment in meiner Heimatstadt erleben darf.
Wie bist du das Rennen angegangen? Wann hast du entschieden, nach vorne zu gehen?
Nick Bangert: Ich habe sehr früh im Rennen gemerkt, dass sich eine Gruppe absetzen wollte, und ich habe so gut es geht versucht, in Schlagdistanz zu bleiben. Da war auch viel Glück dabei, da ich eine gute Position mit freier Fahrt nach vorne hatte. So habe ich mein Team gefragt, ob ich zu der Ausreißergruppe aufschließen darf. Aufgrund meiner Streckenkenntnis wusste ich ganz genau, wo ich Gas geben muss und wo ich mich ein wenig entspannen kann. Das war mein Vorteil, vor allem an den Anstiegen. Als wir noch zu dritt vorne waren, habe ich an einem weiteren Anstieg auf den richtigen Moment gewartet und konnte mich dann von den anderen Fahrern absetzen. Die folgende Abfahrt war ich schon x-mal gefahren und mir war klar, dass dort keiner schneller als ich sein würde. So konnte ich direkt einen Vorsprung vor den anderen herausholen und alleine nach Heilbronn fahren, ehe ich kurz vor Etappenende auf der Karlstraße erwartungsgemäß vom Pulk eingeholt wurde. Die Masse an Zuschauern hat mich aber schon ziemlich getragen und ich muss zugeben, ohne die ganzen Fans und die sicht- und hörbare Begeisterung am Streckenrand hätte ich es wahrscheinlich nicht so lange durchgehalten. Es war das Beste und Tollste, was ich bisher im Radsport erleben durfte – definitiv ein einmaliges Erlebnis.
Foto: Lotto Kern-Haus
Danach wurdest du wahrscheinlich mit Glückwünschen überhäuft…
Nick Bangert: Ja, ich habe noch nie so viele Nachrichten bekommen (lacht). Als ich noch unterwegs war und in die Stadt reinfuhr, habe ich an der Strecke so viele Personen gesehen, die ich kannte, und ich war beim Zieleinlauf total geflasht von der Menschenmenge. Ich persönlich hatte nicht erwartet, dass die Deutschland Tour so gut bei uns ankommt. Ich wusste für kurze Zeit wirklich nicht, was mit mir passiert, so viele Leute wollten etwas von mir. Das war schon überwältigend.
Die Tour hat in Heilbronn wirklich eine Welle der Begeisterung losgetreten. Da warst du nicht gerade unschuldig daran…
Nick Bangert: Es war krass. Letztendlich bin ich mit über fünf Minuten Rückstand im Ziel angekommen, wurde aber empfangen wie der Sieger. Als ich mich durch das Getümmel und die Fans gekämpft habe, standen dann plötzlich ARD und ZDF bei uns am Teambus und wollten mich interviewen. Die Aufmerksamkeit war schon sehr groß, auch in den sozialen Medien durch den Beitrag auf sportstudio.de. Ich denke, das Event hat mal wieder gezeigt, dass Sport in Heilbronn gut ankommt und die Leute mehr sehen wollen. Die Stimmung war überragend und sie hat das ganze Erlebnis noch schöner gemacht.
Dass du bei der Deutschland Tour teilnehmen wirst, hast du sehr spät erfahren, und es wurde auch erst kurz vor Tourstart öffentlich…
Nick Bangert: Es wusste letztendlich keiner so wirklich, dass ich mitfahre. Ich habe es natürlich meiner Familie und meinem engsten Kreis erzählt, da die Tour mit Etappenziel und Etappenstart in Heilbronn schon etwas Besonderes war. Ich habe es Anfang August, also drei Wochen vorher, erfahren, als ich zu meinem jetzigen Team gewechselt bin.
Dein jetziges Team Lotto Kern-Haus PSD-Bank ist ein Continental Team. Was steckt da dahinter?
Nick Bangert: Ein Continental Team steht eine Stufe unter den World Teams, den Mannschaften, die man aus dem Fernsehen und von den großen Touren kennt. Team Lotto Kern-Haus ist aber Kooperationsteam von Red Bull-Bora Hansgrohe und hat somit einen Mix aus guten, erfahrenen Fahrern und jungen Talenten, die aufgebaut werden. Es gibt eigentlich kein besseres Conti-Team in Deutschland. Ich wurde natürlich ein bisschen ins kalte Wasser geworfen, habe aber viele Tipps von den Älteren bekommen, die mich auch ein wenig an die Hand genommen haben.
Das ist schon ein toller Aufstieg für dich, und die Deutschland Tour wird vermutlich nicht deine letzte große Tour sein, oder?
Nick Bangert: Nein, natürlich nicht. Mit meinen früheren Teams bin ich bereits viele Rundfahrten in Polen, Tschechien und Österreich gefahren. Das waren tolle Rennen, aber die kannst du nicht mit beispielsweise dem Giro Next Gen – dem Giro d‘Italia für U23-Fahrer – vergleichen, den Teams wie Lotto Kern-Haus gefahren sind. Zum Ende der Saison war ich im Oktober noch bei der U23 Lombardei-Tour dabei, also einem weiteren großen Rennen.
Wie bist du zu Team Lotto Kern-Haus gekommen? War die Deutschland Tour schon immer auf dem Plan für dieses Jahr?
Nick Bangert: Ich wollte unbedingt die Deutschland Tour fahren, weil sie durch meine Heimatstadt Heilbronn ging und ich nicht weiß, ob dies jemals wieder in meiner Karriere der Fall sein wird. Deshalb hat mein Management mit dem Team Kontakt aufgenommen. Es hat dann auch geklappt, und somit war von Anfang an klar, dass ich für Lotto Kern-Haus die Deutschland Tour fahren werde.
Das große Highlight war natürlich die Einzelfahrt an der Spitze nach Heilbronn hinein. Wie lief die Tour sonst für dich?
Nick Bangert: Die Beine haben schon sehr wehgetan. Ich hatte nicht die längste Vorbereitung und war zuvor auch bereits viele Rennen gefahren. Ich muss auch zugeben, dass ich mich auf der ersten Etappe schon ziemlich abgeschossen habe. Aber das war es mir wert, weil mein Ziel schon war, in einer guten Position nach Heilbronn reinzufahren. Die Etappen danach waren anstrengend, besonders über die Schwäbische Alb, und die Profis haben schon echt Gas gegeben und sind brutal gut gefahren. Es hat aber Spaß gemacht und ich hätte es mir letztendlich nicht besser erträumen können.
Wie hast du kurz nach dem Rennen die Ereignisse verarbeitet? Konntest du überhaupt schlafen?
Nick Bangert: Ja, ich konnte schon schlafen. Ich war ziemlich kaputt von dem Tag. Letztendlich konnte ich, sobald wir im Teambus saßen und das ganze Spektakel vorbei war, direkt runterkommen. Wir sind ins Teamhotel gefahren, das leider 35 km von Heilbronn entfernt in Sulzbach an der Murr war, was ich übrigens sehr schade fand. Dort hatten wir dann noch Physiotherapie und Teambesprechung und haben uns danach ziemlich schnell in die Zimmer verzogen. Dort habe ich erstmals die ganzen Nachrichten gesehen und konnte den Tag Revue passieren lassen. Die Teamvorstellung vor dem Start am nächsten Tag auf dem Kiliansplatz war dann auch nochmal etwas Besonderes. Ich denke, jetzt kann ich mit gewissem Abstand sagen, dass es definitiv das bisherige Highlight meiner Karriere war und ich mich auf viele weitere freue.
Die Lidl Deutschland Tour – ein sportlicher Segen für Heilbronn
Als mit dem NECKARCUP und dem Hochsprung-Meeting auf dem Marktplatz die eigentlichen sportlichen Heilbronner Highlights bereits durch waren, brachte die Lidl Deutschland Tour nochmal ein ganz besonderes Flair in die Stadt. Schon Stunden, bevor mit dem Italiener Jonathan Milan der punktbeste Sprinter des Giro d‘Italia von 2023 und 2024 als Erster an der Theresienwiese ins Ziel schoss, tummelten sich Menschenmassen um den Zielbereich, um das Rahmenprogramm der Tour mitzuerleben. Am nächsten Mittag war der Kiliansplatz bei der Vorstellung der Teams und Teilnehmer rappelvoll, ehe sich das Feld von der Kirchbrunnenstraße aus über Neckarsulm und Erlenbach auf den Weg nach Schwäbisch Gmünd machte. Für die Stadt war die Deutschland Tour ein Segen und man würde sich wünschen, dass sich die Heilbronner künftig auf mehr Großevents dieses Kalibers freuen können.
Foto: Giulietta Rhein – Jonathan Milan (rechts) bejubelt seinen Etappensieg.