Mirko Grosche – Judo-Meistertrainer aus Flein
Mirko Grosche wurde als aktiver Judoka einst DDR-Jugendmeister und trainierte mit den Besten der Welt in der Nationalmannschaft. Heute, mit 55 Jahren, ist er es, der die Besten der Welt trainiert. Und dennoch ist der Wahl-Fleiner in der Unterländer Sportszene ein eher unbeschriebenes Blatt. Im zarten Alter von 21 Jahren hatte sich der gebürtige Dresdener entschieden, seine aktive Laufbahn zu beenden – drei Kreuzbandrisse waren einfach zu viel. Es folgte eine beispiellose Trainerkarriere, die mit dem Umzug in den Westen begann und momentan in der Zusammenarbeit mit den besten Judoka des Landes ihren Höhepunkt findet. Seine Athletinnen, wie z.B. Katharina Menz, Anna-Maria Wagner und Alina Böhm, erkämpften sich schon Olympia-Medaillen, Welt- und Europameistertitel, Deutsche Meisterschaften und unzähliges internationales Edelmetall. Wir haben uns mit dem Cheftrainer der ARGE Judo Baden-Württemberg zum gemeinsamen Frühstück getroffen, um über seine eigene sportliche Karriere, seinen besonderen Weg ins Traineramt, die prägenden Unterschiede zwischen den Sportsystemen in der DDR und in Westdeutschland, sowie die Etablierung des erfolgreichen Judo Top-Teams Baden-Württemberg zu sprechen. Text: Lara Auchter
Autor: Lara Auchter
Fotos: Lorraine Hoffmann
Mirko, du wohnst in Flein, dein Dialekt verrät aber, dass du eher ein „Neigschmeckter“ bist. Wie sieht denn dein persönlicher und beruflicher Background aus?
Mirko Grosche: Ursprünglich komme ich aus Dresden. Mit 13 Jahren bin ich dann nach Leipzig an die Kinder- und Jugendsportschule gewechselt und habe dort mein Abitur gemacht. Danach blieb ich in Leipzig und studierte Sportwissenschaften – das hieß damals noch Diplom-Sportlehrer – mit dem Schwerpunktfach Judo. Ich bin letztendlich als Pädagoge ausgebildet worden, um Sportler zu unterrichten.
Wie bist du zum Judo gekommen?
Mirko Grosche: Zum Sport kam ich durch meine beiden Schwestern, die auch Judo gemacht haben. Ich war dann in einer Betriebssportgemeinschaft (BSG) in Dresden und wurde mit 11 Jahren von einem Trainer des Landestrainingszentrums (TZ) Dresden angesprochen, ob ich einmal die Woche vorbeischauen möchte. In der BSG waren ehrenamtliche Trainer beschäftigt und ich merkte recht schnell, dass sie mich nicht weiterbringen können. Also traf ich als Kind die wichtige Entscheidung, ans TZ zu wechseln und den Weg in den professionellen Judosport zu gehen.
Dann ging es nach Leipzig…
Mirko Grosche: Ja genau, durch das TZ bin ich dann an die Kinder- und Jugendsportschule gekommen. Das war etwas Besonderes, da es nicht so leicht war, dort einen Platz zu bekommen.
Dies war der Startschuss deiner eigenen aktiven Judokarriere. Was hast du alles erreicht?
Mirko Grosche: Ich war DDR-Jugendmeister und habe mich auch für die prestigeträchtigen „Jugendwettkämpfe der Freundschaft“ qualifiziert. Dann habe ich mir aber leider das Kreuzband gerissen. Ich war auch für kurze Zeit in der Nationalmannschaft. Weil es damals in der DDR keine Junioren-Nationalmannschaft gab, durfte ich mit den Profis trainieren, mit Weltklasse-Judoka und Olympiasiegern. Danach ging es mit dem Verletzungspech weiter und ich erlitt meine Kreuzbandrisse zwei und drei. Danach musste ich mich entscheiden, ob ich meine aktive Karriere mit dem Risiko einer weiteren Knieverletzung fortsetze oder meine Trainerkarriere beginne.
Bekanntlich folgte dann der Beginn der Trainerkarriere.
Mirko Grosche: Genau, mit 21 Jahren habe ich mich entschieden nicht weiterzumachen. Ich habe damals das Angebot bekommen als Trainer zu arbeiten, obwohl ich dies im DDR-System eigentlich gar nicht durfte, da ich noch kein abgeschlossenes Studium hatte. Ich habe erstmal im Jugendbereich gearbeitet und eine Schulklasse bis zum Abschluss geleitet.
Wie kam es dazu, dass du den Schritt in den Westen, nach Baden-Württemberg, gegangen bist?
Mirko Grosche: Ich hatte in Leipzig keine feste Trainerstelle und eine ungewisse Zukunft, besonders als nach der Wende viele Trainer entlassen wurden. Dann kam hier aus Baden-Württemberg das Angebot. Man hatte Anfang der 1990er-Jahre eine Trainer-Offensive gestartet, um den Leistungssport zu professionalisieren. Mein ehemaliger Trainer Wolf-Rüdiger Schulz aus Leipzig war schon hier und hat mich gefragt, ob ich auch herkommen möchte. Ich habe dann einen Vierjahresvertrag unterschrieben und es ging los (lacht).
Das war nur kurze Zeit nach der Wende. Die Umgewöhnung von der „alten DDR-Schule“ in den Westen war bestimmt nicht leicht …
Mirko Grosche: Ich kam 1993 nach Baden-Württemberg, da gingen die meisten, die direkt nach der Wende gekommen waren, schon wieder zurück in den Osten. Ich hatte aber kein Problem mit der Sozialisierung, vor allem da ich im Sport offene Türen eingerannt bin und überall willkommen war. Die Sportler wollten mit mir zusammenarbeiten und professionell betreut werden, die sportlichen Ziele waren auch dieselben. Deswegen haben wir uns super verstanden. Es war eine schöne Erfahrung für mich.
Was war der größte Unterschied zwischen Ost und West, mit dem du umgehen musstest?
Mirko Grosche: Nach der Wende war plötzlich alles freiwillig. Es konnte jeder umherreisen und man musste dafür nichts Besonderes mehr geleistet haben. Dadurch ging im Osten die Motivation von vielen jungen Athleten verloren, auch weil man sie in den kollidierenden Systemen nicht richtig unterstützt hat. In der DDR war der Erfolg Pflicht. Eine gewisse Leistung wurde immer erwartet und darauf wurde spezifisch hingearbeitet. Im Westen gab es dagegen hoch motivierte Athleten, die von sich aus entschieden haben, dass sie ihr Hobby professionell betreiben wollen. Erfolg war keine Pflicht und in gewisser Weise war auch kein Druck dahinter. Der Druck ist in Deutschland inzwischen jedoch wieder größer geworden, da Sportler durch die Bundeswehr oder die Polizei finanziell abgesichert sind, dafür aber auch Leistung bringen müssen. Der Druck kommt hier also, wenn finanzielle Mittel dahinterstecken. In der DDR war das Geld an sich kein Problem. Dafür war man aber seinen Job los, wenn sich kein Erfolg einstellte. Sportler und Trainer wurden auch entlohnt und wertgeschätzt, wenn sie erfolgreich waren. Diese Wertschätzung fehlt mir hier in der heutigen Zeit.
Wo bist du nach deiner Ankunft in Baden-Württemberg gestartet?
Mirko Grosche: Damals war Sindelfingen auch schon Bundesstützpunkt, also war ich von Anfang an dort aktiv. Ich sollte aber auch den Landesstützpunkt in Karlsruhe mit abdecken, und so war ich jeweils dreimal die Woche in Sindelfingen und zweimal in Karlsruhe beim Training. Ich hatte eigentlich vor, in Pforzheim eine Wohnung zu suchen. Meine damalige Freundin arbeitete aber in Böblingen und somit zogen wir dorthin. Später fiel Karlsruhe weg, es kam aber der Olympiastützpunkt (OSP) in Stuttgart dazu. Dort sind wir zwar super ausgestattet, dennoch sind zwei Trainingsstätten nicht ideal, da wir zwischen Sindelfingen und Stuttgart pendeln. 2025 bekommen wir aber direkt am OSP einen neuen Campus, der dann der Bundesstützpunkt Judo und unsere einzige Trainingsstätte sein wird.
Wie kam es dann dazu, dass du dich im Landkreis Heilbronn in Flein niedergelassen hast?
Mirko Grosche: Meine jetzige Partnerin kommt aus der Region. Damals wurde uns von ihren Eltern ein Bauplatz in Flein angeboten. Nach reichlicher Überlegung haben wir uns entschieden, dort unser Eigenheim zu bauen. Also zogen wir 2007 nach Flein, um den Bau aus der Nähe zu verfolgen. 2010 war das Haus dann fertig.
Beschreibe uns deinen Werdegang als Trainer. Du hast Spitzenathleten geformt. Wie hast du das geschafft?
Mirko Grosche: Ich wurde 2017 Cheftrainer der ARGE Baden-Württemberg. Davor war ich lange Jugendtrainer. Als ich angefangen habe, gab es noch keine internationalen Meisterschaften im Jugendbereich. Die kamen erst später dazu. Ich habe immer in Richtung Zukunft gearbeitet und die Basis dafür gelegt, dass die Athleten im Seniorenbereich erfolgreich sein können. Ich fand das gut, weil man dann nicht den Druck hatte, bei Meisterschaften erfolgreich sein zu müssen. Andere Länder sahen das aber anders, und so wurden u.a. U21- und U23-Meisterschaften eingeführt. Wir konnten dort aber gut abschneiden, haben eigentlich immer internationale Medaillen im Juniorenbereich geliefert und konnten zeigen, dass es unter unseren Bedingungen möglich ist, internationale Spitzenleistungen und Titel zu erringen. Als es 2017 jedoch darum ging, Sindelfingen als Bundesstützpunkt zu erhalten, mussten auch im Erwachsenenbereich Titel her.
Mirko Grosche und seine Top-Team Athletinnen (stehend von links) Alina Böhm (Europameisterin), Katharina Menz (Vizeweltmeisterin), Lea Schmid (Vizeeuropameisterin U23) und vorne Anna-Maria Wagner (Olympia-Dritte und Weltmeisterin).
So kam dann das Judo Top-Team Baden-Württemberg zustande…
Mirko Grosche: Ja genau. Ich wollte Sportler haben, die nicht nur bei uns ausgebildet werden und im Profibereich dann mit anderen Stützpunkten erfolgreich sind, sondern Athleten, die an unserem Stützpunkt und mit unseren Trainern in Baden-Württemberg Erfolge feiern. Auch hat der Deutsche Judo-Bund zu wenige finanzielle Mittel, um alle Athleten ausreichend zu fördern. Dort kann man über alle Gewichtsklassen hinweg pro Wettkampf nur sechs bis maximal acht Topsportler fördern, die anderen bleiben auf der Strecke. Deshalb müssen wir als Region unsere Sportler selbst unterstützen und Landesmittel einsetzen. Es war schon immer meine Intention, dass wir den besten Sportlern Baden-Württembergs zusätzlich zur Förderung vom deutschen Judo-Bund finanziell unter die Arme greifen. Das Top-Team ist für mich auch eher ein Ehrenamt. Es macht einfach Spaß, mit diesen Spitzensportlern zu arbeiten.
Hast du ein Erlebnis als Trainer, das dir besonders in Erinnerung geblieben ist? Und hat ein Erfolgstrainer wie du noch Ziele?
Mirko Grosche: Ich war im letzten Olympia-Zyklus viel mit der Nationalmannschaft unterwegs und habe mit den Topathletinnen zusammengearbeitet. Der Weltmeistertitel von Anna-Maria Wagner 2021 war schon ein echtes Highlight, und es macht mich stolz, dass wir das gemeinsam geschafft haben. Mein Ziel ist es, auf jeden Fall bei den Olympischen Spielen in Paris 2024 dabei zu sein, da es ja in Tokio nicht geklappt hat. Jetzt bin ich beim Landessportverband angestellt und hätte deshalb eigentlich keine Berechtigung, um dabei zu sein, aber es werden dennoch nationengebundene Tagesakkreditierungen ausgestellt. Ich denke, dass ich über diesen Weg dann dennoch als Trainer an den Wettkampftagen von Anna-Maria Wagner, Alina Böhm und Katharina Menz dabei sein kann. Das wäre mein Wunsch.