Antje Döll & Thomas Zeitz: Aufschwung bei der Sport-Union Neckarsulm
Nach suboptimalen Saisonstarts in den letzten Jahren sind die Bundesliga-Handballerinnen der Sport-Union Neckarsulm erfolgreich in die Saison 2025/26 gestartet. Einer der Erfolgsfaktoren: Antje Döll, die Kapitänin der deutschen Handball-Nationalmannschaft, die vom insolventen HB Ludwigsburg nach Neckarsulm gewechselt ist.
Wir haben uns mit der 37-Jährigen getroffen, um mit ihr über ihren Wechsel und den Traum von einer erfolgreichen Heim-WM (26.11. bis 14.12.2025) zu sprechen. Mit dabei war auch SUN-Coach Thomas Zeitz, der uns unter anderem von den Faktoren für den erfolgreichen Saisonstart in die neue Saison berichtet hat.

Autor: Lara Auchter

Ein jubelndes Neckarsulmer Team soll es künftig öfter geben. Fotos: Larissa Eisele (4)
Thomas, Neckarsulm stand nach den ersten Spieltagen plötzlich dort, wo der Verein noch nie stand. Was hat den Ausschlag dafür gegeben, dass das Team mit 6:2 Punkten in die Saison gestartet war?
Thomas Zeitz: Das war das Resultat von Arbeit, guter Mannschaftsentwicklung und ein bisschen Glück. Dass sich in Neckarsulm einige Leute gleich den Tabellenstand ausgedruckt und an die Wand gehängt haben – das sei ihnen gegönnt (lacht). Aber die Mannschaft kann das realistisch einschätzen. Wir haben in keinem Spiel bisher 60 Minuten lang die Sterne vom Himmel gespielt. Aber was sich gegenüber den Vorjahren geändert hat: Wir verlieren die Nerven nicht mehr.
Inwiefern?
Thomas Zeitz: Wir führen in Halle, Buxtehude oder beim Thüringer HC über weite Strecken, dann kommt die Druckphase des Gegners. Früher wären die Spiele noch gekippt. Jetzt bleiben wir ruhig, glauben an uns und ziehen das durch. Wir haben gelernt, cool zu bleiben.
Was hat dieses neue Mindset ausgelöst?
Thomas Zeitz: Das war ein längerer Prozess. Vor zwei Jahren haben wir gesagt: Wir müssen den Kader stabilisieren, können nicht jedes Jahr nur fünf Leute halten und dafür 15 neue holen. Das haben wir jetzt geschafft. Spielerinnen wie Munia Smits oder Lena Ivancok haben sich individuell entwickelt und gemerkt, dass es vorangeht. Dazu kamen gezielte Neuzugänge wie Kamila Kordovska und Paulina Uscinowicz, die beide etwas beweisen wollten. Und dann war plötzlich Antje da – nicht geplant, aber am Ende ein echtes Geschenk.
Antje Döll im Trikot der Sport-Union.
Antje, du kommst als Kapitänin der Nationalmannschaft zu einem Verein, der bislang eher Underdog war. Wie war dein Einstieg?
Antje Döll: Natürlich erstmal ungewohnt. Du kommst aus einer Mannschaft, die jahrelang deine zweite Familie war, und stehst plötzlich ohne Vorwarnung in einer völlig neuen Umgebung. Aber ich wurde von allen hier unglaublich herzlich aufgenommen. Einige Spielerinnen kannte ich schon, und das hat vieles erleichtert. Und obwohl ich mich erst unterordnen wollte, hat mir die Mannschaft durch die Wahl zur Co-Kapitänin direkt Vertrauen geschenkt. So startet man gerne in eine neue Mannschaft.
Wie bringt man sich als eine gestandene Bundesliga- und Nationalspielerin in eine bestehende Teamstruktur ein?
Antje Döll: Ich bin kein Typ, der reinkommt und sagt: „Jetzt tanzt alles nach meiner Pfeife.“ Ich habe erstmal beobachtet. Aber klar, mit meiner Erfahrung fordere ich auch mal mehr ein. Bei uns will inzwischen jede Spielerin das Aufwärmspiel gewinnen – das ist gut so (lacht). Führung heißt, zu spüren, wer gerade was braucht: Zuspruch, Motivation oder auch mal einen kleinen Schubser.
Thomas, du hast gesagt, Antje war „nicht geplant, aber ein Geschenk“. Wie kam es zu diesem Transfer?
Thomas Zeitz: Als die Insolvenz in Ludwigsburg bekannt wurde, hat das alle im Handball geschockt. Ich habe das zunächst gar nicht geglaubt – und ehrlich gesagt gehofft, dass es nicht passiert. Für den deutschen Handball war das ein Desaster, gerade vor einer Heim-WM. Nach einem Gespräch mit Nationaltrainer Markus Gaugisch habe ich Antje angerufen, und schnell war klar: das passt. Ich habe ihr gesagt, dass ich die Daumen drücke, dass Ludwigsburg gerettet wird. Aber falls nicht – wir haben Interesse.
Antje, wie hast du diese Situation erlebt? Das Aushängeschild des deutschen Frauen-Handballs gibt kurz vor der Saison überraschend preis, dass es nicht mehr weitergeht …
Antje Döll: Wir haben es einen Tag vor der Presse erfahren und es war ein riesiger Schock. Klar, die Gehälter kamen mal später, aber das ist im Sport nicht unüblich. Doch dass der Geschäftsführer plötzlich nicht mehr erreichbar war, hat uns stutzig gemacht. Trotzdem hat keiner mit einer Insolvenz gerechnet. Als es dann hieß, der Verein ist zahlungsunfähig, war das unfassbar. Ich habe das bis heute nicht ganz verarbeitet. Wir waren plötzlich alle in einer prekären Lage – die meisten mussten umziehen oder sogar in ein anderes Land wechseln, teilweise ihre Familien zurücklassen. Ich hatte Glück, dass Neckarsulm sofort Interesse zeigte und den Wechsel so schnell möglich gemacht hat. Dadurch konnte ich in Bietigheim wohnen bleiben und meinen Job bei der Polizei in Ludwigsburg behalten.
Wie war die Stimmung in der Mannschaft zu dieser Zeit?
Antje Döll: Sehr emotional. Zwei Wochen lang waren Teamtreffen halbe Therapiesitzungen. Wir haben gehofft, gelacht, geweint – sogar gemeinsam Eurojackpot gespielt, um mit dem gewonnenen Geld selbst den Verein zu übernehmen. Nach dem endgültigen Aus war die Devise einfach irgendwie weitermachen. Ich bin ehrlich, ich wünsche keinem Sportler, so etwas zu erleben. Das reißt dir den Boden unter den Füßen weg.
Und dann kam der Anruf aus Neckarsulm.
Antje Döll: Genau. Thomas rief an, und es war sofort klar, dass es passt. Es hat mir auch unglaublich geholfen zu wissen, dass ich diese Option habe. Ich hatte ein gutes Gefühl, ob menschlich, sportlich und auch organisatorisch. Neckarsulm war die beste Lösung für mich und ich bin froh, dass ich mich so entschieden habe.
Antje Döll ist auch vom Siebenmeterpunkt treffsicher.
Wie hat der Verein das spontan finanziell gestemmt?
Thomas Zeitz: Natürlich mussten wir rechnen. Aber wir haben auch unser tolles Sponsorennetzwerk. Wir hatten zufällig genau in dieser Woche eine große Partnerveranstaltung und ich habe gesagt, es könnte eine Chance geben, eine besondere Spielerin zu holen. Namen nannte ich keinen – aber die Sponsoren sind ja nicht auf den Kopf gefallen. Und plötzlich standen sie Schlange! Keiner hat Bedingungen gestellt oder unrealistische Anforderungen gehabt. Das war pure Unterstützung. Und das spricht für Antje – nicht nur sportlich, sondern auch menschlich.
Was hat sich im Team durch Antje verändert?
Thomas Zeitz: Sie bringt Professionalität, Präsenz und Ruhe. Sie lebt, was sie sagt, und das überträgt sich. Das Bild, das man von außen hat – diszipliniert, klar, fair – stimmt zu hundert Prozent und entspricht dem Menschen, der jetzt bei uns in der Kabine steht.
Antje Döll: Ich muss dazu sagen, ich habe hier eine Mannschaft vorgefunden, die es auch richtig will. Das hat mir den Einstieg leicht gemacht. Ich glaube, jede von uns weiß, hier passiert etwas, das langfristig Bestand haben kann, und ich bin stolz, meinen Beitrag dazu leisten zu können.
Thomas Zeitz: Motivator, Taktiker, Mensch
Thomas, du hast die Mannschaft vor einigen Jahren in einer schwierigen Phase übernommen. Wie hat sich das entwickelt?
Thomas Zeitz: Als ich hier anfing, war vieles unsortiert. Wir standen nach dem Großteil der Saison teilweise immer noch ohne Sieg da, das war hart. In neun von zehn Fällen ist man da seinen Job los. Aber der Verein hat Geduld bewiesen und wir haben Schritt für Schritt Struktur aufgebaut, sportlich, wirtschaftlich und auch menschlich. Ich wollte, dass wir unabhängig werden von Einzelpersonen, denn früher hat unser Hauptsponsor viel privat finanziert. Ich habe gesagt, das darf nicht sein. Wenn diese Person irgendwann aufhört, muss der Verein weiterlaufen. Aber das war ein zweijähriger Prozess und heute steht Neckarsulm auf eigenen Beinen – das macht mich stolz.
Wie hat sich die Zusammenarbeit mit Sponsoren verändert?
Thomas Zeitz: Früher kamen 20 Leute zu einem Sponsorenabend. Dieses Jahr waren es 170! Die Mannschaft macht da auch mit, verteilt Nikolausgeschenke, besucht Firmen, hält Vorträge – das schafft Identifikation. Ich sage immer: Zeig die Menschen, nicht nur das Ergebnis. Wenn du authentisch bist, bekommst du Unterstützung zurück. Und unsere Spielerinnen machen das nicht widerwillig. Im Gegenteil – beim ersten Mal wollten sie gar nicht mehr aufhören mit den Nikolausgeschenken. So entsteht etwas Nachhaltiges.
Wenn man dich so reden hört, wirkt das alles sehr reflektiert. Wie wichtig ist Kommunikation in deiner Arbeit?
Thomas Zeitz: In unserem Sport sehr wichtig, denn Handball musst du leben. Bei uns ist vieles Kommunikation, ob mit Spielerinnen, Sponsoren oder Fans. Ich bin überzeugt, dass Empathie und Offenheit mehr bringen als Kontrolle. Wir haben gelernt, dass Identifikation das Kapital ist, das bleibt, wenn der Ball mal nicht ins Tor geht.
Antje, wie schaffst du es, Nationalmannschaft, Verein und Polizei unter einen Hut zu bringen?
Antje Döll: Ich bin bei der Polizei in Ludwigsburg, aber durch die Sportförderung kann ich mir meine Zeit flexibel einteilen. Ich bin selten im Einsatzalltag, dafür regelmäßig im Training oder bei Lehrgängen. Ohne diese Unterstützung wäre Leistungssport auf dem Niveau kaum machbar.
Die Heim-Weltmeisterschaft steht bevor. Wie groß ist die Vorfreude bei der DHB-Kapitänin?
Antje Döll: Riesig! Ich denke fast jeden Tag daran. Eine Heim-WM ist etwas Einmaliges – du spürst die Energie und Begeisterung. Die Vorrundenspiele sind schon ausverkauft, das wird Gänsehaut pur. Aber es geht nicht nur um sportlichen Erfolg. Wir haben die Verantwortung, Frauenhandball in Deutschland sichtbarer zu machen. 2017 hatten wir auch schon ein Heimturnier und da war medial kaum etwas los, das darf diesmal nicht passieren. Deshalb ist die Kampagne „Hands up for more“ wichtig: Sie steht für mehr Gleichberechtigung, mehr Aufmerksamkeit, mehr Mädchen, die anfangen Handball zu spielen.
Was genau steckt dahinter?
Antje Döll: Da geht es um konkrete Aktionen: kostenlose Ausbildung für weibliche Schiedsrichterinnen, Aufklärung über Gleichberechtigung, offene Medienarbeit. Wir Spielerinnen sind eingebunden, geben Interviews, drehen Videos und erzählen unsere Geschichten. Ich durfte beim Kampagnenvideo mitmachen mit den beiden Sängerinnen, die den Song aufgenommen haben. Der Dreh war echt witzig aber auch anstrengend – acht Stunden für ein paar Sekunden Szene (lacht). Aber das Ergebnis ist klasse und ich kann mir richtig vorstellen, wie der Song in einer vollen Halle läuft und alle mitmachen.
Wie gehst du und die Mannschaft mit dem Druck um, wenn ganz Handball-Deutschland hinschaut?
Antje Döll: Druck ist immer da – egal ob man gewinnt oder verliert. Deshalb ist mein Ansatz: genießen. Diese Heim-WM ist unsere Chance, zu zeigen, was wir können – sportlich und menschlich. Ich hoffe, wir schaffen dieses Mal auch den Sprung ins Halbfinale und wenn alles zusammenläuft, ist sogar eine Medaille drin. Normalerweise spielen wir vor Heimpublikum immer stark. Aber wichtiger ist: Wir wollen Menschen mitnehmen und Frauenhandball sichtbar machen. Das ist unser Auftrag.
Letzte Frage: Was wünscht ihr euch für die nächsten Monate?
Antje Döll: Gesund zu bleiben – und den Spirit, den wir gerade haben, so lange wie möglich zu behalten. Ich hoffe, dass wir eine gute WM erleben und den Schwung mit in den Ligaalltag nehmen können. Wenn wir weiter so arbeiten, kann das eine sehr besondere Saison werden.
Thomas Zeitz: Ich schließe mich an. Wir wollen uns weiterentwickeln, stabil bleiben, die Euphorie des Saisonstarts und der Heim-WM mitnehmen und weiterarbeiten. Euphorie ohne Arbeit ist heiße Luft. Aber Euphorie mit Arbeit – das ist eine richtig gute Mischung.
Antje Döll. Foto: LUMEOS