World Games 2025: Zwei Unterländerinnen in Chengdu

Die World Games sind weitläufig als die „Olympischen Spiele der nichtolympischen Sportarten“ bekannt. Im August 2025 fanden sie zum 12. Mal statt – diesmal im chinesischen Chengdu. Mit dabei waren die Neckarsulmerin Birte Steven-Vitense und die aus Öhringen stammende Heilbronner Kriminalpolizistin Stefanie Megerle. Während Letztere im Kickboxen / Pointfighting Silber für Deutschland gewann, war Birte Steven-Vitense hinter den Kulissen aktiv. Als „Chef de Mission“ führte sie in Diensten des Deutschen Olympischen Sport-Bunds (DOSB) das Team Deutschland zu den World Games. Obwohl beide gemeinsam als Teile von „Team D“ in Chengdu waren, lernten sie sich erst bei ihrem Besuch in der SPORTHEILBRONN-Redaktion persönlich kennen, bei dem sie uns von ihren Erlebnissen in China berichteten.

Autor: Lara Auchter

5. November 2025

Stefanie Megerle (links) mit ihrer Silbermedaille bei der Siegerehrung. Fotos: Team Deutschland (2)

Birte und Steffi, ihr wart beide in unterschiedlichen Rollen bei den World Games in China – was macht dieses Multisportevent für euch so besonders?

Birte Steven-Vitense: Ich finde es großartig, dass dort Sportarten im Mittelpunkt stehen, die sonst kaum Beachtung finden. Die Vielfalt ist einfach faszinierend – du hast Rettungsschwimmen, Tauziehen, Faustball, Kickboxen, alles nebeneinander. Und wenn man dann sieht, wie professionell und leidenschaftlich die Athletinnen und Athleten das leben, merkt man, dass das Niveau absolut Weltklasse ist. Für mich war es beeindruckend, das alles aus nächster Nähe zu erleben.

Stefanie Megerle: Für mich war es ein Traum. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal bei den World Games starten würde. Ich mache den Sport, weil ich ihn liebe, nicht weil ich auf eine große Bühne wollte. Und dann stehst du da in dieser riesigen Halle, dein Name wird gerufen, überall Monitore, Musik – das war einfach Gänsehaut pur. Da merkst du, dass sich alles gelohnt hat.

Wie hast du dich auf die World Games vorbereitet?

Stefanie Megerle: Unsere Turniersaison startet immer zu Jahresbeginn, das heißt, ich war schon mitten im Rhythmus. Zwei Monate vor Chengdu haben wir gezielt an Technik und Feinschliff gearbeitet, weniger an Kondition. Es ging darum, perfekt für die Spiele fit zu sein. Ich habe nebenbei Vollzeit gearbeitet – das war nicht leicht, aber genau das gibt mir irgendwie auch die nötige Erdung. Ich trainiere für mich, nicht für Geld oder Ruhm – und wurde mit einem tollen Wettkampf und der Silbermedaille belohnt.

Freude bei Stefanie Megerle über ihren Finaleinzug

Birte, wie läuft die Vorbereitung aus Sicht des DOSB ab?

Birte Steven-Vitense: Etwa ein Jahr vorher starten wir mit der Planung. Es geht um Finanzen, Kommunikation mit den Sportverbänden, Gesundheitsmanagement, medizinische Betreuung, Kooperationen mit Botschaften und Konsulaten – das ist ein Riesenprojekt. Und wir wollen den Athletinnen und Athleten den Rücken freihalten, damit sie sich voll auf ihre Wettkämpfe konzentrieren können. Dieses Jahr kam zusätzlich die Herausforderung der Hitze und der langen Wege vor Ort hinzu. Das war organisatorisch anspruchsvoll, aber es hat sich gelohnt.

Wie habt die Stimmung in Chengdu erlebt?

Stefanie Megerle: Wahnsinn! Bei uns war die Halle voll, die Leute sind total mitgegangen, auch wenn sie keine Ahnung von den Regeln hatten (lacht). Beim Pointfighting ist alles super schnell und viele haben gar nicht verstanden, wer gerade Punkte bekommt. Aber sie haben einfach gejubelt, wenn jemand getroffen hat oder zu Boden ging. Diese Energie war unfassbar und einfach ein besonderes Erlebnis.

Birte Steven-Vitense: Das Publikum war großartig, und die Organisation auch. China hat das auf einem extrem hohen Niveau umgesetzt. Natürlich war die Hitze mit über 40 Grad eine riesige Herausforderung, gerade für die Outdoor-Sportarten. Aber insgesamt war das Event so gut gemacht, dass es Olympia in nichts nachstand – nur eben mit weniger Medienpräsenz.

Gab es Momente, die euch besonders in Erinnerung geblieben sind?

Stefanie Megerle: Als ich ins Finale eingezogen bin. In dem Moment war alles ruhig in mir, obwohl es außen so laut war. Ich habe einfach gespürt: Das ist mein Moment. Egal, wie es ausgeht, ich bin hier angekommen. Und als dann die deutsche Flagge aufleuchtete und mein Name gerufen wurde, war das einfach pure Gänsehaut.

Birte Steven-Vitense: Für mich war es der Moment, als das deutsche Team geschlossen bei der Eröffnungsfeier auftrat. Da spürt man diesen besonderen Teamgeist. Dieses „Wir sind Team Deutschland“-Gefühl ist etwas, das bleibt.

Steffi, du hast gesagt, du trainierst parallel zum Fulltime-Job – wie schwierig ist das, wenn man gegen Profis aus aller Welt antritt?

Stefanie Megerle: Es ist nicht leicht. Ich arbeite Vollzeit und trainiere in meiner Freizeit. Andere Nationen bekommen massive Unterstützung, und da werden Trainingslager, Equipment und Prämien bezahlt. Ich kenne Länder, da bekommt man für eine Medaille ein Haus. Wir machen das aus Leidenschaft, und das ist manchmal hart. Aber genau das macht es auch besonders, weil du weißt: Du hast das aus eigener Kraft geschafft.

Birte Steven-Vitense: Das stimmt absolut. Viele unserer World-Games-Athleten sind keine Vollprofis, sondern Menschen, die nebenher arbeiten oder studieren. Trotzdem bringen sie Weltklasseleistungen. Das zeigt, wie stark und engagiert der deutsche Sport jenseits von Olympia ist. Und dass der Bund alle Entsendungskosten übernimmt – z.B. Flüge, Unterkunft, Verpflegung – ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Du bist studierte Sportpsychologin und das Thema Mentale Gesundheit rückt dabei immer mehr in den Fokus…

Birte Steven-Vitense: Ja genau, dieses Thema ist mir sehr wichtig. Mentale Gesundheit wird im Leistungssport immer wichtiger und präsenter. Wir arbeiten beim DOSB gerade daran, das noch stärker zu verankern, ob durch Psychologen, Schulungen oder Ansprechpartner vor Ort. Leistung darf nie auf Kosten des Menschen gehen.

Steffi, was hilft dir, mental stark und auf den Punkt fit zu sein?

Stefanie Megerle: Ich glaube, es ist diese Mischung aus Ehrgeiz und Gelassenheit. Ich nehme meinen Sport ernst, aber mich selbst nicht zu sehr. Wenn du alles gibst, kannst du mit jedem Ergebnis leben. Außerdem habe ich ein super Team und mein Trainer, meine Familie und meine Kollegen bei der Polizei unterstützen mich total. Das gibt mir viel Rückhalt. Aber ich muss sagen, es hat bei mir auch ein paar Jahre gedauert und lief nicht immer so rund wie jetzt – deshalb bin ich froh, dass es insbesondere diese Saison so gut geklappt hat.

Wie war das Leben im Athletendorf?

Stefanie Megerle: Mal etwas anderes. Wir waren im B-Dorf, das war zwar näher an der Stadt, aber ziemlich weit weg vom großen Athletendorf. Auch waren wir Kickboxer ziemlich unter uns. Ich hatte eine Zimmerkollegin aus Guatemala, die ich noch nicht kannte. Erst dachte ich, oh Gott, hoffentlich schnarcht sie nicht (lacht). Aber wir haben uns super verstanden, haben uns jedoch auch den Freiraum gegeben, den wir brauchten. Das Hotel war auch top, es waren riesige Zimmer, bequeme Betten und ein großes Bad. Nur das Essen war, sagen wir mal, gewöhnungsbedürftig. Viel Reis und viel Unbekanntes. Ich bin lieber auf Nummer sicher gegangen und habe eine Woche nur Reis gegessen, weil ich ja kämpfen musste und Angst hatte, dass ich mir irgendetwas hole. Aber insgesamt war alles super organisiert.

Birte Steven-Vitense: Ich kann das bestätigen. Die Chinesen haben wirklich alles gegeben und top organisiert – Unterkünfte, Transport, Betreuung, das war auf höchstem Niveau. Nur der Kaffee war eine kleine Katastrophe. Wir haben uns irgendwann selbst eine kleine Maschine ins Büro gestellt, weil der Instantkaffee einfach untrinkbar war (lacht). Schade war, dass alles so weit weg voneinander war und es nicht ein gemeinsames Athletendorf gab.

Stefanie Megerle: Ja, der Kaffee war echt schrecklich (lacht). Deshalb haben wir unsere Teambesprechungen immer beim Starbucks gemacht…

Birte Steven-Vitense (2. von links) und Stefanie Megerle (3. von links) beim Besuch in der SPORTHEILBRONN-Redaktion zusammen mit Redakteurin Lara Auchter und Herausgeber Ralf Scherlinzky. Foto: Günter Scherlinzky

Steffi, waren neben den Kickboxern auch andere Athleten bei euch im Dorf? Konntest du dich ein bisschen über deine Sportart hinaus austauschen?

Stefanie Megerle: Ein bisschen, ja. Bei uns im Hotel waren auch Athleten u.a. aus dem Bogenschießen, mit denen man sich beim Frühstück unterhalten hat. Aber insgesamt war das Programm so eng, dass nicht viel Zeit blieb. Trotzdem war es schön, diese internationale Atmosphäre zu spüren und sich ein wenig mit Athleten aus anderen Nationen und Sportarten austauschen zu können.

Birte, du warst selbst Leistungssportlerin und hast 2004 in Athen als Schwimmerin an den Olympischen Spielen teilgenommen. Wie ist das jetzt, auf der anderen Seite zu stehen?

Birte Steven-Vitense: Man hat plötzlich den Blick aufs Ganze. Als Athletin siehst du nur deinen Wettkampf und hast deine ganz eigene Vorbereitung. Heute denke ich in Systemen, Prozessen und Strukturen. Aber das Herz bleibt dasselbe – man fiebert genauso mit, freut sich mit und leidet mit. Und man versteht sehr genau, was Athleten brauchen, um ihr Bestes geben zu können.

Was war deine Aufgabe als Chef de Mission?

Birte Steven-Vitense: Ich war sozusagen Projektleiterin für das deutsche Team. Wir bereiten alles vor – von der Organisation über die Gesundheitsversorgung bis hin zur Abstimmung mit den Verbänden und der Bundesregierung. Unser Ziel ist es, den Athletinnen und Athleten die bestmöglichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Vor Ort bin ich Ansprechpartnerin für das Organisationskomitee und für alle deutschen Delegationen. Es ist viel Managementarbeit, aber am Ende zählt, dass sich die Sportlerinnen und Sportler voll auf ihre Wettkämpfe konzentrieren können.

Selfie in Chengdu: Birte Steven-Vitense. Foto: privat

Und wie erlebst du die Förderung für die nicht-olympischen Sportarten in Deutschland?

Birte Steven-Vitense: Da ist auf jeden Fall noch Luft nach oben. In Deutschland haben wir zwar eine sehr gute Vereinsstruktur, aber im Förderbereich ist vieles noch stark auf den olympischen Sport fokussiert. Die World Games zeigen aber, dass auch jenseits von Olympia Spitzenleistungen möglich sind.

Was nehmt ihr beide persönlich mit von den World Games?

Stefanie Megerle: Für mich war es das größte sportliche Erlebnis überhaupt. Ich bin einfach stolz, dass ich Deutschland vertreten durfte – und das in einem Umfeld, das so international, offen und herzlich war. Es war anstrengend und emotional, aber unglaublich schön. Auch wenn ich kurz nach dem verlorenen Finalkampf sehr enttäuscht war, überwiegt jetzt der Stolz und die Freude über meine Leistung und meine gewonnene Silbermedaille!

Birte Steven-Vitense: Mich hat beeindruckt, wie viel Leidenschaft und Menschlichkeit dort spürbar war. Es geht nicht nur um Medaillen, sondern um Geschichten, um Begegnungen und die Gemeinschaft. Die World Games zeigen, dass sportliche Exzellenz auch außerhalb von Olympia stattfindet – und dass genau dort der wahre Spirit des Sports erlebbar wird.

Was bleibt nach so einem Event?

Birte Steven-Vitense: Wir nehmen viele Impulse mit. Für mich persönlich auch die Bestätigung, wie wichtig mentale Gesundheit, Gesundheitsmanagement und Prävention im Spitzensport sind. Das sind Themen, die wir beim DOSB weiter ausbauen. Und natürlich die Vorfreude auf die World Games 2029 in Karlsruhe – es ist eine großartige Chance, diesen Spirit auch nach Deutschland zu holen.

Karlsruhe trägt nach 1989 als erste Stadt überhaupt zum zweiten Mal die World Games aus. Steffi, wenn das Event quasi direkt vor der Haustür stattfindet, sehen wir dich als Lokalmatadorin dann 2029 wieder auf der Matte?

Stefanie Megerle: Ich bin jetzt 29 Jahre alt, und 2029 werde ich 33 sein. Auch wenn die Versuchung groß wäre, glaube ich nicht, dass ich es durchziehen werde. Aber man soll nie nie sagen (lacht).