Weltpremiere beim Neckarcup – Elektronisches Linecalling auf Sand
Autor: Ralf Scherlinzky
„Out“ – „Fault“ – „Foot Fault“. Die Besucher des ATP Challenger-Turniers Heilbronner NECKARCUP konnten sich bei dessen zehnter Auflage Anfang Juni 2024 darüber wundern, dass diese Rufe der Linienrichter in diesem Jahr etwas blechern geklungen haben. Und wo hatten sich die Linienrichter eigentlich versteckt? Wir verraten es: Die gewohnten menschlichen Linienrichter wurden vom Linecalling-System der Firma FOXTENN ersetzt. Der NECKARCUP war von FOXTENN dafür ausgewählt worden, als erstes Challenger-Turnier auf Sand weltweit mit dem System des spanischen Hightech-Unternehmens zu arbeiten. Wir haben uns während des Turniers mit dem aus Barcelona stammenden FOXTENN-Gründer und Geschäftsführer Javier Simón (56) getroffen, um über die beim Turnier am Trappensee gemachten Erfahrungen zu sprechen.
An den Enden der Linien waren Kameras von FOXTENN angebracht. Jeder Ball wurde von bis zu fünf verschiedenen Sensoren (Kameras oder Laser) registriert. Fotos: Seventyfour.studio
Javier, wie ist der NECKARCUP für euch gelaufen?
Javier Simón: Wir sind sehr zufrieden, wie es gelaufen ist. Wir hatten über das Turnier hinweg 64 Spiele, in denen wir weit über 10.000 Situationen analysiert haben, in denen der Ball unmittelbar an der Linie aufgesprungen ist. Wenn die ATP und die Organisatoren des Turniers happy sind, dann sind wir es auch.
Was unterscheidet euer System von anderen?
Javier Simón: FOXTENN ist das einzige System, das zu einhundert Prozent auf real aufgenommenen Bildern basiert, während alle anderen Systeme mit Schätzungen, wie z.B. bei der Flugbahn des Balles, arbeiten und deshalb keine hundertprozentige Genauigkeit aufweisen können.
Wie funktioniert das System? Die Bälle kommen ja so schnell, dass das menschliche Auge kaum erfassen kann, ob ein Ball auf oder neben der Linie landet…
Javier Simón: Wir hatten auf der Anlage 42 Highspeed-Kameras installiert, die, in Kombination mit zehn Laser-Scannern, 3.000 Bilder pro Sekunde aufgenommen haben. Das menschliche Auge erfasst dagegen pro Sekunde nur 25 Bilder. Sprich, wir können exakt den Moment analysieren, an dem der Ball den Boden berührt, und können auf Video nachweisen, ob er auf oder neben der Linie war. Damit sorgen wir für eine große Revolution im Tennissport in Sachen Transparenz und Fairness.
Ihr wart ja nicht nur mit jeder Menge Technik beim NECKARCUP, sondern seid auch mit rund zehn Leuten in einem eigenen Raum in der Tennishalle gesessen. Was hat sich dort bei euch hinter den Kulissen abgespielt?
Javier Simón: Für jeden Court, auf dem gespielt wurde, hatten wir drei Arbeitsplätze. So waren in den ersten Tagen, als die Spiele auf allen drei Courts stattgefunden haben, neun unserer Leute parallel im Einsatz. Einer war jeweils dafür verantwortlich, dass die Lasermessung funktioniert, einer war für die Funktionalität der Kameras zuständig. Der Dritte hat als Kontaktperson zu dem ATP-Offiziellen fungiert, der während der Spiele ebenfalls bei uns war und in Verbindung mit den Stuhlschiedsrichtern stand. Fordert einer der Spieler einen Review an, muss die Kommunikation hier blitzschnell gehen, und das können wir mit diesem Setting gewährleisten. Der Review wird dann auf der LED-Leinwand auf dem Court genau so wiedergegeben, wie wir es bei allen engen Entscheidungen, bei denen der Ball in einem Radius von 7,5 cm vom äußeren Rand der Linie landet, von Haus aus schon automatisiert machen.
Wie kann man sich die Entwicklung eines so komplexen und revolutionären Systems von der Grundidee bis zum Live-Einsatz vorstellen?
Javier Simón: Die ursprüngliche Entwicklung hat rund zweieinhalb Jahre gedauert, und die Zeit bis zum ersten Echtzeit-Einsatz dann nochmal genauso lang. Auf dem Weg zur Perfektion ist die Optimierung des Systems ein dauerhafter Prozess. Wir haben ursprünglich mit einer 40-sekündigen Zeitverzögerung begonnen und heute können wir alles in Echtzeit auswerten. Unser System funktioniert inzwischen auch bei den widrigsten Wetterverhältnissen und es lässt sich selbst von extremer Hitze, Kälte oder Nässe nichts anhaben.
Um tatsächlich im Echtbetrieb bei einem Turnier die menschlichen Linienrichter zu ersetzen und so zuverlässig zu sein, dass keine Fehler passieren, muss man bestimmt einen steinigen Weg gehen und sich zahlreiche Genehmigungen erarbeiten…
Javier Simón: Stimmt absolut. Um für Turniere zugelassen zu werden, mussten wir zahlreiche Tests unter der Überwachung eines technischen Kommitees absolvieren, das uns im Auftrag von ATP, WTA, ITF und den Grand Slams überprüft hat. In der ersten Stufe hat eine Ballmaschine Bälle mit extrem hoher Geschwindigkeit auf die Linien abgefeuert, und die Entscheidungen unseres Systems wurden von einer Kamera überprüft, die 5.000 Bilder pro Sekunde gemacht hat. Im nächsten Schritt haben wir Spiele begleitet, deren Daten nur wir intern gesehen haben und die dann genau analysiert wurden. Dann folgten die Livetests – erst bei kleineren und dann stufenweise bei den größeren Turnieren. Das hat alles rund zwei Jahre gedauert, wir haben die Tests aber mit Bravour bestanden und damit das geschafft, woran vor uns viele andere Anbieter gescheitert waren.
Euer System kann aber noch weit mehr…
Javier Simón: Genau. Mit der Kombination der Kameras und dem Hochgeschwindigkeits-Laserscannersystem verfolgen wir jede einzelne Bewegung der Spieler haargenau. Damit können wir auch das Match selbst analysieren und auswerten. Die Statistiken, die wir auf diesem Weg erfassen, können zum Beispiel für Fernsehübertragungen, aber auch für die ATP oder auch die Spieler selbst wertvolle Erkenntnisse liefern. Das ist unter anderem auch für die Ausbildung an Tennisakademien interessant. Seit 2023 sind wir übrigens sowohl in diesem Bereich als auch bei der Linientechnologie Exklusivpartner der World Padel Tour.
Inzwischen seid ihr ja das ganze Jahr über weltweit bei Turnieren unterwegs. Wieviele Mitarbeiter beschäftigt ihr bei FOXTENN?
Javier Simón: Wir haben einen festen Stamm von rund 30 Mitarbeitern, die wir je nach Bedarf auf Abruf erweitern können. Insgesamt haben wir über 50 Techniker, die alle an unserem System top ausgebildet wurden und sofort einsatzbereit sind, wenn wir sie brauchen.
Abschließend noch eine Frage an den in der Tenniswelt weit herumgekommenen FOXTENN-CEO: Wie hat es dir in Heilbronn beim NECKARCUP gefallen?
Javier Simón: Ich war schon bei sehr vielen Challenger-Turnieren, aber der NECKARCUP ist ohne Zweifel eines der besten auf der ganzen Welt. Man hat hier eine professionelle Organisation, aber dennoch ist alles sehr familiär. Wir haben uns beim NECKARCUP sehr wohl gefühlt. Dieser Ruf ist dem Turnier auch voraus geeilt und genau deshalb haben wir uns dafür entschieden, für die Weltpremiere bei einem Challenger-Turnier auf Sandplätzen nach Heilbronn zu kommen.