Welchen Einfluss haben Zuschauer auf die sportliche Leistung?

Autor: Prof. Dr. Dirk Schwarzer

26. Januar 2019

Im Zuge der Handball-Weltmeisterschaft 2019 wurde viel über den Einfluss der Zuschauer auf die Leistung der deutschen Mannschaft diskutiert. Spieler, Trainer, Medienvertreter und die Zuschauer selbst waren sich einig: Die großartige Atmosphäre in den vollbesetzten Stadien hatte einen positiven Einfluss auf die Leistung des Teams, der Funke sprang offensichtlich über, das Team entfachte durch seine kämpferische Leidenschaft auch bei den Fernsehzuschauern eine Begeisterung, von der der deutsche Handballsport hoffentlich nachhaltig profitieren wird.

Auf den ersten Blick scheint der positive Zusammenhang von Zuschauern auf die sportlichen Leistungen der Akteure klar zu sein – doch wir müssen genauer hinschauen!

Es gibt auch Beispiele, bei denen die Anwesenheit anderer Personen die Leistungen beeinträchtigt. Die Sportpsychologie geht grundlegend drei unterschiedlichen Vermutungen nach (vgl. Alfermann/Stoll 2005, S.245):
1. Die (bloße) Anwesenheit anderer Personen verbessert die Leistungen der Sportler. Man bezeichnet dies als „soziale Förderung“.
2. Die (bloße) Anwesenheit anderer Personen verschlechtert die Leistungen der Sportler. Man bezeichnet dies als „soziale Beeinträchtigung“.
3. Die (bloße) Anwesenheit anderer Personen hat gar keinen Effekt auf die Leistungen der Sportler, es gibt also weder eine Leistungsverbesserung noch eine -verschlechterung.

Zunächst unterscheidet man bei Untersuchungen zu dieser Thematik, ob es sich um aktive (bspw. die anfeuernden und singenden Fans in einem Stadion) oder um passive Zuschauer (bspw. sich neutral verhaltende Eltern am Spielfeldrand, die ihrem Kind beim Sport zusehen) handelt. In diesem Beitrag soll es um den Einfluss durch die bloße, passive Anwesenheit anderer gehen.

Darüber hinaus muss man die Art der vom Sportler auszuführenden Aufgabe berücksichtigen. Ist es eine eher einfache, vor allem konditionell anspruchsvolle Aufgabe (z.B. ein Marathonlauf, Zeitfahren im Radsport) oder eine komplizierte, koordinativ anspruchsvolle Aufgabe (z.B. eine Sprungkombination im Eiskunstlauf oder eine Übung auf dem Schwebebalken).

Welche Erklärungsansätze gibt es zum Einfluss von Zuschauern auf die Leistung? Ein zentraler Ansatz geht davon aus, dass es durch die bloße Anwesenheit anderer (z.B. die passiv zuschauenden Eltern) zu einem höheren körperlichen Aktivierungsniveau bei den Sportlern kommt. Diese physiologische Aktivierung (autonomes Nervensystem) führt zu einer Leistungsverbesserung vor allem bei einfachen, gut gelernten, automatisierten Bewegungen, hingegen eher zu einer Leistungsverschlechterung bei komplexen, schlecht gelernten, noch nicht automatisierten Bewegungen.

Im Sportspiel wie Handball, Fußball oder Hockey, wo es sowohl auf konditionelle als auch auf koordinative Fähigkeiten ankommt, zeigen sich insgesamt kaum Effekte (vgl. Strauß 1999). Untersucht man im Sportspiel die Komponenten getrennt voneinander, so lässt sich feststellen, dass sich die messbaren quantitativen Leistungsaspekte durch die Anwesenheit von passiven Zuschauern verbessern (z.B. die zurückgelegte Laufdistanz eines Fußballers), wohingegen sich die qualitativen Komponenten eher verschlechtern (z.B. Ungenauigkeit der Pässe).

Darüber hinaus spielt es eine Rolle, welche Bedeutung und Erwartungen die Akteure den Zuschauern zuschreiben. So macht es für das Nachwuchstalent bei einem Sichtungsturnier sicherlich einen Unterschied, ob „wichtige“ Scouts diverser Proficlubs oder die eigenen Freunde zuschauen.

Ein weiterer Ansatz geht der Überlegung nach, inwieweit die Sportler von den Zuschauern abgelenkt sein könnten und sich nicht mehr vollständig auf die eigentliche Aufgabe konzentrieren können. Schließlich lässt sich auch beobachten, dass es zu Leistungsverschlechterungen unter Druck (auch aufgrund der Anwesenheit anderer Personen) kommen kann, da die Sportler mit einer erhöhten Selbstaufmerksamkeit reagieren; die Aufmerksamkeit ist dann übermäßig auf die eigene technische Bewegungsausführung gerichtet, man grübelt über den korrekten Bewegungsablauf.

Unter diesen Umständen kommt es gerade bei gut gelernten hochautomatisierten Bewegungen zu Verschlechterungen. Besonders anfällig für dieses Phänomen sind beispielsweise Freiwürfe im Basketball, Aufschläge im Tennis oder das Putten beim Golf.

Letztlich kommt es aber immer auch auf die mentalen Fähigkeiten und Erfahrungen der Sportler selbst an, ob und wie sich die bloße Anwesenheit von Zuschauern bemerkbar macht. In der nächsten Ausgabe wird es um den Einfluss von aktiven Zuschauern (z.B. Fans) gehen. Besonders interessant ist dabei die Frage nach den Gründen für den Heimvorteil.