Voltigieren – Mehr als nur turnen auf dem Pferd

Voltigieren, eine faszinierende Sportart, die wir noch nie wirklich auf dem Schirm hatten – bis unsere Kollegin Steffi Hägele zu uns ins Team gekommen ist. Jetzt, als frischgebackene Baden-Württembergische Meisterin, beschreibt sie für die SPORTHEILBRONN-Leser, was diesen tollen Sport ausmacht.

Fast jedes Mädchen träumt davon, ein eigenes Pferd zu besitzen. Ich hatte das Glück, dass ich schon fast mein ganzes Leben lang durch meine Sportart mit Pferden zu tun habe. Als ich fünf Jahre alt war, habe ich mit dem Voltigieren angefangen und bin dort groß geworden. Gemeinsam mit meiner großen Schwester Caro konnten wir uns im September 2015 den Traum von einem eigenen Pferd erfüllen. Als Geschwister-Duo sind wir seit mehreren Jahren im Leistungssport tätig. Wir fahren gemeinsam auf Wettkämpfe in ganz Deutschland sowie auch im Ausland.

Stefanie Hägele während ihrer Kür bei den Landesmeisterschaften
Fotos: Fotoina (3)

Autor: Steffi Hägele

10. August 2022

Was steckt hinter der Sportart Voltigieren?

Die Randsportart Voltigieren kennt nicht jeder. Sie wird auch oftmals mit dem Reiten gleichgestellt. Zwar ist Voltigieren auch ein Pferdesport, aber Pferd und Sportler:in haben ganz andere Aufgaben. Für Leute, die Voltigieren nicht kennen, wird es meistens als Turnen auf dem Pferd beschrieben. Dennoch gehört weitaus mehr dazu als „nur“ gymnastische Übungen auf dem galoppierenden Pferd zu zeigen. Die Sportart verbindet mehrere Sachen miteinander. Man benötigt nicht nur Koordination, Kraft, Dehnung, Balance, Ausdauer und ein gutes Körpergefühl, sondern auch die Fähigkeit, die Bewegung des Pferdes optimal zu nutzen, um beispielsweise vom Vorwärtssitz in den Handstand zu schwingen.

Zusätzlich zu diesen Punkten läuft es wie beim Eis- oder Rollkunstlauf ab. Die Programme, die man auf den Wettkämpfen zeigt, müssen zu passender Musik mit einer Choreografie geturnt werden. Wie fast in jeder Sportart gibt es unterschiedliche Leistungs- und Altersklassen. Generell haben wir im Voltigieren die Leistungsklassen A (Anfänger), L (Leicht), M (Mittel) und S (Schwer). Sportler:innen unter 18 Jahren können in der Klasse Junior starten.

In unserem Sport gibt es zudem die Kategorien Einzel-, Doppel-, oder Gruppenvoltigieren. Beim Einzel turnt ein:e Athlet:in allein auf dem Pferd und hat jeweils eine Minute Zeit, die Programme zu zeigen. Im Doppel sind zwei Athlet:innen auf dem Pferd, sie haben insgesamt zwei Minuten Zeit. In der Gruppe sind es insgesamt sechs bis acht Athlet:innen, die im Pflichtprogramm jeweils eine Minute Zeit haben, um alle vorgegebenen Übungen zu präsentieren. In der Kür haben sie insgesamt vier Minuten, in denen maximal drei Voltigierer:innen gleichzeitig auf dem Pferd sind. Jede:r Sportler:in muss mindestens einmal auf dem Pferd gewesen sein.

In den Leistungsprüfungen von A bis M und auch bei den Junioren werden zwei Programme, einmal die Pflicht und einmal die Kür, dargeboten. In der Leistungsklasse S kommt noch das Technikprogramm hinzu. In der Pflicht turnt jede:r Athlet:in dieselben Übungen in einer bestimmten Reihenfolge. Diese sind von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung vorgegeben und an die jeweiligen Leistungsklassen angepasst. In der Kür kann sich jede:r Athlet:in oder jedes Team ein Programm mit der gewünschten Musik frei zusammenstellen.

Steffi beim Ausführen der Choreografie ihrer Kür

Warum habe ich mit dem Voltigieren angefangen und was macht die Sportart für mich aus?

Meine große Schwester hat damals über ein Ferienprogramm mit dem Voltigieren im Verein begonnen. Wir hatten schon immer ein enges und richtig gutes Verhältnis zueinander und ich wollte, als ich noch jünger war, immer das machen, was Caro auch macht. Kleine Schwestern eben. Daher habe ich mit fünf Jahren auch im gleichen Verein angefangen zu voltigieren.

Mit acht Jahren wurde ich als „Flyer“ in das zweite Juniorteam, in dem auch meine Schwester war, hochgezogen. Zwei Jahre später sind wir dann gemeinsam in das erste Juniorteam gekommen. Mit elf Jahren habe ich mit dem Einzelvoltigieren begonnen und mit 14 mit dem Doppel. Unser Traum war es schon immer, als Geschwister-Duo mit einem eigenen Pferd an den Wettkämpfen teilzunehmen. Als wir dann in unserem Ursprungsverein aufgehört hatten, haben wir uns im gleichen Jahr noch nach einem geeigneten Pferd umgeschaut. Nach langer Suche haben wir unser jetziges Pferd „Vico der Riese“ gefunden und gekauft. Da er das Voltigieren noch nicht kannte, haben wir ihn gemeinsam ausgebildet. Seit der Saison 2016 gehen wir im Einzelvoltigieren gemeinsam national und international an den Start.

Meine Sportart fasziniert mich jedes Mal aufs Neue und ich stecke immer gerne jede Zeit, die ich habe, hinein. Ich liebe es, auf meinem Pferd zu turnen und gemeinsam mit Vico und Caro die Wettkämpfe zu bestreiten. Die Harmonie mit dem Pferd macht für mich das Voltigieren aus. Man muss in allen Situationen als Team zusammenarbeiten und das Vertrauen zu seinem tierischen Partner haben. Pferde können sehr sensibel sein und geben, vor allem wenn es darauf ankommt, immer ihr Bestes. Außerdem sind Voltigierer:innen, egal woher sie kommen, untereinander immer hilfsbereit und halten zusammen. Die Voltigierwelt ist wie eine große Familie, die sich Jahr für Jahr auf den Wettkämpfen trifft.

Landesmeisterin 2022 & erneut nominiert zur Deutschen Meisterschaft

Steffi beim seitlichen Handstand in ihrem Technikprogramm
Foto: Chiara Faulstich

Am zweiten Juli-Wochenende fanden die Baden-Württembergischen Landesmeisterschaften in Leonberg statt, die darüber hinaus noch das letzte Sichtungsturnier für die Deutschen Meisterschaften im Junior- und Seniorbereich waren. Da ich inzwischen 23 Jahre alt bin, starte ich schon meine fünfte Saison bei den Senioren. Vorab war es unser Ziel, eine Medaille bei den Landesmeisterschaften zu gewinnen – und darauf hatten wir in den letzten Wochen auch intensiv hingearbeitet.

Da die ersten beiden Sichtungen im April und Mai schon gut gelaufen waren, hatten wir uns dem Gremium, das über die Nominierungen zur DM entscheidet, bereits im Vorfeld gut präsentiert. Dennoch war es natürlich wichtig, auch bei der letzten Sichtung eine gute Leistung zu zeigen.

Wie in jeder anderen Sportart kommt bei den Wettkämpfen auch mentaler Stress hinzu. Da mir bewusst ist, dass meine mentale Stärke noch ausbaufähig ist, haben wir im Juni angefangen mit dem Mentalcoach und Neuroathletiktrainer Frank Isola zusammenzuarbeiten. Er hat uns in mehreren Sitzungen geholfen, unsere mentale Stärke auf- und auszubauen. Außerdem hat er mich aus neuroathletischer Sicht auf die bevorstehende Landesmeisterschaft vorbereitet und noch an ein paar Stellschrauben gedreht.

Endlich war das entscheidende Wochenende gekommen, und wir fuhren am Samstagvormittag auf die Reitanlage in Leonberg. Nachdem Vico die Tierarztkontrolle ohne Probleme überstanden hatte, konnten wir nachmittags an den Start gehen. Mit meinem Pflichtprogramm waren wir sehr zufrieden, nur hatte ich ein paar kleine Patzer in meiner Kür. Dennoch konnten wir die erste Runde mit dem dritten Platz beenden. Ich hatte mir aber vorgenommen, am nächsten Tag nochmal eine ordentliche Schippe draufzulegen.

Am Sonntag fanden dann das Technikprogramm und die Finalkür statt. Beide Programme verliefen sehr gut, die Kür sogar perfekt. Nachdem ich nach meiner Kür nur Lob von Caro, meinen Eltern, anderen Teilnehmern oder Zuschauern bekam, habe ich mich dann doch gefragt, ob ich die führende Sportlerin vom Vortag eventuell sogar überholt haben könnte. Erst eine halbe Stunde vor der Siegerehrung erfuhr ich dann das Ergebnis:

Verdiente Kuscheleinheit für Vico

LANDESMEISTERIN – Wahnsinn!!!

Strahlendes Landesmeister-Trio: Steffi Hägele (rechts) mit ihrer Schwester Caro und ihrem Pferd Vico
Foto: privat

Ich habe mich riesig darüber gefreut, und als ich meinen Eltern das Gesamtergebnis mitteilte, waren die beiden auch sehr stolz. Meine Schwester war zu dem Zeitpunkt noch in einer Besprechung. Caro kam dann fünf Minuten vor der Siegerehrung zu uns und hat erst da von unserem Titelgewinn erfahren. Als wir dann in der Siegerehrung nach vorne gerufen wurden, haben alle gejubelt, und da habe ich nochmal gemerkt, wie viele Leute uns das wirklich gegönnt und sich mit uns gefreut haben.

Caro und ich haben bei der Meisterehrung mit Vico an unserer Seite über das ganze Gesicht gestrahlt. Am Ende wurden dann auch noch die Nominierungen für die Deutschen Meisterschaften bekanntgegeben. Wir sind erneut bei der Deutschen Meisterschaft der Senioren, die Ende August in Verden stattfindet, dabei.

Nochmals vielen Dank an alle, die uns unterstützt und sich mit uns gefreut haben!


Eure Steffi