Viktoria Krell: „Baby Shaq“ is back

Sie ist so etwas wie ein Heilbronner Urgestein, und doch kennt man sie hier nicht. Einst besuchte sie die Dammschule, warf auf dem alten Bolzplatz neben dem Rollsportstadion tausende von Körben. Dann zog sie in die weite Welt hinaus. Jetzt, mit 36 Jahren, ist Viktoria Krell mit ihrer Tochter wieder in ihre Heimat zurückgekehrt – nach unzähligen Spielen in der 1. und 2. Basketball-Bundesliga, sowie am Lindsey Wilson College in Kentucky. Wir haben uns mit Vicky getroffen und eine sehr inspirierende Persönlichkeit kennengelernt, die ihre Lebenserfahrung nun gerne an junge Sportlerinnen und Sportlerin weitergeben möchte.

Viktoria Krell unterstützt die Basketballer der Heilbronn Reds nach deren Aufstieg im Bereich Mentalcoaching.

Foto: SPORTHEILBRONN

Autor: Ralf Scherlinzky

10. August 2022

„Meine Familie ist von Kasachstan nach Deutschland gezogen, als ich noch ein Kind war. Ich kam damals in Eppingen in die dritte oder vierte Klasse, ohne dass ich ein Wort Deutsch sprach“, erinnert sich Viktoria Krell. „Ich habe dann recht schnell mit Leichtathletik und Karate begonnen. Nach kurzer Zeit sind wir nach Heilbronn gezogen und mein Sportlehrer an der Dammrealschule, Herr Kühner, hat mir einen Basketball in die Hand gedrückt und gesagt: Spiel damit, ich sehe da was in dir!“

Die 14-jährige Vicky nahm den Ball und spielte – an der Schule, auf dem alten Bolzplatz am Europaplatz („Das war Street Basketball mit den großen Jungs, die ich mit dem Ball grundsätzlich nass gemacht habe.“), bei einem Schulturnier in der französischen Partnerstadt Béziers („Dort hat mir unser Coach den Spitznamen ‚Baby Shaq‘ gegeben, weil meine Spielweise der von Shaquille O‘Neil geähnelt hatte.“) und schon bald im Mädchenteam des TSV Sontheim. „Zu diesem Zeitpunkt musste ich mich zwischen Karate und Basketball entscheiden“, erzählt sie und ist sich sicher, dass die Entscheidung für den Basketballsport die Richtige für sie war.

Schon bald wurden die Neckarsulmer Damen auf Viktoria Krell aufmerksam und holten sie in die Oberliga. „Nach einer richtig guten Saison, in der wir den Aufstieg knapp verpasst hatten, habe ich Angebote aus der Bundesliga von Ludwigsburg und Leimen bekommen und wurde zudem zu einem Lehrgang der U20-Nationalmannschaft eingeladen. Zu diesem Zeitpunkt war ich in der 12. Klasse und hatte ein paar Probleme mit den Lehrern am Wirtschaftsgymnasium. Ich habe gesagt, ich wechsle zu dem Verein, der sich um eine neue Schule für mich kümmert. Ludwigsburg hat schnell reagiert, hat mich an eine Schule vermittelt und mir eine Wohnung besorgt. Da war die Entscheidung für den Wechsel nach Ludwigsburg schnell gefallen“, so Viktoria Krell.

Zwei Jahre lang pendelte sie zwischen dem Bundesliga- und dem Regionalliga-Team, musste sich in der ersten Mannschaft aber meist hinter einigen älteren Spielerinnen einreihen – bis dann mit dem Abstieg in die zweite Liga ihre Chance kam: „Während die meisten älteren Spielerinnen das Team verlassen haben, bin ich geblieben. Wir sind in diesem Jahr regelrecht durch die zweite Liga marschiert. Das war meine absolute Highlight-Saison.“

Doch Vicky Krell hegte schon lange einen Traum: Ihre Leidenschaft für den Basketballsport und die englische Sprache zu vereinen und in den USA an einem College zu studieren. Um der Erfüllung dieses Traums näher zu kommen, fuhr sie nach Bonn. Dort führte ihre Spielerberaterin ein Sichtungscamp durch, nahm Videos von den Teilnehmerinnen auf und schickte diese an zahlreiche Trainer von Colleges in den USA und in Kanada. „Bei dem Camp war auch ein Coach von einem College aus Mississippi da, der mich am liebsten gleich mitgenommen hätte“, lacht sie. „Ich habe aber auf den Rat meines Vaters gehört und habe nicht sofort zugesagt – was auch gut war. In den folgenden Tagen kamen Angebote aus Georgia, Utah und Kanada. Und dann war da ein Anruf aus Kentucky von einem College, dessen Team in der NAIA Division 1 spielte und das mir ein vierjähriges Stipendium angeboten hat. Das Angebot war eigentlich zu gut, um es abzulehnen. Meine Mama meinte, dort brauche ich mich um nichts zu sorgen, und mein ehemaliger Coach Joe Asberry hat meine Zweifel ausgeräumt, dass ich mit 1,78m zu klein für das Collegebasketball bin. Die beiden zusammen gaben letztendlich den Ausschlag dafür, dass ich dann mit 21 Jahren am Lindsey Wilson College in Columbia, Kentucky gelandet bin.“

Der Anfang in der neuen Heimat war schwer, gibt sie zu: „Columbia ist eine 5.000-Seelen-Kleinstadt in der Provinz, die Leute sprechen mit einem Akzent, der mir anfangs große Schwierigkeiten bereitet hatte und ich habe als ‚Freshman‘ kaum Spielzeit bekommen. Ehrlich gesagt habe ich in den ersten Wochen nicht nur einmal geweint, weil ich allein und irgendwie auch überfordert war. Aber ich habe mich durchgebissen und hatte dann die beste Zeit meines Lebens!“

Diese begann in der zweiten Hälfte ihrer ersten Saison. „Eine Senior Spielerin hatte eine Auseinandersetzung mit dem Coach und wurde auf die Ersatzbank verbannt. An ihrer Stelle durfte ich spielen. Ich wurde gleich ‚Player of the week‘ und war ab diesem Zeitpunkt Stammspielerin. Die zweite Saison war dann das beste Jahr meiner Kariere – als ‚Player of the year‘ in unserer Division mit über 1.000 erzielten Punkten. Insgesamt habe ich in den vier Jahren am College 2.110 Punkte erzielt und halte heute noch Schulrekorde für Karriere-Rebounds (1.272) und Field Goals (879).“

Als sie nach vier Jahren ihren Bachelor in Business Management erfolgreich abgeschlossen hatte, hat sie mit dem Basketballspielen aufgehört und ihr Master-Studium in Psychologischer Beratung und Psychotherapie begonnen. Parallel hat sie an ihrem College als „Assistant Director for International Students“ gearbeitet.

Geplant war, dass Viktoria Krell nach dem Master-Abschluss noch ihren Doktortitel macht, doch dann kam ihre Tochter zur Welt. „Ab diesem Zeitpunkt war sie das Wichtigste für mich. Da die Beziehung zu ihrem Papa nicht gehalten hat, bin ich nach neun Jahren in den USA mit ihr nach Deutschland zurückgekehrt, als sie acht Monate alt war. Ich wollte, dass das Fundament ihrer Erziehung hier gelegt wird, und hatte auch vor, sie in meiner deutschen und russischen Kultur aufwachsen zu lassen“, so Viktoria Krell.

Ehrung zum 2000. Punkt am Lindsey Wilson College.
Foto: privat

Ihre Rückkehr hatte sich in Basketballkreisen in Windeseile herumgesprochen. „Meine Agentin hatte plötzlich Angebote aus halb Europa vorliegen“, lacht sie. „Und ein Angebot war dabei sehr intressant. Der USC Heidelberg hatte ein paar Jahre vergeblich versucht, von der zweiten in die erste Bundesliga aufzusteigen. Ich sei das ‚missing piece‘, das für den Aufstieg noch fehlt, meinte der Trainer. Da meine Schwester in Heidelberg in unmittelbarer Nachbarschaft der Trainingshalle wohnt und mir anbot, auf meine Kleine aufzupassen, habe ich in Heidelberg unterschrieben. Und tatsächlich: Ich war das Puzzleteil, das zum Aufstieg gefehlt hatte. Wir haben eine riesen Saison gespielt und ich habe im entscheidenden Duell gegen Bamberg das Spiel meines Lebens gemacht und meinen Beitrag dazu geleistet, dass wir aufgestiegen sind. Das war mein erster Titelgewinn und deshalb eines der absoluten Highlights meiner Karriere.“

Gerne hätte sie mit den Heidelbergerinnen noch ein Jahr in der Bundesliga gespielt, doch der hohe Aufwand hätte sich nicht mit dem Mamasein vereinbaren lassen. Ihre Sportschuhe hat Vicky deshalb noch lange nicht an den Nagel gehängt: „Ludwigsburg hatte in der zweiten Bundesliga ein sehr junges Team und hat noch jemanden mit Erfahrung gebraucht. Also habe ich dort noch zwei Jahre angehängt. Dann ging es mit Corona los, und das war‘s dann mit Basketball für mich.“

Inzwischen ist ihre Tochter sechs Jahre alt und hat ihre ersten Bälle im Basketballkorb versenkt. Viktoria Krell arbeitet als Arbeitsvermittlerin im Heilbronner Jobcenter und liebäugelt für die Zukunft damit, sich parallel als Mentaltrainerin zu betätigen. „Es war schon immer mein Ding, mit Menschen umzugehen und ihnen zu helfen“, sagt sie. „Und meine Leidenschaft ist der Sport. Also liegt es nahe, dass ich meinen Psychologie-Background und meine Erfahrung als Sportlerin zusammenbringe und künftig in die Richtung Mentaltraining für Sportler gehe. Man braucht immer die richtigen Menschen um sich herum, um im Sport erfolgreich zu sein. In den USA sind die Coaches oft mehr Vertrauensperson für junge Sportler als deren Eltern. Auch ich hatte am College verschiedene Personen, die immer für mich da waren. Eine solche Person möchte ich auf professioneller Basis sein.“

Parallel zu ihrem Job macht sie momentan noch eine Ausbildung zum Stresscoach und sammelt erste Erfahrungen in ihrem zukünftigen Tätigkeitsbereich mit den Regionalliga-Basketballern der TSG Heilbronn Reds – dem Nachfolgeverein des ehemaligen TSV Sontheim, bei dem damals alles begann. „Baby Shaq“ is back!