VFR Heilbronn: Es geht um mehr als „nur“ Fußball
Wer die SPORTHEILBRONN-Redaktion kennt, weiß, dass wir den Fußball aufgrund seiner allgemeinen medialen Präsenz für das Magazin eigentlich zur „Randsportart“ erklärt haben. Seit wir vor genau drei Jahren zum letzten Mal auf den regionalen Fußball geschaut haben, hat sich jedoch einiges getan. Vor allem der 2018 neu gegründete VfR Heilbronn ließ seinen damals teils „großspurig“ erscheinenden Worten inzwischen Taten folgen. Der damalige Bezirksliga-Aufsteiger steht an der Spitze der Landesliga, der anvisierte Aufstieg in die Verbandsliga scheint zum Greifen nahe. Für uns Grund genug, um uns ausführlicher mit dem Verein auseinanderzusetzen. Im Gespräch mit dem Gründer und Vorsitzenden Onur Celik haben wir über den sportlichen Erfolg, das Selbstverständnis des VfR Heilbronn sowie über die kurz- und langfristigen Ziele des Vereins gesprochen.
Autor: Ralf Scherlinzky
Torjubel beim VfR Heilbronn. Seit seiner Neugründung hat der Verein rund 90 Prozent seiner Spiele gewonnen.
Fotos: Adnan Altinkaya
Onur, ihr habt 2020 mit eurer „Agenda 2031“ für Aufsehen gesorgt, als ihr als Bezirksliga-Aufsteiger angekündigt habt, dass ihr bis zum Jahr 2031 in der Regionalliga spielen wollt. Wie weit seid ihr im Plan, um dieses Ziel zu erreichen?
Onur Celik: Wir sind sehr gut im Plan, wobei es kein Muss ist, dass wir 2031 tatsächlich Regionalliga spielen. Mit der Agenda wollten wir vielmehr ausdrücken, dass wir uns jährlich weiterentwickeln möchten. Und das ist uns in den ersten sechs Jahren unseres Bestehens gut gelungen. Wir sind mit nur zwei Niederlagen aus der Bezirksliga aufgestiegen, konnten in unserer ersten Landesligasaison Vierter werden und haben es jetzt selbst in der Hand, in die Verbandsliga aufzusteigen. Auch im Nachwuchs sind wir inzwischen so gut aufgestellt, dass wir für Familien, die ihre Kinder bisher nach Walldorf, Sandhausen, Neckarelz oder Stuttgart gefahren haben, eine echte Alternative vor der Haustür bieten können.
Gründer und Vorsitzender Onur Celik
Lass uns nochmal auf Ende 2022 zurückblicken. Ihr standet als Aufsteiger auf Platz fünf der Landesliga, und doch habt ihr euch von eurem Trainer getrennt. Für Außenstehende hat das nicht ganz ins Bild des mit Konzept arbeitenden, aufstrebenden Vereins gepasst…
Onur Celik: Du sagst es richtig: für Außenstehende. In der Tabelle sind wir mit dem neu formierten, jungen Team super dagestanden und waren auch nicht so größenwahnsinnig, dass wir als Aufsteiger die gesamte Liga abschießen wollten und dafür über Leichen gegangen wären. Vielmehr war zu diesem Zeitpunkt aber erkennbar, dass die angestrebte Entwicklung stagniert hat. Wir hatten bereits zwei Schwächephasen hinter uns gebracht, aus denen wir nichts gelernt hatten und geradeaus in die nächste geschlittert sind. Die Ergebnisse waren zwar okay, aber spielerisch waren wir auf der Stelle getreten. Da der Trainer bei der gemeinsamen Analyse auf unsere Fragen keine Antwort hatte, mussten wir handeln. Seither haben wir diesen Entwicklungsschritt, den wir damals gefordert hatten, vollzogen. Diese Entscheidung war nötig, um im Plan zu bleiben.
Inzwischen ist der VfR Heilbronn weit über die Region hinaus bekannt und man beobachtet eure Entwicklung nicht nur in Baden-Württemberg genau. Was macht ihr anders als andere Vereine? Liegt es daran, dass ihr vielleicht mehr Geld zur Verfügung habt?
Onur Celik: (lacht) Das wäre schön. Wir haben nicht wie andere Vereine einen Mäzen im Hintergrund, der uns mit Geld versorgt. Auch bin ich persönlich kein Unternehmer, der sein Privatvermögen reinstecken kann, sondern nur ein Angestellter, der fulltime arbeitet. Wir sind vielmehr vier, fünf totale Idealisten, die den Verein über sich selbst stellen und alles für den VfR geben. Natürlich haben wir einige gute Sponsoren, aber hier tun wir uns zum Teil noch recht schwer. Wenn mir ein Unternehmer sagt, dass er uns dann vielleicht mal unterstützen wird, wenn wir Regionalliga spielen, dann ist das der falsche Ansatz. Denn ich brauche ihn jetzt, damit ich irgendwann mal Regionalliga spielen kann. Hier müssen wir uns als Region hinterfragen. Wollen wir wirklich Spitzensport haben? Normalerweise müsste die Wirtschaft die Mannschaften unterstützen, die am nächsten am Profisport dran sind, um den Spitzensport zu etablieren und auf das nächste Level zu bringen. Stattdessen müssen wir z.B. mit ansehen, dass die Heilbronner Falken aus der DEL2 absteigen.
Was ist es dann, was euch den sportlichen Erfolg und die überregionale Aufmerksamkeit bringt, wenn es nicht das Geld ist?
Onur Celik: Wir bieten unseren Spielern dieselben Annehmlichkeiten wie ein Oberligist. Dabei spreche ich nicht von großen Gehältern oder Prämien, die wir uns nicht leisten können und wollen. Vielmehr lesen wir ihnen quasi jeden Wunsch von den Augen ab, stellen ihnen die Ausrüstung, unsere Betreuer Natascha und Marco Baam waschen ihnen die Trainingsklamotten und so weiter. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite tragen sie aber das Logo des VfR Heilbronn – und das verpflichtet. Wenn sie nur irgendwo Landesliga spielen wollen, können sie das auch in einem Dorfverein in Hohenlohe machen. Hier sind sie aber beim VfR in der Großstadt Heilbronn, und hier erwarten wir, dass sie sich genauso für den Verein zerreißen, wie wir vom Vorstand es tun. Machen sie das nicht, kann es schnell unangenehm werden.
Was passiert dann, wenn es unangenehm wird?
Onur Celik: Das haben sie nach der 0:3-Pleite beim Landesliga-Vorletzten Pleidelsheim am 10. Spieltag gesehen. Das war eine boden- und niveaulose Leistung, für die wir uns gegenüber unseren Fans und Sponsoren in Grund und Boden geschämt haben. Wir haben ein Exempel statuiert und ihnen gezeigt, was Amateurfußball in seinem tiefsten Kern bedeutet. Sie mussten vier Wochen lang mit ihren eigenen Klamotten zum Training kommen und sich selbst darum kümmern, dass alles gewaschen wird. Da gab es einige lange Gesichter. Aber sie haben in der Zeit erkannt, dass es mit dem VfR-Logo auf der Brust um mehr geht als „nur“ um Fußball. Es geht um den Verein, die Ehrenamtlichen, die Mitglieder, die Fans, die Stadt Heilbronn, die Geschichte, die Zukunft. Und dann musst du auch gegen einen Verein, der von seiner Infrastruktur her Lichtjahre von deinen Zielen entfernt ist, alles geben. Das hat das Team inzwischen verstanden.
Nehmen wir mal an, dass ihr jetzt tatsächlich den Aufstieg in die Verbandsliga schafft. Mit welchen Zielen würdet ihr dort reingehen?
Onur Celik: Wenn wir den Klassenerhalt als Ziel ausgeben würden, würden wir uns kleiner machen als wir sind. Deshalb würden wir vermutlich einen einstelligen Tabellenplatz anvisieren, was gleichzeitig bedeuten würde, dass man die Klasse schon frühzeitig halten könnte. Wir würden jetzt aber nicht hergehen und sagen, wir sind der VfR, wir kommen und marschieren durch. Dafür habe ich zu viel Respekt vor der Verbandsliga. Und noch sind wir nicht aufgestiegen…
Was ist eigentlich dein persönlicher Antrieb für deinen Einsatz?
Onur Celik: Ich habe eigentlich zwei Ziele, oder sagen wir besser Träume. Als ich 1996 als A-Jugend-Spieler mit dem VfR den DFB-Pokal geholt habe, haben wir in der Oberliga gespielt. 30 Jahre später möchte ich den Verein dorthin zurückgebracht haben, wo er damals aufgehört hat – quasi alles auf null stellen. Und dann fängt für mich der Fußball eigentlich erst an, wenn man nicht mehr mit dem Privatfahrzeug, sondern mit dem Bus zu den Auswärtsspielen fährt. Davon träume ich seit der Gründung. Und wenn dann der Gegner aus Offenbach oder Homburg mit dem Mannschaftsbus rückwärts zum Frankenstadion reinfährt, dann beginnt für mich der ganz große Fußball.