U15 des FC Union trainiert mit der Amputierten-Nationalmannschaft

Eine nicht ganz alltägliche Konstellation gab es Ende Juni auf dem Kunstrasenplatz des SV Sinsheim: Der Verein Anpfiff ins Leben hatte die U15-Mannschaft des FC Union Heilbronn zum gemeinsamen Training mit der Amputierten-Fußball Nationalmannschaft eingeladen. Das Team von Bundestrainer Claus Bender und dem aus Heilbronn stammenden Torwarttrainer Markus Junker absolvierte dort im Rahmen seiner Vorbereitung auf die Europameisterschaft ein Trainingslager, bei dem die Heilbronner C-Jugend einen gleichwertigen Sparringspartner abgab. Amputierten-Fußball hatten wir bislang noch nicht auf dem Schirm – deshalb sind wir gerne der Einladung des Heilbronner Anpfiff-Koordinators Martin Lanig gefolgt und haben vor Ort mit den Beteiligten gesprochen. 

Autor: Ralf Scherlinzky

10. August 2021

Bundestrainer Claus Bender 

Torwarttrainer Markus Junker 

Christian Heintz (links) und Stefan Schmidt im Gespräch mit Ralf Scherlinzky 

„Habt keinen Respekt vor den Krücken! Kein Mitleid, weil die Jungs nur ein Bein haben! Wehe, einer von euch zieht im Zweilkampf zurück…“
Als Claus Bender vor dem Beginn der ersten gemeinsamen Einheit ankündigt, was er von den Trainingsgästen erwartet, sitzen 20 Jugendkicker mit großen Augen vor ihm auf dem Rasen. „Einzige Bedingung ist“, so der Bundestrainer der Amputierten-Fußball Nationalmannschaft weiter, „dass ihr den Ball immer nur mit dem gleichen Bein spielen dürft. Das andere Bein markieren wir, und wenn ihr es doch benutzt, wird abgepfiffen.“

Als der Ball rollt, merken die C-Jugendlichen schnell, dass sie es mit robusten Gegnern zu tun haben, die trotz ihres Handicaps richtig gut Fußball spielen können. „Es war anfangs schon noch alles ungewohnt, zumal wir ja auch nur ein Bein benutzen durften“, gibt der 13-Jährige Noah Ruhnke (Foto oben, rechts) später zu. „Aber die Amputierten-Fußballer haben ein richtig gutes Stellungsspiel und halten hart dagegen. Da muss man sich über jeden Spielzug Gedanken machen, um den Ball nicht zu verlieren. Je länger wir gespielt haben, desto mehr sind wir in die Zweikämpfe gegangen und haben Körper gegen Körper gekämpft. Das hat richtig Spaß gemacht.“

Während es für die Heilbronner Teenager eher darum ging, neue Perspektiven kennenzulernen, bedeuteten die Trainingsspiele für die Nationalmannschaft einen Test auf Augenhöhe. „Die Jungs haben uns total gefordert“, gesteht Nationalspieler Christian Heintz und sein Teamkollege Stefan Schmidt stimmt ihm zu: „Wir werden unser erstes EM-Spiel im September gegen Russland bestreiten. Das kann man vom Niveau her mit heute vergleichen. Bei Russland meinst du auch, dass du gegen Zweibeiner spielst.“

Auch Dietmar Pfähler, 1. Vorsitzender des Anpfiff ins Leben e.V., ist von dem Niveau auf dem Platz begeistert. „Diese Art des Trainings ist für die Nationalmannschaft absolut hochwertig. Nur durch solche Spiele können sie sich als Team auf EM-Level bringen“, so der gebürtige Heilbronner, dessen Verein sein eigenes Amputiertenteam für den neuen Ligabetrieb angemeldet hat, der für den Spätsommer geplant ist.

„Der Amputierten-Fußball steht noch ganz am Anfang seiner Entwicklung“, weiß Claus Bender. „Inzwischen gibt es zumindest genügend Sportler, damit wir nun mit vier Teams an drei Standorten in Deutschland mit dem Ligabetrieb starten können. Im nächsten Step geht es darum, in der Öffentlichkeit präsenter zu werden, um amputierte Menschen auf unsere Sportart aufmerksam zu machen.“

Christian Heintz betreibt als Projektleiter Amputierten-Fußball bei Anpfiff ins Leben mit Leidenschaft Lobbyarbeit für seine Sportart. Der ehemals aktive Fußballer Stefan Schmidt erinnert sich: „Nach meiner Amputation hat mich Christian in der Reha so lange bearbeitet, bis ich zuhause mit dem Ball getestet habe, was mit einem Bein noch möglich ist. Sieben Monate später bin ich bei den Amputierten-Fußballern ins Training eingestiegen.“

Heute kämpfen die beiden gemeinsam um einen der 12 Plätze für die Europameisterschaft in Polen. „Vor fünf Jahren hatten wir in ganz Deutschland 16 oder 17 Spieler und jeder, der gerade Urlaub und Zeit hatte, war automatisch bei den Turnieren dabei. Heute haben wir knapp 50 Spieler und einen großen Konkurrenzkampf um die 12 Plätze. Dadurch hat sich das spielerische Level der Nationalmannschaft enorm gesteigert“, so Christian Heintz.

Die besten sieben Teams bei der EM qualifizieren sich für die Weltmeisterschaft. „Da wollen wir dabei sein“, gibt Bundestrainer Claus Bender das Ziel für das kommende Turnier aus.

Amputierten-Fußball wird mit sieben Spielern pro Team (sechs Feldspieler, ein Torwart) auf einem 60 x 40 Meter großen Feld gespielt, die Spieldauer beträgt zweimal 25 Minuten. Es gibt kein Abseits, Einwürfe werden – ähnlich wie bei einem Eckball – als Einkicks durchgeführt. Setzt ein Spieler seine Krücken aktiv am Ball ein, wird dies wie ein Handspiel geahndet. Spieler können beliebig ein- und ausgewechselt werden.

Eine besondere Rolle kommt den Torhütern zu, die beide Beine, aber in der Regel nur einen Arm haben. „Sie dürfen den Strafraum nicht verlassen, können aber mit qualitativ guten, langen Pässen von hinten Torchancen einleiten“, erklärt Markus Junker. Der Sportliche Leiter des FC Union Heilbronn ist seit kurzem auch Torwarttrainer der Amputierten-Fußball Nationalmannschaft – eine Aufgabe, die den ehemaligen Oberliga-Torhüter vor ungeahnte Herausforderungen stellt. „Da unseren Goalies mit nur einem Arm das Gegengewicht fehlt, rotieren sie schnell mit dem ganzen Oberkörper. Weite Abwürfe sind ebenso nur schwer möglich. Wir mussten hier ganz neue Trainingsmethoden entwickeln, auch beim Stellungsspiel – denn durch den fehlenden Arm können sie theoretisch nur 50 Prozent des Tors abdecken“, berichtet Junker.

Hatten sich die Heilbronner C-Jugendlichen zum Beginn noch nicht getraut Fragen zu stellen, sprudeln diese nach dem ersten Trainigsspiel geradezu aus ihnen heraus. Haben die Spieler schon vor ihrer Amputation Fußball gespielt? Wie ist es passiert, dass sie ein Bein verloren haben? Ab welchem Alter darf man spielen? Kann man mit Amputierten-Fußball Geld verdienen? Gibt es eine Bundesliga? Dann kommt die Frage, auf die Claus Bender gewartet hatte: Dürfen wir das auch mal ausprobieren? Gerne geben die Nationalspieler ihre Krücken aus den Händen, damit die jungen Kicker feststellen können: Das Fußballspielen mit einem Bein und Krücken ist alles andere als einfach!

Interessenten am Amputierten-Fußball können sich gerne unter
07261 – 97 466 06 bzw. c.heintz@ail-ev.de bei Christian Heintz melden.