Sport hinter Gittern in der Justizvollzugsanstalt Heilbronn

Entlang der Heilbronner Steinstraße, mitten im Wohngebiet und nahe der Innenstadt, zieht sich eine nicht aufhören wollende, mehrere Meter hohe Mauer. Dahinter befindet sich auf einem rund 3,5 Hektar großen Gelände ein Gebäude, das zum Teil bereits 1867 erbaut wurde. Kaum ein Heilbronner hat bisher hinter diese Mauer geblickt. Und wer dann doch mal das zweifelhafte Vergnügen hatte, kam meist, um für eine längere Zeit zu bleiben. Die Justizvollzugsanstalt (JVA) Heilbronn ist so etwas wie eine Stadt in der Stadt, ein eigenes Ökosystem in einer Parallelwelt zu dem, was sich außerhalb abspielt. Doch das Leben dort hat nichts mit dem zu tun, was man aus dem Fernsehen – und dort womöglich noch aus US-Serien – zu kennen glaubt. Davon konnte sich die SPORTHEILBRONN-Redaktion live überzeugen. Sehr gerne sind wir der Einladung nachgekommen, der JVA einen Besuch abzustatten, um über die sportlichen Aktivitäten hinter Gittern zu berichten. Herzlichen Dank an die beiden für den Sport zuständigen Vollzugsbeamten Steffen Bechle und Toni Haiber, die uns weit tiefere Einblicke in das Gefängnisleben gegeben haben, als wir hier wiedergeben können.

Tolle Sporthalle in etwas gewöhnungsbedürftiger Farbe: Der Sportkomplex der JVA Heilbronn mit dem angeschlossenen Kraftraum.
Fotos: SPORTHEILBRONN

Autor: Ralf Scherlinzky

2. November 2022

Stolz präsentiert uns Steffen Bechle die neue, in grellem Orange gehaltene Sporthalle mit integriertem Fitnessstudio, um die so mancher Heilbronner Verein die JVA beneiden würde: „Inzwischen ist die Halle unser Schmuckstück, aber das war nicht immer so. Sie wurde ursprünglich 1975 gebaut und war irgendwann so marode, dass wir Eimer aufstellen mussten, weil es an verschiedenen Stellen reingeregnet hatte. Letztes Jahr wurde sie dann komplett saniert und jetzt haben wir eine Halle, die sich echt sehen lassen kann.“

Tagsüber nutzen mehrere verschiedene Gruppen die Sportangebote, die neben den Hallensportarten Basketball, Volleyball, Tischtennis und Badminton auch Fußball auf dem Sportplatz im Freien umfassen. Abends dagegen gehören die Sportanlagen der Sportvereinigung Grün-Weiß Heilbronn e.V., einem eigenständigen Verein mit Sitz in der JVA, der an den DJK Heilbronn angegliedert ist und dessen Vorsitz Steffen Bechle innehat. „Da wir aus nachvollziehbaren Gründen keinen Jugendsport anbieten können, kooperieren wir mit dem DJK, damit wir gemeinnützig bleiben können“, erklärt der Vorsitzende.

Wie die Sportvereine draußen, wurde auch der Gefangenensportverein Grün-Weiss durch die Corona-Pandemie ordentlich in Mitleidenschaft gezogen. Bestehende Mitglieder hatten ihre Zeit in der JVA abgesessen und damit ihre Mitgliedschaft abgegeben. Neue kamen keine dazu, da das Sportangebot weitgehend eingefroren werden musste – also konnte der Verein auch kaum Einnahmen durch Mitgliedsgebühren generieren. Doch so langsam sollen neben dem Fußball auch die Hallensportarten wiederbelebt werden.

Ein erster großer Schritt in Richtung sportliche Normalität war das JVA-Sportfest am 8. Oktober 2022, das erstmals seit Beginn der Pandemie wieder stattfinden konnte. Zwei Monate lang plante ein mehrköpfiges Organisationskommitee das Event, bei dem es um weit mehr als um den Sport ging. „Das Sportfest ist für die Gefangenen auch ein gesellschaftliches Event, denn wir grillen gemeinsam und richten uns an diesem Tag auch nicht nach dem normalen Tagesablauf“, weiß Toni Haiber. „Vor Corona waren dann auch die Lebensgefährtinnen der Insassen dabei und wir hatten auch weitere Gäste von außen da – wie zum Beispiel den Boxer Dominik Britsch oder auch die zweite Mannschaft des VfB Stuttgart. Wir hoffen, dass wir relativ schnell wieder daran anknüpfen können.“

Steffen Bechle (2. von rechts) führte die SPORTHEILBRONN-Redaktion durch die JVA Heilbronn.

Einer, der sich bei Grün-Weiß engagiert und aktiv an der Organisation mitgearbeitet hat, ist Robin H. „Wir haben zwei Monate lang alles geplant, immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass uns Corona womöglich wieder einen Strich durch die Rechnung machen könnte“, berichtet der JVA-Insasse. „Dafür hat das Sportfest dann umso mehr Spaß gemacht, als es tatsächlich stattfinden konnte. Wir haben einen Wettbewerb mit verschiedenen Kraftsport-Wettkämpfen ausgetragen. Da hat man dann schon Sternchen gesehen und ich war am nächsten Tag noch fertig – was aber vielleicht auch an den vielen Steaks gelegen hat, die ich an dem Tag gegessen habe“, lacht er.

Allgemein sei der Sport für ihn das Wichtigste, was es im JVA-Alltag gibt, berichtet Robin H., der der Arbeitsgruppe der Reiniger angehört, die für die Sauberkeit und die Essensausgabe für die Mitgefangenen zuständig ist. „Wenn du dich nicht auspowern kannst, hast du die ganze Zeit nur deine Probleme im Kopf. Beim Sport kannst du dich aber für eine Stunde ablenken, und vor allem siehst du in der Sporthalle keine Gitter. Das ist fast ein bisschen wie draußen.“

Was uns besonders auffällt, als rund 20 Gefangene während ihres Hofgangs um uns herum Basketball spielen und im Kraftraum „pumpen“, ist der höfliche Umgangston zwischen Insassen und Bediensteten. „Bitte“ und „danke“ gehören ebenso dazu, wie die persönliche Ansprache per „Sie“ und „Herr“. Hatten wir die JVA anfangs noch mit den Bildern von US-Serien im Hinterkopf und mit einem flauen Gefühl betreten, fühlen wir uns auch in der Gesellschaft der Insassen wohl.

„Unser Umgang beruht auf gegenseitigem Respekt“, erklärt Steffen Bechle. „Im Gefängnis Sport treiben zu dürfen ist ein Privileg, das man nicht leichtfertig aus der Hand gibt. Natürlich müssen wir achtsam und mit dem nötigen Fingerspitzengefühl agieren, aber der Sport verbindet. Solange wir gemeinsam Sport treiben, legen wir auch unsere Uniformen ab. So kann man auf einer ganz anderen Ebene agieren und entwickelt auch ein gegenseitiges Vertrauen. Ich mache jetzt seit 15 Jahren Sport mit den Gefangenen und kann mich nur an eine oder zwei kleine Auseinandersetzungen erinnern. Ärger machen eher diejenigen, die keinen Sport treiben und unausgeglichen sind.“

Die JVA-Mitarbeiter, die mit den Gefangenen Sport machen, haben alle mindestens den Übungsleiter C-Trainerschein. Doch die Übungsleiter kommen nicht nur aus dem Kreis der Vollzugsbeamten – auch Gefangene können Verantwortung als Trainer übernehmen. „Zum Teil bringen sie bereits eine Trainerausbildung von außen mit rein, es gibt aber auch die Möglichkeit, als Gefangener den C-Schein zu machen“, sagt Toni Haiber. „In der JVA Bruchsal wird die Übungsleiter-Ausbildung für Gefangene angeboten. Wenn sie den Schein machen wollen, kommen sie für ein paar Wochen nach Bruchsal und kehren dann mit dem Trainerschein wieder zu uns zurück.“

Dies ist bei weitem nicht die einzige Fortbildungsmöglichkeit, die die Justizvollzugsanstalten in Deutschland und Baden-Württemberg ihren Insassen ermöglichen. „Wenn man möchte und die passende Einstellung hat, kann man die Zeit im Gefängnis richtig gut nutzen“, so Toni Haiber. „Wir bieten Deutschkurse an und man kann bei uns den Hauptschulabschluss nachholen. Für die Mittlere Reife kann man nach Freiburg verlegt werden und es gibt auch die Möglichkeit ein Fernstudium zu absolvieren.“

Steffen Bechle ergänzt, dass in Betrieben der JVA Heilbronn auch Berufsausbildungen gemacht werden können, beispielsweise als Schreiner oder als Schlosser: „Dafür haben wir fast täglich einen Berufsschullehrer hier – selbst, wenn er nur für einen Gefangenen kommt. Aber natürlich funktioniert die Ausbildung nur für Leute, die mehrere Jahre hier sind.“

Im Durchschnitt bleiben die rund 300 Gefangenen für fünf bis sechs Jahre in der JVA Heilbronn, ehe sie wieder in die Freiheit entlassen werden. Es habe aber, schmunzelt Toni Haiber, auch schon Leute gegeben, die wegen Schwarzfahren für wenige Tage einsitzen mussten: „Mit so jemandem zu arbeiten, ist natürlich fast nicht möglich.“

Für uns als SPORTHEILBRONN-Redaktion war der Besuch in der JVA Heilbronn und die Führung durch den Zellentrakt, die Besuchszimmer, den Keller und die Sportanlagen einer der interessantesten Termine der letzten Jahre, bei dem wir gelernt haben, dass das, was uns die TV-Serien vom Gefängnisalltag vorgaukeln, nicht viel mit der Realität zu tun hat.