Spitzensport und Beruf: Sportler als Bereicherung für Unternehmen
Geld verdienen mit Spitzensport? Klar, das geht. Zumindest, wenn man sich für die richtige Mannschaftssportart entschieden hat. Was ist aber mit den vielen Sportlerinnen und Sportlern, die in Einzelsportarten zur Spitze gehören? Die jüngste Debatte über das Abschneiden der deutschen Leichtathleten bei den Weltmeisterschaften in Budapest zeigt uns wieder einmal, dass kaum ein Einzelsportler seinen Lebensunterhalt allein durch den Sport bestreiten kann. Vor einiger Zeit hatten wir uns mal mit Judo-Vizeweltmeisterin Katharina Menz über dieses Thema unterhalten, die uns von ihrem kulanten und verständigen Arbeitgeber vorschwärmte. Seither werden wir immer häufiger mit dem Fachkräftemangel auf der einen und den fehlenden Arbeitsstellen für Spitzensportler auf der anderen Seite konfrontiert.
Grund genug für uns, um Katharinas Arbeitgeber, dem Heinrich Kipp Werk in Sulz am Neckar, einen Besuch abzustatten. Mit Karl-Josef Rebmann, Mitglied der Kipp-Geschäftsleitung und verantwortlich für Personal und Organisation, sowie mit Katharina Menz und ihrem Kollegen Tim-Oliver Geßwein (Dritter der Trampolin-WM 2022 im Team) haben wir über die Vereinbarkeit von Spitzensport und Beruf diskutiert und dabei die Benefits für beide Seiten herausgearbeitet. Herausgekommen ist dieser Beitrag, mit dem wir andere Unternehmen gerne dazu ermutigen möchten, auf der Suche nach qualifizierten Arbeitskräften auch die noch weitgehend unerschlossene Zielgruppe Spitzensportler in Betracht zu ziehen.
Autor: Ralf Scherlinzky
„Sportler sind nie da. Sind gerade keine Wettkämpfe, müssen sie zum Training. Ist gerade kein Training, sind sie verletzt. Sie fehlen mehr, als sie bei der Arbeit sind. Wozu soll mein Unternehmen also Sportler einstellen?“
Karl-Josef Rebmann schüttelt den Kopf, wenn er solche Aussagen hört. „Ich habe in den letzten 13 Jahren über 30 Spitzensportler beschäftigt und dabei ausschließlich sehr positive Erfahrungen gemacht“, sagt der Verantwortliche für Personal und Organisation beim Heinrich Kipp Werk. „Wenn man als Arbeitgeber so viel Flexibilität bietet, dass die Sportlerinnen und Sportler Training und Arbeit vereinbaren können, bekommt man unglaublich viel zurück. Was sie vor allem auszeichnet ist, dass sie extrem gut organisiert sind, ein super Zeitmanagement haben und sehr zielorientiert arbeiten. Das spürt man eins zu eins im Arbeitsalltag. Sie sind oftmals auch von der Persönlichkeit einfach reifer. Und ich habe vielfach die Erfahrung gemacht, dass ein Spitzensportler in Teilzeit mehr weggearbeitet bekommt, als jemand, der in Vollzeit arbeitet.“
Karl-Josef Rebmann (3. von rechts), Katharina Menz und Tim-Oliver Geßwein im Gespräch mit den SPORTHEILBRONN-Redakteuren Lara Auchter und Ralf Scherlinzky. Fotos: Heinrich Kipp Werk
In Teilzeit sind sowohl Katharina Menz als auch Tim-Oliver Geßwein bei Kipp angestellt. „Ich arbeite als Management-Trainee 20 Stunden pro Woche im Bereich kontinuierlicher Verbesserungsprozess“, berichtet die 33-jährige Backnangerin, die einen Bachelor-Abschluss in Mechatronik hat. „Ich habe meine festen Zeiten, zu denen ich im Betrieb bin, denn so wissen die Kollegen, wann sie mit mir planen können. Wenn ich aber weiß, dass etwas Dringendes anliegt, verschiebe ich auch mal ein Training und bleibe abends länger oder nehme den Laptop mit ins Trainingslager. Ich kriege von der Firma so viel, dass ich das unbedingt auch zurückgeben möchte.“
Mit einer ähnlichen Einstellung geht auch Tim-Oliver Geßwein zur Arbeit. Der 27-Jährige schloss 2022 sein Master-Studium in Maschinenbau ab und kam als Trainee zum Heinrich Kipp Werk. Schon nach kurzer Zeit wurde er übernommen und arbeitet beim Automobil-Zulieferer jetzt 28 Stunden pro Woche in der Vorentwicklung für die Bereiche Sonderausstattung, Laderaum, Aerodynamik und komplexe Frästeile. Acht Trainingseinheiten pro Woche absolviert der Waiblinger in der Sportschule Ruit in Ostfildern, an zwei Tagen pro Woche fährt er nach Sulz am Neckar. Die restliche Arbeitszeit verbringt er im Homeoffice. „Durch meinen Dienstwagen ist das Pendeln zwischen meinem Wohnort Ebersbach, der Sportschule Ruit und der Arbeit trotz der vielen Kilometer recht entspannt“, sagt er.
Spitzensport als Philosophie
„Dazu muss man wissen, dass der Spitzensport fest in unserer Firmenphilosophie verankert ist“, erklärt Karl-Josef Rebmann. „Auch bei unserem Sommerfest für die Mitarbeiter und ihre Familien mit über 1.000 Besuchern stand der Sport im Mittelpunkt. Katharina machte eine Judo-Vorführung, Tim präsentierte den Trampolinsport und als Gast stand auch noch der ehemalige VfB-Fußballprofi Christian Gentner für Selfies und Autogramme zur Verfügung. Katharina geht auch immer mal wieder als Kipp-Mitarbeiterin in Schulen und übernimmt dort Sportstunden, und mit Tim und seinem Partner haben wir beim Tennisturnier in Horb zwischen Halbfinale und Finale eine Synchron-Trampolinshow organisiert. Wieso machen wir das alles? Nun, unsere Spitzensportler schaffen bei den Leuten Emotionen. Wenn der Sohn oder die Tochter strahlend mit einem gemeinsamen Bild mit Katharina und ihrer Olympia-Medaille nach Hause kommt, ist das etwas Besonderes, wo ich sage, Mensch, der Kipp muss ein tolles Unternehmen sein. Letztendlich ist der Spitzensport ein wichtiger Faktor für unser Arbeitgebermarketing.“
Die Besucher des Sommerfests staunen über die sportlichen Fähigkeiten ihrer Kollegin Katharina Menz.
Identifikation mit der Kollegin
Auch das Mitfiebern mit der Kollegin oder dem Kollegen lasse im Unternehmen etwas entstehen, so Karl-Josef Rebmann weiter. „Wenn die Kipp-Belegschaft am Wochenende am Livestream mitfiebert, wenn Katharina Menz bei der Weltmeisterschaft kämpft, dann schafft das auch eine Identifikation mit dem Unternehmen.“
Spitzensportler in kleineren Unternehmen
Gut, mit dem Heinrich Kipp Werk haben wir uns ein Unternehmen mit über 1.000 Mitarbeitern herausgesucht. Wie verhält sich das Thema Spitzensport nun aber bei kleineren Unternehmen mit 10 oder 20 Mitarbeitern? Die Hemmschwelle, jemanden aus dem Spitzensport einzustellen, dürfte dort wesentlich höher sein, macht der- oder diejenige doch einen größeren Teil der Firma aus.
„Das würde für mich keinen Unterschied machen und die Scheu wäre völlig unbegründet“, sagt Karl-Josef Rebmann. „Bei den über 30 Sportlerinnen und Sportlern, die ich bisher betreut habe, hat jeder einzelne genauso für seine Arbeit gebrannt wie für seinen Sport. Das sind alles starke Persönlichkeiten, bei denen der Drive, der Wille, das Engagement Teil ihrer DNA ist. Bietet man ihnen zeitliche Flexibilität, zahlen sie dies vielfach zurück. Und gerade in einem kleineren Unternehmen kriegen die 10, 15, 20 Kollegen hautnah mit, was jemand persönlich investiert, um die Beschäftigung im Unternehmen sehr gut auszuüben und parallel im Spitzensport erfolgreich zu sein. Da relativieren sich manche eigenen Problemchen oft ganz schnell.“
Ein nicht zu vernachlässigender Aspekt: In Randsportarten muss für die Zeit nach der Karriere zwingend ein berufliches Standbein aufgebaut werden. Schon dieser Fakt ist Antrieb genug, um auch während der Sportlerkarriere im Beruf Vollgas zu geben. „Auch wenn ich momentan nur 28 Stunden arbeite, macht mir mein Job sehr viel Spaß und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass ich auch nach dem Sport gerne hier bleiben möchte“, bestätigt Tim-Oliver Geßwein.
Fazit der Redaktion
In einer Zeit des extremen Fachkräftemangels bieten Spitzensportler eine Zielgruppe, die bislang die wenigsten Arbeitgeber auf dem Schirm haben. Ein Großteil der Spitzensportler ist fachlich hoch qualifiziert und bringt dazu noch positive Eigenschaften mit, die andere potenzielle Arbeitnehmer möglicherweise vermissen lassen. Mit etwas gutem Willen und Flexibilität kann sich ein Unternehmer bei seiner Suche nach Fachkräften eine ganz neue Zielgruppe erschließen, die noch wenige auf dem Schirm haben.
Wir werden uns künftig verstärkt für die Vermittlung von Sportlern als Arbeitnehmer engagieren. Unser Chefredakteur Ralf Scherlinzky freut sich auf Anfragen von interessierten Unternehmen an
ralf@winwinsport.de oder telefonisch an 0172 2117869.