Selbstbestimmte Motivation – Eine „zarte Pflanze“

Kürzlich rief mich ein Freund an: er habe seinen Schlüssel in der Wohnung vergessen und sich selbst ausgesperrt, ob ich vorbeikommen könne, um ihm zu helfen (es war sehr kalt an diesem Tag und ich habe einen Ersatzschlüssel). Selbstverständlich habe ich die 30-minütige Fahrt auf mich genommen, um ihm aus der Patsche zu helfen. Als wir uns vor Ort verabschiedeten, gab er mir eine Flasche seines teuersten Rotweins. Auf der Rückfahrt stellte ich mir dann folgende Fragen: Ist mein Freundschaftsdienst durch die Gabe dieser teuren Flasche entwertet worden? Welche Auswirkung auf meine Motivation hätte es, wenn er mir bereits vor dem Entschluss, ihm zu helfen, angekündigt hätte, mir (dann) eine Flasche Wein geben zu wollen?

Autor: Prof. Dr. Dirk Schwarzer

10. Februar 2022

Motivation ist die Frage nach dem „Warum“ und dem „Wozu“ eines Verhaltens. Es geht um die Klärung der Beweggründe und der Ziele, die wir als attraktiv erachten. Warum entscheiden wir uns gegen die Kneipentour mit unseren Freunden und für die harte Trainingseinheit am Abend? Warum engagieren wir uns im Ehrenamt? Wozu möchten viele Freizeitsportler in einen sportlichen Wettbewerb treten und belassen es nicht bei der einsamen Jogging-Runde am Abend? Welche Anreize bieten Trendsportarten gegenüber etablierten Sportarten mit normiertem Regelwerk?

Motivation entsteht in aller Regel dann, wenn unsere persönlichen Bedürfnisse auf Gelegenheiten mit hohem Aufforderungscharakter treffen. So dürfte es zu einem Motivationszuwachs kommen, wenn eine ambitionierte Athletin mit einem starken Leistungsmotiv eine Einladung zu einem A-Länderspiel erhält. Auch die Wahl in die Vorstandschaft eines Sportvereins dürfte einen Ehrenamtlichen positiv bewegen, da er sein Organisationstalent und seine Erfahrungen für das Wohl der Vereinsmitglieder wird einsetzen können. Die Bedürfnisse – auch Motive genannt – sind in den beiden Beispielen ganz unterschiedlich, letztlich resultiert eine wirksame Motivation, die wiederum mit guten Leistungen, Zufriedenheit und Wohlbefinden in Zusammenhang steht.

Neben der reinen Menge an Motivation (viel oder wenig) sollte auch die Art der Motivation betrachtet werden. Wenn wir etwas tun, weil wir eine Bestrafung befürchten oder weil eine Belohnung in Aussicht steht, so spricht man von extrinsischer Motivation. Der Anreiz liegt in den erstre-benswerten Folgen einer Tätigkeit. Beispiele wären Bonuszahlungen in der Wirtschaft, die zu erwartende Nominierung für den Kader des Bundesliga-Teams oder das ersehnte Lob der Eltern nach einem wichtigen Sieg. Intrinsische Motivation liegt vor, wenn der Reiz oder der Sinn in der Sache selbst liegt: Der Flow bei einer Tiefschnell-Abfahrt, die Neugier bei der Entdeckung einer neuen Fahrradroute oder die Freude daran, jungen Menschen bei der Entfaltung ihrer Talente zu unterstützen (oder einem Freund aus einer Notlage zu helfen).

In älteren Studien der Motivationspsychologie ging man davon aus, dass intrinsische und extrinsische Motivation Gegenspieler seien: entweder wir sind durch die Freude und den Sinn einer Tätigkeit motiviert oder durch die Folgen, die aus einer Tätigkeit resultieren. Heute sieht man diese beiden Motivationsarten eher als sich ergänzend. Beispielsweise gehen wir (hoffentlich) gerne zur Arbeit, obwohl wir dafür entlohnt werden. Auch kann es zu einer Umwandlung von extrinsischer zu intrinsischer Motivation kommen: Wir schließen uns einer Gesundheitssport-Gruppe an und gehen zweimal pro Woche eine Stunde Walken. Der Arzt hat uns dieses Bewegungsprogramm aufgrund unserer hohen Blutdruckwerte verordnet. Anfangs fällt uns das wöchentliche Walken sehr schwer, wir tun es eben, weil es der Arzt gesagt hat und wir uns eine positive Veränderung unseres Gesundheitszustandes erhoffen. Mit der Zeit geht die ursprüngliche extrinsische in eine intrinsische Motivation über, letztlich müssen wir uns nicht mehr aufraffen und die regelmäßige Bewegung in einer Gruppe mit Gleichgesinnten bereitet uns plötzlich Freude.

Wie wir festgestellt haben, können sich beide Motivationsarten ergänzen. Allerdings können sie sich auch verdrängen. In der Psychologie wird dieses Phänomen „Motivationsverdrängung“ oder „Korrumpierungseffekt“ genannt. Wenn Menschen etwas aus eigenem Antrieb und gerne tun, dann kann unter Umständen eine Belohnung zu einem Motivationsverlust führen. Intrinsische Motivation, so der Psychologe Stefan Güntert (2017, S. 6), sei eine «zarte Pflanze», die sehr sensibel auf Manipulationsversuche reagiere. In zahlreichen Studien konnte belegt werden, dass Belohnungen (monetäre Anreize, Preise, Auszeichnungen etc.), die zwar gut gemeint sein mögen, intrinsische Motivation untergraben können, wenn sie von der belohnten Person in einer gewissen Art als kontrollierend und fremdbestimmt erlebt werden (wir erinnern uns an die anfangs erzählte Geschichte).

Im Grunde sind es drei zentrale psychologische Bedürfnisse, die für unsere intrinsische Motivation eine zentrale Rolle spielen: Wir möchten uns wirkmächtig und kompetent erleben (Kompetenz), darüber hinaus ist die Verbundenheit mit anderen Menschen ein starker Motivator (soziale Eingebundenheit), und schließlich drängt es uns nach selbstbestimmtem Handeln, bei dem wir in Einklang mit unseren Interessen, Stärken und Werten, frei von äußeren Zwängen unseren Aufgaben nachgehen können (Autonomie).

Die Befriedigung dieser drei Bedürfnisse ist der Schlüssel zu selbstbestimmter Motivation, auch in Sportorganisationen. Gerade im Umgang mit Freiwilligen im Ehrenamt dürfte eine kritische Diskussion zur Motivationsförderung entlang dieser drei Motive vielversprechende Ansätze liefern. Eine vereinsinterne Anerkennungs- und Wertschätzungskultur steht nicht im Widerspruch zur Motivationsverdrängung, sofern bei den ehrenamtlich Tätigen nicht das belastende Gefühl der Verpflichtung resultiert. Im Kern geht es um die Sinnhaftigkeit ehrenamtlichen Engagements: das Leben anderer Menschen wird bedeutsam beeinflusst, eine Orientierung am Gemeinwohl. Dies darf gerne durch informatives Feedback transparent gemacht werden, und zwar vor allem von den „Empfängern“ dieser Leistungen, nämlich den Vereinsmitgliedern.

Literatur
Dobelli, R. (2012). Die Kunst des klugen Handelns. 52 Irrwege, die Sie besser anderen überlassen. München, Carl Hanser Verlag
Güntert, S. T. (2015). Selbstbestimmung in der Freiwilligenarbeit. In T. Wehner & S. T. Güntert (Eds.), Psychologie der Freiwilligenarbeit – Motivation, Gestaltung und Organisation (pp. 77-93). Heidelberg: Springer Verlag.