Schwimmhochburg Neckarsulm: Mit dualer Karriere zum Erfolg

Die Sport-Union Neckarsulm (SUN) leistet im deutschen Schwimmsport Außergewöhnliches: Gleich fünf Neckarsulmer Athletinnen und Athleten qualifizierten sich für die Olympischen Spiele in Tokio, ein weiterer qualifizierter Schwimmer aus Aruba trainiert ebenfalls in der Zweiradstadt. Was die Schwimmabteilung aus Neckarsulm so besonders macht, worin sich der große Erfolg begründet und wo es künftig noch hingehen soll, darüber haben wir mit SUN-Teammanager und Vorstandsmitglied Christian Hirschmann sowie Olympiateilnehmer Henning Mühlleitner kurz vor dessen Abreise nach Tokio gesprochen. 

Autor: Lena Staiger

11. August 2021

Teammanager Christian Hirschmann legt großen Wert auf die Duale Karriere seiner Schwimmerinnen und Schwimmer.

Henning Mühlleitner im Gespräch mit Lena Staiger.

Fotos: Achim Gehrig (3)

Mit Annika Bruhn, Marie Pietruschka, Fabian Schwingenschlögl, Henning Mühlleitner und Celine Rieder besteht gefühlt die halbe deutsche Schwimmmannschaft in Tokio aus Neckarsulmerinnen und Neckarsulmern. Was macht ihr anders, um so einen großen Erfolg zu haben?
Christian Hirschmann: Naja, ein paar andere Sportlerinnen und Sportler sind schon dabei (lacht). Nein im Ernst, ich glaube das ist schwierig zu beantworten. Sportlich gesehen haben wir ein höchst professionelles Umfeld geschaffen, in dem sich alle wohl fühlen und ihr volles Potenzial entfalten können. Wir haben mit Matthew Magee inzwischen einen sehr erfahrenen Coach aus Australien für uns gewinnen können, der mit vielen Sportlerinnen und Sportlern schon internationale Medaillen geholt hat.
Henning Mühlleitner: Für mich als Sportler war der neue Trainer auch ein kompletter Tapetenwechsel, er bringt ganz neue Ansichten und Erfahrungen mit ein. Er hat eine andere Philosophie vom Schwimmen, für ihn zählt vor der Quantität der Trainingseinheiten vor allem erstmal die Qualität. Davor musste man bei manch einem anderen Trainer einfach nur seinen Kopf ausschalten und schwimmen. Matt setzt auch bewusst mal ruhige Einheiten.

Online findet man euch teilweise unter dem Namen „ONEflow Aquatics“. Wie gehören SUN und ONEflow organisatorisch zusammen?
Christian Hirschmann: Was oft falsch verstanden wird: Wir haben kein ausgegliedertes Profi-Team in Form einer GmbH. Wir sind die Sport-Union Neckarsulm und starten für diese auch im nationalen Kontext. Das ist uns sehr wichtig. Hier haben wir unsere Base und hier sind wir zuhause. Alle Schwimmerinnen und Schwimmer haben auch eine Neckarsulmer Adresse und wohnen hier. International treten wir als ONEflow Aquatics an. Das ist die Vereinbarung, die wir mit unserem Hauptsponsor, der ONEflow GmbH, getroffen haben. Alles Organisatorische liegt aber weiterhin in Neckarsulm.

Wie groß ist euer Team und nach welchen Kriterien stellt ihr eure Athletinnen und Athleten zusammen?
Christian Hirschmann: Durch die Verschiebung der Olympischen Spiele auf dieses Jahr ist das Team mit 14 Sportlerinnen und Sportlern ungewöhnlich groß. Manche hatten eigentlich nur bis 2020 geplant, die wollten wir jetzt aber natürlich nicht im Regen stehen lassen. Gleichzeitig haben wir schon einige Athletinnen und Athleten mit dem Ziel Paris 2024 im Team. Wenn wir neue Teammitglieder aufnehmen, sollten diese national mindestens die Finals mitgeschwommen sein, besser schon eine Medaille gewonnen haben. Allgemein müssen sie sich auch bewusst für das Konzept der dualen Karriere entscheiden. Vollprofis, die nur schwimmen, gibt es bei uns im Team nicht. Von uns bekommt auch keiner ein Gehalt o.ä. ausgezahlt. Uns ist es einfach wichtig, dass die Schwimmerinnen und Schwimmer nach ihrer aktiven Karriere auch etwas in der Arbeitswelt vorzuweisen haben. Fabian Schwingenschlögl zum Beispiel hat mit seinen 31 Jahren immerhin schon drei Jahre Berufserfahrung als Wirtschaftsingenieur.

Wenn die Duale Karriere bei euch so groß geschrieben wird, wie lässt sich das mit einem so enormen Trainingspensum vereinbaren?
Christian Hirschmann: Die Sportlerinnen und Sportler müssen dafür natürlich sehr diszipliniert sein. Unter der Woche machen wir um 6.15 Uhr die Türen zum Bad auf, um 6.30 Uhr geht’s ins Wasser. Nach der ersten Trainingseinheit gehen die Athletinnen und Athleten zu ihren Arbeitgebern oder an die Hochschule. In der Regel haben sie Teilzeitstellen auf 50 Prozent und die Studierenden können ihre Studienzeit um einige Semester verlängern. Da bestehen tolle Kooperationen mit der Hochschule Heilbronn und einigen ansässigen Unternehmen. Nachmittags geht es dann um 15.30 Uhr weiter und an zwei bis drei Tagen pro Woche steht nach der Wassereinheit noch eine Stunde Training im Kraftraum an. Die Tage sind also bis zum Anschlag gefüllt.
Henning Mühlleitner: Gerade die duale Karriere ist für viele Schwimmerinnen und Schwimmer ein Hauptargument für den Standort hier. Als Schwimmer kannst du einfach während deiner Karriere kein Geld verdienen, da musst du parallel nach deinem beruflichen Werdegang schauen. Ich studiere zum Beispiel Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Heilbronn und stehe jetzt kurz vor meinem Abschluss.

Scoutet ihr auch im Nachwuchsbereich schon die nächsten Talente?
Christian Hirschmann: Natürlich beobachten wir, was international so passiert. Vor allem aber schauen wir uns Sportlerinnen und Sportler aus der Region an, da wir ja offiziell ein Landesstützpunkt sind. Seit Januar haben wir mit dem US-Amerikaner Daniel Morse einen hauptamtlichen Nachwuchstrainer eingestellt, der jetzt das Jugendleistungsteam des Landesstützpunktes aufbaut. Wir haben auch einige Kooperationen mit Schulen, was den Schwimmunterricht angeht. Was wir auf jeden Fall vermeiden wollen, ist ein abgehobenes Hochleistungsteam ohne Nachwuchs als Unterbau. Die Verdopplung der Schwimmenden in der SUN widerlegt die Aussage, dass wir hier nur Leistungssport betreiben. Olympia ist wichtig, aber ebenso wichtig ist auch eine breite Basis im Verein.

Was macht für euch den Standort Neckarsulm so besonders?
Christian Hirschmann: In erster Linie haben wir hier sehr viele Menschen, die sich einbringen und unser Projekt unterstützen. Der große Vorteil in Neckarsulm ist der riesige Support durch Partner und Sponsoren. Die Bereitstellung des Sportbads durch die Stadt Neckarsulm ist natürlich besonders hervorzuheben. Auch die Sporthilfe Unterland trägt nicht nur finanziell, sondern auch mit Kontakten und Organisation zu einem großen Teil zu unserem Erfolg bei. Hier herrscht einfach ein konstruktives Umfeld, was den Sportlerinnen und Sportlern erlaubt, zu wachsen und sich zu verbessern.

Bis unsere Leser diese SPORTHEILBRONN-Ausgabe in den Händen halten, sind die Schwimmwettbewerbe in Tokio schon vorüber. Wir fragen euch jetzt aber dennoch nach euren Zielen für die Olympischen Spiele, damit wir dann Anspruch und Wirklichkeit vergleichen können. Deshalb: Wie weit kommen die Neckarsulmer Schwimmerinnen und Schwimmer in Tokio?
Christian Hirschmann: Ich denke, Medaillen sind diesmal noch etwas zu weit weg. Natürlich ist es das Ziel, so weit vorne wie möglich mitzuschwimmen. Für Annika Bruhn, Fabian Schwingenschlögl und Henning Mühlleitner geht es ganz klar um Finalteilnahmen. Für 2024 stehen dann Medaillen auf der Zieletafel.
Henning Mühlleitner: Für mich war es erstmal eine große Hürde, die Qualifikation in der Staffel und im Einzel zu holen. Die Wochen mit den Qualifikationswettbewerben waren sehr stressig und wir waren alle froh, als es dann offiziell war. Es sind meine ersten Olympischen Spiele und eine Finalteilnahme über die 400 Meter Kraul wäre natürlich top. Auch in der Staffel über viermal 200 Meter Kraul können wir eine Finalteilnahme schaffen, wenn wir uns alle zusammenreißen und Vollgas geben. Allgemein bin ich gespannt, wie die Vorläufe werden. Anders als bei anderen Wettbewerben finden die Vorläufe abends und die Finals erst am nächsten Morgen statt. Ich vermute, dass das die Vorläufe ziemlich schnell werden lässt, da viele Athletinnen und Athleten abends schneller schwimmen. Schade ist nur, dass man spätestens 48 Stunden nach Ende bzw. nach dem Ausscheiden aus dem Turnier das Land verlassen haben muss und wir so keine Möglichkeit haben, andere Wettkämpfe anzuschauen. Die Hygienemaßnahmen sind sehr streng. Wir dürfen uns nur im olympischen Dorf frei bewegen, in die Stadt oder in öffentliche Verkehrsmittel dürfen wir nicht. Nichtsdestotrotz freue ich mich natürlich riesig auf die Spiele!