Profisport ohne Zuschauer – beeindruckend unspektakulär

Seit November 2020 findet der Sport in Deutschland nur noch bei den Profis statt – oder eben im heimischen Wohnzimmer beim Home-Workout. Zuschauer sind nicht erlaubt und die Sportlerinnen und Sportler befinden sich in der „Blase“ oder auch, neudeutsch gesagt, in der „Bubble“. Während die Fans bei den Veranstaltungen außen vor bleiben, genießen Pressevertreter das Privileg, zur Ausübung ihres Berufes vor Ort dabei sein zu dürfen. Unsere Redakteure Ralf Scherlinzky und Enny Bayer haben dies genutzt und sich auf den Weg gemacht, um herauszufinden, was sich eigentlich hinter dieser vielzitierten „Blase“ verbirgt. Bei Heimspielen von Heilbronner Falken, Neckarsulmer Sport-Union, Adler Mannheim, Mad Dogs Mannheim, Eulen Ludwigshafen und FRISCH AUF! Göppingen haben sie mit den jeweiligen Heilbronner Akteuren sowie den Verantwortlichen gesprochen und in den Hallen eine beeindruckend unspektakuläre Atmosphäre vorgefunden.

Fotos: Michael Sonnick, Steffen Hoffmann, Ralf Scherlinzky, Marcel Tschamke, FRISCH AUF! Göppingen

Autor: Ralf Scherlinzky

6. März 2021

Gleich mal vorweg an die Fans, die unsere Redakteure beneidet haben, weil sie ein paar Sportevents live in der Halle miterleben konnten:

Eishockeyspiele ohne Zuschauer zu erleben, ist vergleichbar mit einer Fernseh-Liveübertragung ohne Kommentator. Das Stadionfeeling fehlt. Keine Anfeuerungsrufe, keine Pfiffe, keine Sprechchöre, kein Jubel. Dafür ist wirklich alles zu hören, was auf dem Eis geschieht. Der Moment, in dem der Schläger den Puck trifft. Der Hall, wenn die Scheibe an das Plexiglas donnert. Das Stöhnen der Spieler, wenn sie an die Bande gecheckt werden. Oder Reklamationen von der Spielerbank à la „Schiri, der hält den Schläger fest“. Auch das „F-Wort“ fällt überraschend oft…

Eine Anekdote vom Spiel der Adler Mannheim gegen die Schwenninger Wild Wings müssen wir an dieser Stelle erzählen, denn sie umschreibt mit wenigen Worten die Atmosphäre vor Ort: In der leeren SAP-Arena bleibt ein Spieler verletzt auf dem Eis liegen und steht nach einer kurzen Behandlung durch den Physiotherapeuten wieder auf. Wo normalerweise über 10.000 Fans applaudieren, klatschen irgendwo in der Halle zwei einsame Hände Applaus. Die Akteure beider Teams drehen sich um, blicken suchend auf die leeren Ränge und entdecken irgendwo hinter dem Schwenninger Tor einen Sanitäter, der dem Spieler Applaus spendet. Beeindruckend unspektakulär.

In Sachen Stimmung haben die Handball-Bundesligisten gegenüber ihren Eishockey-Kollegen in jedem Fall die Nase vorne. Sei es in der Ballei bei der Neckarsulmer Sport-Union, in der „Eberthölle“ bei den Eulen Ludwigshafen oder in der „Hölle Süd“ bei FRISCH AUF! Göppingen – in allen drei Locations werden die Spielerinnen und Spieler 60 Minuten lang von Trommlern angefeuert. Anfeuerungen trotz Zuschauerverbot? Lisa Heßler, Geschäftsführerin der Eulen Ludwigshafen, erklärt: „Um einen Bundesliga- Spieltag durchführen zu können, benötigen wir Helfer für die verschiedensten Aufgaben, die so oder so in der Halle sind. Sie bekommen von uns Trommeln in die Hand, um dem Team zu helfen.“

Eine Sache haben alle sechs Vereine gemeinsam: Trotz leerer Ränge legen sich die jeweiligen Stadionsprecher ins Zeug, als seien die Hallen ausverkauft. Die Spieler der Heilbronner Falken laufen im Kunstnebel durch den aufblasbaren Falkenkopf aufs Eis. Bei den Adlern tönt im Dunkeln, bei rot-weiß-blauen, über die Eisfläche tanzenden Spots Peter Schillings „Völlig losgelöst“ und in Ludwigshafen schreit der Stadionsprecher „Auf geht‘s alle zusammen“ ins Mikro.

Auch bei den Mad Dogs Mannheim in der Fraueneishockey-Bundesliga gibt der Stadionsprecher Vollgas. „Wir machen das nicht wegen imaginären Zuschauern, sondern für unsere Spielerinnen. Denn die sollen auf dem Eis möglichst das Gefühl haben, dass alles normal ist“, weiß Team-Manager Dirk Clauberg. Dass dies tatsächlich funktioniert, bestätigt Handballspielerin Selina Kalmbach von der Neckarsulmer Sport-Union: „Die Ansagen in der Halle und die trommelnden Helfer vermitteln uns tatsächlich das Gefühl, dass wir gerade ein normales Heimspiel austragen. Und die Papp-Abbilder der Fans auf der Tribüne suggerieren, dass da draußen Leute sitzen, die uns anfeuern.“

Generell gilt in allen Hallen für Helfer und Pressevertreter die Maskenpflicht. Während die Spielerinnen und Spieler der anderen fünf Teams regelmäßig auf Covid-19 getestet werden und deshalb, solange sie „unter sich“ sind, keine besonderen Schutzmaßnahmen ergreifen müssen, gilt für die Bundesligaspielerinnen der Mad Dogs Mannheim auch in der Kabine die Pflicht zur Bedeckung von Mund und Nase. „Wir spielen zwar in der höchsten deutschen Liga, aber unsere Spielerinnen verdienen mit dem Sport kein Geld und können nicht in einer Blase leben“, so Dirk Clauberg. „Deshalb sind wir außerhalb der Eisfläche besonders vorsichtig, um die Ansteckungsgefahr zu minimieren.“

In einer „Bubble“, wie man sie aus amerikanischen Ligen oder internationalen Wettbewerben kennt, befindet sich ohnehin keines der sechs Teams. „Eine richtige Blase, in der Spieler und Funktionäre 24/7 von der Außenwelt abgeschottet sind, wäre bei uns über die ganze Saison gar nicht möglich“, sagt Stefan Rapp, Manager der Heilbronner Falken. „Wir versuchen im Rahmen unserer Möglichkeiten den Kontakt zu fremden Personen weitgehend zu minimieren. Aufgrund unseres engen Spielplans haben die Spieler nur sehr geringen Kontakt außerhalb der Eishockeyfamilie. Desweiteren leben unsere Kanadier und Amerikaner mit ihren Familien zum Großteil in einem einzigen Wohnkomplex, wo sie weitgehend unter sich bleiben. Ansonsten halten wir natürlich die behördlichen Vorgaben sowie die AHA-Regeln ein und machen vor jedem Training bzw. Spiel mit dem Team einen von der Liga definierten Symptomcheck, in dessen Rahmen wir unter anderem auch die Temperatur messen.“

Zwei Corona-Tests pro Woche müssen dagegen die Handballspielerinnen der Neckarsulmer Sport-Union über sich ergehen lassen. „Das ist von der Liga so vorgeschrieben“, weiß die Teambetreuerin und stellvertretende Handball-Abteilungsleiterin Jutta Perger. „Jede Spielerin muss vor den Partien einen negativen Test vorweisen, der nicht älter als 75 Stunden ist. Deshalb machen wir bei Samstagsspielen donnerstags und bei Sonntagsspielen freitags mit dem ganzen Team einen PCR-Test, um spielen zu können.“

Ansonsten, so Jutta Perger weiter, sei die Mannschaft dazu angehalten, möglichst wenige bis keine sozialen Kontakte außerhalb des eigenen Umfelds zu haben. „Viele unserer Spielerinnen studieren oder machen Ausbildungen. Das läuft zur Zeit alles online. Von den Berufstätigen sind bis auf Selina Kalmbach alle im Homeoffice, und Selina arbeitet bei uns in der Geschäftsstelle, wo eh alle getestet sind.“

Ähnlich wie bei den Neckarsulmer Frauen sehen die Regeln bei den Männern von FRISCH AUF! Göppingen aus, berichtet Alexander Kolb, Leiter Spielbetrieb und Organisation: „Die Spieler sind alle froh, dass sie ihrem Beruf und ihrer Leidenschaft nachgehen dürfen, insofern halten sich alle akribisch an die Vorgaben.“

Ein eigenes Schutzkonzept, das weit über das der Handball-Bundesliga hinausgeht, haben dagegen die Eulen Ludwigshafen erarbeitet. „Wir haben die Mannschaft so zweigeteilt, dass wir auch dann ein spielfähiges Team haben, wenn positive Corona-Fälle auftauchen sollten“, beschreibt Lisa Heßler die Strategie der Eulen. „Diese Teilung betrifft die Kabinen, die Sitzordnung im Bus, die Zimmereinteilung bei Übernachtungen sowie die Teambesprechungen, bei denen alle Teilnehmer zusätzlich eine Maske tragen müssen. So vermeiden wir, dass das gesamte Team als ‚Kontaktperson 1‘ gilt und in Quarantäne muss, falls ein Fall auftaucht.

Dazu testen wir, je nach Inzidenz, auch mal öfter als die vorgeschriebenen zwei Mal pro Woche. Das Klinikum Ludwigshafen macht dabei einen überragenden Job und die dortigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fiebern inzwischen bei den Spielen alle mit uns mit.“

Als würden die ganzen Corona- Maßnahmen nicht schon genügend Zusatzarbeit und -kosten bedeuten, waren die Eulen Ludwigshafen Ende November auch noch für ein paar Tage ohne Heimspielstätte dagestanden. Lisa Heßler: „Wir hatten aus heiterem Himmel die Nachricht bekommen, dass die Eberthalle zum Impfzentrum umfunktioniert werden soll. In Ludwigshafen gibt es keine weitere Männer-Bundesliga taugliche Halle. Deshalb hatten wir zum Ausweichen schon die Standorte Mannheim, Stuttgart, Wetzlar und sogar Leipzig in Erwägung gezogen. Das war ein harter Kampf, der für uns dann aber letztendlich gut ausgegangen ist, da doch noch ein anderer Standort für das Impfzentrum gefunden werden konnte.“

Die Tatsache, dass alle sechs Teams trotz des Lockdowns weiterspielen können, während andere Vereine ihrem Sport nicht nachgehen dürfen, sorgt jedoch mitnichten für eine heile Welt – denn überall hängt das Damokles-Schwert mit der Aufschrift „Finanzierung“ über den Köpfen der Verantwortlichen.

„Betriebswirtschaftlich ist das schon ein Challenger“, sagt beispielsweise Stefan Rapp von den Falken. „Alle Aktionen, die man fährt, sind nur da, um den Verlust zu minimieren, nicht um Gewinne zu erzielen. So ist es unter anderem auch beim Livestream auf Sprade TV. Der Zuschauer zahlt pro Heimspiel 9,99 Euro. Derzeit haben wir im Schnitt 800 Buchungen, davon 350 aus dem Heilbronner Raum. Das ist sicherlich ausbaufähig und kann bei weitem nicht den Wegfall von Eintrittsgeldern, Gastronomie und Merchandising kompensieren.“

Sponsoren, die von der Coronakrise nur wenig betroffen sind, haben ihre Engagements erhöht, berichtet Stefan Rapp weiter. Auch die Gesellschafter der Spielbetriebs-GmbH haben mit weiteren Einlagen zum Überleben der Falken beigetragen, so dass Rapp sagen kann: „Nach jetzigem Kenntnisstand werden wir die Saison betriebswirtschaftlich überleben.“

Überleben werden auch die Adler Mannheim in der DEL. Damit die Saison 2020/21 mit drei Monaten Verspätung starten konnte, mussten alle 14 Teams ihre Kalkulation vorlegen, wie sie die Saison ohne Fans überstehen können. „Wir haben normalerweise einen Schnitt von über 11.000 Zuschauer pro Spiel, das macht 50 bis 70 Prozent unseres Gesamtetats aus“, weiß Adler- Pressesprecher Adrian Parejo. „Nur durch das finanzielle Entgegenkommen der Mannschaft ist es uns möglich gewesen, in den Spielbetrieb zurückzukehren.“

Handball-Bundesligist FRISCH AUF! Göppingen hofft darauf, dass man im April oder spätestens Mai wieder die ersten Zuschauer in der EWS Arena begrüßen kann. „Auch wir erfahren eine tolle Unterstützung durch unsere Partner, aber je länger der Lockdown geht, desto unsicherer wird es, ob sie die Saison mit vollen Beiträgen durchziehen können“, gibt Alexander Kolb zu bedenken.

Dabei hatten die Göppinger das große Glück, während der laufenden Saison – trotz Corona – einen neuen Hauptsponsor gewinnen zu können. „Das hat schon für große Erleichterung gesorgt und gibt uns einen ganz anderen Handlungsspielraum. Dennoch macht die große Unsicherheit den ganzen Profisport mürbe und wir sind darauf angewiesen, dass die Impfungen so anschlagen, dass wir alle unser normales Leben zurück bekommen“, so Alexander Kolb.

Auch wenn der Profisport weiterhin seine Veranstaltungen durchführen kann – die Verantwortlichen haben es alles andere als einfach. Wir drücken den sechs Vereinen die Daumen, dass sie die Saison heil überstehen und wir sie beim nächsten Mal wieder bei „voller Hütte“ besuchen können.