NSU-Trainerin Tanja Logvin: „Du brauchst ein Ziel über deinem Ziel“

Seit die Neckarsulmer-Sport-Union 2016 in die Handball-Bundesliga der Frauen aufgestiegen war, befand sich das Team im dauernden Kampf um den Klassenerhalt. Nie konnte man mehr als 13 Punkte in einer Saison einfahren. Doch in der laufenden Saison ist alles anders: Kurz vor dem Ende der Runde hat man schon 20 Punkte mehr auf dem Konto als bei der bisherigen Bestmarke, und 2020/21 wird als die erfolgreichste Spielzeit in die Vereinshistorie eingehen. Einen großen Anteil an diesem Erfolg hat mit Trainerin Tanja Logvin eine Handball-Legende, die in ihrer aktiven Karriere nicht nur eine Zeitlang als bestbezahlte Spielerin der Welt galt, sondern auch zweimal zur Wahl der weltbesten Handballspielerin nominiert worden war. Unsere Redakteure Lena Staiger und Ralf Scherlinzky haben sich mit dem 46-jährigen „Heißsporn“ getroffen, um das Erfolgsgeheimnis von Tanja Logvin zu ergründen und interessante Geschichten aus ihrer langen Karriere zu hören.

Fotos: Chelsey Jensen

Autor: Ralf Scherlinzky

5. Mai 2021

Tanja, du hast Neckarsulm 2020 als Kellerteam übernommen und stehst jetzt mit fast den gleichen Spielerinnen im oberen Tabellendrittel. Was machst du anders als deine Vorgänger?

Tanja Logvin: Ich weiß nicht, wie meine Vorgänger gearbeitet haben, meine Stärke ist aber glaub ich, dass ich das, was ich ihnen beibringe, auch vorleben kann. Ich war als Handballspielerin selbst schon ganz oben und weiß, was es dazu braucht, um dorthin zu kommen. Und wenn man mal oben ist, will man dort auch nicht mehr weg.

Stichwort „ganz oben“… Googelt man deinen Namen, scheint die lange Liste mit Titeln nicht aufzuhören. Kannst du den SPORTHEILBRONN-Lesern einen kleinen Überblick über deine größten Erfolge geben?

Tanja Logvin: Das Meiste, was man online findet, stimmt tatsächlich. Ich stand als Spielerin 15 Jahre in Folge im Halbfinale oder Finale der Championsleague und konnte sie mit Hypo Niederösterreich zweimal gewinnen. Wir wurden viermal Österreichischer Meister und konnten viermal den Supercup gewinnen. Außerdem war ich Torschützenkönigin bei der Weltmeisterschaft, der Championsleague und dem Supercup.

Was waren bei den vielen Erfolgen deine persönlichen Highlights?

Tanja Logvin: Das war ganz klar das Jahr 2000 mit dem zweiten Championsleague-Sieg, bei dem wir ohne Niederlage durchmarschiert sind, sowie den Olympischen Spielen in Sydney. Dieses Jahr war der Wahnsinn für mich – wobei ich über Olympia eigentlich gar nicht so gerne spreche. Dort am Start zu sein, war das Größte für mich, und doch war es gleichzeitig das traurigste Erlebnis. Wir waren mit der österreichischen Nationalmannschaft der klare Favorit für die Goldmedaille, bis wir im Viertelfinale überraschend gegen Ungarn verloren haben. Wir waren 27:23 in Führung und sind dann total eingebrochen. Ich sehe noch die Anzeigetafel 1:33 Minuten vor dem Ende auf 27:27 umspringen. Das Spiel ging in die Verlängerung, wir haben 35:36 verloren und das sicher geglaubte Halbfinale verpasst. Wir waren alle am Boden zerstört. Ich kann mir das Video vom Spiel bis heute noch nicht anschauen.

Du bist Österreicherin, kommst aber ursprünglich aus Russland…

Tanja Logvin: Das stimmt nur zum Teil. Ich bin in Russland geboren, komme aber aus der Ukraine und habe 1998 in einer Nacht- und Nebelaktion die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen. Ich hatte damals in Montenegro gespielt und wurde von Hypo Niederösterreich, der damals besten Mannschaft der Welt, zum Probetraining eingeladen und durfte ein Testspiel mitmachen. Ich habe direkt zehn Tore geworfen und wurde verpflichtet. Zwei Wochen später hatte ich meinen österreichischen Pass und nochmal sechs Wochen danach habe ich bei der EM in Holland zum ersten Mal für Österreich gespielt. Das war schon wild.

Zu diesem Zeitpunkt war deine Tochter Kristina bereits drei Jahre alt. Wie konntest du deine bewegte Handballkarriere und die Familie unter einen Hut bringen?

Tanja Logvin: Das ging nur, weil mein Exmann sich um sie gekümmert hat. Sie hat mich als kleines Kind leider nur selten gesehen und ich kann mich nur an wenige Phasen erinnern, in denen wir mal länger zusammen waren. 2003/04 habe ich zwischendurch mal ein Jahr in Ljubljana gespielt, während meine Familie 360 Kilometer entfernt in Wien gelebt hat. Ich bin zwar so oft wie möglich heimgefahren, aber die Zeit war nicht schön. Kristina hat dann irgendwann, entgegen meinem Rat, auch mit dem Handballspielen angefangen und wurde sogar ebenso österreichische Nationalspielerin. Heute ist sie 25 und und hat den Profihandball zu Gunsten ihres Studiums aufgegeben.

Inzwischen hast du noch zwei weitere Kinder…

Tanja Logvin: Genau, die beiden sind sieben und sechs Jahre alt und wohnen mit meinem Lebensgefährten und mir in Neckarsulm. Wir unternehmen sehr viel gemeinsam und mit den beiden kann ich super vom Handball abschalten.

War es eigentlich von Beginn an klar, dass du nach deiner aktiven Karriere Trainerin wirst?

Tanja Logvin: Nicht wirklich. Ich hatte als Spielerin für zwei Jahre in Dänemark unterschrieben, habe aber schon im ersten Jahr festgestellt, dass ich nicht mehr richtig bei der Sache war. Ich war ausgebrannt und habe den Verein nach dem ersten Jahr mit 35 um eine Vertragsauflösung gebeten. Danach wollte ich erstmal nichts mehr von Handball wissen. Meine Tochter habe ich zwar zum Training gefahren, bin aber nicht mit reingegangen und konnte auch kein Spiel von ihr anschauen. Stattdessen habe ich damit begonnen, auf Dänisch Architektur zu studieren – einfach, um etwas anderes zu machen. Nach acht Monaten kam dann der Präsident meines ehemaligen Vereins und hat gefragt, ob ich im Nachwuchs beim Training helfen könnte. Ab da bin ich wieder Schritt für Schritt zurückgekommen, und irgendwann war ich hauptberufliche Trainerin.

Auch als Trainerin bist du ganz schön rumgekommen. Dänemark, Spanien, Holland und in Deutschland Buchholz-Rosengarten, zum ersten Mal Neckarsulm und Halle-Neustadt. Jetzt bist du zum zweiten Mal bei der Sport-Union. Ist Neckarsulm nun dein Zuhause?

Tanja Logvin: Wir sind in Neckarsulm sehr glücklich. Die Kinder gehen hier zur Schule und wir wohnen sehr nah an unserer Trainingshalle. Außerdem haben wir hier ein Team und ein Umfeld, mit dem die Arbeit sehr viel Spaß macht. Ja, wir sind hier zuhause…

Für die kommende Saison habt ihr ja schon einige Neuzugänge bekanntgegeben. Sind das alles deine Wunschspielerinnen?

Tanja Logvin: Ja, die Zusammenstellung des Teams liegt in meiner Hand. Die Neuzugänge sind allesamt Verstärkungen, die den Konkurrenzkampf im Team anheizen. Für die eine oder andere bisherige Stammspielerin mag das unangenehm werden, aber im Gesamten macht es uns stärker. Wir haben das in dieser Saison im Tor gesehen, als ich mit Isabel Gois eine starke Konkurrentin für Sarah Wachter geholt habe. Sarah hat dadurch einen unglaublichen Sprung nach vorne gemacht. Es gibt keinen Lift zum Erfolg, sondern nur eine Treppe – und du kommst nur Stufe für Stufe weiter. Diejenigen, die den Konkurrenzkampf annehmen, werden diesen Weg erfolgreich weiter beschreiten…

Wenn man dich beim Spiel beobachtet, spürt man die Leidenschaft, mit der du deinen Job machst. Da brodelt ein richtiger „Vulkan“ am Spielfeldrand, der in einem Moment lautstark kritisiert, im anderen aber auch mit Lob nicht spart – und dabei ohne Pause in Aktion ist…

Tanja Logvin: Ich rede halt ständig mit den Spielerinnen, mit meiner Cotrainerin Maike Daniels und unserem Torwarttrainer Oliver Rieth und bin dabei ständig in Bewegung. Mein Job ist es, das Spiel von außen zu lesen und das zu verbessern, was wir besser machen können. Da muss ich manchmal ein bisschen lauter werden. Aber ich kann dann auch genauso loben. Zuckerbrot und Peitsche nennt man das glaub ich… 😉 Nein, im Ernst, wir haben eine große Einheit und eine tolle Mentalität in der Mannschaft. Wir spielen nicht, um nicht zu verlieren, sondern um zu gewinnen. Das war in den vergangenen Jahren meist anders. Deshalb muss ich die Mädels manchmal etwas lautstark daran erinnern. Du musst dir ein Ziel stecken, das über deinem tatsächlichen Ziel steht. Hast du dieses hoch gegriffene Ziel nicht, kommst du auch nicht zu deinem eigentlichen Ziel.

Mit Selina Kalmbach und Sarah Wachter habt ihr zwei junge Spielerinnen im Team, die an die Tür der Nationalmannschaft klopfen. Wie weit können die beiden deiner Meinung nach kommen?

Tanja Logvin: Ich wünsche es mir sehr, dass sie ganz weit kommen. Beide arbeiten extrem hart und haben in dieser Saison einen riesigen Sprung nach vorne gemacht. Nach dem ersten Lehrgang mit der Nationalmannschaft habe ich mit dem Bundestrainer gesprochen. Er war mit beiden sehr zufrieden, hat mir aber auch noch zahlreiche Punkte genannt, an denen wir im Verein mit ihnen arbeiten müssen. Selina hat es als Feldspielerin einfacher, in die Nationalmannschaft berufen zu werden, wie wir jetzt bei den beiden Länderspielen gegen Portugal gesehen haben. Sarah als Torhüterin hat es etwas schwerer, aber wenn sie weiterhin so hart arbeitet, wird sie ihre Chance bekommen.