Neckardrachen beherrschen Europa: Medaillenflut bei der Drachenboot-EM


Autor: Ralf Scherlinzky

15 x Gold, 11 x Silber und 6 x Bronze bei der Club-Europameisterschaft im spanischen Sevilla, 18 x Gold, 16 x Silber und 5 x Bronze bei der Deutschen Club-Meisterschaft in Berlin – die Bilanz der „Neckardrachen“ des SV Union Böckingen im Jahr 2019 ist mehr als beeindruckend.
„Drachenboot ist ein Ganzkörpersport, bei dem nicht nur mit den Armen, sondern mit dem kompletten Körper und vor allem mit dem Rumpf gearbeitet wird“, erklärt Andrea Seeger, Teamcaptain der Damenmannschaft. Gemeinsam mit Uwe Müller, Harald Messer und weiteren Helfern kümmert sie sich um die Organisation der Neckardrachen.
Wer die jährlich auf dem Alten Neckar stattfindende Regatta verfolgt, assoziiert den Drachenboot-Sport hauptsächlich mit bunten Kostümen und jeder Menge Spaß. „Das ist der eine, allgemeinhin bekanntere Teil unseres Sports“, weiß Andrea Seeger. „Das Schöne ist aber, dass der Drachenboot-Sport so vielfältig ist, dass man ihn sowohl als Gelegenheits- als auch als Leistungssport betreiben kann. Wer nur Gaudi haben möchte, trainiert einmal pro Woche. Wer aber wie wir Titel gewinnen will, muss schon viermal wöchentlich am Start sein. Wir trainieren jeden Montag, Mittwoch, Freitag und Samstag und gehen auch im Winter auf‘s Wasser.“
Die Grundlage für die Erfolge des Sommers werden über den Winter im Kraftraum gelegt. Was den Neckardrachen, die auch schon bei den Clubweltmeisterschaften 2018 in Ungarn unter 140 Teams Zweite der Clubauswertung wurden, den Vorsprung gegenüber anderen Teams verschafft, können sich die Verantwortlichen selbst nicht wirklich erklären. Sportwart Uwe Müller: „Die einzelnen Mannschaften sind schon lange beisammen und wir scheinen den richtigen Mix beisammen zu haben. An die dominanten Kanadier kommen wir bei Weltmeisterschaften zwar nicht ran, aber hinter den Kanadiern kommt gleich Böckingen und danach dann der Rest der Welt.“
Gestartet wird in den beiden Bootsklassen Small mit zehn und Standard mit 20 Paddlern. Dazu kommen jeweils noch ein Trommler und ein Steuermann. Während Letzterer, wie der Name schon sagt, das Drachenboot steuert, gibt der Trommler den Rhythmus vor. „Ein guter Trommler ist mindestens so wichtig wie ein guter Steuermann“, sagt Andrea Seeger. „Die erste Reihe im Boot gibt das Tempo vor und der Trommler muss deren Schlag übernehmen und mit der Trommel weitergeben. Dazu hat er ein Headset auf und gibt Kommandos weiter, die über die Lautsprecher im Boot bei den Paddlern ankommen und von diesen umgesetzt werden müssen. Ist einer im Team unkonzentriert und reagiert nicht wie er soll, kann das Boot beispielsweise nicht rechtzeitig zum Endspurt antreten.“
Die Kunst dabei sei, so Andrea Seeger weiter, dass man auf den richtigen Trommler hört. „Der Trommler vom Nebenboot kann direkt auf deiner Höhe sein. Du musst deshalb hoch konzentriert sein, um dessen Kommandos auszublenden.“
Die meisten Paddler haben zwar ihre festen Plätze im Boot, doch muss vor allem im Training oft improvisiert werden. Mit jedem Teammitglied, das verhindert ist, muss das Boot neu austariert werden. Andrea Seeger: „Wir müssen schauen, dass die linke und die rechte Sitzreihe im Gesamten gleich schwer sind, sonst passt die Trimmung des Bootes nicht mehr und wir haben mit einem Ungleichgewicht zu kämpfen.“



Besonders stolz sind die Neckardrachen auf ihre Partnerschaft mit der Heilbronner Dammrealschule. „Drachenboot ist dort seit Jahren fester Bestandteil des Schulsports. Die Schülerinnen und Schüler sind fest bei uns integriert und kommen zum Teil sogar in den Ferien zum Bootshaus an der Viehweide“, freut sich Uwe Müller. „Es ist dann auch schön zu sehen, dass die Schulabgänger zum Teil dabei bleiben. Daraus gewinnen wir letztendlich unseren Nachwuchs.“
Was bei den Neckardrachen fast gänzlich fehlt, sind Sponsoren. „Ein Boot kostet schon mal seine 10.000 Euro und auch für ein ultra-
leichtes Carbonpaddel fallen mindestens 170 Euro an“, berichtet Andrea Seeger. Reisen wie zuletzt nach Sevilla und Berlin werden von den Paddlern selbst getragen. „Leider steht der Drachenbootsport in Deutschland nicht groß im Fokus, da ist es extrem schwierig einen Sponsor dafür zu interessieren. Dabei könnten Unternehmen bei uns zum Beispiel Führungskräftetrainings und Teambuilding-Events machen.“
Dem Erfolgshunger der Neckardrachen tut der finanzielle Idealismus freilich keinen Abbruch. Im August 2020 steht in Frankreich die nächste Club-WM an – und auch da werden die Böckinger wieder zur Jagd auf die übermächtigen Kanadier blasen.
Fotos: Marco Grundmann, Marcel Tschamke