Mika Wagner + Anni Sterzik: Zwei weitere Talente für Berlin

Was haben ein 13-jähriger Turner und eine 16-jährige Eishockeyspielerin aus Heilbronn gemeinsam? Auf den ersten Blick eigentlich nicht viel. Bei näherem Hinschauen findet man dann aber doch mehr Gemeinsamkeiten als man erwartet. Sowohl Mika Wagner als auch Annabella Sterzik gehören in ihren Sportarten zu den größten Talenten ihres Jahrgangs. Beide sind, was Trainings- und Entwicklungsmöglichkeiten angeht, in Heilbronn am Limit angekommen. Und beide haben sich nun dazu entschieden, ihre Zelte in Heilbronn weitestgehend abzubrechen und in Berlin auf dem Sportinternat einen Neuanfang zu wagen – ohne ihre Familien. Eine Gemeinsamkeit hatte den beiden bislang noch gefehlt: Keiner hatte vom anderen gewusst! Dies änderte sich Ende Juni, als unsere Redakteure Enny Bayer und Ralf Scherlinzky Mika und „Anni“ mitsamt ihren Eltern in die Mörike-Halle zum gemeinsamen Interview einluden. Mit von der Partie waren die ehemalige Bundeskader-Turnerin Antonia Alicke, die einst mit 17 Jahren allein den Sprung in die USA gewagt hatte (siehe SPORTHEILBRONN, Ausgabe 3), sowie Mikas Trainerin Annett Wiedemann.

Fotos: Marcel Tschamke

Autor: Enny Bayer

2. August 2020

Mika und Anni, schön dass ihr euch trotz des bevorstehenden Umzuges Zeit nehmen konntet und mit euren Eltern heute hier seid. So ein Umzug nach Berlin ist schon ein großer Schritt, vor allem in eurem jungen Alter. Wie geht es euch dabei, wenn ihr daran denkt, dass ihr ab August mehrere hundert Kilometer von Zuhause entfernt sein werdet?
Mika Wagner: Ich freue mich schon sehr darauf und bin auch ein bisschen aufgeregt. Vieles wird anders werden und ich muss alles selbständiger erledigen als in Heilbronn, aber die Vorfreude ist richtig groß.
Anni Sterzik: Für mich ist es auch ein großer Schritt und wie Mika freue auch ich mich schon riesig darauf. Ich denke ich werde mich schnell an die Veränderungen gewöhnen und dann in Berlin auch eine gute Zeit haben, sobald ich mich eingelebt habe.

Kennt ihr in Berlin auch schon andere Sportler?
Mika Wagner: Bisher kenne ich nur Milan Hosseini und Daniel Wörz, die vor ein paar Jahren auch von der TG Böckingen nach Berlin gegangen sind. Ansonsten kenne ich noch niemandem im Internat. Allerdings wohnt meine Schwester in Berlin in der Nähe der Schule.
Anni Sterzik: Ein paar Mädels aus der Eishockey-Nationalmannschaft kommen auch aus Berlin und spielen bei meinem künftigen Team Eisbären Berlin. Durch sie bin ich auch erst auf die Idee gekommen, nach Berlin zu gehen. Ein weiterer ausschlaggebender Grund für meine Entscheidung war der Trainer in Berlin, der auch schon in der U16-Nationalmannschaft mein Coach war. Ich bin dieses Jahr die einzige Eishockeyspielerin, die auf das Internat kommt. Außer mir sind noch zwei weitere Spielerinnen dort.

Bei Anni kam die Idee mit Berlin durch ihre Mitspielerinnen. Wie sah der Entscheidungsweg bei Mika aus?
Mikas Eltern: Für uns bzw. Mika ist es wichtig diesen Weg zu gehen, damit er sich entsprechend weiterentwickeln kann. Wenn er in seiner Entwicklung nicht stehen bleiben möchte, muss der Sport besser in seinen Alltag integriert werden. Dazu hat man in Heilbronn leider nicht die Möglichkeiten. In Absprache mit Annett Wiedemann haben wir gemerkt, dass Mika in Berlin die besten Voraussetzungen haben wird. Deshalb wollen wir ihm den Schritt dorthin ermöglichen und ihn so auf seinem Weg unterstützen.
Annett Wiedemann: Mika fährt schon seit seinem achten Lebensjahr für Lehrgänge nach Berlin. Von daher ist das nichts komplett Neues für ihn. Mich freut es immer, wenn ich jemanden aus meiner Turnschule nach Berlin schicken darf und sehe, was aus ihnen wird, wie zum Beispiel bei Daniel und Milan. Dort bekommen sie die entsprechende Förderung, die sie für ihre Entwicklung benötigen. Bei Mika wird das genauso sein. Natürlich muss er jetzt selbstständiger werden. Er muss seine Wäsche selber waschen, Termine vereinbaren und an seine Trainingszeiten denken. Das ist nicht einfach für einen Jungen in seinem Alter. Aber Mika ist ein schlauer Junge und ich bin mir sicher, dass er seinen Weg in Berlin gehen wird. Den nötigen Willen und Fokus hat er, und darauf kann er aufbauen.

Man kann sich vorstellen, dass dieser Schritt nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Eltern eine große Umstellung werden wird. Wie geht es euch dabei?
Mikas Eltern: Für uns ist das nicht so einfach, den jüngsten von vier Kindern jetzt auch noch gehen zu lassen – vor allem mit erst 13 Jahren. Da lässt man schon mal schwerer los. Berlin ist zwar nicht direkt um die Ecke, aber wenn man will, findet man schon mal die Zeit für einen Besuch. Wir werden öfter zu ihm hochfahren, gerade in der Anfangszeit.
Annis Eltern: Es wird auf jeden Fall anders werden. Allerdings war es für Anni Zeit, nicht mehr bei den Jungs mitzuspielen, wie sie es vor ihrem Kreuzbandriss noch gemacht hatte. Sie muss jetzt in eine Damenmannschaft wechseln, weil die körperlichen Unterschiede zu den Jungs inzwischen doch zu groß geworden sind. Für Mädchen gibt es im Eishockey keine großen Auswahlmöglichkeiten für die entsprechende Förderung. Das Sportinternat in Füssen ist ausschließlich für die Jungs. Deshalb bleibt fast nur noch Berlin. In Berlin hat sie zudem sehr kurze Wege, da kann sie zu Fuß zur Eishalle gehen.

Wie wird euer Alltag in Berlin aussehen und wie ist es dort mit der Schule? Das tägliche Zeitmanagement ist wohl unter anderem eines der wichtigen Argumente, die für den Umzug sprechen…
Mika Wagner: Ich werde morgens ab 7 Uhr zwei Stunden Schule und im Anschluss Training haben. Am Nachmittag läuft es genauso ab. In Heilbronn hatte ich vormittags Unterricht und fast täglich auch noch Mittagschule. Ich konnte dann erst Nachmittags ins Training gehen und musste danach noch meine Schulsachen erledigen. In Berlin habe ich auch samstags Schule, dafür ist im Zeitplan aber mehr Platz für Training.
Anni Sterzik: Bei mir ist es ähnlich wie bei Mika. Wir haben allerdings abends die letzte Eiszeit, weshalb ich gegen 20 Uhr nochmal eine Trainingseinheit haben werde. Dafür werde ich vermutlich nachmittags mehr Freizeit zum Lernen haben. In Heilbronn habe ich die Realschule abgeschlossen und in Berlin werde ich mein Abitur machen, was allerdings auch auf drei Jahre verteilt ist. An den Wochenenden haben wir während der Saison meistens zwei Spiele, wodurch ich da oft im Mannschaftsbus sitzen und die Fahrten mit Lernen verbringen werde.

Klingt nach einem eher stressigen Alltag…
Annis Eltern: Bei Anni muss der Tag durchstrukturiert sein. Deshalb gehört sie einfach nach Berlin. Für sie sind die festen Termine am Tag wichtig. Während der Corona-Phase hat sie sich sogar um 5.30 Uhr den Wecker gestellt und ist joggen gegangen. Danach hat sie ihr Training gemacht, bis sie um 9.30 Uhr mit dem Homeschooling begonnen hatte. Nachmittags wurde dann wieder trainiert.

Hinter so einem Umzug steckt auch viel Organisatorisches. War das im Vorfeld viel Aufwand?
Annis Eltern: Im Grunde sind es hauptsächlich ein paar Formalitäten. Allerdings haben wir wegen ihres Kreuzbandrisses zusätzliche Atteste der Ärzte sowie die Bestätigung benötigt, dass ihre Verletzung gut verheilt ist und sie ohne Probleme im Training mitmachen kann.
Mikas Eltern: Vor allem sind es die Aufnahmeformulare und die Versicherung, die im Vorfeld abgeklärt werden müssen. Ansonsten ist es nicht allzu viel.

Welcher finanzielle Aufwand steckt hinter so einem Wechsel an ein Sportinternat?
Mikas Eltern: Mika geht bisher auf eine Privatschule, wo wir auch monatliche Gebühren bezahlen. Von daher ändert sich nicht allzu viel für uns.
Annett Wiedemann: Die TG Böckingen zahlt zusätzlich einen monatlichen Zuschuss für ihre Kaderathleten. Das hatten wir auch bei den anderen TurnerInnen schon so gemacht.
Annis Eltern: Wir tragen die Kosten selbst.

Kommen wir noch einmal auf unsere beiden Sportler zurück. Was sind eure Ziele, die ihr während oder nach eurer Zeit auf dem Internat erreichen wollt?
Mika Wagner: Mein Wunsch ist es, irgendwann mal den Adler auf der Brust zu tragen, und das am besten so früh wie möglich. Ab den U16-Wettkämpfen kann man das Nationaltrikot tragen und darauf möchte ich hinarbeiten.
Anni Sterzik: Mein Fokus liegt ganz klar auf meinem Comeback nach der Verletzung. Ich war seit September 2019 nicht mehr auf dem Eis. Da gilt es so schnell wie möglich die Rückstände zu meinen anderen Teammitgliedern aufzuholen. Während den drei Jahren in Berlin hoffe ich, dass eventuell Scouts aus Amerika oder Kanada auf mich aufmerksam werden und ich die Möglichkeit für ein Stipendium bekomme, um mich auf der anderen Seite des Atlantiks beweisen zu können.
Wir wünschen Mika und Anni viel Glück auf ihrem Weg und werden künftig immer mal wieder einen Blick in Richtung Hauptstadt werfen. Übrigens: Die beiden wohnen dort sogar im gleichen Haus!

Antonia Alicke

Toni Alicke hatte nach ihrem Abitur ein Stipendium für die USA bekommen und war drei Jahre lang in Chicago aufs College gegangen. Dort hat sie nun ihren Bachelor in Psychologie und Kriminologie gemacht. Als sie damals nach Amerika ging, kannte sie dort niemanden, was sich aber schnell änderte. „Durch den Sport lernst du immer neue Leute kennen. Meine Mannschaftskameraden wurden zu meiner Ersatzfamilie und mit ihnen habe ich auch Geburtstage und Feste gefeiert. Das war echt schön und hat mir sehr geholfen mich dort einzufinden“, so die 21-Jährige. „So wird es auch Mika und Anni gehen, wenn sie in Berlin sind. Sie werden dort nicht lange alleine bleiben.“

Durch die Corona-Pandemie ist sie nun auch ein halbes Jahr früher als geplant in ihre Heimat zurückgereist. Innerhalb einer Woche musste sie ihre Sachen packen, die Wohnung kündigen und sich in den Flieger Richtung Deutschland setzen. Die Abschlussfeier am College fiel leider aus. „Das war alles schon sehr stressig, aber ich bin im Endeffekt froh, dass ich jetzt zuhause bin“, erklärt Toni.

Toni Alicke beginnt im Oktober mit ihrem Master-Studium in Sozialer Arbeit mit dem Schwerpunkt psychosozialer Betreuung in Heidelberg. Mit dem Turnen hat sie erst einmal abgeschlossen. „Mit dem Schritt nach Amerika zu gehen war es für mich damals schon klar, dass ich mit dem Turnen in Deutschland fertig bin“, erklärt sie.