Marius Braun: DM-Titel nach Schicksalsschlag

Deutsche Meistertitel sind für jeden Sportler ein Highlight. Für Marius Braun hat der Gewinn seines ersten DM-Titels vom 28. Mai 2022 jedoch nochmal eine ganz andere Bedeutung als für alle anderen. Fast auf den Tag genau vier Jahre vor seinem Triumph im Griechisch-Römischen Stil bis 82 kg lag der Ringer der RED DEVILS Heilbronn lebensbedrohlich krank auf der Intensivstation. Wir haben dem 30-jährigen Böblinger zum Titelgewinn gratuliert und haben uns mit ihm und seiner Lebensgefährtin Cornelia Schulze zu einem sehr emotionalen Gespräch getroffen, in dem uns die beiden über die schwerste Zeit ihres Lebens berichtet haben.

Marius Braun im Moment des DM-Triumphs.

Fotos: Marion Stein

Autor: Steffi Hägele

10. August 2022

Was bedeutet es für dich, den Deutschen Meistertitel 2022 errungen zu haben?
Marius Braun: Den Titel gewonnen zu haben, ist für mich nicht nur ein großer sportlicher Erfolg, sondern auch ein emotionaler. Ehrlich gesagt habe ich nach den Rückschlägen der letzten Jahre nicht mehr daran geglaubt, dass ich so einen Erfolg nochmal erreichen könnte. Ich hatte mich schon riesig darüber gefreut, dass ich es ins Finale geschafft habe und die Chance bekam, um den Titel zu kämpfen. Dass es mir dann noch gelingen würde, das Finale zu gewinnen, hätte ich wie gesagt nicht gedacht. Für den ersten Moment genieße ich jetzt nur den Erfolg. Ich hatte einen super Empfang und die Menschen haben sich einfach gemeinsam mit mir gefreut, darüber bin ich auch sehr dankbar. Der Bundestrainer hat mich jetzt auch wieder zu den Lehrgängen der Nationalmannschaft eingeladen. Nochmal die Chance zu bekommen vielleicht auch größere Aufgaben zu meistern, freut mich sehr. Ich lasse aber alles auf mich zu kommen.

Du hattest ja Anfang 2018 schon mal für die Nationalmannschaft gerungen. Dann begannen die Rückschläge…
Marius Braun: Stimmt. Erstmals wurde ich nach meinem Vizemeistertitel bei den Deutschen Meisterschaften 2017 in den Bundeskader berufen. Als die Saison 2018 angefangen hat, habe ich auch beim Qualifikationsturnier für die Europameisterschaften teilgenommen. Die Qualifikation hat aber dann leider nicht geklappt. Kurz nach dem Wettkampf habe ich bei einem Besuch in München samstagabends sehr starke Bauchschmerzen bekommen. Es wurde so schlimm, dass wir nachts ins Krankenhaus gefahren sind. Dort wurde ich dann nach den ersten Untersuchungen aufgrund eines Darmverschlusses sofort operiert. Meine Familie hat zuhause alles stehen- und liegenlassen und ist noch am selben Tag nach München zu mir ins Krankenhaus gekommen. Die Operation verlief dann auch gut. Wäre es nur dabei geblieben, wäre ich nach paar Wochen wieder fit gewesen…

Was ist dann passiert?
Marius Braun: Nach dieser ersten Operation hatte ich unglaubliche Schmerzen und habe starke Schmerzmittel bekommen. Am fünften Tag, freitagmorgens, ist dann meine Bauchnaht geplatzt. Das hat sich so angefühlt, als würde mir jemand ein Messer in den Bauch rammen. Ich habe wirklich um Hilfe geschrien – solche Schmerzen habe ich noch nie erlebt. Dadurch, dass meine Naht am Darm gerissen ist, geriet mein ganzer Darminhalt in meine Bauchhöhle, wodurch diese sich schwer entzündet hat und ich abends nochmal operiert werden musste. Das war schon eine lebensbedrohliche Situation, die daraus entstanden ist. Ich habe in der Notoperation einen künstlichen Darmausgang bekommen. Durch die ganzen Infektionen habe ich natürlich viel Energie und Flüssigkeit verloren und ganze 14 kg abgenommen. Teilweise habe ich nur noch 70 kg gewogen. Das war schon alles sehr anstrengend für meinen Körper, was man mir auch definitiv angesehen hat. Selbst zehn Minuten spazieren zu gehen, war schon sehr anstrengend und ich war danach richtig müde und kaputt.
Nach zwei Wochen wurde ich dann von München nach Böblingen verlegt. Leider war da meine Pechsträhne noch nicht vorbei. Meine Wunde hatte sich zu allem Überfluss auch noch entzündet, was mich erneut in Lebensgefahr brachte. Ich musste ein weiteres Mal operiert werden.
Danach ging es dann langsam wieder aufwärts. Ich habe mich Stück für Stück erholt und konnte mich in drei Monaten zurück kämpfen. Auf meine Ernährung habe ich dabei sehr diszipliniert geachtet, denn ich durfte nie gleichzeitig essen und trinken. Das war alles zeitlich getaktet. Es war schon manchmal schwierig, das genau einzuhalten. Ich habe dann aber relativ schnell wieder zugenommen und mich auch wieder fit gefühlt. Trotzdem darf man im ersten Moment nicht unterschätzen, wie lange der Körper braucht, um die Basis wieder aufzubauen. Letztendlich hat es ein Jahr bei mir gedauert. Den künstlichen Darmausgang hatte ich insgesamt drei Monate. Verrückterweise habe ich auch ein paar Trainings damit absolviert.

Du hast mit einem künstlichen Ausgang wieder gerungen?
Marius Braun: Ja. Ich habe mir den Stomabeutel mit Folie und Klebeband an den Bauch gebunden und bin so auf die Matte gegangen. Als ich dann soweit wieder fit war, habe ich auch schnell angefangen, wieder für die RED DEVILS Heilbronn in der Bundesliga zu ringen.

Wie haben deine Familie und du diese schwere Erkrankung verarbeitet bzw. wie seid ihr damit umgegangen?
Marius Braun: Es war sehr belastend für alle von uns. Natürlich waren die ersten beiden Wochen auch wegen der Fahrtstrecke nach München noch zeitintensiver. Ich habe viele Sachen nicht mitbekommen, weil ich einfach durch die ganzen Medikamente komlett neben mir stand. Meine Freundin Cornelia hatte zu dem Zeitpunkt gerade in ihrem neuen Job angefangen zu arbeiten und hat quasi erstmal alles stehen und liegen gelassen, um mich nach der ersten Operation gemeinsam mit meiner Familie zu besuchen. Danach konnte sie zum Glück auch mobil arbeiten und oft bei mir sein. Ich hatte auch einen älteren Zimmernachbarn, der mal aus Versehen nach meinem Infusionsbeutel gegriffen und mir fast meinen Zugang am Hals rausgerissen hat. Da konnte ich mich noch nicht wehren und es war gut, dass jemand da war. Meine komplette Familie hat mich sehr unterstützt und es war Tag und Nacht immer jemand bei mir. Das hat mir sehr geholfen und darüber bin ich total dankbar. Erst als ich dann wieder zuhause war, konnte ich die Unterstützung so richtig wahrnehmen.

Wie blickst du jetzt im Nachhinein auf diese schlimme Zeit zurück? Belasten dich die gemachten Erfahrungen immer noch?
Marius Braun: Es war schon eine Grenzerfahrung, aber leider gibt es noch viel schlimmere Schicksale als meines. Bei mir waren die Prognosen immer positiv und es war eigentlich immer klar, dass ich wieder gesund werde. Das meiste habe ich schon wieder verdrängt, darüber bin ich ehrlich gesagt auch ganz froh. Der einzige Moment, an dem die ganzen Bilder wieder hochkommen, ist wenn ich Bauchschmerzen bekomme oder ich ein wenig zu viel gegessen habe. Da kommt schon wieder leichte Panik auf, aber Cornelia schafft es in diesen Situationen, mich wieder zu beruhigen. Ich wurde allgemein auch super von meiner Familie und meinen Freunden unterstützt, um das alles zu verarbeiten.

Danach war das Glück auch weiterhin nicht wirklich auf deiner Seite…
Marius Braun: Ja, das stimmt leider. Ich hatte 2019 eine relativ starke Saison, habe mir dann aber nach dem letzten Kampf der Bundesliga-Saison mit den RED DEVILS gegen Mainz mein Kreuzband gerissen. Da stand dann für mich meine nächste verletzungsbedingte Pause an, das war natürlich sehr ärgerlich.

Wie geht man als Leistungssportler mit so viel Pech um?
Marius Braun: Im ersten Moment habe ich mich schon erstmal gefragt, warum ausgerechnet ich so eine Pechsträhne habe. Aber danach kam die Akzeptanz, dass ich die Situation jetzt eh nicht ändern kann und das Beste daraus machen sollte. Inzwischen nehme ich einfach alles so, wie es kommt.

Du bist ja, anders als andere Mitglieder der Nationalmannschaft, noch voll berufstätig. Was machst du beruflich und wie bekommst du Beruf und Leistungssport unter einen Hut?
Marius Braun: Seit einem Jahr arbeite ich als Planungsingenieur bei einem Unternehmen in Böblingen. Mein derzeitiger Job ist sehr praxisorientiert und abwechslungsreich. Wir statten zum Beispiel Krankenhäuser mit medizinischem Material aus. Bei meinem jetzigen Arbeitgeber habe ich flexible Arbeitszeiten, was ich sehr schätze. Davor habe ich mein Studium in Medizintechnik erfolgreich abgeschlossen. Momentan bin ich tatsächlich einer der wenigen aus der Nationalmannschaft, die voll berufstätig sind. Derzeit trainiere ich acht Trainingseinheiten in der Woche und bis jetzt klappt das sehr gut. Ich bin sehr stolz und dankbar dafür, dass ich nach insgesamt zehn Operationen körperlich wieder so fit bin. Natürlich mache ich das Ganze nur noch so lange, wie mein Körper es auch schafft. Letztendlich hat sich der Aufwand aber definitiv gelohnt. Mir bedeutet der Titel zum Deutschen Meister sehr, sehr viel, und was die Zukunft so bringt, werden wir dann sehen.

Marius Braun bei seinem Kampf gegen Weltmeister Viktor Nemeš bei der Abschiedsgala seines Freundes Frank Stäbler