Leichtathletik-DM in Braunschweig: tropische Hitze + Corona-Bedingungen

Am 8. und 9. August 2020 blickte Sportdeutschland gespannt nach Braunschweig. Dort fand mit den Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften eines der ersten großen Sportevents nach dem Lockdown statt – die Fußball-Geisterspiele mal ausgenommen. Doch die Leichtathletik-DM nahm nicht nur wegen der Corona-Maßnahmen fast schon historische Ausmaße an. Auch die Temperaturen waren alles andere als normal, mussten die Sportlerinnen und Sportler doch am bis dato heißesten Wochenende des Jahres bei 38 Grad Celsius Höchstleistungen erbringen. Vor Ort dabei waren mit Jara Ellinger, Katharina Mähring und Katharina Schiele (alle TSG Heilbronn) sowie Denise Krebs (TSV Bayer 04 Leverkusen) auch vier Heilbronner Athletinnen. Wir haben uns mit ihnen am Rande der Deutschen U18/U20-Meisterschaften im Biergarten neben dem Frankenstadion getroffen, um zu erfahren, wie es ihnen bei der Gluthitze unter Corona-Bedingungen ergangen ist.

Fotos: Marcel Tschamke

Autor: Ralf Scherlinzky

2. November 2020

Beinahe wäre der Lauf über die 5.000-Meter-Distanz ohne Denise Krebs über die Bühne gegangen. „Ich durfte nicht ins Stadion rein, weil ich vermeintlich schwer krank war“, schmunzelt die 33-Jährige. Inzwischen kann sie wieder lachen. Danach war ihr in Braunschweig allerdings nicht zu Mute gewesen. „Es gab die Regel, dass man nur ins Stadion rein durfte, wenn man höchstens eine Körpertemperatur von 37,5 Grad hatte. Ich stand da aber mit 38,2 Grad und alle waren ratlos. Dabei war ich absolut nicht krank, war aber direkt vom Höhentraining in Davos bei sieben Grad Celsius und Schnee in die 38 Grad von Braunschweig gekommen, was meinen Stoffwechsel durcheinander gebracht hatte“, so Denise Krebs. „Ich stand eine Stunde lang am Sportlereingang und wurde von allen Seiten mit Kühlwesten, Kühlakkus und kalten Getränkedosen versorgt, die ich mir an die Stirn hielt, um irgendwie die Körpertemperatur auf 37,5 Grad zu drücken. Inzwischen waren sämtliche Ärzte des Deutschen Leichtathletik-Verbandes zusammengekommen, haben diskutiert und mich x-mal gefragt, ob ich mich auch wirklich nicht krank fühlte. 30 Minuten, bevor es für uns 5.000-Meter-Läuferinnen in den Callroom ging, durfte ich dann endlich rein. Blöd dabei war nur: Mein Warmup-Programm geht normalerweise 60 Minuten lang. Aber gut, ich war drin und durfte dann doch noch teilnehmen.“

Ein Hitzeschlag vom Feinsten

Schon deshalb standen die Karten für Denise Krebs, die als Mitfavoritin ins Rennen gegangen war, vor dem Rennen nicht allzu gut. Dass es am Ende nur zu Platz zehn gereicht hat, hatte sie beim Zieleinlauf nicht mehr bewusst mitbekommen: „Ab dem dritten Kilometer habe ich keine Erinnerung mehr an den Lauf. Ich habe nur noch funktioniert und bin auf Autopilot gelaufen. Mein Körper hatte den Temperaturunterschied von 30 Grad schlichtweg nicht verkraftet und ich hatte einen Hitzeschlag vom Feinsten.“

Auch die beiden anderen Mitglieder ihrer Trainingsgruppe von Davos, Lisa Oed und Gesa Krause, hatten dem Temperaturunterschied Tribut zollen müssen. Lisa Oed schleppte sich nur vier Sekunden vor Denise Krebs ins Ziel, während Gesa Krause als Topfavoritin über die 3.000 Meter Hindernis nach der Hälfte des Rennens komplett aufgeben musste.

Auch Katharina Schiele hatte mit der Hitze ordentlich zu kämpfen. „Ich habe immer Probleme mit Hitze. Meine Mutter hat mir irgendwann eine Whatsapp geschickt, ob ich noch lebe, da unser Wettbewerb nicht im Stream übertragen wurde und sie meine Hitzeanfälligkeit kennt“, erinnert sich die 20-jährige Kugelstoßerin. Normalerweise hole sie sich am Wassergraben der Hindernisläufer Abkühlung, doch aufgrund der Corona-Maßnahmen war das nicht möglich. „Auch durften wir deshalb weder unsere Stühle noch die Sonnenschirme verstellen, um im Schatten zu sitzen. Deshalb haben wir uns zwischen den einzelnen Runden auf der anderen Seite des Stadions im Schatten niedergelassen, was es natürlich für die Schiedsrichter schwierig machte uns aufzurufen“, so Katharina Schiele.

Jara Ellinger dagegen konnte an der Hitze sogar noch etwas Positives finden. „Auch wenn es extrem drückend war, für die Muskeln war die Hitze gut“, sagte die Hochspringerin, die mit einer übersprungenen Höhe von 1,78 Metern und Platz sechs das beste Ergebnis der vier Heilbronnerinnen erreichte.

Hammerwerferin Katharina Mähring nahm die tropischen Temperaturen gelassen. Ihr Freund, der als Trainer mit in Braunschweig dabei war, pendelte zwischen ihrem Platz und der Toilette, um sie mit nassen Handtüchern zu versorgen. Eigentlich wäre die 24-Jährige gar nicht dabei gewesen, hatte sie uns doch vor einem Jahr im Interview erklärt, dass sie mit der Leichtathletik aufgehört hat. „Ich habe dann aber die Meldeliste für die DM gelesen und gedacht, dass ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren könnte dort nicht zu starten“, lacht die Hohenloherin. „Zwischen den Plätzen drei und zehn könnte alles für mich drin sein und die 60 Meter schaffe ich auch so, habe ich mir gesagt. Ich war dann zwar nicht wirklich gut und bin nur auf 57,02 Meter gekommen, war aber mit Platz sieben am Ende absolut zufrieden.“

Qualifikation durch die Hintertür

Auch Katharina Schiele hätte eigentlich nicht in Braunschweig dabei sein sollen. „Ich hatte die Norm nicht geschafft und war nur Zwölfte der deutschen Rangliste. Die ersten zehn hatten sich qualifiziert. Dann waren eine Woche vor der Veranstaltung die Meldelisten veröffentlicht worden und ich habe gesehen, dass zwei qualifizierte Sportlerinnen nicht gemeldet hatten. Also habe ich beim DLV beantragt, dass ich als Nachrückerin doch an den Start gehen darf“, berichtet sie. Zwar ging Katharina Schiele als Außenseiterin ins Rennen und belegte erwartungsgemäß Platz zehn, doch betrachtete sie ihre erste DM-Teilnahme zufrieden als Kompensation für die zuvor abgesagte U23-Meisterschaft.

Jara Ellinger feierte bei der Veranstaltung ebenso ihre Premiere im Erwachsenenbereich. „Das war vom Niveau her schon nochmal ein Unterschied zu den Jugendmeisterschaften. Leider waren die Corona-Maßnahmen recht heftig, so dass für mich nicht unbedingt eine Atmosphäre des Besonderen aufkam“, bedauerte sie. Die Untergruppenbacherin störte sich weniger an den langen Wartezeiten am Sportlereingang mit Fiebermessen, Ausweiskontrolle und Desinfektion, sondern vielmehr an der Abschottung der Athleten: „Ich fand es total schade, dass wir nach dem Wettkampf sofort wieder das Stadion verlassen mussten und deshalb nichts von den anderen Disziplinen mitbekommen konnten.“

Dem kann Katharina Mähring nur zustimmen. Sie berichtet über zwei Hammerwerferinnen, die nach dem Vorkampf ausgeschieden waren und nicht mal mehr den Wettkampf der eigenen Disziplin im Stadion anschauen durften: „Eine von den beiden war nach dem Ausscheiden total fertig und durfte noch nicht mal zu ihrem Coach, sondern musste gleich raus“, schüttelt sie den Kopf. „Wenn du da als Athletin von Haus aus schon ohne Begleitung der Familie anreisen musst, ist der Trainer der einzige Anlaufpunkt, der dich trösten kann. Sie weinend aus dem Stadion gehen zu sehen, das war nicht schön.“

Auch Denise Krebs berichtet von Corona bedingten Unwägbarkeiten: „Ich habe nach meinem Lauf einem Journalisten ein Interview gegeben, der im Rollstuhl saß. Da wir beide eine Maske trugen, habe ich mich zu ihm runter gebeugt, damit wir uns gegenseitig richtig verstehen konnten. Das versuchte jedoch ein Ordner zu verhindern, da wir auf diese Weise den Abstand nicht wahren konnten. Natürlich war das nicht ganz Corona konform – aber irgendwie mussten wir ja kommunizieren.“

Corona-Maßnahmen waren notwendig

Trotz dieser unschönen Begleiterscheinungen sind sich die Athletinnen einig, dass die Corona-Maßnahmen notwendig waren, damit die Deutschen Meisterschaften auch wirklich stattfinden konnten.
„Als im Juni beschlossen worden war, dass die DM tatsächlich stattfinden würde, waren die Mittel- und Langstreckenläufe erstmal ausgeklammert. Die Idee war, dass die Läuferinnen und Läufer über die gesamte Distanz auf ihrer Bahn bleiben und so den direkten Kontakt zur Konkurrenz vermeiden. Das wäre nur bis zur 800-Meter-Distanz möglich gewesen“, erinnert sich Denise Krebs. Für alles über 800 Metern seien Laufband-Meisterschaften mit der App ZWIFT angedacht gewesen, so die Heilbronn-Biberacherin weiter. „Gottseidank sind sie davon schnell wieder abgekommen und wir durften doch laufen. Da richtet man sich dann doch gerne nach den Hygienevorgaben.“

Positive Aspekte der Maßnahmen

Katharina Schiele entdeckte bei den Maßnahmen sogar noch einen positiven Aspekt, den sie gerne für weitere Wettkämpfe übernommen sehen möchte: „Im Callroom, in dem sich vor dem Wettkampf alle Starterinnen einer Disziplin sammeln, musste man diesmal nicht um die freien Stühle kämpfen, denn jedem wurde sein eigener Platz zugewiesen.“
Auch die Startunterlagen wurden in Braunschweig in Einzelmappen ausgegeben, was Katharina Schiele sehr begrüßt. „Normalerweise werden die Unterlagen aller Starter eines Vereins in eine Mappe gestopft und man muss sich alles selbst raussuchen. Bei einem Großverein wie der TSG kann da schon mal ein Durcheinander entstehen. Das war bei der DM jetzt echt angenehm“, so die Neckargartacherin.

Eine amüsante Anekdote kann Denise Krebs abschließend noch zum besten geben: „Vor unserem Lauf hat der Stadionsprecher alle Läuferinnen übers Mikro so vorgestellt als wäre das Stadion voll mit Zuschauern. Als mein Name kam, hat genau ein Medienvertreter geklatscht, wo normalerweise Hunderte applaudieren. Ich habe mich zu ihm umgedreht und musste trotz aller Konzentration erstmal lachen.“

Wir hoffen gemeinsam mit den vier Athletinnen, dass die Deutschen Meisterschaften in dieser Form eine einmalige Sache waren und künftig wieder alles wie gewohnt stattfinden kann – natürlich mit genügend Stühlen im Callroom und Einzelmappen für die TeilnehmerInnen… 🙂