Kourosh Sadeghi – Geboren für die Olympischen Spiele 2028

Auf einmal stand er da. Ein 16-jähriger Teenager, der nur Englisch sprach und bei der TSG Heilbronn trainieren wollte. „Er war sehr freundlich und hilfsbereit“, erinnert sich Peter Schramm. „Und er konnte gut laufen. Man hat gemerkt, dass er kein Anfänger war. Da war mir klar, dass ich mich um ihn kümmern muss“, so der inzwischen 80-jährige Sportliche Leiter der TSG-Leichtathleten. Die Rede ist von Mohamad „Kourosh“ Sadegh Sadeghi. Der junge Läufer, ehemaliges Mitglied der iranischen U16-Nationalmannschaft, war im Jahr 2020 aus seiner Heimat geflüchtet und auf dem Weg nach Kanada mit leeren Taschen in Heilbronn gestrandet. Heute spricht Kourosh fast perfekt Deutsch, strebt seinen Realschulabschluss an und ist baden-württembergischer U20-Meister sowie süddeutscher Vizemeister über die 2.000 Meter Hindernis. Und er hat einen Traum: Er möchte 2028 bei den Olympischen Spielen in Los Angeles für Deutschland an den Start gehen. Wir haben uns mit dem sympathischen 18-Jährigen getroffen, um mehr über ihn zu erfahren. Text: Ralf Scherlinzky

Autor: Ralf Scherlinzky

28. April 2023

Kourosh Sadeghi (2. von links) in Aktion. Foto: KJ Peters

Kourosh, du warst erst 15 Jahre alt, als du deine Heimat verlassen hast. Was bringt einen so jungen Menschen dazu, allein ins Ungewisse zu flüchten?

Kourosh Sadeghi: Wir haben im Iran ein totalitäres Regime, das unsere Leute komplett unterdrückt und keine Freiheit zulässt. Ich habe schon immer viel gelesen und deshalb verstanden, dass das nicht richtig ist. Deshalb bin ich mit meinen Freunden auf die Straße gegangen. Dort musste ich miterleben, wie Menschen erschossen wurden. Meine Eltern haben wegen mir Probleme mit der Sicherheitspolizei bekommen, wurden verhört und geschlagen. Die Polizei hat dann auch meine ganzen Dokumente beschlagnahmt, so dass ich weder Ausweis noch Schulbescheinigungen mehr hatte. Mir blieb nichts anderes übrig als zu fliehen, denn sonst wäre mein Leben in Gefahr gewesen.

Wie hat dich dein Weg dann ausgerechnet nach Heilbronn geführt?

Kourosh Sadeghi: Das ist eine längere Geschichte. Ich bin zuerst mit einem Verwandten in ein kleines Dorf in den Bergen gefahren. Von da ging es dann mit einer größeren Gruppe in einem 30-stündigen Fußmarsch über die Grenze in die Türkei. Dort wurden wir mit einem Kleinbus aufgesammelt, der uns in die nächste Stadt gebracht hat. Nach einer Woche fuhren wir dann von Antalya aus mit einem kleinen Partyboot 2.000 Kilometer übers Meer nach Italien, wo ich für 20 Tage in Corona-Quarantäne musste. Ich war während meiner Flucht immer übers Handy mit einer Person in Kontakt, die mir Standorte geschickt hat, von denen aus die nächste Etappe starten sollte. Irgendwann war ich in Frankreich und wurde in den Zug nach Deutschland gesetzt. Ich kam in Karlsruhe an und sollte von dort nach Heilbronn fahren. Am Heilbronner Hauptbahnhof ist dann der Kontakt abgerissen. Ich stand mit drei Euro in der Tasche da und mir war klar, dass meine Reise hier erstmal zu Ende war. Am Bahnhof habe ich mich bei der Polizei gemeldet und meine Geschichte erzählt. Sie haben Alter, Größe, Augenfarbe und Fingerabdrücke aufgenommen, um meine vorläufigen Dokumente zu erstellen. Dann haben sie mich zu einer Unterkunft in der Herbststraße gebracht.

Und dann hat dir der Sport geholfen dich schnell zu integrieren…

Kourosh Sadeghi: Genau. Ich möchte hierbei vor allem Peter Schramm hervorheben. Er ist mein Opa, mein Manager, mein Mentor, meine Familie. Ich habe ihm sehr viel zu verdanken – genauso wie meinem Trainer Jens Boyde und dem Verein TSG Heilbronn.

Wie kommt es, dass du so schnell so gut Deutsch gelernt hast?

Kourosh Sadeghi: Seit ich hier bin, bin ich nur mit Deutschen zusammen und deshalb habe ich schnell damit begonnen, die Sprache zu lernen. Am Anfang habe ich viele Filme angeschaut und dadurch immer mehr verstanden. Dann bin ich auf Bücher umgestiegen und lese gerade zum Beispiel „12 Regeln für das Leben“ von Jordan B. Peterson – ein richtig krasses Buch.

Sportlich läuft es bei dir auch gut. Was ist da der nächste Step?

Kourosh Sadeghi: Ich möchte in diesem Jahr erstmals meine Lieblingsstrecke 3.000 Meter Hindernis bei den Männern laufen. Im U20-Bereich geht es in Europa leider nur bis 2.000 Meter. Außer den Hindernis-Distanzen laufe ich auch noch 800 und 1.500 Meter, sowie 10 Kilometer und Cross Sprint. Ich sehe mich aber dennoch als Hindernisläufer und würde mir wünschen, dass ich mich dort mit der deutschen Spitze messen kann. Das geht aber leider noch nicht.

Woran liegt das?

Kourosh Sadeghi: Ich habe leider noch keinen deutschen Pass und darf deshalb nur baden-württembergische und süddeutsche Meisterschaften laufen. Das ist auch deshalb ungeschickt, weil ich zuletzt nicht mit meiner Trainingsgruppe nach Italien ins Camp fahren konnte. In Frankreich finden oft internationale Wettkämpfe für Hindernisläufer statt und auch da kann ich nicht teilnehmen, weil ich nicht aus Deutschland raus darf.

Das ist natürlich echt blöd. Ist hier etwas in Sicht, dass sich die Situation für dich verbessert?

Kourosh Sadeghi: Ich hatte vor kurzem meine persönliche Anhörung zum Bleiberecht, die zwölf Stunden gedauert hat. Wenn der Richter für mich ein gutes Urteil fällt und ich langfristig hier bleiben darf, habe ich die Chance, nach ein paar Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen. Bis dahin werde ich weiter trainieren, zur Schule gehen und meine Deutschkenntnisse verbessern.

Kourosh Sadeghi und sein Mentor Peter Schramm. Foto: SPORTHEILBRONN

Wie schätzt du deine sportlichen Leistungen im Vergleich zu anderen deutschen Athleten ein?

Kourosh Sadeghi: Die Konkurrenz im Hindernislauf ist nicht allzu groß und ich denke, ich könnte es bei einer deutschen Meisterschaft in die Top fünf schaffen.

Dein großer Traum ist es ja, für Deutschland an den Olympischen Spielen 2028 teilzunehmen. Wie realistisch ist es, dass dieser Traum in Erfüllung geht?

Kourosh Sadeghi: Das ist nicht nur ein Traum, sondern ein echtes Ziel, auf das ich hinarbeite. Ich richte mein Leben nach Olympia 2028 aus. In meinem Zimmer habe ich eine große Flagge mit den olympischen Ringen an der Wand hängen, unter denen steht „Just keep going to 2028“. Wenn ich morgens aufwache, ist dieses Bild das erste, was ich sehe. Und wenn ich abends zu Bett gehe, ist es das letzte, bevor ich einschlafe. Ich lebe für Olympia. Ich bin für Olympia geboren. Herr Schramm kann bestätigen, dass ich sehr diszipliniert bin. Ich bin immer bereit, im Training alles zu geben. Und sollte ich mal keine Lust zum Trainieren haben, führe ich mir vor Augen, dass meine Konkurrenten dennoch trainieren und deshalb besser werden als ich und mich womöglich bei der Olympia-Qualifikation überholen. Das genügt dann schon, um wieder mit Motivation zum Training zu gehen.

Welcher größere Wettkampf steht als nächstes an?

Kourosh Sadeghi: Die baden-württembergische U20- Meisterschaft über 2.000 Meter Hindernis am 14. Mai. Dort möchte ich meinen Titel verteidigen.