Karriere-Highlight in Quarantäne – Sebastian Heymanns EM-Erlebnisse

Die Handball-Europameisterschaft im Januar 2022 in der Slowakei und in Ungarn war alles andere als normal. Jeden Tag kamen neue Meldungen über positiv getestete Spieler, die sich in Quarantäne begeben mussten und nicht mehr beim Turnier dabei sein durften. Für sie wurden Spieler nachnominiert, die selbst zum Teil gleich wieder aus dem Verkehr gezogen wurden. Die EM stand ganz im Zeichen von Corona. Mitten in dem ganzen Chaos: Sebastian Heymann. Der Horkheimer konnte die ersten drei Spiele bestreiten, ehe auch er ein Opfer der Omikron-Lotterie wurde und sich im Hotelzimmer in Quarantäne wiederfand. Unser Redakteur Ralf Scherlinzky hat sich online mit dem 23-Jährigen getroffen, um für die SPORTHEILBRONN-Leser in Erfahrung zu bringen, was sich hinter den Kulissen abgespielt hat. Zugeschaltet war auch die aus Künzelsau stammende Säbelfechterin Elisabeth Gette, die zu diesem Zeitpunkt eigentlich auf dem Weg zum Weltcup-Turnier hätte sein müssen. Stattdessen saß sie zuhause in Quarantäne und berichtete über die Situation am Stützpunkt in Dormagen (siehe Kasten rechts). Fotos: Marco Wolf

Autor: Ralf Scherlinzky

10. Februar 2022

Die Europameisterschaft war dein erstes großes Turnier – und dann gleich so etwas. Wie nachhaltig wird dir diese EM in Erinnerung bleiben?
Sebastian Heymann: Wenn mir vorher einer gesagt hätte, was da auf uns zukommt, hätte ich ihm vermutlich den Vogel gezeigt. Diese EM war etwas, von dem ich meinen Enkeln mal noch erzählen kann. Aber im Nachhinein war es dennoch eine super Erfahrung. Es gab auch schöne Momente, selbst wenn es jetzt nicht wirklich danach aussieht.

Nach zwei Jahren Corona müsste es doch eigentlich möglich sein, ein Team so abzuschotten, dass das Virus keine Chance hat, um sich auszubreiten. Wie war das bei euch?
Sebastian Heymann: Wir waren zur Vorbereitung in Großwallstadt im Sporthotel, da war die Trainingshalle unten drin. Wir haben das Hotel bis auf einmal nie verlassen. Dieses eine Mal waren wir im Kino. Da hatten wir uns aber nur für das Team einen ganzen Kinosaal gemietet, wo dann wirklich nur wir waren. Es gab keinen Kontakt nach draußen. Ab 1. Januar waren wir strikt in Einzelzimmern untergebracht, um zu vermeiden, dass einer vom alten Jahr oder von Silvester irgendwas mitgebracht hat. Unsere Tests waren aber alle negativ und wir sind dann mit einem sehr guten Gefühl zum Turnier gefahren.

Aber irgendwie hat sich das Virus dann doch bei euch eingeschlichen. Wisst ihr, wo es herkam?
Sebastian Heymann: Wir können nur mutmaßen. Im Hotel in Bratislava waren wir ja genauso abgeschottet und in Einzelzimmern untergebracht wie vorher. Wir hatten sogar einen eigenen Koch dabei und haben in einem abgesonderten Raum gegessen. Als wir im Hotel angekommen waren, hatte ich noch unseren Physios geholfen die Taschen hochzutragen. Da meine Tasche noch bei der Rezeption stand, musste ich nochmal runter. Dort bin ich dann dem polnischen Team begegnet – mein einziger kurzer Kontakt zu Personen außerhalb unserer Blase. Am gleichen Abend haben wir erfahren, dass es bei den Polen erste positive Fälle gegeben hatte. Ob es diese ganz kurze Begegnung in der Hotelhalle war? Ich weiß es nicht…

Wie ging es dann in der Nationalmannschaft los mit den ersten positiv getesteten Spielern?
Sebastian Heymann: Es begann nach unserem ersten Spiel und wir sind erstmal aus allen Wolken gefallen. Aber klar, man musste damit rechnen, dass ein solch aggressives Virus auch den Weg in unsere „Blase“ finden würde. Als der erste Fall da war, war uns allen klar, dass es vermutlich nicht bei diesem einen Fall bleiben würde. Dann waren es am nächsten Tag gleich fünf Positive. Da wir im Training alle untereinander engen Kontakt hatten, war schon abzusehen, dass es weitergehen würde. Wir haben uns wirklich oft getestet, und wer negativ war, durfte natürlich trainieren und spielen. Eine Eindämmung war aber leider nicht mehr möglich, wie wir dann gesehen haben…

Was ging in dir vor, wenn es morgens zum Testen ging?
Sebastian Heymann: Man hat schon etwas gezittert und gehofft, dass der Kelch an einem vorübergeht. Ich war jeden Tag extrem erleichtert, wenn sowohl Schnell- als auch PCR-Test negativ waren. Aber es wurde immer wahrscheinlicher, dass es auch mich treffen würde.

Und dann kam der „Einschlag“…
Sebastian Heymann: Ja. So schnell, wie es mit der EM losging, so schnell war sie für mich auch schon wieder vorbei. Das ist schon heftig. Man macht die ganze Vorbereitung mit, spielt sein Karrierehighlight – und dann ist man, zack, aus dem Turnier. Als ich positiv getestet wurde, hatte ich ein leichtes Kratzen im Hals, aber nichts, bei dem ich sagen würde, ich kann nicht spielen. Außerdem war ich ja geboostert. Aber der Test war nun mal positiv und ich habe mich selbstverständlich in die Isolation begeben, um die anderen nicht zu gefährden.

Du musstest die ersten sechs Quarantäne-Tage im Hotel in Bratislava verbringen. Wie muss man sich den Tagesablauf dort vorstellen, wenn man überhaupt von Tagesablauf sprechen kann?
Sebastian Heymann: Morgens um acht Uhr habe ich das Frühstück vor die Zimmertür gestellt bekommen. Um neun ging es dann mit den Australian Open im Fernsehen los und ich habe den halben Tag Tennis geschaut. Ab 15.30 Uhr kam Handball, und zwischen den Spielen habe ich auf Netflix Serien geschaut. Am Wochenende hat dann auch noch die Fußball-Bundesliga gespielt. Und natürlich habe ich nebenher auch mein Stabi-Programm durchgezogen und auch sonst ein paar Übungen gemacht, damit ich nicht ganz einroste. Die einzigen Menschen, die ich in diesen sechs Tagen getroffen habe, waren ein Arzt vom Europäischen Handballverband sowie unser zweiter Teamarzt, der sich ausschließlich um die Infizierten gekümmert hat. Für beide hatte ich Schutzanzüge in meinem Zimmer hängen, die ich ihnen vor die Tür gelegt habe, nachdem sie geklopft hatten. So konnten wir vermeiden, dass sie das Virus womöglich über die Klamotten mit nach draußen nehmen.

Nach sechs Tagen Quarantäne in Bratislava durftest du wieder heim, obwohl du noch positiv warst. Auf welchem Weg bist du von dort nach Göppingen gekommen, ohne jemanden zu gefährden?
Sebastian Heymann: Der Deutsche Handball-Bund hat für alle Positiven einen Krankentransport der Johanniter Unfallhilfe organisiert. Das muss man sich mal vorstellen – die sind von Günzburg nach Bratislava gefahren, haben dort die Spieler aus Erlangen eingesammelt und sie nach Nürnberg gebracht. Dort haben sie ein paar Stunden geschlafen, sind um 2 Uhr nachts wieder nach Bratislava aufgebrochen, um meinen Teamkollegen Marcel Schiller und mich dort um neun Uhr aufzusammeln. Wir sind von dort aus sieben Stunden gefahren, so dass wir um 16 Uhr in Göppingen waren. Die beiden Fahrer haben sich echt unseren aller höchsten Respekt verdient!

Wie wart ihr von denen getrennt, damit ihr sie nicht ansteckt?
Sebastian Heymann: Wir sind wirklich im klassischen Krankenwagen hinten gefahren, mit Liege und dem vollen Programm. Einer von uns beiden saß immer in Fahrtrichtung, der andere musste rückwärts fahren. So wirklich angenehm waren die Stunden dort hinten drin nicht, und es war dann schon eine Erleichterung, als ich wieder zuhause war.

Du wohnst ja in Göppingen allein. Wie hast du dich dort versorgt? Du warst ja immer noch positiv…
Sebastian Heymann: Marcel Schiller ist mit zu mir gekommen, denn er wollte seine Frau und seine zwei kleinen Kinder nicht gefährden. Seine Frau hat uns dann immer wieder mal etwas zu essen vor die Tür gestellt. Außerdem haben wir einen guten Freund, der in Göppingen ein italienisches Restaurant hat. Auch von ihm haben wir öfter etwas geliefert bekommen. Verhungert sind wir also nicht (lacht). Ansonsten haben wir auch hier das TV-Programm mit Australian Open und Handball-EM abgespult, haben Playstation gespielt und Puzzles gemacht.

Wie lange musstet ihr dann in Göppingen noch in Quarantäne bleiben?
Sebastian Heymann: Wir sind montags heimgekommen und haben uns dann am Donnerstag freigetestet. Danach gab es einige Untersuchungen und Belastungstests, ehe ich dann nach rund einer Woche wieder ins Mannschaftstraining bei FRISCH AUF! Göppingen einsteigen durfte.

Du hast die Infektion, wie wir sehen, gut überstanden. Wie ist es deinen Mitspielern in der Nationalmannschaft ergangen?
Sebastian Heymann: Gottseidank geht es allen gut. Es ist schon verrückt: Von den 17 Spielern, die nach Bratislava gefahren sind, blieben nur vier von der Infektion verschont. Marcel und ich haben uns auch mit unserem Göppinger Mitspieler Daniel Rebmann unterhalten, der durch unsere Ausfälle nachnominiert worden war. Er hat auch den Kopf geschüttelt, weil er zuerst gar nicht damit gerechnet hatte, dass er zur EM fahren darf – und am Ende spielte er dann mehr Partien als Marcel und ich.

Immerhin konntest du am Anfang noch drei Spiele bestreiten. Warst du mit deiner sportlichen Leistung zufrieden?
Sebastian Heymann: Ich bin nicht wirklich gut ins Turnier reingekommen. Dafür hat Julius Kühn im ersten Spiel auf meiner Position super gespielt, so dass ich nicht so oft zum Einsatz kam. Im zweiten Spiel gegen Österreich konnte ich dann das zeigen, was ich mir vorgenommen hatte, und ich habe sowohl nach vorne als auch nach hinten gut gespielt. Ich habe den Anspruch an mich selbst, dass ich die Leistung aus dem Österreich-Spiel auch künftig wieder abrufen kann, wenn ich weiterhin die Chance bekomme, für Deutschland spielen zu dürfen.

Elisabeth Gette

Die Team-Europameisterin im Säbelfechten hatte sich ihre Omikron-Infektion vermutlich beim Weltcup in Georgien eingefangen. „Bei uns in der Trainingshalle am Bundesstützpunkt Dormagen war jeder Zweite positiv. Gefühlt hat es inzwischen die kompletten Kaderathleten erwischt. Das Problem ist, dass die Schnelltests kaum mehr anschlagen. Selbst jetzt, wo ich mit Symptomen und positivem PCR-Test zuhause sitze, zeigt der Schnelltest ‚negativ‘ an“, berichtet die 21-Jährige. Sie stehe mit einigen Fechterinnen und Fechtern aus anderen Nationen im Austausch, die bei den Weltcup-Turnieren in Georgien und Bulgarien positiv getestet worden waren und dort in Quarantäne-Hotels gesteckt wurden. „Da konnte ich wirklich froh sein, dass ich erst zuhause positiv getestet wurde.“