Karl Hauck + Antonio Silvestri: Zwei Kampfrichter in Tokyo
Wenn man in den Medien das Stichwort „Olympia“ hört oder liest, denkt man sofort an Spitzenathleten, die sich auf der größten Bühne des Sports miteinander messen, die Zuschauer begeistern und beeindruckende Leistungen erbringen. Doch ohne eine bestimmte Personengruppe würden die Wettkämpfe nicht stattfinden: die Schieds- und Kampfrichter, die vor Ort für einen fairen Wettkampf und einen geregelten Turnierablauf sorgen. Wir haben uns mit dem ehemaligen Neckargartacher Ringer und jetzigen Kampfrichterchef des Ringer-Weltverbandes, Antonio Silvestri, sowie mit dem Ressortleiter Kanu-Rennsport des Deutschen Kanu-Verbandes, Karl Hauck, über ihren Einsatz als Unparteiische bei den Olympischen Spielen in Tokio unterhalten.
Autor: Lena Staiger
Die Sportlerinnen und Sportler mussten aufgrund der strengen Coronamaßnahmen spätestens zwei Tage nach dem Ende ihres Wettkampfes das Land Japan verlassen haben. Konntet ihr als Kampfrichter anderen Sportarten zuschauen oder galten für euch die gleichen Regeln?
Karl Hauck: Für uns waren die Coronamaßnahmen genauso streng, es gab keine Chance, eine andere Sportart zu besuchen. Bei uns im Hotel waren in den Etagen unter uns auch rund 400 Polizisten untergebracht. Am ersten Abend hat es sich ein Offizieller des Kanu-Weltverbandes erlaubt, auf einer Bank vor dem Hotel sein Bier zu trinken und wurde dafür direkt offiziell ermahnt.
Antonio Silvestri: Man muss schon sagen, dass der Verwaltungsaufwand gerade im Vergleich zu den Spielen in London oder Rio enorm war. Alleine die ganzen Unterlagen, die wir im Vorfeld vorbereitet haben. Beispielsweise mussten wir 14 Tage vor der Anreise eine App freischalten, jeden Tag Fieber messen und diesen Wert in der App erfassen. Vor Ort musste man jeden Tag um fünf Uhr morgens aufstehen und einen Spucktest absolvieren. Wir hatten absolut keinen Kontakt zu den Athleten, geschweige denn, dass wir raus durften. Das war natürlich sehr schade, weil Olympia eigentlich gerade davon lebt.
Karl Hauck: Vor der Anreise war es außerdem Pflicht, den sogenannten Japan-Test zu machen. Das war ein PCR-Test, für den nur ganz bestimmte Labors in Deutschland akkreditiert waren und zu denen man unter Umständen recht weite Strecken zurücklegen musste. Dabei wurden dann spezielle chemische Untersuchungen gemacht und ein japanisches Zertifikat ausgestellt. Das alles war wirklich der Wahnsinn.
Was genau waren eure Aufgaben vor Ort?
Karl Hauck: Meine Aufgabe war ähnlich wie in Rio, die Einhaltung der Merchandising-Vorgaben zu überwachen und zu schauen, dass auch die richtigen Leute ins richtige Boot einsteigen. Wir wurden zum Beispiel schon angezählt, als wir es zugelassen haben, dass zwei Ungarn mit unterschiedlichen Trikots gestartet sind, obwohl beide Trikots offiziell zulässig waren. Außerdem weise ich die Volunteers gegebenenfalls an, bestimmte Aufdrucke auf den Trikots mit Tape abzukleben, da sind die olympischen Vorgaben sehr streng. Eine weitere Aufgabe war zu überprüfen, dass alle Boote, die in Tokio an den Start gingen, auch schon auf der WM vor zwei Jahren offiziell vorgestellt wurden. Das war Pflicht für den Einsatz des Bootes bei den olympischen Spielen.
Antonio Silvestri: Auch bei uns gehört es zum Aufgabengebiet zu überprüfen, ob das Trikot stimmt. Bei uns ist ja außerdem die Waage ganz entscheidend, da zählt zum Teil jedes Gramm des Athleten. Einer hat tatsächlich sein Trikot zum Wiegen abgeschnitten, das ist mir dann zum Glück aufgefallen und er musste sein Trikot wechseln. Die Athleten versuchen da echt mit allen Mitteln zu arbeiten, da muss man sehr aufmerksam sein (lacht).
Ich persönlich stehe auch nicht mehr als Kampfrichter direkt auf der Matte, sondern überprüfe die Entscheidungen des Kampfgerichts während des Wettkampfes. Die Ringer haben pro Person ein einmaliges Einspruchsrecht, das sie, wenn sie Recht bekommen, nochmal einsetzen dürfen. Wenn der Einspruch allerdings abgelehnt wird, gibt es einen Punkt Abzug. Da wir im Ringen sehr viel Wert auf Transparenz legen, muss ich dann die richtige Einstellung der 48 zur Verfügung stehenden Kameras auswählen und auf der großen Leinwand zeigen, um die Entscheidung zu begründen.
Wie war die Atmosphäre vor Ort? Die Sportler haben uns schon erzählt, dass ihnen die Zuschauer zum Teil ziemlich gefehlt haben. Wie habt ihr das wahrgenommen?
Antonio Silvestri: Die Aufmachung und Inszenierung der Wettkampfstätten war der Hammer. Wenn man sich jetzt noch die Zuschauer dazu denkt, wäre das der absolute Wahnsinn gewesen. Alleine die Beleuchtung und die Musik – die Japaner haben da wirklich sehr viel im Hintergrund gemacht. Bei uns war das Schöne, dass die Teamkameraden auf der Tribüne sitzen und ihre Landsleute unterstützen durften. Da kam dann schon ein bisschen Stimmung auf. Außerdem gab es für die Medaillengewinner eine Leinwand, über die die Familie zugeschaltet war. Das war sehr schön.
Karl Hauck: Man hat gemerkt, dass alles letztes Jahr schon aufgebaut wurde mit der Prämisse, dass Zuschauer erlaubt sind. Da haben die wirklich sehr viel investiert. Deshalb war es besonders schade, dass keine Zuschauer die Kulissen mit Leben füllen konnten. Bei uns waren aber so viele Volunteers und nationale Kampfrichter vor Ort, dass das die Zuschauer zumindest ein bisschen ersetzt hat.
Habt ihr etwas von den Protesten vor Ort mitbekommen? In den Medien war ja immer wieder zu lesen, dass sich die Einwohner des Landes gegen die Austragung der Spiele ausgesprochen haben.
Karl Hauck: Von irgendwelchen Protesten haben wir überhaupt nichts mitbekommen. Im Endeffekt wäre der finanzielle Verlust noch viel größer gewesen, wenn man die Spiele ganz abgesagt hätte. Und man hat bei den Veranstaltungen im Freien ja gesehen, dass auch ein entsprechendes Publikum am Straßenrand stand.
Antonio Silvestri: Ich habe im Nachhinein auf der WM nochmal mit ein paar Mitgliedern des japanischen Teams gesprochen. Diese haben mir alle erzählt, wie froh das Volk war, dass die Wettkämpfe stattfanden. Das lag bestimmt nicht zuletzt auch daran, dass die japanischen Sportler auch sehr erfolgreich waren. Ich denke, auch für die Sportler wäre es ein Weltuntergang gewesen, wenn die Spiele abgesagt worden wären.
Antonio warst du vor Ort, als Frank Stäbler sich endlich seine langersehnte Olympiamedaille geholt hat?
Antonio Silvestri: Ja, das war ein wahnsinnig toller Moment. Ich habe mitgefiebert ohne Ende. Ich kenne ihn schon als Jugendringer und habe ihn zu seiner ersten EM im Jugendbereich begleitet. Er hatte damals im Vorhinein so viel Gewicht gemacht, dass ich ihm seine Tasche die komplette Reise über getragen habe und zu ihm meinte, er soll schlafen und sich ausruhen (lacht). Uns verbindet so eine lange Zeit und es ist sehr schön zu sehen, wie die Sportler wachsen. Deshalb habe ich mich unheimlich für Franky gefreut, nach außen hin muss man aber natürlich neutral bleiben.
Welche Funktion hast du eigentlich genau im Ringer-Weltverband? ‚
Antonio Silvestri: Als Kampfrichterreferent des Ringer-Weltverbandes bin ich für alle Kampfrichter weltweit verantwortlich. Ich habe zum Beispiel auch die Kampfrichternominierung für Tokio vorgenommen. Das Ganze mache ich ehrenamtlich. Ringen ist eben, anders als Fußball zum Beispiel, eine Randsportart. Das gilt natürlich nicht nur für die Sportler, sondern auch für uns. Gerade im Kampfrichterwesen kann es auch mal ganz schnell gehen und du bist nach ein, zwei falschen Entscheidungen raus. Ich als Familienvater darf mich da natürlich nicht nur auf den Sport verlassen. Die Abwechslung zwischen meinem Job bei einer Berufsgenossenschaft und der Arbeit für den Ringer-Verband macht mir auch großen Spaß.