K1-/Muay Thai-Kämpferin Aylina Engel: „Blaue Augen und Cuts findet man cool“

Zurückhaltend, fast schüchtern sitzt Aylina Engel am Tisch, als wir uns bei den Thaibulls Heilbronn mit der 20-Jährigen und ihrem Trainer Bernd Dorst zum Interview treffen. Ihre Antworten kommen kurz und knapp, während der Thaibulls-Chef ausführlich darüber berichtet, dass sein Schützling am 11. Mai in Pfedelbach um den Weltmeister-Titel der AFSO (World All Fight System Organization) kämpfen wird. Erst als wir nachfragen, was einer jungen Frau ausgerechnet am Kickboxen gefällt, bricht das Eis. „Du darfst es nicht nur mögen, selbst was abzukriegen, du musst es auch mögen, jemanden zu schlagen“, lacht die ICO-Weltmeisterin und ISKA-Europameisterin. Dann beginnen die Worte aus Aylina Engel herauszusprudeln – von Zurückhaltung keine Spur mehr. „Ich liebe und lebe diesen Sport“, sagt sie. Und plötzlich hat man sie vor sich sitzen, die Muay Thai- und K1-Kämpferin, die ihre Gegnerinnen im Ring reihenweise besiegt. Um Aylina live in Action zu sehen, fahren wir am 23. März nach Ludwigsburg und werden Zeuge, wie klar sie in der MHP Arena ihre holländische Kontrahentin dominiert und in ihrem 21. Kampf den 17. Sieg feiert.

Fotos: Marcel Tschamke

Autor: Ralf Scherlinzky

24. April 2019

„Als ich 13 war, hatte mich eine Freundin dazu genötigt, zum Kickboxen bei den Thaibulls mitzukommen“, erinnert sich Aylina Engel. „Ich hatte es davor schon mit Turnen und Schwimmen probiert, aber letztendlich bin ich dann tatsächlich beim Kickboxen hängen geblieben“. Ihr Trainer Bernd Dorst sei damals allerdings der Einzige gewesen, der etwas in ihr gesehen habe. „Die anderen wollten mich wieder rausschmeißen, weil ich so zickig war“.

Der 51-Jährige sollte recht behalten. Gleich in ihrem ersten Kampf feierte Aylina Engel mit 13 Jahren ihren ersten Sieg. Die nächsten beiden Kämpfe gingen zwar verloren („Weil ich so trotzig war“), doch beim vierten Einsatz hat es „Klick“ gemacht: „Ich wurde Saarland-Luxemburg Meisterin und habe gemerkt, dass es jetzt richtig losgehen kann.“

Und wie es losging! Die Teenagerin legte mit Fleiß, Ehrgeiz und Enthusiasmus den Grundstein für die heutige Karriere, die sie künftig noch weit führen soll – im Idealfall bis zu den Olympischen Spielen. „2024 in Paris wird Muay Thai Olympisch sein, und es ist natürlich mein Ziel, dort dabei zu sein. Die Qualis fangen jetzt schon an.“

Um sich für Olympia zu qualifizieren, muss Aylina Engel der IFMA (International Federation of Muaythai Amateur) angehören. „Weit ist Aylina nicht mehr von dem Level weg, um dort mitmischen zu können. Ein Ausrufezeichen kann sie schon jetzt am 11. Mai in ihrem AFSO-WM-Kampf gegen die Französin Ines Pilutti setzen. Denn die hat 2016 in Thailand das Junioren-WM-Turnier der IFMA gewonnen und hat damals alle weggehauen“, räumt Bernd Dorst seinem Schützling gute Chancen ein, schon bald mit den ganz Großen der Branche mitmischen zu können.

Um am 11. Mai auf dem Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit zu sein, trainiert Aylina Engel („Das Gym ist mein zweites Zuhause“) täglich zwei bis drei Stunden. Nach ihrem Auftritt Ende März in Ludwigsburg nicht in ein Loch zu fallen, sondern das Level zu halten, sei nicht einfach. Zumal sie dort nicht wie in Ludwigsburg K1, sondern Muay Thai kämpft (Erklärung siehe roter Kasten): „Muay Thai ist eine ganz andere Sportart. Das habe ich seit einem Jahr nicht mehr trainiert.“

Im Training misst Aylina sich hauptsächlich mit Männern, da diese wesentlich mehr Kraft haben und sie dadurch stärker fordern. „Das bringt mir als Mädchen viel“, sagt sie.

Je näher es an den großen Kampf hingeht, desto intensiver wird das Training – bis die Intensität dann kurz vor dem Kampf zurückgefahren wird. Dann heißt es Level halten und nach dem Gewicht schauen. „Bei uns dreht sich eigentlich alles um das Gewicht. Dabei gibt es nicht wie im Boxen oder Ringen feste Gewichtsklassen. Vielmehr melde ich mich mit meinen 53 Kilogramm an, und dann schaut der Veranstalter, ob in dieser Klasse noch jemand gemeldet hat. Dann kuckt er, wie er beide zusammenbringt, auch wenn das Gewicht leicht auseinander geht“, erklärt Aylina Engel. „Ich habe schon oft gegen ein, zwei Kilo schwerere Gegnerinnen gekämpft – da habe ich den Vorteil dass ich schneller und beweglicher bin.“

Von großen Verletzungen ist Aylina Engel bisher verschont geblieben. „Einmal habe ich mir die Hand gebrochen, und dann hatte ich noch zwei Platzwunden. Meine Nase ist aber noch ganz“, grinst sie und fügt hinzu: „Blaue Augen, Cuts, Kratzer – sowas findet man cool. Klar, man muss es mögen, aber ich bin schon eine, die dann hergeht und sagt, kuck mal, ich hab ein blaues Auge. Schade, dass damals niemand fotografiert hat, als mein Gesicht nach dem Cut an der Stirn ganz blutig war. Das hätte meiner Online-Community in Instagram und Facebook gefallen.“

Die Follower in den Sozialen Medien spielen in der Szene eine große Rolle: „Man muss sich natürlich positiv und authentisch präsentieren und baut sich ein gewisses Image auf. Man steht ja auch für sein Gym, und das muss man natürlich auch entsprechend repräsentieren.“

Seit Oktober 2018 arbeitet die gebürtige Heilbronnerin mit einer eigenen Managerin zusammen. Mit dieser und ihrem Partner Speedytex hat Aylina Engel ihre eigene Modekollektion mit dem Namen „THE ANGEL“ kreiert, die sich momentan in der Einführungsphase befindet und schon bald in einem eigenen Onlineshop verfügbar sein wird.

Noch reichen die Gagen, Preisgelder und Verkäufe nicht aus, um vom Kämpfen leben zu können. „Das ist ein netter Nebenverdienst, mit dem man dafür entlohnt wird, dass man so viel Zeit und Schweiß in die Kampf-Vorbereitung investiert. Aber wenn man das Ganze gerne macht, ist das Geld eh Nebensache“, so die 20-Jährige.

Aktuell studiert Aylina Engel im Dualen Fernstudium Fitnessökonomie und arbeitet in einem Heilbronner Fitnessstudio. „Durch das Studium und im Ausbildungsbetrieb lerne ich viel über Führungspositionen in der Fitnessbranche und kann mir die betriebswirtschaftlichen Grundlagen für später aneignen. Mein Traum ist es, nach dem Studium ein eigenes Gym aufzumachen und dazu Großveranstaltungen zu organisieren. Das darf dann auch gerne im Ausland sein.“

Wie ein solches Gym funktioniert, erlebt sie seit sieben Jahren hautnah bei den Thaibulls, bei denen sie schon seit längerer Zeit selbst als Trainerin aktiv ist. „Wenn wir ankündigen, dass Aylina das Training für Kinder und Jugendliche macht, wird es grundsätzlich voll“, berichtet „Ziehvater“ Bernd Dorst stolz.

Kickboxen

Beim Kickboxen wird das Schlagen mit Füßen und Händen mit konventionellem Boxen verbunden. Schläge dürfen nur von der Hüfte bis zum Kopf angebracht werden.

K1

K1 ist eine abgewandelte Form von Kickboxen. Neben Lowkicks sind hierbei auch Kniestöße zum Kopf und Körper des Gegners erlaubt. Tiefschläge oder Schläge auf das Knie, auf den Hinterkopf und den Rücken sowie Schläge mit Kopf oder Ellbogen sind nicht erlaubt.

Muay Thai

Muay Thai ist eine weitere Steigerung des K1. Erlaubt sind hier auch der Einsatz von Ellbogentechniken, Festhalten („Clinchen“) des Gegners, Griffe, Würfe und Wegfegen des Gegners. „Muay Thai ist noch eine Stufe brutaler als K1“, bringt es Aylina Engel auf den Punkt.