Jugendliche im Ehrenamt: Vereine müssen von alter Denkweise weg

„Die Jugend von heute interessiert sich nicht mehr für das Ehrenamt.“ – „Der Verein zählt für die jungen Leute nichts mehr.“ – „Die sitzen nur noch daheim und daddeln an der Konsole.“ – „Von denen will keiner mehr helfen. Und wenn doch, dann nur gegen Bezahlung.“ – Aussagen wie diese haben wir alle schon zur Genüge gehört. Sind es Sprüche wie diese, denen die Jugend ihr oftmals schlechtes Image zu verdanken hat? Gut möglich. Eines ist aber sicher: „Die jungen Leute von heute“ sind weit besser als ihr Image, nur ticken sie eben etwas anders als „die grauhaarigen alten Männer“ in den Vorständen. Um dieses Thema zu diskutieren, haben wir fünf Jugendliche und fünf Vereinsfunktionäre zu einer Diskussionsrunde in den Sportpark der TG Böckingen eingeladen. Welche Ansätze in dieser konstruktiven und überaus spannenden Runde zu Tage gebracht wurden, versuchen wir auf diesen drei Seiten wiederzugeben.

Autor: Ralf Scherlinzky

28. April 2023

Spannende Diskussionsrunde im Sportpark der TG Böckingen. Fotos: Thomas Kircher

Regelmäßige SPORTHEILBRONN-Leser werden sich an die Ausgabe 27 vom Februar 2023 erinnern, als wir in unserer Rubrik „Stille Helden des Sports“ die B-Jugend-Handballerinnen Lotte Käß, Line Büttner, Ella Hübschmann und Greta Tennstedt von der HSG Heilbronn für ihren ehrenamtlichen Einsatz gewürdigt hatten. Ein paar Seiten weiter hinten haben wir über die junge Slalom-Pilotin Hannah Baier vom Motorsportclub Heilbronn (MCH) berichtet, die uns damals im Rahmen des Gesprächs erzählte, dass sie ganz selbstverständlich mit ihren Freunden aus der MCH-Jugendgruppe bei Veranstaltungen des Vereins mithilft.

Schnell ist daraus die Idee gereift, das Thema Nachwuchs im Ehrenamt gemeinsam mit den Jugendlichen und mit der „grauhaarigen Fraktion“ aus den Vereinsspitzen zu diskutieren. Mit Lotte, Line, Ella und Hannah sowie dem 18-jährigen MCH-Jugendleiter Nico Chelminiacki auf der einen und Matthias Künzel (Leiter HSG Heilbronn), Rosemarie Just-Espert (Abteilungsleiterin Leichtathletik TSG Heilbronn), Andreas Baier und Robert Chelminiacki (beide Nachwuchstrainer MCH), sowie Swenja Horter (HSG Heilbronn, Trollinger Marathon) auf der anderen Seite entwickelte sich eine zweieinhalbstündige Diskussionsrunde.

Nico Chelminacki

Hannah Baier

Allgegenwärtiger Helfermangel

Helfer sind quasi bei allen Sportevents Mangelware, wie Rosemarie Just-Espert weiß. „Wenn wir zum Beispiel im Frankenstadion eine Veranstaltung haben, brauchen wir Leute zum Auf- und Abbauen, Kampfrichter und viele weitere Helfer. Unsere Mitglieder machen fast durch die Bank selbst Wettkampfsport und sind jedes Wochenende unterwegs. Ich kann sie nicht zwingen, dann auch noch bei unseren Veranstaltungen ehrenamtlich zu helfen“, so die Leichtathletik-Abteilungsleiterin der TSG. Swenja Horter klappert seit Wochen verschiedene Vereine ab, um Helfer für den Trollinger Marathon zu finden. „Obwohl die Leute sogar eine kleine Aufwandsentschädigung für ihre Vereine bekommen würden, findest du fast niemanden“, so die an vielen Fronten aktive Sportmanagerin.

Deshalb haben zahlreiche Vereine inzwischen auf ein Punktesystem umgestellt, das die Mitglieder dazu verpflichtet, Arbeitsstunden abzuleisten oder alternativ abzubezahlen. „Leider geben viele lieber Geld als sich zwei Stunden an den Grill zu stellen“, so Swenja Horter.

Die Jugend ans Ehrenamt heranführen

Einen Schritt weiter ist hier der Motorsportclub Heilbronn. Andreas Baier und Robert Chelminiacki berichten, wie beim MCH der Nachwuchs mehr und mehr Verantwortung übernimmt: „Für unsere besten Fahrer aus der Altersgruppe 16 bis 23 Jahre haben wir das ‚Team Hornet‘ installiert, ein Förderprogramm mit eigener Budgetplanung und eigener Logistik. Die jungen Sportler kümmern sich dabei eigenverantwortlich um alles, um tiefere Einblicke in die Vereinsarbeit zu bekommen. Wir beide stehen ihnen mit einem kontrollierenden Auge als Berater zur Seite.“

Matthias Künzel setzt mit der HSG Heilbronn auf Anreize abseits des Sports und nutzt sein Netzwerk, um junge Sportlerinnen und Sportler mit „Goodies“, wie z.B. Einsparungen bei den Führerschein-Gebühren, enger an den Verein zu binden.

STOP!!!!!!!!!!!!!!!!!

An diesem Punkt der Diskussion wird uns ein wichtiger Grund bewusst, weshalb in den Vereinen oft eine große Lücke zwischen Funktionären und Jugendlichen klafft: Bis zu diesem Zeitpunkt haben 36 Minuten lang nur die fünf „Oldies“ geredet, während die „Youngster“ sich aufs Zuhören beschränkt haben.

„Am Anfang ist die Schwelle mitzumachen meist groß, bis man die Leute kennt. Nach einiger Zeit traut man sich dann aber mehr zu“, sagt Line Büttner – eigentlich in einem anderen Zusammenhang. Doch die Aussage trifft exakt auch auf unsere Gesprächsrunde zu.

Diese Situation spiegelt die gesamte Diskussion um „die jungen Leute von heute“ und deren vermeintliche Unlust aufs Ehrenamt wider. Während die Erwachsenen reden, kommen die Jugendlichen nicht zu Wort. Deshalb verlassen wir an dieser Stelle nun die Sichtweisen der Funktionäre und konzentrieren uns auf die Wünsche und Bedürfnisse der Nachwuchskräfte.

Wer sind eigentlich die Vorstandsmitglieder?

„Für uns war es wichtig, auch die anderen Leute aus dem Verein kennenzulernen und zu wissen, wer eigentlich die Vorstände sind. Diese konnten wir bei den verschiedenen Events, bei denen wir geholfen haben, kennenlernen“, berichtet Ella Hübschmann. Lotte Käß ergänzt: „Wir kennen die Vorstandsmitglieder jetzt aber nur, weil wir selbst die Initiative ergriffen haben. Natürlich hat der Vorstand viel um die Ohren. Aber uns fehlt es eben komplett, dass er mal auf die Jugend zukommt, unsere Spiele oder ein Training besucht. Der einzige Kontakt zwischen dem Vorstand und anderen Spielerinnen und Spielern aus den Nachwuchsteams besteht dann, wenn in der WhatsApp-Gruppe ein Fest angekündigt und gleich mitgeteilt wird, welche Mannschaft in welcher Schicht dort arbeiten muss. Wie soll da abseits vom Spielfeld eine Bindung zum Verein entstehen?“

Robert Chelminiacki pflichtet den Handballerinnen bei. „Wir haben beim MCH rund 220 Mitglieder, von denen ich vielleicht 40 oder 50 gut kenne. Bei euch Jugendlichen muss das ja noch viel extremer sein. Wenn ich die als Vorstandsmitglied nicht mal kenne, wie sollt ihr sie dann kennen?“

Der Motorsportclub Heilbronn hat die Zeichen der Zeit erkannt und vor zweieinhalb Jahren trotz interner Widerstände bestehende Strukturen aufgebrochen: Robert Chelminiacki stellte sich nicht weiter als Jugendleiter zur Verfügung. Dafür kandidierte sein Sohn Nico, der damals gerade 16 Jahre alt war.

Ein 16-jähriger wird ins Vorstandsamt gewählt

Bis Nico Chelminiacki tatsächlich zum neuen MCH-Jugendleiter gewählt wurde, war eine clubinterne Revolution notwendig – sowohl bei den alteingesessenen als auch bei den jungen Vereinsmitgliedern, wie Hannah Baier zu berichten weiß: „Wir haben einen echten Aufstand gestartet, das war eine sehr schwere Geburt. Genau die Älteren, die sonst immer meckern, dass wir Jungen nichts machen, waren komplett dagegen, dass so ein junger Kerl ein Vorstandsamt übernehmen soll. Wir wussten, dass die Jugend komplett bei der Hauptversammlung erscheinen und für Nico stimmen muss, wenn wir erfolgreich sein wollen. Da gab es aber einige Jugendliche, die schlichtweg kein Interesse daran hatten, sich mit den ‚alten grauen Männern‘ in eine langweilige Versammlung zu setzen. Denen ist es eigentlich egal, wer im Vorstand sitzt – es sei denn, man macht ihnen klar, welchen Mehrwert sie durch ein junges Vorstandsmitglied bekommen bzw. was sie sich abschminken können, wenn wir unsere Ideen nicht durchsetzen können.“

Die Argumente der 20-Jährigen waren sehr überzeugend, denn der Nachwuchs erschien vollzählig zur Versammlung, überstimmte die Älteren und brachte seinen Kandidaten ins Amt. Der Motorsportclub Heilbronn hat seither einen Jugendleiter, der auf Augenhöhe mit der MCH-Jugend sprechen kann und dabei weit offenere Ohren als sein Vorgänger findet.

Jugendliche Vertreter im Vorstand könnten in diese Thematik Einblicke bekommen, die sie an ihre Teamkollegen weitergeben könnten.“ Einen wichtigen Aspekt nennt Line Büttner: „Das wäre nochmal etwas ganz anderes als wenn wir am Spieltag Brötchen verkaufen. Wir könnten tatsächlich zum Teil mitgestalten und unsere Meinung bei Vorstandsentscheidungen mit einbringen. Das wäre ein Mehrwert für alle Seiten.“

Matthias Künzel beobachtet, wie er berichtet, für die HSG Heilbronn schon länger das Konzept des Heilbronner Jugendgemeinderats und liebäugelt mit einem zusätzlichen Beisitzerposten für einen Jugendvertreter, der als Sprachrohr zum Nachwuchs agieren kann. „Für den Anfang müsste es gar nicht gleich ein fester Vorstandsposten sein“, ergänzt Andreas Baier. „Es wäre schon mal ein erster Schritt, wenn man eine Vorstandssitzung, an der es dann auch nicht gleich ganz tief in finanzielle Themen gehen muss, für junge Zuhörer öffnet und ihnen so erste Einblicke gibt.“

 

Von links: Lotte Käß, Line Büttner und Ella Hübschmann

Ein Jugend-Gremium im Vorstand?

Wir stellen einen Vorschlag in den Raum: Was würden beide Seiten davon halten, ein Jugend-Gremium im Vorstandskreis einzurichten, das aus mehreren Jugendlichen besteht und im Gesamtvorstand eine gemeinsame Stimme hat? Für einen einzelnen interessierten Jugendlichen wäre die Hemmschwelle nicht so groß, sich allein mit lauter Personen an den Tisch zu setzen, die über 30 Jahre älter sind. Und der Verein hätte den Vorteil, dass er Jugendliche an die Vereinsarbeit heranführen könnte, ohne gleich die Kontrolle abgeben zu müssen.

„Das finde ich eine super Idee, denn wir wissen ja überhaupt nicht, was im Hintergrund abläuft“, sagt Ella Hübschmann. „Wenn Jugendliche hier mehr Einblicke bekommen würden, könnten sie so manche Entscheidung verstehen, über die sie vielleicht sonst den Kopf schütteln würden.“ Auch Lotte Käß stimmt zu: „Die meisten machen sich keine Gedanken darüber, wie ein Verein funktioniert bzw. dass er sich auch irgendwie finanzieren muss und dafür Organisation und Arbeit nötig sind. Es ist einfach immer so, dass ‚die da oben‘ sagen, was gemacht werden muss.

Die Vereinssatzung überprüfen und ändern

Vorteil von Andreas Baiers Ansatz wäre, dass ein Verein sofort erste Maßnahmen ergreifen könnte, um einen Teil der „Learnings“ aus unserer Diskussionsrunde umzusetzen. Denn Swenja Horter erkennt richtig, dass es in vielen Vereinen noch gar keine rechtlichen Möglichkeiten gibt, um Jugendlichen den Weg in ein Vorstandsamt zu ebnen: „Die Satzungen sind teilweise so uralt, dass für Vorstandsmitglieder noch ein Mindestalter von 21 Jahren vorgeschrieben ist. Deshalb sollten Vereine proaktiv ihre Satzungen überprüfen, um gegebenenfalls bei ihrer nächsten Hauptversammlung reagieren zu können und durch eine Satzungsänderung überhaupt erstmal die Voraussetzungen zu schaffen, damit jemand wie Nico mit 16 Jahren in den Vorstand gewählt werden kann.“

Mehr Wertschätzung für Jugendliche

Auch wenn Hannah, Nico, Lotte, Line und Ella betonen, dass sie gerne im Verein helfen und die Vereinsarbeit nicht als Arbeit sondern als Teil ihrer Freizeit ansehen, hätten sie eines doch gerne als Lohn für ihren Einsatz: WERTSCHÄTZUNG! „Das danke sagen wird von den Älteren oft vergessen“, weiß Hannah Baier. „Wir hatten beim MCH eine Veranstaltung, bei der Nico und ich den Großteil organisiert haben und auch vor Ort im Dauereinsatz waren. Da kam dann tatsächlich einer zu mir und hat sich beschwert, dass wir Junge nichts machen. So etwas ist dann ein Schlag ins Gesicht. Solche Leute scheren alle über einen Kamm und machen sich nicht mal ansatzweise die Mühe zu erkennen, dass es bei uns, genauso wie bei den Älteren, solche und solche gibt.“

Fazit: Es liegt nicht nur an der Jugend!

Allein Hannahs Geschichte zeigt, wie groß die Kluft zwischen den Generationen aktuell ist. Sicherlich gibt es viele Jugendliche, die ihrem Image gerecht werden und keinen Bock auf Vereinsarbeit haben. Doch es gibt sicherlich genauso viele, die sich gerne mehr mit einbringen möchten. Hier sind aber nicht die Jugendlichen gefordert, sondern vielmehr die Vorstände. Kommuniziert mit der Jugend. Gebt ihnen Einblicke hinter die Kulissen. Schafft die rechtlichen Voraussetzungen für das, was ihr fordert. Und vor allem: Springt über euren Schatten und sagt auch mal DANKE.

Ein spannendes Thema, das wir auch künftig weiterverfolgen werden.