Idealisten auf zwei Rädern

Seit dem Frühjahr 2017 geht die Radsport-Gemeinschaft Heilbronn wieder mit einem eigenen Rennradteam auf die Straßen Deutschlands – dank ihres langjährigen Mitglieds Helmut Sigloch und dessen in Blaufelden ansässigem Unternehmen Sigloch Distribution, das dem Team als Namenssponsor finanziell unter die Arme greift. Die jüngsten Erfolge des Teams Sigloch – RSG Heilbronn haben die sportheilbronn-Redaktion neugierig gemacht, weshalb wir uns Ende Juni auf die Schwäbische Alb aufgemacht haben, um die Mannschaft erst in ihrer Unterkunft auf einem Campingplatz in Albstadt zu besuchen und sie dann während der zweiten Etappe des VR-Cups in Geislingen-Erlaheim zu begleiten. Wir haben eine ambitionierte und sehr sympathische Truppe kennengelernt, die erst einen tiefen Einblick in den Amateur-Radsport gegeben hat und uns dann auf der Strecke als zweitbestes Team der viertägigen Rundfahrt überzeugen konnte.

Autor: Ralf Scherlinzky

20. Juli 2018

Im kleinen Wohnzimmer des Bungalows auf dem Albstädter Campingplatz heißt es zusammenrücken, als sich die Fahrer des Teams Sigloch – RSG Heilbronn zum Gespräch mit der sportheilbronn-Redaktion einfinden. Sechs Mann des an diesem Wochenende achtköpfigen Teams haben sich in zwei Bungalows einquartiert, während zwei ihrer Kollegen zwischen den Etappen zum Arbeiten nach Hause gefahren sind. „Eine solche Unterkunft auf dem Campingplatz ist für Amateurradsport-Verhältnisse fast schon Luxus“, sagt Laurens Huizinga und verweist auf die nach wie vor schlechte Lobby, die der Radsport nach den Skandalen der Vergangenheit hat. „Wir sind deshalb happy, dass wir mit Herrn Sigloch einen Sponsor haben, der hinter uns steht und durch den wir recht gut aufgestellt sind. Da haben wir anderen Teams etwas voraus.“ Gemeinsam mit dem Sponsor Sigloch und weiteren Partnern sorgt die RSG Heilbronn als Verein dafür, dass es den Fahrern gut geht und sie sich weitgehend auf das Radfahren konzentrieren können. „Durch die Unterstützung sind unsere Basiskosten weitgehend gedeckt, so dass wir nur relativ wenig Eigenleistung bringen müssen“, freut sich Benjamin Schlubkowski, Baden-Württembergischer Vizemeister und Teamsprecher.

Auch bei der Anschaffung der Rennkleidung und der Räder greift die RSG ihren Sportlern unter die Arme – der Rest ist Idealismus pur. Auf unsere Frage nach der Höhe der Sieg- und Platzierungsprämien ernten wir schallendes Gelächter. „Bei den Rennen der A- und B-Klasse gibt es eine Mindestausschüttung von 400 Euro, die auf die besten 15 Fahrer verteilt werden“, klärt Jens Rustler auf. „Der Erste bekommt 60 Euro, der Zwölfte noch 5 Euro. Davon kann man nicht wirklich reich werden.“ Doch die Idealisten aus dem Radteam beklagen sich nicht. Vielmehr betreiben sie ihren aufwändigen Sport mit einer ansteckenden Begeisterung, die sie – gepaart mit einer gehörigen Portion an Talent und Trainingsaufwand – innerhalb eines Jahres zu einem der Topteams in Süddeutschland hat werden lassen. „Wir schrubben pro Jahr zwischen 9.000 und 20.000 Trainings-Kilometer herunter und sitzen jede Woche zwischen 10 und 20 Stunden auf dem Rad, um zu trainieren. Der Aufwand, den der Einzelne betreiben kann, hängt natürlich zum großen Teil vom Beruf ab. Da habe ich als Student gegenüber den berufstätigen Kollegen einen Vorteil“, berichtet Jens Rustler. Der Team-Captain ist seit 15 Jahren bei der RSG aktiv und hat die kompletten Jugendklassen durchgemacht – inklusive der Württembergischen Kader in verschiedenen Altersstufen. Die Hoffnung auf eine Karriere als Radprofi hat der 23-Jährige aber schon vor einigen Jahren aufgegeben: „Wenn du in der U19 nicht im Bundeskader stehst, hast du kaum mehr eine Chance Profi zu werden.“

Doch der Frust über die entgangene Profikarriere hat sich bei dem Güglinger in Grenzen gehalten – genauso wie bei seinen Teamkameraden. Benjamin Schlubkowski: „Uns ist allen klar, das keiner von uns mehr sein Geld mit dem Radsport verdienen wird. Wenn du mal die 23 Jahre überschritten hast, wirst du es nicht mehr schaffen.“ Einer, der zumindest vom Alter her noch eine theoretische Chance hätte, ist Marc Zeltner. Doch der 20-Jährige fährt momentan noch in der C-Klasse und gibt sich ebenfalls keiner Illusion hin. Sein Ziel ist nun erstmal das Erlangen der B-Lizenz, für die er in fünf C-Klasse-Wertungen unter die ersten zehn kommen muss. „Das ist schwierig genug“, so Zeltner.

 

Jens Rustler

Bei unserem Gespräch schwirren immer wieder die Buchstaben A, B und C durch den Raum. Was aber steckt hinter den drei Lettern?  „Das ist für Laien schwierig zu durchschauen“, sagt Laurens Huizinga und erklärt uns die Zusammensetzung der verschiedenen Klassen: „Ganz oben gibt es erstmal die Pro-Tour-Klasse, gefolgt von der PKT-Klasse – das sind sozusagen die Profis aus der ersten und zweiten Liga, die die Tour de France fahren können. Darunter gibt es die KT-Klasse mit Halbprofis, mit denen Einige von uns leistungsmäßig gut mithalten können, die aber einen wesentlich höheren Trainingsaufwand betreiben müssen als wir es können. Und unter dieser KT-Klasse kommen wir Amateure.“

Die C-Klasse, so Huizinga weiter, sei die Einstiegsklasse für jeden, der sich bei einem Verein anmeldet und gerne Rennen fahren möchte. „Landet der C-Lizenz-Fahrer fünfmal unter den ersten zehn der C-Wertung, steigt er in die B-Klasse auf. Genauso ist es dann dort: Wird er unter den B-Fahrern zehnmal mindestens Zehnter, erhält er die A-Lizenz. Das Schwierigste kommt aber erst noch, denn die erarbeitete Lizenz ist nicht in Stein gegossen – nach dem Aufstieg folgt der Kampf um den Klassenerhalt. Ich muss in der Folgesaison dreimal unter die ersten zehn fahren, um die Klasse zu halten – sonst werde ich abgestuft.“

Doch ganz egal, wer gerade im Besitz welcher Lizenz ist – der Erfolg des Teams ist es, was für die Heilbronner Racer zählt. Dafür wird auch ein erfolgreicher und erfahrener Fahrer wie Laurens Huizinga gerne zum Helfer. „Wenn abzusehen ist, dass ein Rennen im Sprint entschieden wird, dann weiß ich, dass ich keine Siegchance habe. Also fahre ich für Jens, der unser stärkster Sprinter ist, denn das ist besser für das Team.“

Der Job des Anfahrers für den Sprinter, ergänzt Lukas Adrion, sei es, diesen durch das Feld in die richtige Gasse zu bringen – im Idealfall im Windschatten, damit er sich seine Kräfte für den Sprint aufsparen kann. „Und dann“, weiß Sprinter Jens Rustler, „ist es die Kunst, den richtigen Moment zu erwischen, um am Helfer vorbeizuziehen und den Sprint zu starten. Startest du zu früh, bist du kurz vor dem Ziel schon platt. Startest du aber zu spät, sind die Konkurrenten auf und davon und du schaust in die Röhre.“ Im Sprint müsse man dann auch immer wieder mal die Ellbogen ausfahren. „Da wird es schnell mal eng und man muss signalisieren, dass man bereit ist. Schließich geht es um 60 Euro“, lacht Rustler, der zu den fünf besten Amateurfahrern in Deutschland gehört und als Teamcaptain für die meisten Erfolge des Teams Sigloch – RSG Heilbronn verantwortlich ist. Jens Rustler war es auch, der im April im saarländischen Überherrn den ersten Sieg für das junge Team feierte – nach einem gewonnenen Sprint, den Laurens Huizinga 800 Meter vor dem Ziel schulbuchmäßig für seinen Captain eingeleitet hatte.

Auch bei der zweiten Etappe des VR-Cups fuhr Rustler im beschaulichen Örtchen Geislingen-Erlaheim vor den Augen der sportheilbronn-Redaktion fast das ganze Rennen über in der Spitzengruppe und sprintete am Ende auf einen starken dritten Platz. Den Ausschlag dafür, dass sich das Team Sigloch – RSG Heilbronn am Ende des viertägigen VR-Cup Platz zwei in der Teamwertung sichern konnte, gab jedoch Laurens Huizinga, der auf der letzten Etappe als erster über die Ziellinie fuhr. „Ich bin durchaus stolz darauf, was das Team inzwischen erreicht hat“, freut sich auch der RSG-Vorsitzende Harald Suberg über das hohe Leistungslevel seiner Fahrer. „Schon im letzten Jahr hatten sie einige Podiumsplatzierungen, obwohl einige aus dem Team nur wenig Erfahrung auf diesem Leistungsniveau hatten. Inzwischen können wir mit Fug und Recht behaupten, dass wir das beste Amateur-Radteam in Baden-Württemberg sind. Das hat unsere Erwartungen übertroffen.“

Doch wer die jungen Athleten vom Team Sigloch – RSG Heilbronn kennt, der weiß, dass diese sich nicht auf dem bislang Erreichten ausruhen werden. Auch weiterhin werden sie im Training Tag für Tag Kilometer schrubben, ihren ganzen Jahresurlaub für Trainingslager und Rennen opfern und sich im Winter im Kraftraum plagen, damit sie auch in Zukunft das Maximum für ihr Team herausholen können.
Wir werden die Entwicklung von Team Sigloch – RSG Heilbronn weiter im Auge behalten und im sportheilbronn-Magazin immer wieder mal eine Momentaufnahme bringen. (RS)