Hochsprung Heilbronn: Olympisches Feeling auf dem Marktplatz
Knapp 2.000 Zuschauer waren am 13. und 14. Juli 2024 auf den Heilbronner Marktplatz gekommen, um nach der Premiere 2023 zum zweiten Mal die besten Hochspringerinnen und -springer der Welt in Aktion zu erleben. Das Event fand knapp drei Wochen vor den Hochsprung-Wettbewerben bei den Olympischen Spielen statt – eine ideale Voraussetzung für einen Großteil der Athletinnen und Athleten, um sich bei optimalen Bedingungen für Paris in Form zu bringen. Der Ausrichter TSG Heilbronn und der veranstaltende Trägerverein Internationales Hochsprungmeeting Heilbronn e.V. mit den Organisatoren Oliver Blumenstock, Andreas Werner, Rosemarie Just-Espert, Niki Seethaler, Thomas Mohn und Jacob Denzel haben erneut eine großartige Veranstaltung auf die Beine gestellt, bei der die Akteure auf der Anlage mit den Zuschauern zu einer Einheit verschmolzen sind. Wir waren zwei Tage lang dabei und haben Eindrücke gesammelt.
Autor: Ralf Scherlinzky
Mutaz Barshim fliegt über die Siegerhöhe von 2,31 Metern. Fotos: Thomas Kircher
„Das war so schön, ich hatte echt Pipi in den Augen“, strahlte Airinė Palšytė am späten Samstagnachmittag bei der Pressekonferenz im Großen Ratssaal des Heilbronner Rathauses. Kurz zuvor hatten die rund 800 Zuschauer der viertplatzierten Litauerin ein Ständchen zum 32. Geburtstag gesungen.
Sichtlich verlegen hatte zu ihrer Rechten Weltmeisterin Eleanor Patterson auf dem Stuhl Platz genommen, der im Ratssaal normalerweise Oberbürgermeister Harry Mergel vorbehalten ist. „Damit bist du jetzt die neue Heilbronner Bürgermeisterin“, hatte Oliver Blumenstock zuvor gescherzt. „Ich liebe diese familiäre Atmosphäre, die Art, wie man hier miteinander umgeht“, lachte die Australierin, die den Wettbewerb der Damen – wie schon 2023 – mit übersprungenen 1,95 Metern gewann.
„This one was for you, Peter!“ (Donald Thomas)
Eine neue Erfahrung war das Heilbronner Meeting für Johanna Göring. „Die Freude, die hier alle am Hochsprung haben, überträgt sich auf uns Springerinnen – das ist etwas, was wir woanders sonst nur ganz selten haben“, schwärmte die 19-jährige Kornwestheimerin. „Natürlich sorgt die Nähe zum Publikum auch für zusätzliche Aufregung. Aber das ist gut so, denn ich brauche das.“
Besonders angetan war Peter Schramm von der zweiten Auflage von Hochsprung Heilbronn. Der 81-Jährige, der 40 Jahre lang das legendäre Internationale Hochsprung-Meeting von Eberstadt organisiert und damit die Grundlage für das heutige Event in Heilbronn gelegt hatte, verfolgte das Geschehen hinter der Matte vom Rollstuhl aus. „Es war immer mein Wunsch, dass das Meeting in Heilbronn stattfindet, wenn es mal nicht mehr in Eberstadt stattfinden kann. Es freut mich besonders, dass es von Leuten organisiert wird, die damals schon in Eberstadt dabei waren“, so der Träger des Bundesverdienstkreuzes.
Welches Standing Peter Schramm in Springerkreisen immer noch hat, zeigten Donald Thomas und Mutaz Barshim beim Wettbewerb der Männer am Sonntag. „Dieser Sprung war für dich, Peter“, rief Ex-Weltmeister Thomas nach übersprungenen 2,24 Metern quer über die Anlage und zeigte mit dem Finger auf Schramm. Und auch der Weg von Olympiasieger Barshim führte direkt zum ehemaligen Eberstadt-Macher, nachdem sein Sieg mit 2,31 Metern festgestanden hatte.
Athletenmanager Günter Eisinger, der über die ganzen Jahre auch mit Peter Schramm in Eberstadt zusammengearbeitet hatte, war durch diese Gesten zu Tränen gerührt: Als er sich im Rahmen der Pressekonferenz bei Mutaz Barshim bedanken wollte, versagte ihm die Stimme – für die SPORTHEILBRONN-Redaktion der emotionalste Moment des Wochenendes, auf den hin Mutaz Barshim feststellte, dass es einfach Dinge gebe, die größer sind als der Sport.
Auch wenn Eisinger stets im Hintergrund agiert, ist er eines der zentralen Puzzleteile von Hochsprung Heilbronn. „Wir könnten ein noch so schönes Setting auf den Marktplatz zaubern, ohne Günter wäre das alles nichts. Denn er ist derjenige, der die Athleten verpflichtet“, so Oliver Blumenstock über den 74-jährigen ehemaligen Bundestrainer. „Aus unserer Vorgabe, mit einem relativ bescheidenen Budget ein Weltklasse-Teilnehmerfeld zusammenzustellen, hat Günter einige der besten Springerinnen und Springer der Welt nach Heilbronn gebracht – allen voran Olympiasieger Mutaz Barshim aus Qatar.“
Dazu plaudert Günter Eisinger ausführlich aus dem Nähkästchen: „Mutaz war für Freitagabend beim Diamond League Meeting in Monaco angemeldet, hatte mir aber signalisiert, dass er eigentlich lieber in Heilbronn springen würde. Ich habe ihm gesagt, dass wir mit dem Antrittsgeld von Monaco bei weitem nicht mithalten können. Er meinte, das sei ihm egal, ich solle ihm sagen, was wir bezahlen können, und das würde er akzeptieren. Gesagt, getan, und so ist er für deutlich weniger nach Heilbronn gekommen als Gianmarco Tamberi im letzten Jahr – und auch Tamberi lag damals schon weit unter dem Diamond League-Preis. Das zeigt, welch hohen Stellenwert Hochsprung Heilbronn mit seiner familiären Atmosphäre und der Nähe zum Publikum hat.“
Mutaz Barshim bei Peter Schramm.
Dass das Event auf dem Marktplatz etwas Besonderes ist, bestätigt auch Clarisse Duarte, die im Auftrag des Leichtathletik-Weltverbandes nach Heilbronn gekommen war. „Die Veranstalter haben hier einen riesigen Job gemacht, ich habe das Event echt genossen“, so die Portugiesin. „Es sollte mehr solcher Meetings geben, bei denen einzelne Leichtathletik-Disziplinen im Fokus stehen. Bei den großen Veranstaltungen dreht sich fast alles um die Laufdisziplinen und da geht die Wertschätzung für die Athletinnen und Athleten aus den technischen Disziplinen verloren. Deshalb sind für sie solche Veranstaltungen wie Hochsprung Heilbronn auch so besonders.“
Einen ersten Eindruck davon, wie es ist, als Athlet im Mittelpunkt zu stehen, haben auch die fünf Jugendlichen bekommen, die bereits am Samstagvormittag auf dem Marktplatz einen eigenen Wettbewerb ausgetragen haben (der 17-jährige Sieger Johannes Böcher übersprang 2,08 Meter). „Das sind die Athleten, die wir in den nächsten Jahren bei den Erwachsenen springen sehen. Sie sind die Zukunft des deutschen Hochsprungs“, sagte Oliver Blumenstock. Folgen Böcher und seine Altersgenossen der Tradition von Eberstadt, sind ihre Aussichten rosig – denn dort waren in den Nachwuchswettbewerben einst unter anderem die australische Hallenweltmeisterin Nicola Olyslagers sowie die deutschen Olympiateilnehmer Christina Honsel und Tobias Potye am Start.
Cyber Security Büffeln im Hotel
Der Australier Joel Baden (Foto, links) erzählt unserem Redakteur Ralf Scherlinzky nach seinem Sprung über 2,24 Meter, dass er rund um das Hochsprungmeeting im Hotel für sein Studium büffelt. „Ich studiere neben dem Sport noch Cyber Security und werde meine Unterlagen auch zu den Olympischen Spielen nach Paris mitnehmen, um dort zu lernen“, so der sympathische 28-Jährige, der im März 2024 seine Verlobte Amanda geheiratet hat.
Potye: Endlich platzt der Knoten
Tobias Potye ist der einzige Hochspringer, der bei den Olympischen Spielen in Paris die deutschen Farben vertritt. Ob der Münchener tatsächlich in Paris dabei sein kann, war lange nicht klar. Der 29-Jährige begab sich exakt 100 Tage vor dem Beginn der Spiele auf den OP-Tisch, um sich mit einem Eingriff an der Patellasehne falsch vernarbtes Gewebe aus dem linken Knie entfernen zu lassen.
„Nicht in Heilbronn zu springen, damit ich vor Paris keine weitere Verletzung riskiere, wäre keine Option für mich gewesen“, sagte Potye nach dem Ende des Meetings auf dem Marktplatz. „Ich habe lange damit gehadert, dass das Knie ausgerechnet in diesem so wichtigen Jahr zwickt. Das hatte mich mental ziemlich runtergezogen. Deshalb bin ich umso glücklicher über die heutigen Sprünge.“
In Heilbronn platzte rechtzeitig vor Paris der Knoten: Erst verbesserte er seine Saisonbestleistung auf 2,24 Meter, dann übersprang er 2,27 und jubelte schließlich über 2,29 Meter. „Dann bin ich bei 2,31 beim Absprung aus dem Schuh gerutscht und habe mir am Fuß wehgetan. Deshalb habe ich sicherheitshalber abgebrochen.“