Heilbronner Sportler in Zeiten von Corona

In Zeiten von Corona sind auch die LeistungssportlerInnen aus der Region zum Improvisieren gezwungen. Wir haben mit einigen von ihnen gesprochen und nachgefragt, wie die individuellen Auswirkungen von Corona auf die jeweiligen Karrieren aussehen.

Mit Katharina Mähring und Natalie Rothenbächer haben zwei Athletinnen selbst zur virtuellen Feder gegriffen und ihre Lage beschrieben…

Fotos: Marcel Tschamke, Marion Stein, Jens Körner, Colornelli, Miriam Dick, Axel Kohring, Minkusimages, Marco Wolf

Autor: Ralf Scherlinzky

26. April 2020

Natalie Rothenbächer (Rollkunstläuferin)

Man kann es sich so vorstellen…

… Nach einer mühsamen Wanderung durch Sturm, unebenes Gelände, Matsch und Eis durchquert man das letzte Waldstück und nimmt die letzte Biegung, bevor man am Fuße des Berges steht, dessen Spitze das heißersehnte Ziel der langen Reise ist. Man weiß, ein Dreiviertel des Weges ist geschafft, der einen stark gemacht hat für das letzte Stückchen bis ganz nach oben. Erwartungsvoll lugt man um die Ecke und traut seinen Augen nicht. Der Berg ist verschwunden und bald steht fest, es gibt nichts zu erklimmen.

So viele Sportler machen gerade ein und dieselbe Erfahrung: COVID-19 macht ihnen einen Strich durch die Rechnung, Meisterschaften und Wettbewerbe wurden erst ohne Zuschauer abgehalten und dann ganz abgesagt, Sportstätten sind geschlossen, gemeinsames Training ist nicht erlaubt.

Die letzten Wochen verbrachte ich jeden Tag mehrere Stunden auf der Rollschuhbahn, genoss die ersten wärmeren Tage und den Spirit, der unter uns Rollkunstläufern aufkommt, wenn die Saison kurz bevor steht. Für dieses Jahr waren einige Neuerungen vorgesehen: neben den herkömmlichen Wettbewerben sollte ein neuer nationaler Wettbewerb, der Kür-Pokal, zum Zweck der Qualifikation für eine neue Wettbewerbsserie auf internationaler Ebene, dem World Cup, ins Leben gerufen werden. Neun Athleten aus Heilbronn hätten Anfang April in Freiburg, besonders früh in der Saison, ihre lange erprobten Küren gezeigt und die Möglichkeit gehabt sich weiter zu qualifizieren. Der sogenannte World Cup, bestehend aus zwei Semifinals in Portugal und Italien und einem Finale in Bremerhaven, ist ein weiterer Schritt, um die Randsportart Rollkunstlauf bekannter zu machen, den ich vor allem dieses Jahr als nicht-mehr-Schülerin und noch-nicht-Studentin mit voller Freude und Energie mitgegangen wäre, doch es kam anders…

Die oben genannten Wettbewerbe wurden abgesagt und das Training auf der Rollschuhbahn ist auf nicht absehbare Zeit tabu. Was danach passiert, weiß niemand. Das Virus lässt sich nicht planen. Der Trainingsstopp trifft uns Rollkunstläufer besonders hart, da sich das Gespür auf Rollen nicht ersetzen lässt und das Training zu Hause auf Turnschuhen nur bedingt auf die Anforderungen auf Rollschuhen vorbereitet.

Das Virus fordert uns, keine Frage, doch ist es wichtig den Blick auf das Ganze nicht zu verlieren. Wir – und damit meine ich nicht nur alle Rollkunstläufer oder Sportler, sondern die ganze Menschheit – sitzen in einem Boot und müssen angesichts der derzeitigen Situation alle im besten Fall nur einen kleinen Teil unserer Lebensqualität einbüßen.

Meine Gedanken sind bei denen, die es jetzt richtig schwer haben, deren Existenzgrundlage oder Leben bedroht ist. Der Fokus richtet sich jetzt auf andere Dinge und wir sind dazu angehalten, kreativ zu werden und das Beste draus zu machen. Meine Sprünge übe ich jetzt auf Turnschuhen im Garten, meine Sit-ups mache ich auf meiner Fitnessmatte im Gras mit Blick auf die Tulpen. Die kleinen Wehwehchen, die man als Sportler so hat, dürfen jetzt erstmal in Ruhe ausheilen.
Am wichtigsten ist jetzt der Berg, den wir gemeinsam erklimmen müssen im Kampf gegen Corona. Es wird danach noch andere Wege zu neuen Zielen geben, da bin ich mir sicher.

Eure

 

Katharina Mähring (Hammerwerferin, Bobfahrerin)

Hallo Corona,

du bist neu hier, oder? Ich habe es schon in den Nachrichten gelesen. Du bist ja gerade unsere Nummer 1 auf der Welt. Herzlichen Glückwunsch!

Ich bin Katharina Mähring. Hammerwerferin und Bobfahrerin aus Zweiflingen. Außerdem studiere ich gerade an der Uni Salzburg Kommunikationswissenschaften und spiele ein Instrument. Ich werde aber alles dafür tun, dass du bald nicht mehr auf dem Siegerpodest stehst! Meine SportkollegInnen und die komplette Menschheit helfen mir dabei. Ich schreibe dir einen Brief, in dem ich dir erzähle, wie wir dich platt machen.

Ich treffe mich inzwischen jeden Montag mit Gleichgesinnten aus dem Sport zum Online-Sportstammtisch. Hier besprechen wir alle Themen von Finanzierung über Motivation und Ernährung bis hin zu Vereinsrecht und vor allem, wie wir dich vom Podest holen können.

Alle arbeiten im Homeoffice. Auch ich. Meine KommilitonInnen und ich lernen von zu Hause aus. Jeden Morgen sitze ich circa vier Stunden an meinem Laptop, treffe mich dort online mit meinen Dozenten und Kollegen. Die Online-Vorlesungen sind anspruchsvoller und zeitaufwändiger als Präsenzveranstaltungen. Hausübungen müssen wir nun öfter schreiben, um Noten in den Modulen zu erhalten. Aber das mache ich gerne, um dich in die Schranken zu weisen.

Homeoffice gilt nicht nur für die Uni, sondern auch für den Sport. Ich bin froh, vor der Grenzschließung in die Heimat gekommen zu sein. Hier wohne ich in einem großen Haus und habe mir ein Sportzimmer geschaffen. Trainingsgeräte habe ich kaum, da mir die finanziellen Mittel fehlen. Eine Matte, Theraband, Pezziball, TRX und Faszienrollen. Mein Freund hat mir noch ein paar Haken in die Wand geschraubt.

Ich starte meist vor der Tür auf der Straße mit einer intensiven Koordination und ein paar Läufen, die etwa drei Laternenabstände lang sind. Ich achte besonders auf meine Technik und den Kniehub. Auch ein paar Sprünge sind gut. Danach gehe ich in mein errichtetes Sportzimmer.

Das sieht so aus: Montags arbeite ich mich wöchentlich abwechselnd mit dem Theraband durch den Fuß, das Knie, die Hüfte und Schultern. Danach mache ich einen TRX-Rumpfzirkel. Da Muskelkater vorprogrammiert ist, gehe ich danach noch in die Badewanne oder mache eine Kalt-heiß-Dusche. Intensive Dehnung jeden Muskels von Fuß bis Kopf ist wichtig. Natürlich 30-60 Sekunden pro Übung. Das mache ich dienstags. Mittwochs turne ich. Schiffchen, Handstand oder balancieren. Anschließend steht Progressive Muskelentspannung und Autogenes Training auf dem Plan. Die Faszienrolle kommt donnerstags zum Einsatz. Auch hier versuche ich alle Muskelgruppen von Kopf bis Fuß zu erwischen. Für den Freitag ist nochmal eine harte Einheit wie am Montag eingeplant. Hier arbeite ich mit dem Pezziball durch den Rumpf. Da freut man sich definitiv aufs Wochenende.

Tatsächlich haben sich mir schon zwei Freunde online angeschlossen und wir werden sicherlich noch mehr Trainingspartner, wenn ich diesen Brief an dich veröffentlichte.

Ach ja, wegen dir habe ich übrigens auch mal Zeit mich zu langweilen, zu backen, zu lesen und mich um meine Pflanzen zu kümmern. Danke, aber das wäre natürlich nicht nötig gewesen 🙂

Sportliche Grüße

 

Eduard Popp (Ringer)

„Natürlich wirft die Verschiebung der Olympischen Spiele auf 2021 alles über den Haufen, auf das wir die letzten Monate hingearbeitet haben.“ Eduard Popp zuckt mit den Schultern, stellt aber auch gleich fest, dass der Sport „im Gesamtkontext gesehen“ nur ein kleiner Bruchteil des Ganzen ist. „Wir haben jetzt wichtigere Dinge in den Griff zu kriegen als uns über sportliche Themen Gedanken zu machen“, sagt das Schwergewicht vom Ringer-Bundesligisten RED DEVILS Heilbronn.

Dabei hätte Eduard Popp allen Grund sich über die Verschiebung zu ärgern. Nach seinem fünften Platz bei den Olympischen Spielen in Rio 2016 arbeitete der 28-Jährige akribisch auf sein großes Ziel, eine olympische Medaille hin. Bereits im Oktober 2019 hatte er sich durch einen fünften Platz bei der Weltmeisterschaft für Tokio 2020 qualifiziert – und nun kam die Corona bedingte Verschiebung.

„Meine Kollegen Frank Stäbler, Denis Kudla und mich belastet das Ganze nicht so extrem, denn wir haben die Qualifikation ja auch für die Spiele im Jahr 2021 sicher. Anders ist es bei den Ringern, die noch einige weitere Turniere bestreiten müssen, um sich für Olympia zu qualifizieren. Ich musste diesen Weg 2016 gehen und kann sagen, dass diese paar Wochen sehr aufreibend waren. Ich kann mir in etwa ausmalen, wie es diesen Athleten jetzt geht, wenn sie noch ein ganzes Jahr mehr ausharren müssen, ehe sie die Gewissheit haben, ob sie dabei sein können oder nicht“, so der Deutsche Meister von 2019.

Die Verschiebung der Olympischen Spiele war auch für Eduard Popp unabdingbar. „Selbst wenn sie es durchziehen würden, würden viele Athleten aus Angst vor einer Ansteckung mit Corona nicht hinfahren“, sagte er schon zwei Wochen vor der Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees bei seinem Besuch in den Räumen der SPORTHEILBRONN-Redaktion.

Mit der am Ostersamstag in Kraft getretenen Verordnung für Profi- und Spitzensportler in Baden-Württemberg wurde auch für den zweifachen Familienvater das Training wieder eingeschränkt freigegeben, was sich jedoch nur marginal auswirkt:

„Ringen ist nunmal ein Kontaktsport, und das eigentlich wichtige Mattentraining gegen einen realen, menschlichen Gegner liegt weiterhin irgendwo in der Ferne. Das Einzige, was diese Regelung für mich persönlich gebracht hat, ist die Tatsache, dass ich jetzt auch wieder am Olympiastützpunkt trainieren könnte. Aber auch dort würde es nur um Athletiktraining gehen – und das konnte ich, in Abstimmung mit dem Bundestrainer und natürlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit, auch in den letzten Wochen schon bei mir zuhause in der Wohnung oder im Garten machen.“

Annegret Schneider (Leichtathletin)

„Corona und die daraus resultierende Verschiebung der Paralympics auf 2021 könnten für mich das Karriereende bedeuten. Alles war darauf ausgerichtet. Ich habe im letzten Sommer an den Olympiastützpunkt nach Cottbus gewechselt, um dort optimal trainieren zu können und parallel meinen Bundesfreiwilligendienst zu machen. Den Start in die Berufsausbildung zusammen mit den Paralympics um ein weiteres Jahr zu verschieben, passt nicht wirklich in meine Lebensplanung. Ich möchte ein Duales Wirtschaftsinformatik-Studium beginnen und da kann ich keine sechs Stunden am Tag mehr trainieren. Aber momentan sehen wir eh, dass es wichtigere Dinge als Sport gibt. Für mich als Asthmatikerin gilt in dieser Zeit strikt #stayathome.“

Daniel Fischbuch (Eichockeyspieler)

„Die Gesundheit ist unser höchstes Gut und der Lockdown war die einzig richtige Entscheidung. Aber für mich waren die ganzen Absagen schon extrem bitter. Ich hatte bei den Nürnberg Ice Tigers meine bislang beste Saison, in der ich sogar Nationalspieler wurde. Meine Chancen wären groß gewesen, bei der Weltmeisterschaft für Deutschland zu spielen. Ich hätte während der WM-Vorbereitung unheimlich gerne das Länderspiel in Heilbronn gespielt. Sehr schade ist auch, dass ich mich nicht von den Nürnberger Fans verabschieden konnte, die mich das ganze Jahr unterstützt haben. Ich wechsle zur neuen Saison zur Düsseldorfer EG und meine Frau und ich richten dort jetzt die Wohnung ein. Ich halte mich auf dem Balkon und im Garten mit Workouts fit.“

Denise Krebs (Leichtathletin)

„Der Sport ist durch die Corona-Katastrophe eigentlich nicht mehr wichtig – für mich ist die Olympia-Verschiebung auf 2021 dennoch einschneidend. Ich war 2012 und 2016 knapp an der Qualifikation gescheitert, möchte meine wohl letzte Chance unbedingt nutzen. Seit März 2019 war ich insgesamt 20 Wochen im Höhentrainingslager – alles selbst finanziert. Mein Arbeitgeber hat mich freigestellt, damit ich mich optimal vorbereiten kann. Ob er das noch ein weiteres Jahr machen kann, ist fraglich. Also stehe ich vermutlich vor der Wahl Olympia oder Job. Sportlich gesehen bin ich wieder auf dem Stand vom letzten Jahr. Sprich, jetzt stünden wieder 20 Wochen Höhentrainingslager an, um dann im Mai 2021 so schnell zu sein, dass ich die Olympianorm schaffe.“

Slawa Spomer (Profiboxer)

„Wie alle anderen sind auch wir Boxer momentan zuhause. Damit müssen wir leben. Viel wichtiger ist, dass wir alle gesund durch die Corona-Zeit kommen. Alle Events wurden abgesagt und wir wissen nicht, wann wir das nächste Mal boxen können. Inzwischen habe ich schon fast vergessen, was für ein krasses Gefühl es ist im Ring zu stehen. Ich mache Konditions- und Krafttraining, gehe im Wald laufen. Das werde ich jetzt so beibehalten, bis ich weiß, wann es konkret weitergeht. Erst dann kann ich wieder ein spezielles Trainingsprogramm aufnehmen. Am 3. März kam unser zweiter Sohn Davin auf die Welt. So ungut die Situation gerade allgemein ist, so schön ist es auf der anderen Seite auch, dass ich mehr Zeit für die Familie habe.“

Daniel Wörz (Turner)

„Durch Corona ist 2020 für uns Turner ein großes Fragezeichen. Wir wissen nicht, wie das Jahr ablaufen wird. Die Deutschen Meisterschaften wurden abgesagt. Ich lebe und trainiere ja am Olympiastützpunkt in Berlin. Dort ist sowohl das Internat als auch die Halle geschlossen, weshalb ich die Zeit jetzt bei meinen Eltern in Neckargartach verbringe. Dort kann ich mich nur allgemein fit halten. Ich gehe laufen und habe ein Rudergerät zuhause. Für mich kommt erschwerend dazu, dass ich jetzt eigentlich meine Abiturprüfungen schreiben würde. Auch da ist es ungewiss, wann die Prüfungen tatsächlich stattfinden werden. Ich nutze die Zeit zuhause zur bestmöglichen Vorbereitung und hoffe, dass das alles schnell wieder vorbei ist.“

Markus Pommer (Rennfahrer)

„Corona trifft mich momentan noch nicht ganz so extrem wie andere Sportler, wobei der Start der ADAC GT-Masters Serie noch in den Sternen steht. Was aktuell wegfällt, sind die Testtage. Spannend dürfte es in Richtung Spätjahr werden, wenn viele andere Rennserien nachgeholt werden sollen. Die Kalender der Rennstrecken sind jetzt schon voll und ich bin gespannt, wie dieser Engpass gelöst werden kann. Da die Fitnessstudios geschlossen haben, gehe ich im Wald laufen und klettern und halte mich so fit. Um fahrerisch im Flow zu bleiben, fahre ich im Rennsimulator unter ziemlich realistischen Bedingungen online gegen Kollegen. Die Prüfungen meines berufsbegleitenden Studiums sind schon beendet und die Abschlussarbeit schreibe ich zuhause.“

Sebastian Heymann (Handballspieler)

„Die Corona-Situation ist für die Menschen katastrophal. Ich traue mich kaum es auszusprechen, aber durch Corona bekomme ich tatsächlich eine neue Chance auf eine Olympia-Teilnahme 2021. Wegen meines Kreuzbandrisses wäre ich 2020 außen vor gewesen. Der Heilungsprozess schreitet gut voran. Dadurch, dass alles geschlossen ist, kann ich aber nicht mit unserem Athletiktrainer am Olympiastützpunkt trainieren und muss viel allein machen. Von Göppingen habe ich Trainingsmaterialien mit nach Horkheim genommen und ich trainiere nun zuhause bei meinen Eltern. Dazu gehört viel Fleiß und Selbstdisziplin. Aber ich habe Ziele, die ich verfolge – und deshalb fällt es mir nicht allzu schwer. Ich werde topfit in die neue Bundesliga-Saison gehen!“

Enni Wielsch (Shorttrackskaterin)

„Corona hat mich die ganzen Saisonhighlights gekostet – alles, auf das ich seit letzten Sommer hingearbeitet habe. Erst wurden die Deutschen Meisterschaften abgesagt, bei denen ich meinen Titel unbedingt verteidigen wollte. Und dann hätte ich Ende März in Russland am Europacup-Finale teilnehmen dürfen. Die Reise war schon organisiert, meine Eltern hatten alle Gebühren bezahlt – und dann kam die Absage. Das hat mich hart getroffen und ich war am Boden zerstört. Inzwischen haben wir daheim in der Garage einen Trainingsraum eingerichtet, in dem ich mich fit halten kann. Da für mich jetzt die Abschlussprüfungen an der Realschule anstehen, fahre ich das Trainingspensum zurück, ehe ich dann auf Inlineskates und auf dem Rad weiter trainiere.“