Heilbronner Ringer Niklas Rauhut ist Rugby-Nationalspieler in Hong Kong

Die Geschichte von Niklas Rauhut klingt irgendwie verrückt: Niklas hat im Juli 2017 gerade seinen 16. Geburtstag gefeiert, als seine Familie mit Sack und Pack für drei Jahre von Heilbronn nach Hong Kong umzieht – für den talentierten Nachwuchs-Ringer der RED DEVILS erstmal ein Kulturschock. Doch der Zehntklässler lebt sich schnell ein, gewinnt neue Freunde – und wird vom einen Tag auf den anderen Nationalspieler im U20-Rugbyteam seiner neuen Heimat Hong Kong. Während eines kurzen Heimaturlaubs im Februar wird er zudem quasi im Vorbeigehen Württembergischer A-Jugend-Meister im Ringen – und qualifiziert sich damit für die Deutschen Meisterschaften. Auch dort marschiert der Modellathlet durch bis ins Finale, wo ihn nur eine Verletzung vom Meistertitel abhalten kann. Diese aber hat es dafür in sich: Niklas Rauhut reißt sich eine Sehne in der Brust, muss operiert werden. An Rugby und Ringen ist für den Rest des Jahres leider nicht mehr zu denken…

Fotos: Marcel Tschamke

Autor: Ralf Scherlinzky

20. Juli 2018

Bevor wir zu deinen sportlichen Erfolgen kommen: Was macht ein 16-Jähriger, wenn er plötzlich in einer ihm fremden Welt leben muss?
Niklas Rauhut: Er sagt nach ein paar Tagen: O Gott, ich will hier wieder weg! Im ersten Monat war ich noch nicht in der Schule, habe niemanden gekannt. Mit meinem bisschen Realschul-Englisch bin ich irgendwie auch nicht weit gekommen, das war frustrierend. Doch mit dem ersten Schultag auf der Deutsch-Schweizerischen Schule hat sich alles geändert. Ich habe mich noch am selben Abend mit den Klassenkameraden getroffen und fühle mich seither total wohl.

In Heilbronn warst du ein leidenschaftlicher Ringer, doch Hong Kong ist nicht gerade als Ringer-Hochburg bekannt…
Niklas Rauhut: In Hong Kong gibt es keine Ringervereine wie bei uns, aber es gibt andere Kampfsportarten, die in eine ähnliche Richtung gehen. Deshalb sind zumindest Matten vorhanden, nur die Trainingspartner fehlen. Ich trainiere mit meinem Vater dort hin und wieder ein bisschen Technik und mache sonst viel Kraft- und Ausdauertraining im Fitnessstudio.

Als Ersatz für‘s Ringen hast du dann mit Rugby angefangen?
Niklas Rauhut: Nicht gleich, denn ich wusste vorher nicht mal, dass es Rugby überhaupt gibt. In Hong Kong ist Rugby aber Nationalsport, und irgendwann hat mich ein Freund aus meiner Klasse zum Training seines Teams „Happy Valley“ mitgenommen, das hauptsächlich aus Spielern aus Frankreich besteht. Ich kannte zwar die Regeln nicht, habe aber einfach mal beim Training mitgemacht. Und da kam mir dann die Ringerausbildung zu Gute. Sie fanden mich ziemlich gut, weil ich sofort das Tackeln beherrscht habe. Da geht es darum, dem Gegner ziemlich tief in die Beine zu greifen und ihn umzutackeln. Für Neulinge kostet das viel Überwindung. Das entspricht aber genau einem Griff im Freistil, den ich jahrelang trainiert habe.

Und dann ging es quasi vom ersten Training fast direkt in die Nationalmannschaft?
Niklas Rauhut: Das ging tatsächlich recht schnell. Ich habe in der zweiten U19-Mannschaft von Happy Valley mit ein paar Spielen angefangen, da ich ja erst die Regeln verstehen musste. Dort wurde ich gleich ein paarmal zum besten Spieler gewählt und wurde in das erste U19-Team geholt. Dessen Coach sagte mir, dass der Trainer der Nationalmannschaft Spieler für ein Testspiel gegen Kanada sucht. Also bin ich hingegangen und habe mittrainiert. Bei der Trainingssession Montag abends hieß es plötzlich „jetzt wird gerungen“. Das war recht lustig, denn ich habe dabei ruckzuck den Captain der U20 auf die Schultern gelegt, und alle haben erstmal ziemlich blöd gekuckt. Das war sehr förderlich für mich, denn dadurch stand ich plötzlich direkt im Kader der U20-Nationalmannschaft für das Spiel gegen Kanada und habe dort in der Startmannschaft gespielt.

Hat man dir dafür die Staatsbürgerschaft von Hong Kong verliehen?
Niklas Rauhut: Nein. Sobald ein Familienmitglied über einen längeren Zeitraum in Hong Kong arbeitet, erhält man die sogenannte Hong Kong ID Card. Und diese genügt beim Rugby, um für das Land zu spielen.

Bist du der einzige nicht aus Hong Kong stammende Nationalspieler?
Niklas Rauhut: Nein, das Team besteht nur zu ca. 50 Prozent aus Einheimischen. Die anderen kommen aus Nordamerika, Australien oder Europa.
Und dann hast du dich praktisch mit dem Rugby-Training für die Württembergischen Meisterschaften im Ringen fit gehalten?
Niklas Rauhut: Sozusagen. Ich hatte ein halbes Jahr lang nicht spezifisch trainiert und habe dort gleich gegen den deutschen Meister und den Vizemeister gewonnen, und alle haben sich gewundert, dass ich ohne Praxis Meister wurde.

Und damit hattest du die Teilnahme an der Deutschen Meisterschaft in der Tasche…
Niklas Rauhut: Genau, und das, obwohl ich bei keinem einzigen Lehrgang dabei war. Dafür bin ich dann im April extra nochmal nach Deutschland geflogen und wurde für eine Woche von der Schule freigestellt. Bei der DM selbst hatte ich dann bis ins Finale einen super Lauf – und dann hat es in meiner Brust geschnalzt und ich musste verletzt aufgeben. Das war natürlich sehr enttäuschend. Die Schwere der Verletzung wurde dann erst ein paar Wochen später in Hong Kong diagnostiziert, als es nicht besser wurde. Also ging es nochmal nach Deutschland, wo ich in Mainz operiert wurde. Es dauert jetzt leider ein paar Monate bis ich wieder angreifen kann. (RS)