Heilbronner Duo in Göppingen

Mit Sebastian Heymann und Selina Kalmbach stehen seit dem letzten Sommer gleich zwei Heilbronner bei FRISCH AUF! Göppingen unter Vertrag. Heymann hat eine schwierige Zeit hinter sich. Nach einem Mittelfußbruch 2017 und einem Kreuzbandriss 2019 folgte im Mai 2022 die nächste Hiobsbotschaft. Diagnose: erneuter Kreuzbandriss. Der Nationalspieler hat sich nun, nach fast 12 Monaten Ausfallzeit, erneut zurückgekämpft und steht wieder für den Handball-Bundesligisten auf dem Spielfeld. Auch Selina Kalmbach hat einen größeren Umbruch hinter sich. Nach acht Jahren bei der Sport-Union Neckarsulm wechselte die Abstatterin vor der aktuellen Saison zum Zweitligisten nach Göppingen – inmitten einer Rehaphase, nachdem sie sich im Frühjahr einer Operation an der Ferse und Achillessehne unterzogen hatte. Wir haben uns auf den Weg nach Göppingen gemacht, um die beiden 25-Jährigen an ihrem Arbeitsplatz, der EWS Arena, zu besuchen und über Verletzungen, Leistungsdruck, die aktuelle Saison sowie ihre persönlichen Ziele zu sprechen.

Lockere Gesprächsrunde im Mittelkreis der
Göppinger EWS Arena. Fotos: Seventyfour.studio

Basti, du hattest einmal mehr eine lange Verletzung. Jetzt hast du dich zurückgekämpft. Wie waren die vergangenen Monate für dich?

Sebastian Heymann: Dadurch, dass es mein zweiter Kreuzbandriss war, kannte ich den ganzen Prozess bereits. Ich wurde relativ zügig operiert und habe dann das erste Vierteljahr meiner Reha zuhause in Heilbronn absolviert. Letztendlich sind es jetzt fast zwölf Monate seit meiner Verletzung und ich bin froh, dass alles super funktioniert hat und ich seit einigen Wochen wieder voll mit trainieren kann. Ich habe ab und an noch muskuläre Probleme und muss dadurch das eine oder andere Training oder sogar Spiel auslassen. Ich bin natürlich noch nicht wieder bei 100 Prozent, aber die Eingliederungsphase läuft gut.

Das ist wie erwähnt dein zweiter Kreuzbandriss gewesen. Fühlte es sich anders an als das letzte Mal? Gibt es Unterschiede?

Sebastian Heymann: Eigentlich nicht. Die Operationen heutzutage sind auch dieselben, das Band wird immer ersetzt. Somit war die Verletzung und Rehabilitation weitestgehend gleich. Der einzige große Unterschied ist, dass beim ersten Kreuzbandriss die Corona-Pandemie dazwischen kam und die Saison sowieso abgebrochen wurde. Das war mir natürlich zugute gekommen, da ich elfeinhalb Monate komplett raus war. Die Eingliederung lief damals für mich einfacher, da alle noch Zeit brauchten, um sich wieder einzugewöhnen. Diesmal war ich während der gesamten Sommer- und Wintervorbereitung verletzt, und dadurch ist es jetzt schwerer, voll ins Mannschaftstraining einzusteigen, wenn noch das komplette Vertrauen ins Knie, das Timing und auch die Kraft fehlt. Aber das braucht einfach seine Zeit und es wird wirklich mit jedem Training und jeder Spielminute kontinuierlich besser.

Selina, auch du hattest letztes Jahr eine Operation. Was ist passiert? Wie lange bist du ausgefallen?

Selina Kalmbach: Ich habe mich zweimal an der gleichen Stelle operieren lassen. Einmal im kleineren Rahmen, damit ich schnell wieder fit war, und dann letztes Frühjahr nochmal, da es einfach nicht besser wurde und ich mich schon drei Jahre damit rumgeplagt hatte. Das war eine sehr schmerzhafte Entzündung am Fersenbein und der Achillessehne, die irgendwann zu reißen drohte. Ich bin während der Reha leider sehr oft krank geworden, hatte eine Corona-Infektion sowie gleich dreimal eine Mandelentzündung. So etwas wirft einen natürlich immer wieder zurück und ich bin dadurch fünf Monate ausgefallen. Das hat mich die ersten sechs Wochen der Saison gekostet, ich konnte danach aber relativ schnell wieder einsteigen.

Wie oft lauft ihr beide euch eigentlich in Göppingen über den Weg?

Selina Kalmbach: Wir trainieren abends nach den Männern und morgens davor. Da sieht man sich schon regelmäßig. Auch gehen viele von unserem Team zu den Männer-Spielen. Von daher sehen wir uns schon recht oft.

Sebastian Heymann: Wir schauen natürlich auch öfter bei den Mädels zu und unterstützen sie bei ihrem Aufstiegskampf, also laufen wir uns schon häufig über den Weg.

Apropos Aufstieg… Selina, ihr steht gerade in der zweiten Bundesliga sehr gut da. Wie optimistisch seid ihr, dass es diesmal mit dem Aufstieg klappen wird?

Selina Kalmbach: Also gerade sieht es gut aus, wir haben uns unter den ersten beiden Plätzen festgesetzt. Der Tabellenführer darf ja direkt hoch und der Zweitplatzierte muss in die Relegation. Aber es ist noch alles offen und die Saison geht bis Ende Mai. Wir spielen auch gegen die direkte Konkurrenz und ich denke, es wird bis zum Schluss spannend bleiben. Wir gehen es aber Spiel für Spiel, Woche für Woche an, geben unser Bestes und kämpfen bis zum Schluss. Und natürlich hoffen wir, dass wir am Ende ganz oben stehen und wieder in die erste Frauen-Bundesliga zurückkehren dürfen.

Du bist letzte Saison vom Bundesligisten Neckarsulm zum Zweitligisten Göppingen gewechselt. Wie war für dich der Schritt in die zweite Liga und wie kommst du dort zurecht?

Selina Kalmbach: Diese Saison war ein ziemliches Auf und Ab, wir konnten unsere Leistung nicht konstant über einen längeren Zeitraum halten. Ich konnte mich diese Saison gerade nach meiner Verletzung gut weiterentwickeln und bin seit meiner Reha auch topfit. Natürlich ist die Liga nicht ganz so professionell. Die Eingewöhnung an Mannschaft und Umfeld waren für mich kein Problem. Ein großer Punkt, der mich von Göppingen überzeugt hat, ist, dass ein richtiger Plan dahinter steht. Selbst wenn es dieses Jahr nicht mit dem Aufstieg klappen sollte, wäre das kein Weltuntergang, da man hier nicht Jahr für Jahr denkt sondern die nächsten fünf Jahre im Blick hat und das große Ganze betrachtet. Wir wollen die nächsten Schritte machen und sind davon überzeugt, dass wir das auch schaffen.

Als du in Göppingen unterschrieben hattest, hast du gesagt, dass du eine Führungsrolle bei den FRISCH AUF! Frauen übernehmen möchtest. Wie siehst du deine Rolle in der Mannschaft?

Selina Kalmbach: Ich denke schon, dass ich eine gewisse Führungsrolle übernommen habe, bin damit aber natürlich nicht alleine. Man kann nie sagen, dass es nur eine entscheidende Führungsspielerin gibt. Es sind mehrere Spielerinnen zusammen, mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Persönlichkeiten. Unsere Mannschaft harmoniert auch sehr gut. Es gibt viele Jüngere, bzw. noch Jüngere als mich, und diese orientieren sich schon auch an mir. Das ist natürlich ein tolles Gefühl, wenn man als eine Art Vorbild angesehen wird.

Basti, die Frauen kämpfen um den Aufstieg, die Männer dafür eher um den Klassenerhalt. Wie bewertest du eure Saison bis jetzt?

Sebastian Heymann: Also wir stehen schon etwas vor den Abstiegsplätzen, sind aber natürlich trotzdem im Abstiegskampf drin. Unsere Saison geht noch bis in den Juni hinein und wir spielen noch gegen direkte Gegner. Da müssen wir liefern. Selina hat es schon angesprochen, auch bei uns schwanken die Leistungen oft und wir haben nur wenig Konstanz im Spiel. Wir zeigen die komplette Saison schon zwei Gesichter, spielen sehr gut gegen Spitzenmannschaften, tun uns aber schwer gegen die direkten Konkurrenten in der Tabelle.

In der EHF European League schwimmt ihr dagegen auf einer Erfolgswelle. Warum läuft es dort so viel besser als in der Liga?

Sebastian Heymann: Gute Frage (lacht). Wir haben uns natürlich vor der Saison zusammengesetzt und als Mannschaft besprochen, was unsere Ziele sind. Und da Göppingen schon ein paarmal den Europapokal gewonnen hat, wollen wir das diese Saison auch wieder schaffen. Mit der Doppelbelastung lief es in der Vergangenheit des Öfteren in Europa deutlich besser als in der Liga. Das wollten wir dieses Jahr eigentlich dahingehend ändern, dass wir trotz Doppelbelastung in beiden Wettbewerben erfolgreich sind.

Wenn du sagst, dass ihr gegen Spitzenmannschaften besser abschneidet als gegen die direkte Konkurrenz: Geht man gegen Mannschaften wie Flensburg oder Kiel mit einer anderen Einstellung ins Spiel als beispielsweise gegen Wetzlar?

Sebastian Heymann: Eigentlich kann man das nicht sagen. Letztendlich geht es in jedem Spiel um zwei Punkte. Unterm Strich fängt das Spiel bei Null an und man muss immer mit der Einstellung rein gehen, alles zu geben, zu kämpfen und seine beste Leistung zu zeigen. Ich denke es ist eher eine Kopfsache, dass man weiß man ist die eigentlich bessere Mannschaft, dann aber trotzdem Ungenauigkeiten und Fehler passieren. Dieses Phänomen zieht sich ja durch jede Sportart und es ist schwer zu erklären, warum das passiert.

Was gibt euch der Trainer bei solchen Spielen vor? Wird das wirklich so behandelt wie jedes andere?

Sebastian Heymann: Eigentlich schon, ja. Es kommen die taktischen Anweisungen und es werden Dinge oder Spieler angesprochen, auf die wir achten müssen. Klar ist die Stimmung vielleicht ein bisschen angespannter, jeder ist ein bisschen nervöser, aufgeregter. Aber man ist auch sehr motiviert. Der Trainer gibt der ganzen Kabine positive Energie mit und wir pushen uns natürlich auch gegenseitig.

Welche Rolle spielt dabei der Leistungsdruck?

Selina Kalmbach: In den letzten Jahren auf jeden Fall eine immer größere. Man kann nicht immer funktionieren und immer die gleiche Leistung bringen, vor allem über die ganze Saison hinweg. Jeder Sportler hat Phasen, in denen der Körper oder der Kopf mal ausgelaugt ist. Deswegen glaube ich, dass deine mentale Einstellung unglaublich wichtig ist. Im Kopf stark zu bleiben, Leistung zu bringen und den Druck in den Griff zu kriegen, ist sehr schwierig.

Sebastian Heymann: Ich bin da derselben Meinung. Noch schlimmer ist es, wenn man wie wir von einer großen Verletzung zurückkommt. Da holt man sich schon mal einen Mentaltrainer, um nicht nur die Verletzung, sondern auch den Druck schnellstmöglich wieder gute Leistungen zu zeigen, im Kopf verarbeiten zu können.

Hast du dir nach deiner Verletzung auch Hilfe geholt?

Sebastian Heymann: Nach meinem ersten Kreuzbandriss habe ich ein wenig mit einem Mentalcoach gearbeitet, das war auch während der Coronazeit. Aber diesmal habe ich das nicht gebraucht. Ich wusste schon, was auf mich zukommt und war voll fokussiert. Die Dinge, die man lernt, kann man natürlich immer wieder auf die verschiedensten Situationen, auch im Alltag, anwenden.

Wie beeinflussen euch die Zuschauer bei wichtigen Spielen? Bekommt ihr einen Schub extra Motivation, wenn die Halle bebt, oder seit ihr so im Tunnel, dass ihr das gar nicht mitbekommt?

Selina Kalmbach: Also ich kann das tatsächlich komplett ausblenden, außer wenn natürlich eine sehr extreme Stimmung herrscht. In normalen Spielen bekomme ich das gar nicht mit. Wenn du aber, wie in Regensburg zum Beispiel, eine sehr kleine Halle mit vielen Trommeln und lautstarken Fans hast, dann pusht einen das schon. Das kann aber natürlich in beide Richtungen gehen. Wenn die ganze Halle gegen dich ist, tritt die entgegengesetzte Wirkung ein und du wirst unsicher und anfälliger für Fehler.

Sebastian Heymann: Es ist immer davon abhängig, wie es beim Team läuft. Wenn es ein super Spiel von uns ist, interagiert man natürlich mit den Zuschauern und saugt die positive Stimmung auf, bleibt aber dennoch im Tunnel, um seine Leistung abzurufen. Wenn es schlechter läuft und einem persönlich auch nicht so viel gelingt, ist es schwieriger sich zu fokussieren und in diesen Tunnel zu finden. Da können die Zuschauer schon eine gewisse Ablenkung sein. Aber generell beflügelt einen die Stimmung eher, vor allem in engen Spielen, da brennt hier in Göppingen schon mal ordentlich die Hütte.

Basti, bei euch gab es während der Saison einen Trainerwechsel von Hartmut Mayerhoffer zu Markus Baur. Wie wirkt sich so etwas auf das Team aus? Wie geht man als Spieler damit um?

Sebastian Heymann: Ich habe den Trainerwechsel eigentlich nur flüchtig mitbekommen, weil ich zu dem Zeitpunkt meine Reha in Donaustauf gemacht habe. Aber natürlich ist man nicht glücklich darüber, weil eine Trainerentlassung immer bedeutet, dass wir als Mannschaft nicht gut genug waren und unsere Leistung nicht gestimmt hat. Ich war zwar beim Trainerwechsel nicht in Göppingen, hatte aber trotzdem von Anfang an Kontakt mit Markus, da er auch wissen wollte, wie es mir geht. Es ist natürlich immer schwer mit einem neuen Trainer – du kennst sein System noch nicht, er kennt die Spieler noch nicht und die Routine und das Verständnis sind einfach noch nicht da. Dadurch, dass ich erst vor ein paar Wochen wieder ins Mannschaftstraining eingestiegen bin, dauert es bei mir noch länger. Aber mit der Zeit wird das alles.

Stichwort Zeit: Was habt ihr euch persönlich in nächster Zeit vorgenommen? Habt ihr bestimmte Ziele, eventuell auch wieder mit der Nationalmannschaft?

Selina Kalmbach: Ich bin noch im Perspektivkader der Nationalmannschaft drin und auch in regem Austausch mit Bundestrainer Markus Gaugisch. Wenn sich also durch meine Leistungen die Möglichkeit ergibt, dass ich mich wieder auf Lehrgängen oder in Länderspielen präsentieren kann, dann freue ich mich natürlich darüber. Das hängt aber auch stark mit dem Aufstieg zusammen, somit hat dieser in jedem Fall oberste Priorität.

Sebastian Heymann: Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich keine großen Ziele im Hinterkopf habe. Wenn man einmal für Deutschland gespielt hat und bei einem großen Turnier dabei war, möchte man auch weiterhin den Adler auf der Brust tragen. Das größte Ziel in diesem Zusammenhang sind natürlich die Olympischen Spiele. Es ist glaube ich der Traum von jedem Sportler daran teilzunehmen. Für mich geht es jetzt aber erstmal darum, wieder hundertprozentig fit zu werden und Spielminuten zu sammeln. Wenn ich dann eine gute Sommervorbereitung habe und komplett fit in die nächste Saison starten kann, Leistungen zeige und meinem Verein weiterhelfe, hoffe ich, dass ich auch in der Nationalmannschaft wieder eine Chance bekomme.