Handballspielerin Selina Kalmbach: „Die Familie ist mein großer Rückhalt“

Autor: Enny Bayer

5. November 2020

Mit gerade einmal 22 Jahren ist Selina Kalmbach das Aushängeschild der Handballbundesliga-Damen der Neckarsulmer Sport-Union. Seit 2014 ist die in Heilbronn geborene Linksaußen-Spielerin ein fester Bestandteil der Mannschaft und steht nicht nur auf dem Spielfeld für ihren Verein ein. Auch ihr duales Studium, das sie nach dem Abitur trotz Handballkarriere an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Heilbronn absolviert hat, hat sie in Kooperation mit der Neckarsulmer Sport-Union bis zum Ende durchgezogen. Durch ihre herausragenden Leistungen wurde sie im vergangenen Jahr zusammen mit ihrer Mannschaftskollegin Sarah Wachter in das Perspektivteam 2024 der Unterländer Sporthilfe aufgenommen, durch das sie in ihrer Karriere für eine optimale Förderung weiterhin unterstützt wird. Wie sie diesem ganzen Druck standhalten konnte, wie ihr bisheriger Weg im Verein und in der Nationalmannschaft war und was ihre Ziele für die Zukunft sind, hat die sympathische Abstatterin unserem Redaktionsteam im Biergarten der Burg Stettenfels erzählt – mit Ausblick auf ihre Heimat. 

Fotos: Marcel Tschamke

Selina, schön dass es heut geklappt hat und du dir die Zeit für uns nimmst. Mit deinen erst jungen 22 Jahren bist du bereits das Aushängeschild der Handball-Bundesligamannschaft der Neckarsulmer Sportunion geworden. Doch du kommst gar nicht aus der eigenen Jugend. Wie hast du zum Handball gefunden?
Selina Kalmbach: Meine ganze Familie ist handballverrückt. Meine Eltern haben selbst Handball gespielt, sich über den Sport kennengelernt und waren dann auch später als Trainer tätig. Meine Schwestern haben außerdem auch Handball gespielt und so kam es bei mir, dass ich schon vor meinem sechsten Lebensjahr bei den Minis in Abstatt mittrainiert habe.

Wie führte dann der Weg von Abstatt nach Neckarsulm?
Selina Kalmbach: Angefangen habe ich bei der TGV Abstatt, der späteren SG Schozach-Bottwartal. In der Jugend haben wir dann eigentlich immer in den höheren Ligen mitgespielt. Da habe ich auch immer alles gegeben, an mich geglaubt und gekämpft. Als ich dann mit gerade einmal 15 Jahren das Angebot von Neckarsulm erhalten habe, dort mitzutrainieren, habe ich es als ein zusätzliches Training angesehen. Dann ging alles ganz schnell und ich hatte im Alter von 16 Jahren meinen ersten Vertrag auf dem Tisch liegen. Also habe ich in der Jugend in Schozach in der Jugendbundesliga und parallel in Neckarsulm in der zweiten Damen-Bundesliga mitgespielt. Früher hätte ich nie gedacht, dass ich es so weit schaffen würde. Heute stehe ich hier und kann das als Beruf machen, was als Kind mein Hobby war.

In der Jugend sowie bei den Aktiven so hoch zu spielen bedeutet ja auch, dass die Trainingseinheiten in der Woche mehr wurden. Wie hast du das mit der Schule und der Prüfungsphase vereinbaren können?
Selina Kalmbach: Das Abitur habe ich auf dem Herzog-Christoph-Gymnasium in Beilstein gemacht. Ich war also auf einer ganz normalen Schule. Um alles miteinander vereinbaren zu können habe ich immer Bücher für die Fahrtwege oder freien Zwischenzeiten mitgenommen. Meine Freunde haben mich allerdings auch sehr unterstützt und mir Mitschriebe mitgegeben, wenn ich einmal wegen Lehrgängen in der Schule gefehlt habe. Mit 17 habe ich dann auch noch meinen Führerschein nebenbei gemacht. Es gab allerdings auch Phasen, in denen alles zu viel geworden ist. Wenn man am Wochenende zwei Auswärtsspiele hatte, die weiter entfernt waren, hat am Montagmorgen in der Schule schon einmal die Konzentration gefehlt. Gerade bei den Abiturprüfungen musste ich etwas mit dem Handballspielen herunterfahren. Mit dem Studium an der DHBW Heilbronn ging es genauso stressig weiter. Doch mit Prof. Dr. Schwarzer hatte ich einen sehr verständnisvollen Studiengangsleiter, der mich sehr viel unterstützt hat.

Das klingt nach einer sehr kräftezehrenden Zeit für dich, bei der es sehr viel Disziplin benötigt hat, um weiterhin am Ball zu bleiben. Was hat bzw. gibt dir heute noch die Stärke an dich selbst zu glauben?
Selina Kalmbach: Das ist für mich ganz klar der Rückhalt und die Unterstützung, die ich von meiner Familie und meinem Freund bekomme. Mein Papa hat schon in der Jugend zu mir gesagt, dass ich einmal mit dem Adler auf der Brust spielen werde, was ich ihm natürlich nie geglaubt habe. Meinen Eltern bin ich vor allem sehr dankbar, dass sie immer für mich da waren als ich jünger war. Ich musste dreimal in der Woche in das Training nach Neckarsulm, regelmäßig zu Lehrgängen, an Flughäfen oder an andere Treffpunkte gefahren werden. Das absolute Highlight war, als sie mich über Nacht nach Südfrankreich gefahren haben, damit ich noch ein Handballspiel für die Jugendnationalmannschaft spielen konnte. Es ist aber auch extrem wichtig, seine Erfolge oder auch Tränen mit jemandem teilen zu können und zu wissen, dass man immer eine Schulter zum Anlehnen hat oder ein paar tröstende Worte findet. Bei meiner Familie und meinem Freund finde ich immer diesen Rückhalt, der mir hilft an mich selbst zu glauben und immer weiter zu machen.

Nun läufst du also für die Neckarsulmer in der Handballbundesliga auf und spielst (unter normalen Bedingungen) vor einer vollbesetzten Ballei. Kann man dich schon als Vollprofi bezeichnen?
Selina Kalmbach: Vom Aufwand und den Trainingszeiten kann man es schon als eine Vollzeitstelle bezeichnen. Aktuell trainieren wir so acht bis neun Mal in der Woche, in der Vorbereitung waren es noch einmal zwei Einheiten mehr. Ich habe aber von Anfang an gesagt, dass ich mein Studium abschließen möchte, um auch später etwas in der Tasche zu haben. Da es mit meinem Studienpartner, der Geschäftsstelle der Neckarsulmer Sport-Union, so gut geklappt hat und mein Chef auch sehr verständnisvoll ist, habe ich nach meinem Bachelorabschluss eine 20-Stunden-Stelle in der Finanzbuchhaltung angenommen. Meine Arbeitszeiten kann ich sehr flexibel um mein Training und die Spiele legen, was nicht immer sehr einfach ist – aber das klappt auch irgendwie.

Du hast nicht nur durch das Handballspielen eine enge Verbindung zu deinem Verein aufgebaut, sondern auch durch deine Arbeitsstelle. Wenn wir in die Zukunft schauen, ist da dein Ziel längerfristig in Neckarsulm als Spielerin zu bleiben?
Selina Kalmbach: Als Sportler kann man nie genau sagen, wie es für einen weitergehen wird. Mein jetziger Vertrag läuft bis Juni 2021. Über das, was danach kommt, habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Ab der Jahreswende beginnen die neuen Gespräche. Ich lasse alles einfach auf mich zukommen.

Wenn du eine Anfrage von einer ausländischen Mannschaft erhalten würdest, wäre da der Anreiz für dich vorhanden diesen Schritt zu wagen?
Selina Kalmbach: Ehrlich gesagt habe ich mich bisher damit nicht wirklich beschäftigt, aber ich denke sobald ein Angebot da ist, reizt es jeden Sportler. Im Ausland gibt es auch sehr gute Ligen und Mannschaften und warum sollte man nicht einmal für ein oder zwei Jahre etwas Neues ausprobieren und neue Erfahrungen sammeln? Vor allem die skandinavischen Länder sind sehr handballbegeistert.

Durch die Corona-Bedingungen ist leider auch das normale Sportleben eingeschränkt. So kommt es, dass ihr in Neckarsulm derzeit nur vor ca. 200 Zuschauern spielen dürft. Was ist das für ein Gefühl, in einer noch nicht mal halb gefüllten Ballei zu spielen?
Selina Kalmbach: Natürlich kommt leider nicht die gewohnte Heimstimmung in der Halle auf, wie wenn sie fast komplett gefüllt ist. Wir genießen es trotzdem vor den 200 bis 300 Zuschauern spielen zu dürfen. Wenn es hilft, gesund aus der Phase herauszukommen, nehmen wir eine Maskenpflicht und getrennte Eingänge gerne auf uns. Solange wir die Möglichkeit haben zu trainieren und zu spielen ist ja alles gut – und dann eben lieber vor den wenigen Zuschauern als vor gar keinen.

Neben der Bundesliga hast du auch schon Erfahrungen in der Juniorinnen-Nationalmannschaft sammeln dürfen. Wie kam es dazu, dass du diese Chance bekommen hast?
Selina Kalmbach: Der normale Weg in die Nationalmannschaft beginnt eigentlich mit Sichtungen in den Jugenden. Diese erfolgen erst im Bezirk, was sich dann immer weiter über die Württembergische Auswahlmannschaft bis hin zur DHB-Sichtung staffelt. Ich habe es mit 14 Jahren bis zur DHB-Sichtung geschafft, wurde danach aber nicht weiter berücksichtigt. Damals dachte ich, das sei das Ende meines Weges in die Nationalmannschaft. Dann habe ich später allerdings einen Anruf von der Bundestrainerin der Juniorinnen bekommen. Sie hat mein damaliges Spiel gegen Bietigheim gesehen und war von mir begeistert. Also hat sie mich auf einen Lehrgang eingeladen. Daraufhin durfte ich auch schon mit zur Europameisterschaft nach Slowenien fahren.

Wie kann man sich die Lehrgänge vorstellen, die du von der Nationalmannschaft aus besuchst?
Selina Kalmbach: Ein Lehrgang besteht eigentlich aus Training, Essen und Schlafen. Man bekommt sehr viel individuelles Training, Krafteinheiten, Mannschaftstraining, aber auch Videoanalysen. Man konzentriert sich ausschließlich auf Handball, wenn man dort ist. Es entstehen unter anderem auch Freundschaften mit Spielerinnen aus anderen Vereinen und man freut sich, wenn man sich dann während der Runde wieder trifft.

Derzeit bist du im Perspektivkader der A-Nationalmannschaft. Wie sind deine Chancen auf einen Platz in der Nationalmannschaft einzuschätzen?
Selina Kalmbach: Im Perspektivkader zu sein bedeutet im erweiterten Kader dabei zu sein. Jedes Jahr im September gibt es neue Kaderlisten, in denen die Einteilungen in den Olympiakader oder erweiterten Kader veröffentlicht werden. Dieses Jahr wurden viele, vor allem junge Spielerinnen, aus dem Kader herausgenommen, deshalb freut es mich so noch dabei zu sein. Dass ich nicht im Olympiakader bin ärgert mich überhaupt nicht. Ich bin ja noch jung und in dem Kader, wo ich jetzt bin, habe ich alle Möglichkeiten es noch weiter nach oben zu schaffen. Ich möchte jetzt viel Erfahrung mit der Spielzeit in Neckarsulm sammeln und mich auf weiteren Lehrgängen den Nationaltrainern beweisen können.

Nachdem du uns von deiner bisherigen Zeit in Neckarsulm und deinen ersten Erfahrungen in der Nationalmannschaft erzählt hast: Wo siehst du dich und die Neckarsulmer Sport-Union am Ende der Saison?
Selina Kalmbach: Das Team steht auf jeden Fall weiter oben in der Tabelle als in der vergangenen Saison. Unser Ziel ist ein guter Mittelfeldplatz. Ich selbst habe noch viele Ziele und Träume, die aber nicht alle innerhalb von einem Jahr erfüllt werden müssen. Ich gehe weiterhin optimistisch in die Trainingseinheiten und gebe immer Vollgas. Dann wird man sehen, was dabei herauskommt. Was die Nationalmannschaft angeht wäre es natürlich ein Traum bei Olympia für Deutschland dabei zu sein. Ich nehme mir aber Paris 2024 als ein realistisches Ziel vor. Bis dahin heißt es für mich Gas geben und noch viele Erfahrungen sammeln.

Was bedeutet für dich die Aufnahme ins Perspektivteam 2024 der Unterländer Sporthilfe bzw. welche Vorteile hast du dadurch?
Selina Kalmbach: Ich bekomme dadurch in vielen Bereichen eine große Unterstützung. Wir haben gemeinsam mit dem Verein überlegt, welche Trainingsmaterialien, welche Sportausrüstung oder medizinische Betreuung benötigt wird, um eine bestmögliche Weiterentwicklung zu fördern. Ich habe aufgrund der Probleme mit meiner Achillessehne bisher vor allem die medizinische Betreuung in Anspruch genommen. Im Frühjahr habe ich sehr viel Physio und Rehabilitationstraining gemacht, wodurch ich mich jetzt wieder fit fühle und Vollgas geben kann.

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