„Früher war ich echt nicht gut“ – KTT-Turner Carlo Hörr im Nationalteam

sportheilbronn bildet – und zwar nicht nur die Leser, sondern ab und an auch mal die Sportler! Carlo Hörr turnt inzwischen in seiner fünften Saison für das KunstTurnTeam Heilbronn und bezeichnet sich selbst schon als „Urgestein“. Doch sein Weg nach Heilbronn führt ihn meist nur in die Römer- oder Mörikehalle – von der Stadt selbst hat er noch nicht allzu viel gesehen. Deshalb haben wir den 19-jährigen Stuttgarter, der zu den größten Nachwuchs-Hoffnungen des Deutschen Turner-Bundes zählt, auf eine Heilbronn-Rundfahrt im CityTour-Bus eingeladen. Natürlich haben wir uns am Vormittag des Ostermontags nicht nur zum Sightseeing getroffen, sondern haben auch gearbeitet. Was dabei heraus kam, könnt ihr auf diesen beiden Seiten nachlesen. Eines möchten wir aber nicht unerwähnt lassen: Dass ein Sportler extra an einem Feiertag von Stuttgart nach Heilbronn kommt, um sich von uns interviewen zu lassen, ist nicht selbstverständlich. Deshalb an dieser Stelle ein ganz großes DANKE an Carlo Hörr!

Fotos: Marcel Tschamke

Autor: Ralf Scherlinzky

23. April 2018

Mit 19 Jahren hast du im März 2018 den Sprung in die Nationalmannschaft geschafft. Doch welcher Weg liegt hinter dir? In welchem Alter hast du angefangen und wie wurdest du entdeckt?
Carlo Hörr: Meine Mutter hatte mich als Kind zur Kindersportschule des TSV Schmiden angemeldet. Da ging es eigentlich gar nicht wirklich ums Turnen, und doch ist der Leiter der Schmidener Turntalentschule gleich auf mich ausfmerksam geworden. Als ich sechs Jahre alt war, bin ich zu ihm ins Training gekommen. Und dann war kurze Zeit später ein Trainer des Kunstturnforums Stuttgart zur Talentsichtung da und hat mich eingeladen. Mit sechseinhalb oder sieben habe ich dort zum ersten Mal bei Valeri Belenki trainiert, der auch heute wieder mein Trainer ist. Damals habe ich zweimal pro Woche für zwei Stunden trainiert. Mit zehn bin ich dann witzigerweise zu meinem heutigen KTT-Kollegen Sascha Otten gekommen, der für ein Jahr mein Trainer war. Von elf bis 14 war ich dann bei Rainer Schrempf, und ab da hat mich bis zum Ende der Juniorenzeit Thomas Andergassen übernommen, der beim KTT dann ja auch mein Teamkamerad war.

Wie fällt man als junger Kerl dann eigentlich den Entschluss zu Gunsten des Leistungssports?
Carlo Hörr: Das kommt irgendwie schleichend, es gab keinen bestimmten Moment, an dem der Entschluss gefallen ist. Am Anfang turnt man so vor sich hin und hat Spaß dabei. Dann steigert man peu à peu das Trainingspensum und merkt, dass man sich dadurch verbessert. Früher war ich echt nicht gut, war in meinem Jahrgang selten unter den besten zehn. Doch dann habe ich gemerkt, dass ich mich durch viel Training weiterentwickelt habe und plötzlich nicht mehr so schlecht war. Als zum ersten Mal die Junioren-Nationalmannschaft aktuell wurde, habe ich begonnen, mir auf Dauer auch Chancen bei den Erwachsenen auszurechnen. Da war eigentlich klar, dass ich dabei bleibe.

Damals bist du aber noch zur Schule gegangen…
Carlo Hörr: Ja, das war nicht leicht unter einen Hut zu bekommen. Ich war nicht an einer Sportschule, sondern an einem normalen Gymnasium und habe G8 gemacht. Die Abi-Zeit war stressig, da im gleichen Jahr die Jugend-Europameisterschaft anstand und ich wegen der Abiturprüfungen nur eine Quali turnen konnte. Es hatte aber auch etwas Positives, dass ich beim Lernen und Turnen gleichzeitig unter Druck stand. Denn beim Training konnte ich vom Lernen abschalten und Dampf ablassen. Und wenn beim Training etwas Neues geklappt hat, konnte ich die positive Energie wieder zum Lernen mitnehmen. Das Ende vom Lied war dann, dass ich mit 17 mein Abi in der Tasche hatte und danach die Jugend-EM geturnt habe.

Dazu kam ja noch, dass du mit 16 zum KTT nach Heilbronn gewechselt bist. War das noch ein zusätzlicher Stressfaktor in dieser Zeit?
Carlo Hörr: Nein, eigentlich nicht. Ich habe ja weiterhin in Stuttgart trainiert und bin nur zu den Wettkämpfen nach Heilbronn gefahren. Das war im Gegenteil sogar gut, denn ich habe beim TSV Schmiden zu der Zeit in einer niedrigeren Liga geturnt und hatte eine neue sportliche Herausforderung nötig. Da kam es mir entgegen, dass mich Sascha Otten und Rainer Arnold fragten, ob ich Lust hätte 2. Liga zu turnen.

Das KTT und du, ihr habt euch quasi gemeinsam in die Bundesliga hoch geturnt, die Entwicklung ging Seite an Seite. Momentan schaut es sportlich aber nicht allzu gut aus für dein Team. Was muss passieren, damit das KTT nach den ersten Niederlagen die Klasse hält?
Carlo Hörr: Dass es diese Saison schwer werden würde, war spätestens dann klar, als wir die ersten beiden Wettkämpfe gegen Siegerland und Cottbus verloren hatten. Der Zusammenhalt im Team ist in jedem Fall da und wir werden unser Bestes für den Klassenerhalt geben. Es geht ja jetzt erst nach dem Sommer mit der zweiten Saisonhälfte weiter. Wir haben ein junges Team, in dem sich bis dahin jeder nochmal weiter entwickeln wird. Vielleicht ist das unser Trumpf. 2017 war es ähnlich, da haben wir uns auch hinten raus gesteigert.

Hast du eigentlich Lampenfieber, wenn du ans Gerät gehst?
Carlo Hörr: Ja, natürlich. Das Herz klopft ganz schön, wenn ich vor dem Gerät stehe. Das ist aber auch wichtig, denn sonst fehlen bei der Übung die letzten paar Prozent. Mit der Zeit lernt man, die Aufregung in positive Energie umzusetzen – das macht am Ende vielleicht auch den Unterschied zwischen einem guten Turner und einem Spitzenturner.

Du bist zwar erst 19, hast aber im Sport schon vieles erlebt. Was waren bisher deine persönlichen Highlights?
Carlo Hörr: Da gibt es tatsächlich viele. Eigentlich ist jeder internationale Wettkampf ein Highlight, vor allem weil man dort auch Freundschaften mit Sportlern aus anderen Nationen schließt. Das EYOF (Europäisches Olympisches Jugendfestival) 2015 in Tiflis war dabei eine mega Erfahrung. Da hat man sich wie bei einer kleinen Olympiade gefühlt, mit Olympischem Dorf und einer Einlaufzeremonie mit 3.000 Athleten. Auf der anderen Seite lehrt einen das Ganze aber auch Bescheidenheit. Bei einem anderen Wettkampf in Georgien sind wir in die Halle gekommen und es hat reingeregnet – damit muss man erstmal klarkommen. Seither weiß ich die Voraussetzungen, die wir hier in Deutschland haben, viel mehr zu schätzen. Etwas ganz Großes war für mich jetzt im März natürlich mein erster Auftritt mit der Senioren-Nationalmannschaft beim DTB-Pokal in Stuttgart vor meinen Freunden und meiner Famile. Und dann natürlich der Weltcup in Doha – auch wenn es dort sportlich alles andere als optimal für mich lief. Da hatte das Herz schon etwas mehr geklopft als sonst.

Welche Kriterien entscheiden eigentlich darüber, wer beim DTB-Pokal oder beim Weltcup für Deutschland starten darf?
Carlo Hörr: Erst gibt es Qualifikationswettbewerbe und dann muss man darauf hoffen, dass man auch tatsächlich nominiert wird. Momentan sind einige meiner vermeintlichen Konkurrenten verletzt – das hat es mir diesmal etwas einfacher gemacht. Dafür war dann aber Doha international durchweg stark besetzt. Da dort Ende Oktober die Weltmeisterschaft stattfindet, waren einige sehr gute Leute am Start, um sich dort gleich einzugewöhnen. Insofern war das eine gute Standortbestimmung für mich.

Ist die Teilnahme an der WM ein realistisches Ziel für dich?
Carlo Hörr: Erstmal steht ja im August die Europameisterschaft an. Natürlich wäre es ein Ziel, dort und bei der WM dabei zu sein, aber ob das so ganz realistisch ist, weiß ich nicht. Ich bin noch jung und mir fehlen noch Inhalte gegenüber der älteren Konkurrenz. Insofern denke ich lieber voraus und setze mir die Weltmeisterschaft 2019 in Stuttgart als Ziel – denn eine WM vor eigenem Publikum zu turnen, diese Chance kommt nur einmal.

Sind auch die Olympischen Spiele 2020 in Tokio ein Ziel für dich?
Carlo Hörr: Auch hier gilt, dass es natürlich ein Ziel ist, für das ich mein Bestes geben werde. Realistischer ist es aber auch hier, auf Paris 2024 hinzuarbeiten. Bis dahin bin ich Mitte 20, und das ist das Alter, wo man als Turner normalerweise den höchsten Leistungsstand erreicht. Mein Vorteil im Hinblick auf die großen Wettbewerbe ist es aber, dass ich am Pauschenpferd recht gut bin. An diesem Gerät gibt es in Deutschland nicht viele gute Turner. Das habe ich auf der Habenseite. Aber ich muss an den anderen Geräten noch weiter zulegen, um mich auf Dauer unverzichtbar zu machen. Da fehlt an ein paar Stellen noch die nötige Schwierigkeit.

Du sprichst von fehlenden Inhalten und Schwierigkeit. Was heißt das für diejenigen, die im Turnen nicht unbedingt daheim sind?
Carlo Hörr: Je höher die Schwierigkeit der einzelnen Elemente einer Übung ist, desto höher fallen im Idealfall auch die Wertungen der Punkterichter aus. Als Junior turnst du pro Übung acht Elemente, als Senior zehn – also fehlen dir, wenn du in meinem Alter bist und zu den Senioren aufrückst, die letzten beiden Teile als Inhalte. Da haben die Älteren einfach einen Vorsprung, den du erstmal aufholen musst – auch konditionell. Ich befinde mich gerade in dieser Übergangsphase, und es dauert einfach noch einige Zeit, bis ich mal so weit bin, dass ich Leute wie Marcel Nguyen oder Andreas Toba ärgern kann.

Damit diese Übergangsphase möglichst kurz ausfällt und du dich bestmöglich entwickeln kannst, bist du momentan Profi. Wie bekommst du das finanziell gestemmt?
Carlo Hörr: Ich bin bei der Sportfördergruppe der Bundeswehr, die meine Sozialleistungen übernimmt und mir den Lebensunterhalt sichert. Im Gegenzug muss ich alles dafür tun, dass ich im Bundeskader bleibe – denn sonst würde ich den Platz bei der Bundeswehr wieder verlieren. Ich werde dort komplett für das Training freigestellt, so dass ich jeden Tag von 9 bis 12 Uhr und von 14 bis 17 Uhr trainieren kann. Das ist schon ein tolles Modell, das der Bund da aufgestellt hat. Sie wollen junge Sportler an die Spitze bringen – und dorthin können diese es nur schaffen, wenn sie ihren Lebensunterhalt nicht mit Arbeiten verdienen, sondern sich auf den Sport und das Training konzentrieren können. Nebenher wird einem dann zum Beispiel auch noch ein Studium ermöglicht, das aufgrund der sportlichen Karriere gestreckt werden kann. Momentan stelle ich das Thema Studium für mich aber noch hinten an, weil ich mich so schnell wie möglich an die nationale Spitze herankämpfen möchte. Angedacht ist, dass ich mich mit 21, 22 Jahren dann mal informiere, welche Möglichkeiten es im Bereich Ingenieurswesen bis dahin gibt. Auch hier bietet die Bundeswehr eine Karriereberatung an, die ich dann sehr gerne nutzen werde.