Dr. Boris Brand: Ein „Exot“ unter Eishockey-Legenden
Boris Brand ist in der Heilbronner Sportszene kein Unbekannter. Seine Praxis im Neckarsulmer Medicross-Zentrum ist seit 2006 Anlaufstelle bei allen Arten von Verletzungen. Er ist unter anderem Teamarzt bei den Bundesliga-Handballerinnen der Sport-Union Neckarsulm und war zuletzt Mannschaftsarzt der Bietigheim Steelers in der DEL. Auch die Leser des SPORTHEILBRONN-Magazins kennen den Sportorthopäden aus diversen Beiträgen, die wir in der Vergangenheit über Sportverletzungen geschrieben haben. Dass der 57-Jährige darüber hinaus auch eine tragende Säule im Vorstand der Spielervereinigung der Eishockeyprofis (SVE) ist, ist dagegen weitgehend unbekannt. Grund genug, die SVE im Gespräch mit Boris Brand und dem 2. Vorsitzenden Patrick Reimer mal genauer unter die Lupe zu nehmen.
Autor: Ralf Scherlinzky
Die Idee, eine Art Spielergewerkschaft zu gründen, existiere eigentlich schon seit längerer Zeit, erzählt Patrick Reimer. Doch es habe einfach ein konkreter Anlass gefehlt, um das Projekt tatsächlich anzugehen. Dies änderte sich schlagartig, als die Deutsche Eishockey-Liga (DEL) im Sommer 2020 nach Lösungen suchte, um die Saison 2020/21 auch ohne Zuschauer spielen und vor allem wirtschaftlich überleben zu können. Die Ligaverwaltung hatte gemeinsam mit den DEL-Vereinen beschlossen, dass die Spieler auf einen Teil der Gehälter verzichten sollen.
„Das hat uns Spieler natürlich bewegt und es hat sich schnell eine Gruppe mit einigen Führungsspielern als Sprecher heraus kristallisiert, die die Verhandlungen mit Liga und Vereinen übernommen haben“, berichtet Patrick Reimer. Gemeinsam mit Nationalmannschafts-Kapitän Moritz Müller wurde der Olympia-Silbermedaillengewinner von 2018 und erfolgreichste DEL-Punktesammler aller Zeiten innerhalb kürzester Zeit zur Stimme der deutschen Eishockeyprofis.
„In dieser Phase haben wir den Gedanken einer organisierten Spielervereinigung wieder aufgegriffen. Dies hat Boris mitbekommen, und er rief mich an und bot uns seine Hilfe an. Wir kennen uns seit 2003 und mir war klar, dass er uns definitiv würde weiterhelfen können. Gerade bei der Vereinsgründung war er eine tragende Säule, denn damit hatte keiner von uns Erfahrung“, erinnert sich der 39-Jährige weiter.
Mit Boris Brand gesellte sich ein Mitstreiter zu der Gruppe, der im Eishockey zuhause ist und schon in verschiedenen Funktionen für den Deutschen Eishockey-Bund tätig war, sowie auch über zehn Jahre im internationalen Verband IIHF als deutscher Vertreter gearbeitet hat. Er konnte nochmal einen ganz anderen Blickwinkel mit einbringen. „Die Jungs haben natürlich alles aus der Warte der Spieler gesehen, man muss bei solchen heiklen Verhandlungen aber auch immer die Sichtweise des Gegenübers berücksichtigen und verstehen. Da ist es gut, wenn jemand mit Erfahrung dabei ist, der beide Seiten kennt und in diesem Fall auch Verständnis für die Bedürfnisse der Vereine aufbringt“, weiß Boris Brand.
Direkt nach ihrer Gründung feierte die SVE dann auch gleich ihren ersten Erfolg: Die Spielervereinigung trat als Vermittler in den zwischenzeitlich verhärteten Dialog zwischen Spielern und Vereinen ein und trug einen entscheidenden Teil dazu bei, dass beide Seiten eine einvernehmliche Lösung im Streit um den Gehaltsverzicht der Spieler fanden. Die Saison 2021/21 konnte sowohl in der DEL als auch in der DEL2 gespielt werden.
Inzwischen trat die SVE hauptsächlich durch ihren informativen Podcast „The Game is Us“ in Erscheinung, während der Vorstand, der sich neben Moritz Müller, Patrick Reimer und Boris Brand aus weiteren Eishockeyprofis zusammensetzt, im Hintergrund viel konzeptionelle Arbeit geleistet hat. „Wir treffen uns alle ein bis zwei Wochen online, um sowohl aktuelle Entwicklungen zu besprechen, als auch Themen auszuarbeiten, die wir in Zukunft angehen werden“, berichtet Boris Brand.
Ein aktuelles Thema, mit dem die SVE im Januar an die Öffentlichkeit ging, war die Forderung nach einer Spielpause der DEL bereits eine bis zwei Wochen vor den Olympischen Winterspielen. „Wir haben die Gefahr gesehen, dass sich unsere Nationalspieler bei den Partien vor Olympia noch mit dem Corona-Virus anstecken und damit womöglich die Teilnahme der Nationalmannschaft in Peking in Gefahr bringen. Leider wurde diese Forderung von den Vereinen abgelehnt“, so Patrick Reimer. Er berichtet vom letzten Spiel seiner Nürnberg Ice Tigers vor der Olympiapause: „Wir sind mit einem Rumpfkader von elf Feldspielern nach Augsburg gefahren und die Spieler standen insgesamt viel zu lange auf dem Eis. Das war nicht gesundheitsfördernd und es wäre mit Sicherheit möglich gewesen, das Spiel auszusetzen.“
Die SVE hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Eishockeysport allgemein weiterzuentwickeln und voranzubringen, was dem Dialog mit den Vereinen nicht immer zuträglich ist, wie Boris Brand weiß: „Die Geschäftsführer müssen verständlicherweise an erster Stelle die Interessen ihrer Vereine wahren. Da sind unsere Vorstellungen nicht immer kompatibel, vor allem, wenn wir etwaige Missstände aufdecken und verbessern wollen. Das Denken hört leider oft an der Vereinstür auf. Das macht unsere Arbeit nicht wirklich einfach.“
Themen, denen sich die SVE in den nächsten Monaten annehmen wird, gibt es mehr als genug. „Da stehen Dinge wie die Regelung mit den U23-Spielern, eine Professionalisierung der Frauen-Bundesliga, Persönlichkeitsrechte, Überstunden und Mindestlohn, Rechtsberatung oder auch die Karriere nach der Karriere auf der Agenda“, so der Heilbronner.
Aktuell betreibt der eingetragene Verein aktiv Mitgliederakquise. Auch Fans und andere Außenstehende können der SVE als Fördermitglieder beitreten. Mehr Info: www.sv-eishockey.de