Denise Krebs verpasst Olympia – „das ist unfassbar schmerzhaft“

„Aufgeben ist keine Option – Olympia 2021“, unter diesem Titel hatte Denise Krebs nach der Verschiebung der Olympischen Spiele in Tokio von 2020 auf 2021 eine Crowdfunding-Aktion gestartet, um sich trotz der Pandemie ihren Lebenstraum von der Olympia-Teilnahme erfüllen zu können. Über 12.000 Euro waren damals zusammengekommen und die Heilbronn-Biberacherin hatte damit bundesweit für Aufsehen gesorgt. Seit Anfang Juli steht nun jedoch fest: Alle Anstrengungen waren vergebens und die für Bayer 04 Leverkusen startende 5.000-Meter-Läuferin durfte leider nicht mit dem deutschen Team nach Tokio fliegen. Kurz nachdem ihre Nicht-Nominierung feststand, hat uns Denise Krebs in der SPORTHEILBRONN-Redaktion einen Besuch abgestattet und von den letzten Wochen berichtet. 

Autor: Ralf Scherlinzky

9. August 2021

Läuft Denise Krebs künftig nur noch in ihrer Freizeit? Foto: Norbert Wilhelmi

Denise, die Frage ist zwar irgendwie unpassend und sie beantwortet sich vermutlich von allein, aber wie geht es dir?
Denise Krebs: Die Tatsache, dass ich nach 2012 und 2016 jetzt zum dritten Mal knapp an einer Olympia-Teilnahme gescheitert bin, ist unfassbar schmerzhaft. In mir ist etwas verloren gegangen und es fühlt sich so an, als sei jemand aus meinem Umfeld gestorben. Ich habe eigentlich nur noch geheult und war auch ein paar Tage krank geschrieben. Man fühlt sich ratlos und irgendwie verloren in der eigenen Welt. Du weißt nicht mehr, was du machen sollst, wenn das Ziel, auf das du immer hingearbeitet hast, plötzlich verloren gegangen ist. Die ersten Tage habe ich fast durchgehend im Bett verbracht und mich mit Netflix-Schauen abgelenkt. Das Schlimmste ist das Gedankenkarussell in meinem Kopf, das mir einredet, dass ich die größte Versagerin dieser Welt bin. Ich weiß, dass das nicht objektiv gedacht ist. Aber ich bin jetzt 34 Jahre alt und werde für immer die sein, die es nicht geschafft hat. Es heißt ja, „wenn man nur fest an seine Träume glaubt, werden sie wahr“ – ich bleibe da wohl leider die Ausnahme.

Woran hat es letztendlich gelegen, dass du es nicht geschafft hast? Du hattest ja für die Vorbereitung erst mit der Crowdfunding-Aktion und dann mit Trainingslagern in Kenia und den USA sämtliche Register gezogen…
Denise Krebs: Um es auf den Punkt zu bringen: Ich bin einfach nicht schnell genug gelaufen. Hätte ich die A-Norm von 15:10 Minuten geschafft, wäre ich dabei gewesen. Aber ganz so einfach war es dann doch nicht, denn es gab parallel noch ein Ranking, über das ich mich hätte qualifizieren können. Pro Land konnten drei Läuferinnen über die A-Norm nominiert werden. Für den Fall, dass keine drei Athletinnen die Norm knacken, hatte der Weltverband das Ranking eingeführt, für das man seit 2018 bei Wettbewerben Punkte sammeln konnte. Das hatte für mich damals zum exakt falschen Zeitpunkt begonnen – direkt nach der Europameisterschaft in Berlin, bei der ich mich so schwer verletzt hatte, dass ich bis weit ins Jahr 2019 ausgefallen war. Um doch noch genügend Punkte für die Liste sammeln zu können, bin ich 2021 bei Rennen wie der Deutschen Meisterschaft oder der Team-EM in Polen taktisch gelaufen, um die Zähler sicher zu haben. Gleichzeitig wurden bei den Läuferinnen, die 2018 und 2019 gepunktet hatten, Minuspunkte vergeben. Sie mussten bestätigen, dass sie 2021 noch genauso gut sind wie damals – für mich eine faire Lösung und auch die Chance, mich über das Ranking zu qualifizieren. Doch diese Regelung wurde vor ein paar Wochen plötzlich wieder gekippt und es begann eine wilde Rechnerei.

Und deshalb hast du dann die Qualifikation verpasst?
Denise Krebs: Nein, es geht noch weiter. Zum Stichtag 29. Juni 2021 hatten drei deutsche Läuferinnen die A-Norm geschafft, mussten aber aus verschiedenen Gründen auf die Olympiateilnahme verzichten. Für sie wären eigentlich die ersten drei der Liste nachgerückt – und da standen meine Karten nicht so schlecht. Doch der DOSB (Deutscher Olympischer Sportbund) hat leider keine Nachrücker mehr nominiert – ich vermute aufgrund der Pandemielage. Letztendlich ist deshalb nun gar keine deutsche Läuferin in Tokio über die 5.000 Meter an den Start gegangen. Für mich war diese Entscheidung gleichbedeutend mit dem Ende meines Lebenstraums. Aber am Ende liegt die Schuld bei mir. Wäre ich schneller gelaufen, hätte ich in Tokio dabei sein können.

Du hast ja eine fast schon tragische Geschichte mit knapp verpassten Olympia-Nominierungen – da reiht sich 2021 sozusagen nahtlos ein…
Denise Krebs: Absolut. 2012 war ich um eine Hundertstelsekunde zu langsam, um in London starten zu dürfen. Für 2016 war die Norm dann so hoch angesetzt worden, dass der Internationale Leichtathletik-Verband die „Road to Rio“-Liste eingeführt hat, um das Feld auf die für die Vorläufe benötigten 45 Teilnehmerinnen aufzufüllen. Ich hatte erst am Nominierungstag erfahren, dass es diese Liste überhaupt gab und ich darauf stand. Doch der DOSB hatte die Liste offiziell nicht anerkannt und deshalb den dritten Startplatz nicht vergeben. Diesen Platz hätte entweder Maren Kock oder ich bekommen müssen…

Du hast jetzt all die Jahre auf dieses eine Ziel hingearbeitet. Wie geht es nun bei dir weiter? Nimmst du noch einen Anlauf in Richtung Paris 2024?
Denise Krebs: Bis dahin bin ich 37 – da brauchen wir nicht mehr drüber zu sprechen. Nüchtern betrachtet werde ich jetzt wohl aufhören, auch wenn ich in meinem letzten Rennen die Norm für die Hallen-EM gelaufen bin. Ich brauche erstmal einige Wochen für mich, in denen ich mir klar werden muss, wie mein Leben weiter verlaufen soll. Momentan kann ich weder sagen, wo es beruflich für mich hingehen soll, noch ob ich weiterhin in Leipzig wohnen werde oder eine Familie gründen möchte. Ich hatte mich bisher ausschließlich auf diesen einen Plan A konzentriert, der mit dem Vorlauf über 5.000 Meter am 31. Juli 2021 in Tokio hätte enden sollen.

Du hattest ja schon in jungen Jahren mit dem Leistungssport begonnen, und bekanntlich ist dieser mit viel Verzicht verbunden. Ist jetzt vielleicht die Zeit gekommen, in der du viele Dinge, auf die du bisher verzichten musstest, nachholen kannst?
Denise Krebs: Ich hatte mir immer ausgemalt, wie es mal sein würde, wenn ich mit dem Leistungssport aufhöre – wo ich überall hinreise, was ich alles unternehmen werde. Jetzt ist der Zeitpunkt da und ich sitze nur traurig zuhause. Ich habe in den letzten 20 Jahren das „normale Leben“ tatsächlich nie kennengelernt, bin nie spät nachts von einer Feier heimgekommen oder womöglich angetrunken aus einer Bar getorkelt. Ich kenne bewusste Ernährung, früh Schlafengehen und zweimal täglich Training selbst an Feiertagen. Seit dem letzten Oktober hatte ich nur zwei Tage frei. Alles andere musste um den Leistungssport und die Olympiavorbereitung herum funktionieren. Jetzt ist das große Ziel weggebrochen und ich fühle mich in meiner Welt verloren. Aber ich versuche mir auch klarzumachen, dass meine momentanen Probleme nicht lebenswichtig sind. Da gibt es momentan ganz andere, viel wichtigere Themen.

Du meinst die Corona-Pandemie?
Denise Krebs: Ja, genau. Ich hatte in meinem näheren Umfeld jemanden mit einem schweren Verlauf, der auf der Intensivstation beatmet wurde. Das hat mir schwer zu schaffen gemacht und war wohl der Hauptgrund dafür, dass ich mich bereits im April während des Trainingslagers in Colorado, USA, habe impfen lassen. Der Wunsch nach einer lebenslangen guten Lungenfunktion hat selbst das große Ziel Olympia geschlagen. Wir sind dort zu fünft im Auto zum „Drive-in“ Impfen gefahren. Das war alles komplett unbürokratisch. Fun fact: Der Ort, wo ich mich habe impfen lassen, heißt Loveland. Das hat beim Vorzeigen des Impfpasses doch schon für die eine oder andere lustige Situation gesorgt. Aber ich kann nur jeden ermutigen, sich impfen zu lassen. Nur so können wir uns gegen das Virus langfristig durchsetzen.